Der folgende Artikel erschien in der unabhängigen linken italienischen Tageszeitung "il manifesto" am 12.12.1999.

Eisenbahn
Der Streik beginnt heute abend

Die Tage der ORSA

24stündiger Streik gegen den "Unternehmensplan".

Die Föderation der Basisgewerkschaften in Aktion.

Francesco Piccioni – Rom

Es war eine Voraussage, die leicht zu machen war. Aber die Bestätigung kommt wie immer durch die Fakten. "Der Unternehmensplan der Eisenbahn" mit Skelettierung des Unternehmens und Liquidation des Bauvermögens hatte sofort kräftige Veränderungen erfahren. Ein entscheidender Punkt aber war während der ganzen mühsamen Bearbeitung unverändert geblieben: Die Kosten der Sanierung der FS-Konten (1) hätten die Arbeiter bezahlt.

Wo ist da die Neuigkeit, werdet Ihr sagen. Nun ja gewiß, die vom Plan vorgesehenen 18 000 "Überschüssigen" kommen im "normalen" Rezept eines jeden Unternehmers vor, der Probleme mit Verlusten des eigenen Betriebes hat. Aber die Reduzierung des Lohnes um durchschnittlich 20% sieht man als entschieden vorgetragenen Vorschlag zum ersten Mal in Italien. Jenseits jeder Betrachtung über die möglichen Alternativen, um die Konten der FS wieder in Ordnung zu bringen, liegt hier in der Tat der unverdauliche Kloß für die gesamte Berufsgruppe, die sich darüberhinaus in der Rolle des Meerschweinchens für das politisch-legislative Experiment wiederfindet, das darauf abzielt das Streikrecht, wenn nicht gleich ganz zu beseitigen, dann zu einem rein symbolischen zu machen.

Das ist eine Situation, die die Arbeiter leicht hätte lähmen können, eingezwängt zwischen der Perspektive der öffentlichen Verachtung anheimzufallen, wenn sie streiken und derjenigen als tarifvertraglicher Faktor (in Bezug auf Rechte, Löhne und Beschäftigung) beseitigt zu werden, wenn sie es nicht tun. Dies um so mehr als sich die konföderalen Gewerkschaften (2) mehrmals gerade über die Bewertung des "Unternehmensplanes" (mit an die CGIL adressierten einmütigen Anklagen des "Kollateralismus" (3) gegenüber der Regierung) gespalten hatten und es der Basisgewerkschaftsbewegung nicht gelang die Schwelle der Repräsentativität über einzelne Bereiche (Lokführer, Bahnhofsvorsteher etc.) hinaus zu überwinden. Der Ernst der Lage hat jedoch die verschiedenen "Basisgewerkschaften" im Laufe des Jahres 99 dazu gebracht, sich in der "OR.S.A." (4), einer Formation, die bestehende Gruppen von Arbeitern des Transportwesens (nicht nur Eisenbahner) zusammenfaßt, zu verbünden.

Dieser erste von der ORSA angesetzte Streik wird daher auch der Prüfstein ihrer realen Fähigkeit sein die Zustimmung der Eisenbahner im allgemeinen und nicht nur in den "historischen" Kernen (Lokführer und Bahnhofsvorsteher) zu sammeln. "Wir haben zahlreiche Versammlungen auch außerhalb der Arbeitszeit gemacht", sagt Savio Galvani, einer der historischen Führer der Lokomotivführergewerkschaft COMU (5). "Versammlungen mit großer Beteiligung, aus denen die Bestätigung des Willens der Arbeiter nicht nachzugeben und der Notwendigkeit den Konflikt zu nutzen, um Rechte zu verteidigen – nicht ‚Privilegien‘ – klar hervorgegangen ist."

Der Streik wird heute abend um 21 Uhr beginnen und morgen (Montag) um dieselbe Zeit beendet. Der Einfluß, den der Streik auf den Zugverkehr haben wird, hängt – über die Beteiligung der Beschäftigten am Protest hinaus – von der Menge der "Mindestdienste" (6) ab, die das Unternehmen als notwendig betrachten wird. Dies ist ein sehr kontroverser Punkt, weil die FS bereits bei anderen Gelegenheiten eine eindeutig unverhältnismäßig hohe Zahl von Beschäftigten dazu "abkommandiert" haben. Mit dem – wie die Basisgewerkschafter sagen – beabsichtigten Ergebnis bei einem im wesentlichen gelungenen Streik von "niedriger Beteiligung" reden zu können.

Was die Reisenden anbelangt, kann es auch aufgrund zahlreicher laufender Arbeiten am Streckennetz zu Beeinträchtigungen kommen. Viele Züge, die trotz des Streikes zwischen Rom und Mailand verkehren, werden z.B. über weite Strecken auf die alte Linie abweichen, anstatt "ganz direkt" zu fahren. Nach Aussage der FS sind durchschnittliche Verspätungen zwischen 20 Minuten und einer halben Stunde vorauszusehen. Man kann Wetten darüber abschließen, in welchem Umfang auch diese durchschnittlichen Verspätungen den streikenden Arbeitern angelastet werden.

 

Übersetzung: Antifa-AG der Uni Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover

 

Anmerkungen der ÜbersetzerInnen:

1) FS = Ferrovie dello Stato = Eisenbahnen des Staates = die (noch staatliche) Eisenbahngesellschaft.

2) Mit dieser Redewendung sind in Italien immer die 3 großen sozialpartnerschaftlichen Gewerkschaftskonföderationen CGIL, CISL und UIL gemeint.

3) Hier: daß die CGIL mehr der Regierung als den Beschäftigten / ihren eigenen Mitgliedern zur Seite steht.

4) Or.S.A. ist die Abkürzung für: Organisation der autonomen und Basisgewerkschaften.

5) CoMU = Nationale Koordination der vereinigten Lokführer; eine 1989 entstandene sehr kämpferische und linke Gewerkschaft, von der große Teile dem Partito della Rifondazione Comunista (Partei der kommunistischen Neu/be/gründung) nahestehen, der wiederum aus einer Vereinigung des linken Minderheitsflügel der 1990 aufgelösten italienischen KP, der großen ML-Organisation "Democrazia Proletaria" (Proletarische Demokratie), mehreren trotzkistischen Gruppen und zahlreichen unorganisierten Linken hervorgegangen ist und heute landesweit bei Wahlen zwischen 4,2 und 8,6% der Stimmen erhält.

6) Diese "Mindestdienste" sehen die die Streikfreiheit einschränkenden Gesetze vor, die mit ausdrücklicher Billigung der Führungen von CGIL-CISL-UIL in den 80er Jahren erlassen worden waren.


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