Die Not der Jugend
Was die Londoner Unruhen mit 30 Jahren neoliberaler Politik zu tun haben. Und was Gewerkschaften jetzt tun können. Eine Analyse von Owen Jones in ver.di Publik 08/09
Riots: Die "Nachbereitung"
Die Schwemme von Schlagzeilen bis zu Artikeln im Feuilleton über die "englischen Ereignisse" scheint vorüber, jetzt wird nachgearbeitet: Die Klassenjustiz vor allem wirkt in dieser Stille... Vor schnellen Lösungsvorschlägen käme aber auch unter jenen, die die Lösungen des Problems durch die bürgerlichen Gerichte ablehnen, eine weitergehende Reflexion nicht schlecht an.
- Zum Beispiel so: "Eine lang gestaute Wut entlud sich ungerichtet, blindwütig schlugen die jungen Leute auf die Fassade ein. Ganze Stadtteile versanken in Schutt und Asche, es sah aus wie im Krieg. Wir bekamen einen Vorgeschmack kommender Revolten (...)" - Und: "Was wäre denn, wenn solche Aktionen auch aus dem Grund begangen würden, ein einziges Mal Ursache von etwas zu sein?(...)" - das sind kurze Passagen aus dem Beitrag "Die große Wut der Überzähligen" von Götz Eisenberg am 08. September 2011 in der Neuen Rheinischen Zeitung.
- Wenn aber der Wunsch, einmal Ursache von etwas zu sein tatsächlich ein Faktor dieser Explosion war, dann sind selbst solche Stellungnahmen wenig produktiv, die Verständnis für die Aktionen ausdrücken, die aber andrerseits unterstreichen, solches Verhalten sei kein Ausweg. Bestes Beispiel für eine solche Stellungnahme ist die des landesweiten Netzwerkes der Shopstewards "NSSN statement on riots" vom 09. August 2011.
- In dem Beitrag "Riot Polit-Econ" am 22. August 2011 beim Mute Magazin stellen die Khalid Qureshi Foundation und das Chelsea Ives Youth Centre zu eben diesen "Angeboten der Linken" an die rioter die Frage, ob die praktizierte linke Solidarität - so sie es denn wirklich würde - wirklich attraktiver sein kann, als die oftmals vorhandene Gang-Solidarität...
Unruhen in Großbritannien
- "Raserei der Urteile"
„Sie sollten die üblichen Maßstäbe in dieser Angelegenheit beiseite lassen und Strenge zeigen, wurde den Richtern geraten, die über die Haft von Personen entschieden, welche im Zusammenhang mit den britischen Unruhen festgenommen wurden (Schnellurteile). Laut einem Bericht der britischen Zeitung Independent hat die Arbeit der Magistratsrichter, die nach wie vor an diesen Fällen sitzen, auch in der dritten aufeinander folgenden Woche zu Rekordzahlen der Inhaftierten in England und Wales geführt. Im Laufe der letzten Woche wurden weitere 167 Personen in U-Haft geschickt. Die Gesamtzahl der Inhaftierten liege nun bei 86.821. Damit wären nur mehr 1.500 Plätze frei, bis die Gesamtkapazität der Gefängnisse ausgelastet sei. Nach Aussagen von Scotland Yard werde noch immer weiter ermittelt, bislang habe man mehr als 2000 Personen verhaftet…“ Bericht von Thomas Pany auf Telepolis pnews vom 28.08.2011
- I don't call it Rioting...
BBC Interview mit dem Schriftsteller Darcus Howe über die Unruhen in Großbritannien von Anfang August 2011. Howe stellt die Unruhen in eine Reihe mit anderen Aufständen: "Ich nenne es nicht Ausschreitung, ich nenne es einen Aufstand...der Massen. Es geschieht in Syrien, es geschieht in Clapham, es geschieht in Liverpool, es geschieht in Port Au Spain, Trinidad und das ist das Wesen eines historischen Moments." Das Video bei labournet.tv (englisch | 5 min | 2011 | untertitel: deutsch)
- Essay über die Randale in England: Mechanismen der Eskalation
Nur sinnlose Zerstörung oder attraktive Quelle der Anerkennung? Wie lassen sich die August-Krawalle von England erklären? Und was folgt daraus? Eine Analyse von Wilhelm Heitmeyer in der TAZ vom 25.08.2011
- »Riots sind Ausdruck der Abwesenheit von Politik«
Die Unruhen in Großbritannien sind für den britischen Journalisten und Buchautor Mark Fisher eine Manifestation der umfassenden Krise des Neoliberalismus. Interview von Johannes Springer in der Jungle-World vom 25.08.2011
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London Riots: Leute plündern weil sie Sachen wollen. Es geht um Klasse nicht um Rasse
Die britischen Stadtteil-Aufstände haben soziale und politische Motive. Das Gerede von Rassismus und Rassenunruhen dient der Ablenkung. Augenzeugen-Interview mit einem IWW-Genossen aus Hackney und Gedanken zur unvermeidlichen Rassismus-Debatte bei den Wobblies vom 14.08.2011 . Aus dem Text: "(...) Viele aus der Generation meiner Eltern nehmen "institutionellen Rassismus" als gegeben, angesichts der jüngeren Kolonialgteschichte und weil sie die frühen Jahre der massenhaften Einwanderung in dieses Land erlebt haben. Sie halten das für ein Riesen-Thema und werden darin sowohl von der rechten als auch der linken Seite bestärkt - Fernsehen, Printmedien, Historiker und Autoren. Nur wenige kommen darauf, dass Rassismus einfach ein billigeres Thema als die Klassenfrage ist; sehr wenige kommen darauf, dass es einfach eine billige Entschuldigung für die herrschenden Verhältnisse ist. Wir konfrontieren dadurch nämlich nicht das Establishment mit seinem Rassismus. Wir lassen sie und ihr Wirtschaftssystem aus dem Schneider. Wenn sie mit der Behauptung durchkommen, dass die Riots sich um Rassismus drehen und es ihnen gelingt, die offensichtlich ökonomischen Aspekte zu ethnisieren, dann trüben sie den Blick und spalten die öffentliche Meinung. Die Rechte wird Zulauf von empörten weißen Bürgern bekommen und die Linke wird sich damit abmühen die Rechte zu attackieren, nochmehr sinnlose antirassistische Initiativen zu starten, die unsere Stadtteile eher stigmatisieren und spalten als sie vereinen..."
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Krawalle in England: Die andere Seite von Birmingham
Bei den Krawallen in England traf es die Stadt gewaltig, ein Randalierer fuhr drei Menschen tot. Nun suchen die Menschen nach den Gründen - und erzählen von neuen Seiten ihrer Gemeinde. Artikel von Barbara Klimke in der Frankfurter Rundschau vom 15.08.2011 .
- Antwort der SolFed Nord-London auf die Riots
Nachdem einige Medien "Anarchie" für die sich entwickelnde Gewalt in London und England verantwortlich gemacht haben, ist die »North London Solidarity Federation« (SolFed) der Meinung, dass eine Antwort seitens einer anarchistischen Organisation, die in der Hauptstadt aktiv ist, angebracht ist. Artikel von North London Solidarity Federation auf der Seite der FAU vom 10.08.2011 . Aus dem Text: "...Die Solidarity Federation basiert auf Widerstand durch Kämpfe auf der Arbeit. Wir sind nicht beteiligt an den Plünderungen und anders als die rechten Wadenbeißer und auch die sympathisierenden-aber-verurteilenden Kommentatoren der Linken, werden wir nicht Unbekannte dafür verurteilen oder stillschweigend dulden, dass sie sich ein wenig von dem Reichtum aneignen, den man ihnen Zeit ihres Leben verweigert hat. Aber als Revolutionäre können wir keine Angriffe auf ArbeiterInnen, auf Unschuldige dulden. Läden abzufackeln, über denen sich Wohnunen befinden, die Transportmittel, mit denen Leute zu ihren Jobs fahren müssen und ähnlicher Schwachsinn, sind ein Angriff auf uns selbst und sollten so entschieden bekämpft werden, wie jede Maßnahme staatlicher "Austeritäts"-Politik, preistreibende Vermieter, wie Bosse, die uns unsere Arbeitskraft stehlen wollen. Heute Nacht und solange es dauern mag, sollten die Menschen zusammenstehen und sich selbst verteidigen, wenn solche Arten von Gewalt ihre Wohnungen und Communities bedroht.."
- Krawalle in England: Woher kommt diese Wut?
Die Krawalle in England sind schlimm. David Camerons Vorschlag, beteiligten Sozialmietern die Wohnung zu kündigen, dürfte auf offene Ohren stoßen. Doch die Plünderer haben ein Vorbild für ihre Gier: das britische Establishment. Artikel von Owen Jones (Aus dem Englischen von Matthias Fienbork) in der FAZ vom 14.08.2011 . Aus dem Text: ".Tatsächlich haben sich die Sparmaßnahmen noch nicht in ihrer ganzen Schärfe ausgewirkt. Die Wohlfahrtsleistungen werden gestrichen, deren Empfänger zunehmend stigmatisiert. Vor den Krawallen wurden sie als faul beschimpft, doch nun spricht man von gewalttätigem Gesindel. David Cameron hat schon angedeutet, dass eine Reaktion auf die Krawalle darin bestehen werde, einen Wohlfahrtsstaat abzubauen, der "Nichtstun" belohnt. Unterdessen steigen die Arbeitslosenzahlen, und das Realeinkommen der Armen sinkt weiter. Der Riss, der durch die britische Gesellschaft geht, wird immer tiefer. Die jüngsten Unruhen waren erschreckend. Doch die ihnen zugrundeliegende Frustration wird zunehmen. In den nächsten Jahren muss nicht zwangsläufig soziales Chaos ausbrechen, aber nach den Ereignissen der letzten Woche kann nur ein Narr eine solche Entwicklung ausschließen."
- Blackberry und Twitter bei den England-Krawallen Wie gefährlich Camerons Kontrollsehnsucht ist
"Die britische Regierung überlegt, ob sie Krawallaufrufe auf Twitter und über Blackberry-Nachrichten blockieren kann. Doch ein Eingriff in die Live-Kommunikation ist kaum möglich - der Preis dafür wäre die Abkehr von demokratischen Prinzipien..." Artikel von Johannes Kuhn in der Süddeutschen Zeitung vom 12.08.2011
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Die traurige Wahrheit der Riots: Unruhen in Großbritannien: Erklärungslücken, Trittbrettfahrer und der ausgehöhlte Staat
"Mark Duggan hat nicht auf die Polizei geschossen, bevor er getötet wurde. Auch die Kugel, die den Polizisten traf, stammt laut ballistischen Tests der Untersuchungskommission IPCC aus einer Polizeiwaffe. Die Nachricht ist von gestern. Was am Anfang der Unruhen in Tottenham stand, kann längst nicht mehr erklären, was seither in Großbritannien passiert. "No, we are looking at something bigger."." Artikel von Thomas Pany auf Telepolis vom 10.08.2011 . Aus dem Text: "(.) Sozialleistungen sind in der öffentlichen "Schmarotzer"-Debatte, die auch in Großbritannien geführt wird, gründlich entwertet worden. Zugleich wird die Kritik an staatlichen subventionierte Geldströmen, die selbsternannte Leistungsträger erhalten, als naiv und der Realität der Wirtschaft nicht angemessen, herabgestuft. Zur Rettung von Banken, deren selbstverantwortetes Gebaren eine Krise nach der anderen produziert, werden Milliarden Steuergelder ausgegeben, sie sind systemrelevant. Das sind aber auch die Bewohner der Problemzonen. Die britischen Regierungen haben sich seit Thatcher auf einen Privatisierungskult-Kurs begeben, das Ergebnis ist laut Tony Judt eine "ausgehöhlte Gesellschaft", "deren schwächste Mitglieder - diejenigen, die Arbeitslosenunterstützung beantragen, ärztliche Hilfe benötigen oder andere staatlich garantierte Leistungen in Anspruch nehmen wollen - instinktiv wissen, dass sie sich nicht mehr an den Staat wenden können."
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Krawalle in London: Keine Ideen außer Chaos
In den 80ern richteten sich die Krawalle gegen rassistische Polizeigewalt. Heute kennen weder Polizei noch Mob den Unterschied zwischen Politik und Niedertracht. Artikel von Ross Holloway (Sozialanthropologe, lebt in London und schreibt über Popkultur und Politik) in der TAZ vom 11.08.2011. Aus dem Text: "(.) Ein Twitter-Kommentar vom Samstag bringt auf den Punkt, was derzeit in London passiert: "Die Jugend im Nahen Osten geht für Menschenrechte auf die Straße. Die Jugend in London tut es für einen 42-Zoll-Plasmafernseher." Es ist sehr schwer, die Randale als etwas zu verteidigen, das verwandt sein könnte mit sozialen Protesten, die, ob friedlich oder nicht, Teil des demokratischen politischen Prozesses sind. Am Montag zerstörte der Mob ein CD-Presswerk der Firma Sony in London. Die Randalierer hatten in der Fabrik Playstations vermutet. In den Hallen, die von den Gewalttätern angezündet wurden, lagerten fast alle unabhängigen Plattenfirmen Großbritanniens Bestände. (.) Am erschreckendsten für die Bevölkerung ist nicht, dass Unruhestifter gegen etwas protestieren, sondern dass sie entweder gegen nichts protestieren oder gegen alles. Indem die Jugendlichen vor allem Geschäfte für Sportkleidung und Unterhaltungselektronik zu ihrem Ziel erklärt haben und aus Kiosken Schnaps und Zigaretten haben mitgehen lassen, demonstrieren sie zu gleichen Teilen hohlen Materialismus wie profunde Fantasielosigkeit. Anders als die jungen Leute, die jüngst gegen die Erhöhung der Studiengebühren protestiert haben, sehen sie nicht die Möglichkeiten, die ihnen versagt bleiben. Sie sehen gar keine Möglichkeiten außer Chaos. Im vergangenen Jahrzehnt wurde in Großbritannien auf die Angst der Jugend im Allgemeinen und der Unterklassenjugend im Besonderen aufmerksam gemacht. Diese Angst wird nun zweifellos ausufern. Was die Jugend selbst angeht: Sollte es wider Erwarten doch irgendeinen echten Missstand geben, der sich in ihren Aktionen Luft macht, dann wird dieser gerechtfertigte Protest sicher untergehen. Denn weniger noch als die Polizei sind die Jugendlichen dazu imstande, zwischen legitimem Protest und blanker Niedertracht zu unterscheiden."
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»Politik hat die Grundlagen für >Riots< geliefert«
Unruhen in Großbritannien sind Ausdruck der Wut junger Menschen. Ein Interview von Christian Bunke mit Claire Laker Mansfield , welche für die Londoner Stadtteilorganisation »Youth Fight for Jobs« arbeitet, erschienen in der jungen Welt vom 11.08.2011. Der Artikel ist nur für Abonnenten freigeschaltet, findet sich aber auf Sozialismus-Info. Aus dem Text: "(.) Was macht die »Youth Fight for Jobs« Kampagne und was sind ihre Forderungen?
Wir haben uns 2008 zu Beginn der Wirtschaftskrise gegründet, um gegen Jugenderwerbslosigkeit und mangelnde Chancen für junge Leute zu kämpfen. Wir verlangen die sofortige Wiedereröffnung aller geschlossenen Jugendeinrichtungen und das Recht auf freie Bildung. Wir organisieren für kommenden Mittwoch eine gemeinsame Demonstration mit der Day-Mer-Jugend, einer türkisch/kurdischen Jugendorganisation im Londoner Stadtteil Tottenham. (.) Die Ausschreitungen zeigen die wachsende soziale Schieflage in Großbritannien. Die meisten Gewerkschaftsführer waren in den vergangenen Tagen sehr leise. Warum?
Das stimmt zum großen Teil. Es gibt aber auch einige Ausnahmen. Die PCS, die Gewerkschaft der Staatsangestellten, hat ein Statement veröffentlicht. Darin wird detailliert über die tiefe Ungleichheit, die Kürzungen und andere Regierungsmaßnahmen berichtet, die zu der jetzigen Situation geführt haben. Es ist allerdings widerlich, daß der Generalsekretär des britischen Gewerkschaftsbundes TUC sich bis heute nicht zu den Unruhen geäußert hat." Siehe dazu:
- Youth Fight for Jobs
Die Organisation hat eine eigene Homepage, auf der Startseite sind die Hauptforderungen zusammengefasst: Das Recht auf einen menschenwürdigen Job für alle, mit einem existenzsichernden Lohn von 8 £ pro Stunde; Vernünftige Ausbildungsplätze mit einer Bezahlung nach Mindestlohn und einer Übernahmegarantie, Keine Studiengebühren. Zur Homepage
- Aufruhr in England: Kein Wunder, dass es knallt
"In den letzten Tagen übte eine verlorene Generation einen Krieg, den sie nicht gewinnen kann - und den auch die Politik verliert. Weil sie nur eine Antwort kennt: Draufhauen. Niemand kann sagen, es habe keine Warnungen gegeben. Am vorletzten Samstag stellte die internetaffine Tageszeitung «Guardian» einen kurzen Videofilm ins Netz, bestehend aus Interviews mit Jugendlichen in der Nordlondoner Gemeinde Haringey. Dort hatte gerade die von Labour dominierte Stadtverwaltung von einem Tag auf den anderen acht der dreizehn Jugendzentren geschlossen. Es war eine der vielen Sparmassnahmen, die die konservativ-liberale Regierung derzeit den Gemeinden aufzwingt. «Ich bin jeden Tag in den Youth Club gegangen», sagte ein Jugendlicher, der sein Gesicht in der Kapuze seines Pullovers verbarg, «aber wohin soll ich jetzt? Auf der Strasse rumlungern?» Doch das ist riskant, wie ein anderer Jugendlicher ausführte: «Je mehr Leute den Gangs beitreten, desto gefährlicher wird es für die, die nicht dazugehören.» Und dann sprach Chavez Campbell, ein kluger junger Schwarzer, der die Verhältnisse in seinem Armenviertel gut kennt, ganz offen in die Kamera: «Es wird geben», Aufstände. (.) Auf den Strassen der Armenquartiere herrscht schon lange ein Krieg - ein verzweifelter und oft selbstzerstörerischer Kampf der Hoffnungslosen, der Ausgeschlossenen, der Missachteten, der Kids ohne Zukunft. Ein paar Nächte lang haben sie diesen Krieg nach aussen getragen und die Gelegenheit genutzt, sich das zu holen, was ihnen die kapitalistische Warenwelt als einzig Erstrebenswertes hinhält, das sie aber nie erreichen konnten." Artikel von Pit Wuhrer in der WOZ vom 11.08.2011
- Die Menschen hinter dem Zeug
Das Plündern bei den jetzigen Unruhen in vielen Städten mag nicht per se politisch sein, es sagt aber dennoch etwas über das Leben und die Psyche der Plünderer aus. Artikel von Zoe Williams auf Freitag vom 10.08.2011 . Aus dem Text: "(.) "Die Konsumgesellschaft basiert auf der Möglichkeit, sich an ihr zu beteiligen. Was wir heute als Konsumieren bezeichnen, ist ein Produkt von Arbeitszeitverkürzungen, Lohnerhöhungen und der Möglichkeit, Kredite aufzunehmen. Wenn man es mit einer Menge von Leuten zu tun hat, denen die letzten beiden Dinge nicht zur Verfügung stehen, funktioniert dieser Vertrag nicht. Anscheinend suchen sie sich Geschäfte mit Waren aus, die sie normalerweise gern konsumieren würden. Sie rebellieren also möglicherweise gegen das System, das ihnen keine Gratifikationen gewährt, weil sie sich diese nicht leisten können." - Was geplündert wird, scheint von besonderer Bedeutung zu sein: Wenn sie es nur auf lebensnotwendige Dinge abgesehen hätten, würde man eher mit ihnen sympathisieren. Aber diese Leute sehen nicht aus, als würden sie Hunger leiden. Wären sie hinter exklusiveren Luxusartikeln her und würden bei Tiffany's und Gucci einfallen, wirkten sie politischer und dadurch respektabler. Ihre Achillesferse besteht darin, sich Dinge zu holen, die sie ganz offensichtlich haben wollen." Siehe dazu auch:
- Power Shopping
Die Plünderungen in London erinnern an Ereignisse in China vor 2 Jahren. Kommentar von Brigitte Werneburg in der taz vom 10.08.2011 . Aus dem Text: "(.) Die Plünderungen und die Zerstörungswut scheinen die Rede von der kriminellen Energie zu bestätigen. - Als ob nicht in den harmlosen kleinen Ladenzeilen die tagtäglich erste Prüfung auf einen wartete. Auch der kleine Ladenbesitzer, bei dem man seine Milch kauft, kann einen mies behandeln. Wie existenziell vernichtet oder gut gelaunt man in den Alltag zieht, das entscheidet sich durchaus dort, wo es "nur" um Konsum geht. "Power Shopping" ist dafür ein sehr schöner, weil treffender Begriff, der das Vergnügen einer kaufkräftigen Mittelschicht benennt. Jetzt wollen offensichtlich mal die anderen wissen, wie es sich anfühlt, das Power Shoppen. Denn beim Shoppen - wie in der Begegnung mit Polizei und sonstiger staatlicher Bürokratie - erfährt man nun mal in unserer Gesellschaft, ob man zählt oder nicht."
- Wut ohne Bürger - Aufruhr in Großbritannien
Tagesthema bei HR2 Kultur - Sendung vom 11.8.2011
- Für erste gewerkschaftliche Reaktionen verweisen wir - vorerst - auf die Homepage unserer Freunde vom LabourNet UK
- Über 1.100 Festnahmen nach Krawallen: Straßenschlachten weiten sich aus
Die Krawalle in Großbritannien weiten sich aus. In mehreren Städten ist es zu schweren Ausschreitungen gekommen. Hunderte Jugendliche wurden festgenommen.Zusammenfassung von Agenturmeldungen in der TAZ vom 10.08.2011
- London-Riots: Glücksfall Gerechtigkeit
Diejenigen, die Plünderungen und Straßenschlachten in der britischen Hauptstadt verurteilen, täten gut daran, sich den Kontext der Ausschreitungen zu vergegenwärtigen. Artikel von Nina Power in einer Übersetzung von Holger Hutt auf Der Freitag vom 09.08.2011 . Aus dem Text: "(...) Jahrzehnte, die von Individualismus, Wettbewerb und von staatlicher Seite geförderter Selbstsucht geprägt waren, in Kombination mit einer systematischen Zerschlagung der Gewerkschaften und einer immer weitreichenderen Kriminalisierung abweichender Meinungen haben Großbritannien zu einem der ungleichsten Länder in der entwickelten Welt gemacht. Spektakuläre Bilder von ausgeräumten Geschäften mögen genau das sein, wonach es die ruhelosen, stets nach neuen Geschichten und Buhmännern gierenden Medien verlangt. Aber wir werden nichts von diesen Ereignissen verstehen, wenn wir die Geschichte und den Kontext ausblenden, in die sie eingebettet sind."
- Großbritannien erntet jetzt, was Frau Thatcher gesät hat
"Es wäre zu einfach, die in Großbritannien sichtbare Gewalt und die Plünderung einfach auf die schlimmen sozialen Verhältnissen zurück zu führen. Da kommt einiges zusammen. Aber die so genannte Eiserne Lady hat mit der Zerstörung des Zusammenhalts, mit dem Predigen von ökonomischem Egoismus und der Kommerzialisierung aller Lebensverhältnisse, mit der systematischen Schwächung der Arbeitnehmerschaft und damit der weiteren Trennung der britischen Gesellschaft in oben und unten den Boden für die Gewaltwelle bereitet..." Kommentar von Albrecht Müller auf den Nachdenkseiten vom 09.08.2011 . Aus dem Text: "(...) Die Gewalt in Großbritannien ist ein Symbol für das Scheitern der konservativen Ideologie in ihrer werte-losen Ausprägung. (Siehe dazu auch den Artikel im Tagesanzeiger). In dem diese Konservativen die Herrschaft der Märkte und der Selbstbereicherung als Organisationsprinzip der Ökonomie gepredigt haben, haben sie zugleich ihre sonst so hoch gehaltenen eigenen Werte ruiniert. Indem sie ihre Herrschaft mithilfe von rücksichtslosen Medienunternehmern wie Murdoch durchgesetzt und gefestigt haben, haben sie die Lebensgrundlagen demokratischer Willensbildung zerstört. Indem sie den Kommerz bei den elektronischen Medien wie auch im Umgang mit öffentlichen Leistungen und öffentlichen Unternehmen durchgepaukt haben, zerstörten sie wichtige gemeinschaftsfördernde Einrichtungen. Dem Volk gehört nichts mehr, weder die Wasserwerke noch das Fernsehen, weder die Eisenbahn noch die Wohnungen..."
- Guardian
Aktuelle Informationen finden sich im englischen Guardian
- London Riots
Das Dossier bei Indymedia
- Straßenschlachten in London: "Es sieht wirklich schlimm aus"
Nachdem am Donnerstag ein 29-jähriger von der Polizei getötet wurde, kam es Sonntagnacht im Londoner Stadtteil Tottenham zu schweren Unruhen. Autos, ein Bus und mehrere Gebäude brannten. Zusammengefasste Agenturmeldungen in der TAZ vom 07.08.2011
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