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Updated: 18.12.2012 16:00
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Innenminister & Präsidentschaftskandidat Nicolas Sarkozy: « Recht auf Wohnraum » ja - aber nicht für die (Mehrzahl der) Immigranten

Der zur Zeit formalrechtlich zweit- oder drittmächtigste Mann im Staate, der sich mit viel Getöse anschickt, zum mächtigsten aufzurücken, will bis 2012 das "einklagbare Recht auf Wohnraum" einführen. Aber es soll nicht für die meisten Einwanderer in Frankreich gelten

Nicolas Sarkozy ist ein Mann, der es seit Jahren eilig hat auf dem Weg "ganz nach oben". Am gestrigen Sonntag hat ihn die konservative Einheitspartei UMP, mit 98,1 Prozent der abgegebenen Stimmen (das entspricht rund 69 Prozent ihrer Mitgliedschaft), zum Präsidentschaftskandidaten des Bürgerblocks gekürt. Nicolas Sarkozy war der einzige Kandidat. Kritische Beobachter verglichen die Showveranstaltung, zu der 70.000 UMP-Mitglieder herangekarrt worden waren, abwechselnd mit einer "amerikanischen" Politishow im Stile der "Konvents" jenseits des Atlantik - und mit der Krönungszermonie Napoléon des I. Nicolas Sarkozy bleibt zugleich als Minister im Amt. Seit dem letzten politischen Mehrheitswechsel im Mai 2002 und bis im Frühjahr 2004 amtierte er als Innenminister, danach einige Monate lang als Wirtschafts- und Finanzminister. Als er Ende 2004 den Vorsitz der Regierungspartei und damit den mächtigen UMP-Apparat übernahm, zwang Präsident Jacques Chirac ihn, sein Ministeramt niederzulegen. Aber seit Juni 2005 und ohne Unterbrechung bis heute residiert er erneut als Innenminister. Und falls die politische Rechte die Präsidentschaftswahl am 22. April und 6. Mai gewinnt, wird er künftig die Geschicke Frankreichs anführen. Dann wäre der vom Ehrgeiz zerfressene, kleinwüchsige Minister am Ziel all seiner Träume.

Pressekonferenz des "starken Männchens"

Anlässlich einer Pressekonferenz am vorigen Donnerstag, den 11. Januar nahm Nicolas Sarkozy nun auch zu "dem" Thema der vergangenen 14 Tage in der französischen Innenpolitik Stellung: der Frage nach Einführung eines "einklagbaren Rechts auf Wohnraum" (vgl. http://www.labournet.de/internationales/fr/wohnungslos.html).

Zu diesem Thema wird die derzeit amtierende Regierung unter dem konservativen Premierminister (und erbitterten Sarkozy-Rivalen) Dominique de Villepin am Mittwoch, 17. Januar einen Gesetzentwurf vorlegen. Wirkliche Ergebnisse wird das neue Gesetz im Falle seiner Verabschiedung aber ohnehin erst nach dem Ende der aktuellen Legislaturperiode, die am 22. Februar 2007 abläuft, zeitigen können. Das nächste französische Parlament wird kurz nach dem Präsidenten (oder der Präsidentin, falls die rechtssozialdemokratische Tony Blair-Tante Ségolène Royal gewinnt) am 10. und 17. Juni dieses Jahres gewählt. Die Mandate der dann gewählten Parlamentarier laufen bis im Jahr 2012. Dass der neue Präsident und die neue Nationalversammlung sich dann mit der Umsetzung eines - wenn es dazu kommt - jetzt verabschiedeten Gesetzes befassen dürfen, passt Dominique de Villepin und Jacques Chirac durchaus ganz gut. Ihrer beider politische Karriere dürfte nämlich im Frühsommer dieses Jahres zu Ende sein. Dann dürfen sie sich als Rentner im Lehnstuhl darüber amüsieren, welche Verrenkungen ihrer Nachfolger aufführen werden, um die sozialen Versprechen mit den Imperativen bürgerlich-neoliberaler Politik zu vereinbaren.

Noch bevor an diesem Mittwoch also der Villepin'sche Gesetzentwurf auf der wöchentlichen Kabinettssitzung vorgelegt wird, hat Sarkozy sich nun also in die laufende Debatte eingeschaltet.

Er schlug im Laufe seiner Pressekonferenz vor, das "einklagbare Recht auf Wohnraum" wie geplant bis 2012 (dem Ende der Legislaturperiode) einzuführen -- will aber den Kreis der Anspruchsberechtigten ganz offiziell einschränken. "Es versteht sich von selbst, dass die Sans papiers (Anm.: ,illegal' in Frankreich sich aufhaltende Einwanderer) keinen Zugang (zu dieser gerichtlich einklagbaren Rechtsposition) haben sollen", tönte Sarkozy. Diese Position lässt sich zwar politisch verurteilen bzw. in sozialen Kämpfen ,auflockern', steht aber zugleich (leider) vollkommen mit dem bürgerlichen Recht im Einklang und ist insofern keine Überraschung. Doch Nicolas Sarkozy geht noch erheblich weiter. Originalton: "Ich wünsche auch nicht, dass alle legal in Frankreich lebenden Ausländer ein Anrecht darauf haben sollen."

Konkret schlug Nicolas Sarkozy vor, nur solchen Einwanderern in Frankreich eine Rechtsposition im Sinne des "einklagbaren Rechts auf eine Wohnung" zuzugestehen, die über eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis in Gestalt der so genannten "Zehn-Jahres-Karte" verfügen. Die "Zehn-Jahres-Karte" ("carte de dix ans", auch "carte de résident" genannt) ist im Jahr 1984 eingeführt worden. Hat der Immigrant oder die Immigrantin einmal die "Zehn-Jahres-Karte", so hat er nach ihrem Ablauf ein Recht auf die Erneuerung diese Aufenthaltstitels, sofern keine gesetzlichen Verwirkungsgründe ausdrücklick dagegen stehen.

Auf diese "Zehn-Jahres-Karte" hatte bislang (d.h. vor dem Amtsantritt Sarkozys) ein Recht, wer mindestens drei Jahre lang legal, d.h. jeweils mit einjährigen Aufenthaltstiteln ("carte de séjour d'un an") ausgestattet, auf französischem Boden gewohnt hatte und die rechtlichen Voraussetzungen dafür erfüllte. Zu den rechtlichen Grundbedingungen gehörte bis dahin, dass der oder die Betreffende über ein eigenes Einkommen verfügt. Aber, und jetzt kommt das dicke Aber: Seit der vorletzten Novellierung der Ausländergesetzgebung unter Innenminister Sarkozy, das im November 2003 vom französischen Parlament angenommen wurde (gefolgt von einer erneuten "Reform" im Juni 2006), wird die "Zehn-Jahres-Karte" für die nähere Zukunft weitgehend abgeschafft.

Ein vom Minister selbst geschaffener Engpass

Seit der Sarkozy'schen Neufassung der Ausländergesetze von Ende 2003 wurde die Mindest-Aufenthaltsdauer, die für den Erhalt der "Zehn-Jahres-Karte" erforderlich ist, von drei auf fünf Jahre legalen Aufenthalts verlängert. Vor allem aber gibt es künftig keinerlei automatischen Rechtsanspruch mehr darauf. Nach Ablauf dieser fünf Jahre muss der oder die Betreffende individuell belegen, dass er oder sie den Kriterien der "republikanischen Integration" in die französische Staats- und Gesellschaftsordnung genügt. (Vgl. http://www.labournet.de/internationales/fr/alg03.html ) Und in vielen Fällen wird, anhand dieser individuellen Überprüfung, eine erneute einjährige Aufenthaltserlaubnis statt der bisher üblichen "Zehn-Jahres-Karte" verliehen werden. Ein dagegen stehendes Recht auf einen unbefristeten Aufenthaltstitel gibt es nun nicht mehr. Und selbst für nach Frankreich nachgeholte Familienmitglieder von seit längerem "legal" im Lande lebenden Migranten gilt nunmehr diese eiserne Regel: Fünf Jahre legalen Aufenthalts plus individuelle "Integrationsprüfung". Darunter gibt es keinerlei Aussicht auf einen unbefristeten Aufenthaltstitel.

Weiteres Öl ins Feuer

Eine Stunde nach der Pressekonferenz Nicolas Sarkozys meldete sich der (im wahrsten Sinne des Wortes) "rechte Arm" des Ministers zu Wort. Der südfranzösische Abgeordnete Thierry Mariani, der Nicolas Sarkozy nahe steht, führte in einer Erklärung zum Thema aus: "Das (was Nicolas Sarkozy vorschlug) ist eine Maßnahme im Sinne des gesunden Menschenverstands. Wenn man keine Aufenthaltserlaubnis hat, oder wenn man nur einen einjährigen vorübergehenden Aufenthaltstitel hat, dann hat man nicht eine Sozialwohnung auf Kosten des Steuerzahlers zu genießen." (Zitiert nach ,Le Monde' vom 13. Januar)

Nicht so viel unmittelbare Beachtung hat unterdessen ein weiter Vorstoß des Innenministers auf seiner Pressekonferenz vom 11. Januar gefunden. Er schlug vor, die medizinische Notfallhilfe von Staats wegen (AME, Aide médicale d'Etat) zu reformieren, "ohne die Reform endlos aufzuschieben". Die AME ist jener Notfallschutz, der auch "illegal" in Frankreich lebenden Personen -- die aus diesem Grunde kein Recht auf die gesetzliche Krankenversicherung haben - den Zugang zu einer medizinische Minimalversorgung erlaubt. Die Kosten für diese Minimalversorgung übernimmt die Zentralregierung. Minister & Präsidentschaftskandidat Sarkozy tönt nun dazu, man müsse diesen Mechanismus "auf die wirklich bedürftigen Ausländer einschränken". Als ob dies nicht bereits bisher der Fall gewesen wäre: Über die Gewährung des Zugangs zur AME, also über die Bedürftigkeit bzw. Dringlichkeit der Inanspruchnahme ärztlicher Versorgung, wird nach Aktenlage behördlich entschieden. Sarkozy posaunte ferner hinaus: "Man darf nicht nach Frankreich einwandern, um Nutznießer der sozialen Hilfen zu werden. Unser Land ist nicht dazu, zum weltweiten Schalter für soziale Dienste zu werden!"

Reaktionen: schwach

Augustin Legrand, der Gründer der (Ende vorigen Jahres quasi aus dem Nichts entstandenen) Initiative "der Kinder des Don Quichotte", die durch ihre Zeltstadt-Aktion mitten in Paris auf das Problem der Obdachlosen aufmerksam machen wollte und konnte, wurde am vergangenen Freitag in mehreren Gratiszeitungen interviewt. Dort kritisierte er aber mit keinem Wort die am Vortag gemachten Ankündigungen des Ministers zur Einschränkung des künftigen Rechts auf Wohnraum auf französische Staatsbürger und einen kleinen Teil der "(besonders) gut integrierten" Einwanderer in Frankreich. Stattdessen erklärte er nur, man habe erfolgreich Druck auf die Politiker ausgeübt und werde nun aber "wachsam" bleiben, um zu sehen, ob sie ihren Versprechen auch nachkämen. Völlig zu Recht wird deshalb etwa in einem Beitrag auf Indymedia Paris ( http://paris.indymedia.org/article.php3?id_article=75007&id_mot=36 externer Link) das Schweigen der Don Quichottes an einem so entscheidenden Punkt kritisiert. Zugleich wird richtig festgestellt, dies zeige die Grenzen und Schwächen des "unpolitischen, spontanen Bürgerengagements", mit mächtiger Unterstützung durch die Medien im Hintergrund, wie im Falle der "Kinder des Don Quichotte" auf.

Reagiert hat hingegen das "Ministerium für Wohnungsnot", das Anfang Januar symbolisch in einer von mehreren (links geprägten) Wohnrauminitiativen besetzen, früheren Bankgebäude direkt gegenüber der Pariser Börse eingerichtet worden ist. Das sechsstöckige Gebäude ist zwischen Weihnachten und Neujahr besetzt worden und wird derzeit durch circa 60 Personen bewohnt. Unter ihnen sind viele Wohnungsnot leidende Immigranten. Das "Ministerium für Wohnungsnot", das maßgeblich auf Initiative der linken Wohnrauminitiative DAL zustande kam, erklärte sich von den Ankündigungen Sarkozys "schockiert".

Rechtliches Problem?

Aber Nicolas Sarkozy könnte doch noch Schwierigkeiten mit seinem jüngsten Vorschlag bekommen, falls er ihn (jenseits des Wahlkampfgetöses und des Buhlens um die Wähler der extremen Rechten) umzusetzen versuchen wird. Juristisch ist dieser nämlich höchst problematisch.

Das französische oberste Verwaltungsgericht (Conseil d'Etat) ist im Vorfeld der Gesetzesiniative zum "Recht auf Wohnraum", die am Mittwoch im Kabinett vorgestellt werden wird, durch die Villepin-Regierung konsultiert worden. Aber nach Auffassung des Conseil d'Etat kann zwar, im Hinblick auf das künftige "einklagbare Recht", ohne juristische Beanstandung eine Unterscheidung zwischen "legal" und "illegal" in Frankreich lebenden AusländerInnen getroffen werden. Von einer darüber hinaus gehenden Unterscheidung zwischen französischen Staatsbürgern und Immigranten spricht er jedoch nicht. Als einzige akzeptable rechtliche Voraussetzung nennt der Conseil d'Etat eine Bedingung wie die, dass mindestens seit einem Jahr auf dem Boden der Kommune leben muss, wer (unter dem künftigen Gesetz) ein einklagbares Recht auf eine eigene Wohnung geltend machen will.

Aber die Wähler eines Jean-Marie Le Pen, die auch ein Nicolas Sarkozy gar zu gerne gewinnen möchte, dürften solche juristischen Feinheiten natürlich nicht kümmern.

Bernard Schmid, Paris, 15.01.2007


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