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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Ségo, Sarko, Sicherheit - Frankreich im beginnenden Vorwahlkampf* Gliederung: 1. Privatisierung des Energieversorgers GDF 2. Soziales und/oder Law & Order 3. Vorschläge zu Streikrecht & Gewerkschaften 4. Schulpolitik: für die Aufhebung der Wohnortbindung 5. Kulturkampf gegen die «Permissivität der 68er» 6. Royal für «Ordnung mit Gerechtigkeit» 7. Vor einer Wiederholung des Szenarios von 2002? 8. (Abschiebungen, Häuserräumungen:) Wahlkampfspektakel mit Menschenschicksalen 137.449 Änderungsanträge. Aufgestapelt ergibt das rund 13,5 Meter Papier auf einem Stapel, oder in diesem Falle eher in zwanzig Stapeln. Hätte man die Texte für jeden einzelnen Abgeordneten ausgedruckt, wie es die Regeln eigentlich vorsehen, wäre der Papierberg rund einen Kilometer hoch oder lang, und über 50 Tonnen schwer... Unter diesen Bedingungen begann am Donnerstag Abend und am Freitag die Debatte im französischen Parlament um die Privatisierung des Energieversorgungsunternehmens Gaz de France (GDF). 1. Privatisierung des Energieversorgers GDF Das ehemalige Staatsunternehmen war im Frühsommer 2004, ähnlich wie der Stromvorsorger Electricité de France (EDF), in einen privatrechtlichen Konzern umgewandelt worden. Aber die französische konservative Regierung unter ihrem damaligen Premierminister Jean-Pierre Raffarin hatte damals zugesichert, dass der Anteil der öffentlichen Hand an der nunmehrigen Aktiengesellschaft nicht unter 70 Prozent abgesenkt werde. Das Versprechen gehört nun der Vergangenheit an, geht es nach Raffarins Amtsnachfolger - bei unveränderter Zusammensetzung des Parlaments -, Dominique de Villepin. Die Rechtfertigung für ihr Vorhaben, das öffentliche Energieversorgungsunternehmen entgegen dem früheren Versprechen doch noch vollständig zu privatisieren, lieferte das Übernahmeangebot eines italienischen Unternehmens, Enel, für den französisch-belgischen Mischkonzern Suez. Um zu verhindern, dass die Italiener Anteile an Suez erwerben, will die Pariser Regierung dieses Unternehmen nun mit GDF fusionieren lassen. (Vgl. http://www.heise.de/tp/r4/artikel/23/23079/1.html ) Kritiker bezichtigen die Regierung jedoch, letzlich besonders die Gelegenheit nutzen zu wollen, um kurz vor Ablauf der Legislaturperiode noch einen so entscheidenden Einschnitt wie die Privatisierung des öffentlichen Energieversorgens durchzusetzen. Aus diesem Grund liefern die beiden Hauptparteien der Linksopposition, die Sozialdemokratie und die KP, auch einen regelrechten «parlamentarischen Guerillakampf». Die KP hinterlegte allein 93.000 Änderungsanträge (während 14.000 weitere abgewiesen worden waren), die Sozialistische Partei produzierte ihrer 43.000. Aber auch die Beschäftigten bei Gaz de France -- dort arbeiten insgesamt 53.000 Menschen --scheinen von den neuen Regierungsplänen wenig begeistert zu sein. Am Freitag wurden die Ergebnissen einer Urabstimmung unter den Mitarbeitern bekannt, die durch zwei größere Gewerkschaften (die CGT und FO) durchgeführt worden war. 60 Prozent der Beschäftigten hatten daran teilgenommen, über 94 Prozent mit «Nein» zur geplanten Privatisierung gestimmt. Aufhalten wird dis die Regierung nicht, sofern ihr Vorhaben nicht im parlamentarischen Durcheinander stecken bleibt. Viel Zeit bleibt ihr nämlich nicht mehr: Der französische Vorwahlkampf hat bereits begonnen, spätestens als in der letzten August- und ersten Septemberwoche alle größeren Parteien ihre «Sommeruniversitäten» abhielten. Nicht alle Themen sind opportun... Auch die konservative Regierungspartei UMP ist deshalb, hinter den Kulissen, sehr über die Privatisierungspläne gespalten. Zahlreiche ihrer Abgeordneten möchten lieber kein so hohes politisches Risiko noch im beginnenden Wahlkampf eingehen, da sie mit Konflikten rechnen, in Gestalt von Ärger mit den Gewerkschaften und einem Teil der öffentlichen Meinung. Den Eindruck der Geschlossenheit, den die UMP im Parlament gegenüber der «Antragsflut» demonstriert, gibt es daher nur als Fassade. Auch der Vorsitzende der konservativen Regierungspartei und voraussichtliche Präsidentschaftskandidat, Innenminister Nicolas Sarkozy, zeigte sich im Juli und August zunächst demonstrativ unbegeistert. Und sei es nur, um bloß nicht mit dem umstrittenen Vorhaben identifiziert werden zu können. In letzter Minute, so gab er sich den Anschein, ließer sich von seinen Regierungskollegen noch umstimmen. In Wirklichkeit ist Sarkozy, laut jüngsten Umfragen einer der mit Abstand beiden aussichtsreichsten Präsidentschaftskandidaten neben der Sozialdemokratin Ségolène Royal, durchaus Anhänger wirtschaftsliberaler und marktradikaler Ansätze. Er hätte gegen eine individuelle Aushandlung von Arbeitszeiten zwischen den einzelnen Beschäftigten und ihrem Arbeitgeber, was für viele Beschäftigte ihre Verlängerung bedeuten würde, nichts einzuwenden. Ganz sicher hätte er nichts gegen eine Aufweichung des Kündigungsschutzes, die angeblich Arbeitsplätze schaffen würde. Allerdings würde er es anders anstellen als Premierminister Dominique de Villepin mit seinem gescheiterten Versuch vom Frühjahr, in Gestalt des «Ersteinstellungsvertrags» für Jugendliche und junge Erwachsene. Keine altersspezifische Regelung, so hatte Sarkozy zur selben Zeit gefordert, sondern eine abgestufte Aufweichung des Kündigungschutzes für alle Arbeitenden - nach der Faustregel: je geringer die Beschäftigungsdauer, desto weniger Schutz gegen Entlassung - sei doch viel gerechter. Aber mit solchen Themen und Thesen kann er in Frankreich keinen Wahlkampf gewinnen, wie er ahnt oder genau weiß. Deshalb lässt er die «Reformatoren» in seiner Partei, wie der radikal wirtschaftsliberale Flügel der UMP sich nennt, im Moment in ihrer Ecke schmoren. Bisher hatten die «Reformatoren» um Hervé Novelli und den französischen Berlusconi-Fan Alain Madelin (der 1995 kurzzeitig Wirtschaftsminister war, bevor er mit allzu radikalen Optionen aneckte und nach wenigen Wochen zurücktrat) auf den Kandidaten Sarkozy gesetzt. Im Moment geben sie sich enttäuscht, wissen aber wahrscheinlich auch, dass man mit ihren Thesen allemal nicht Präsident wird. Der aktuelle Amtsinhaber Jacques Chirac, der noch ein letztes halbes Jahr als Staatsoberhaupt vor sich hat, kam zwar aus dem bürgerlichen Lager, übertrumpfte aber vor seiner ersten Wahl im Mai 1995 alle anderen (konservativen wie sozialdemokratischen) Mitbewerber an sozialen Versprechungen und Absichtserklärungen. Seinen damaligen Wahlkampf bestritt Chirac mit dem Schlagwort der 'fracture sociale', also dem sozialen Riss, der durch die französische Gesellschaft gehe und endlich gekittet werden müsse. Die soziale Postur war nach der 1995er Wahl dann zwar alsbald dahin, und im September desselben Jahres hielt Chirac eine große Fernsehansprache, in welcher er seinen Landsleuten erklärte, dass leider, leider aus seinen sämtlichen Versprechungen auf diesem Gebiet nichts werde. Unglückerlicherweise habe er nämlich die Probleme, die aus der Haushaltslage Frankreichs und aus seinen «europäischen Verpflichtungen» erwüchsen, ziemlich unterschätzt gehabt. Der Aufprall war hart, die Enttäuschung groß, und sechs Wochen später begann ein Generalstreik in allen öffentlichen Diensten, der einen Monat lang die Eisenbahnen, Busse und U-Bahnzüge lahmlegte. Aber im entscheidenden Moment, also vor der Wahl, hatte die Masche gezogen 2. Soziales und/oder Law & Order Um wirkliche Siegeschancen zu haben, muss der Kandidat einer großen Partei also entweder soziale Verbesserungen versprechen - oder aber Law and Order. Letzteres ist nicht nur Balsam auf die Seele all jener Wähler, die um ihre Zukunft fürchten, denen aber das stetige Reden von «Innerer Sicherheit», Autorität und einer harten (aber gerechten) Hand zumindest das Vertrauen einflößende Gefühl gibt, man kümmere sich um ihre Sicherheit. Dieses Potenzial wird immer größer, es wächst zusammen mit den gesellschaftlichen Verwerfungen, die aus dem Anwachsen von Ungewissheit über die Zukunft, Prekarität (unsicherer Arbeit) und Egoismus resultieren. Beide «aussichtsreichen» Kandidaten versuchen eigentlich beides. Naturgemäßlegt dabei die Sozialdemokratin den Akzent ein bisschen stärker darauf, eine Verbesserung der sozialen Lebensverhältnisse oder zumindest ein Aufhören ihrer Verschlechterung in Aussicht zu stellen. Hingegen verlegt sich der Konservative eher auf den Law and Order-Aspekt. Aber beide Kandidaten, denen derzeit Siegeschancen bei der Präsidentschaftswahl ausgerechnet werden, die Sozialdemokratin Ségolène Royal und der konservative Minister Nicolas Sarkozy, setzen im Prinzip auf ein ähnliches Strickmuster. Einer der Chronisten der Pariser Abendzeitung 'Le Monde', Eric Le Boucher (der wirtschaftsliberale Flügelmann in einer pluralistischen Redaktion, deren Spektrum vom Marxisten mit Spezialisierung auf Gewerkschaftsthemen bis zum Neoliberalen Le Boucher reicht), hat die Dinge aus seiner Sicht auf den Punkt gebracht. Er schrieb in der Ausgabe vom vorigen Sonntag (o3. September): « Es gibt zwischen ihm und ihr eine gemeinsame Grundlage: die Werte zählen mehr als die Ideen. (...) Die Eine und der Andere wollen zu dem zurückkehren, was sie gemeinhin als 'die wahren Werte' bezeichnen: eine geordnete Gesellschaft, Autorität, Respekt, Leistung, Arbeit, keine Nachgiebigkeit (Anm.: gegenüber Straftätern). (...) Für Nicolas Sarkozy ist die Nachlässigkeit der Gesellschaft schuld: 'Die linken Achtundsechziger, die Demokratisierung mit einem Absinken des Niveaus von Prüfungen verwechselt haben...' Für Ségolène Royal ist die wirtschaftliche Nachlässigkeit schuld, der Rücktritt der Politik vor der Allmacht des Marktes. (...) Die Lösungen? Sie bestehen auf beiden Seiten darin, die Moral 'wieder herzustellen'.» Der Journalist hat nicht wirklich Unrecht mit seiner Beobachtung. Zwar muss sein eigener Standpunkt dabei berücksichtigt werden, der ihn daneben auch merkwürdige Dinge schreiben lässt wie etwa seine angebliche Beobachtung, in wirtschaftspolitischen Dingen bewege Ségolène Royal sich mitunter «zwischen links und linksradikal». Die Dame, aussichtsreichste Anwärterin auf die Präsidentschaftskandidatur der französischen Sozialdemokratie, bezieht sich immerhin positiv auf Tony Blair und damit auf ein nicht wirklich «linksradikales» Modell. Ansonsten hat sie bisher noch nicht wirklich viel von ihren genaueren wirtschaftspolitischen Absichten zu erkennen gegeben. Und dass Eric Le Boucher dem Ordnungsdenken der beiden Hauptkandidaten kritisch gegenüber steht, hat auch damit zu tun, dass er selbst sich eine stärkere wirtschaftsliberale Umwälzung der Gesellschaft wünscht und für ihn die Vernunft nicht von der Politik ausgeht, sondern bei den Unternehmsführungen liegt. Aber alles in allem trifft seine oben zitierte Beschreibung den Nagel ziemlich auf den Kopf. Was Nicolas Sarkozy betrifft, so hat er in den großen Reden, die er in den letzten Monaten (von Ende März bis Juli dieses Jahres) in Douai, Nimes oder Agen hielt, stets einen «sozialen» Tonfall «in gaullistischer Tradition» eingearbeitet. Zwar stand meistens das Leistungsprinzip im Vordergrund, gekoppelt an das explizite Versprechen, dass es «keine soziale Hilfeleistung mehr ohne Gegenleistung» geben dürfe - und damit meinte er durchaus auch die Arbeitslosenunterstützung, obwohl deren (vorherige) Gegenleistung präzise bestimmbar ist und im (voraus gegangenen) Einzahlen von Sozialversicherungsbeiträgen liegt. Aber trotzdem bemühte sich Sarkozy in jüngerer Zeit, dabei stets durchklingen zu lassen, dass für die hart Arbeitenden und früh Aufstehenden dabei auch immer etwas abfallen solle. 3. Streikrecht und Gewerkschaften Hauptsächlich also geht es in diesem Wahlkampf also um Law & Order, und davon wird noch ausführlicher die Rede sein. Was aber bieten Innenminister Sarkozy und seine aussichtsreichste Gegenkandidatin überhaupt im Hinblick auf wirtschafts- und sozialpolitische Themen an? Die bisher bemerkenswertesten Vorschläge von «Ségo» und «Sarko» im Hinblick auf diese Thematik betreffen das Streikrecht im einen Falle, die Zukunft der französischen Gewerkschaften im anderen. Anlässlich seiner Rede auf der Sommeruniversität des Arbeitgeberverbands MEDEF kündigte Sarkozy dort am 31. August an, er wolle das bisherige Streikrecht einschränken. Innerhalb von 8 Tagen, so forderte der Minister und promineste Kandidat zur nächsten Präsidentschaftswahl, müsse bei jedem Arbeitskampf eine Urabstimmung «per geheimer Urnenwahl» über die Fortsetzung oder den Abbruch des Konflikts stattfinden. Bisher war das undenkbar, da mit der juristischen Konzeption und dem gesellschaftlichen Streikrechts in Frankreich nicht vereinbar. Anders als in Deutschland ist dieses westlich des Rheins kein Organisationsrecht (das der Gewerkschaft gehört), sondern ein persönliches Grundrecht, das vom einzelnen abhängig Beschäftigten ausgeübt wird oder nicht. Im Gegenzug bekommen streikende Beschäftigte allerdings auch keinerlei Streikgeld, weder von der Gewerkschaft noch von sonst irgendjemandem, sondern tragen ihre entstehenden Lohnverluste selbst und in eigener Verantwortung. Daher kann man sich ausmalen, dass dieses Recht - dessen Ausübung unter Umständen teuer werden kann - nicht gerade leichtfertig und grundlos ausgeübt wird. Aber Sarkozy genügt dies nicht, er beklagt vielmehr die «Diktatur der aktiven Minderheiten». Wie er künftig ein jedem Beschäftigten zuerkanntes Grundrecht von einem Mehrheitsvotum abhängig machen will, hat er noch nicht näher erläutert. Wahrscheinlich verspricht es aber ziemlichen Ärger und eine wichtige Kraftprobe mit Arbeitnehmern und Gewerkschaftern, sollte er dies in die Tat umzusetzen versuchen. Ségolène Royal machte zuvor, im Frühsommer, einen anderen ungewöhnlichen Vorschlag: Sie möchte, um die Gewerkschaften - die in Frankreich zahlenmäßig schwach sind, da sie eher Aktivisten organisieren und eine passive Mitgliedschaft von eher geringem Interesse ist - zu stärken, die Mitgliedschaft in einer solchen zur Quasi-Pflicht erheben. Das klingt zunächst höchst ungewöhnlich. In der Praxis kann dies wohl nur bedeuten, dass eine solche «Pflicht» vom Staat garantiert würde, indem dieser etwa jederm abhängig Beschäftigten eine Geldsumme zur Verfügung stellt, die er als Mitgliedsbeitrag einer Gewerkschaft seiner Wahl übermitteln kann. Ähnliche Erfahrungen, auf niedrigerem Level, bestehen in der Form freiwilliger Selbstverpflichtungen durch große Unternehmen. Am bekanntesten wurde das Beispiel des Versicherungskonzerns AXA, der im Jahr 1990 eine entsprechende Betriebsvereinbarung mit den dort vertretenen Gewerkschaften abschloss. Darin verpflichtete der Konzern sich freiwillig, «seinen» MitarbeiterInnen einen so genannten «Gewerkschafts-Scheck» (chèque syndical) zur Verfügung zu stellen. Also einen Werttitel über eine pauschal berechnete Summe, die jede/r Angestellte einer Gewerkschaft seiner Wahl (soweit sie als «repräsentativ» anerkannt ist) zur Verfügung stellen kann. Die Gewerkschaft kann sich dann die Summe, die dem Gesamtwert der von ihr eingesammelten «Schecks» entspricht, vom Unternehmen ausbezahlen lassen. Die notwendige Kehrseite einer solchen Vorstellung, in welcher der Staat (statt der einzelnen Unternehmen) eine solche Selbstverpflichtung zur indirekten - über die einzelnen Beschäftigten vermittelt ablaufenden - Finanzierung der Gewerkschaften übernimmt, wäre das damit verbundene strategische Kalkül. Selbstverständlich würde der Staat gegebenenfalls eine solche deutliche Stärkung der Gewerkschaften, deren Organisationsgrad (jedenfalls auf dem Papier) gewaltig angehoben würde, mit seinen eigenen Interessen verbinden. Notwendig wäre ein solches «Geschenk» an die Gewerkschaften mit Gegenleistungen verbunden: Stärkere Institutionalisierung als bisher, stärkere Einbindung in «sozialpartnerschaftlich» Konfliktregelungsmechanismen, Verpflichtung auf die «Stabilität» des Wirtschaftssystems u.ä. Ségolène Royal spricht auch ausdrücklich davon, es gehe ihr darum, die französische Gesellschaft « mit den Unternehmen zu versöhnen » ( réconcilier avec l'entreprise ). Bisher reagierten unterdessen ausnahmslos alle Gewerkschaften, die sich zum Vorschlag Ségolène Royals äußerten, ablehnend (vgl. auch im Labournet: Frankreich : Die Politik möchte die Gewerkschaftslandschaft umkrempeln) . In der Pariser Abendzeitung 'Le Monde', in ihrer Ausgabe vom 05. September, bekräftigen die beiden mit Abstand größten Gewerkschaftsbünde CGT und CFDT ihre Ablehnung. 4. Schulpolitik: Beide Kandidaten für die Aufhebung bzw. Lockerung der Wohnortbindung Ein weiteres wichtiges Thema bildete in den vergangenen Tagen, die von der ersten Unterrichtswoche nach dem frankreichweiten Beginn des Schuljahres geprägt waren, die Schulpolitik. Anlass dazu hätte es genügend gegeben: Beispielsweise, weil die Regierung aufgrund von «Erfordernissen der Sparpolitik» im laufenden Jahr 15.000 Stellen im öffentlichen Dienst gestrichen hat (durch Nichtersetzung altersbedingter Abgänge). Der Löwenanteil dieses Abbaus von öffentlichen Stellen betrifft, mit einem Minus von 8.500 Arbeitsplätzen, das öffentliche Schulwesen. Stattdessen gingen die beiden aussichtsreichen Kandidaten auf ein völlig anderes Thema ein. Und beide erklärten sich dazu bereit, die bisher geltende Wohnortbindung bei der Schulwahl - die so genannte «Carte scolaire» - zu lockern. Konservative und bürgerliche Kreise haben sich seit längerem auf diese eingeschossen, da sie Eltern aus «besserem Hause» dazu verpflichte, ihre Kinder auf Schulen zu schicken, wo auch Sprösslinge aus den sozialen Unterschichten oder «Problemfamilien» zu finden sind. Letztere werden beschuldigt, «das allgemeine Niveau zu drücken» und damit dem eigenen Nachwuchs die Zukunftschancen zu verderben. Der neogaullistische RPR, die wichtigste Vorläuferpartei der (2002 gegründeten) bürgerlichen Sammlungspartei UMP, hatte schon vor fünf Jahren eine Kampagne zur Aufhebung dieser Wohnortbindung durchgeführt. Ohnehin umgehen viele Familien - die konservative Tageszeitung 'Le Figaro' behauptete in ihrer Ausgabe vom Donnerstag, den 07. September: bis zu einem Drittel - das Wohnortprinzip durch einige Tricks. Dazu gehört, die eigenen Kinder für relativ seltene oder als anspruchsvoll geltende Fremdsprachen anzumelden, das sprichtwörtlich gewordene (Extrem-) Beispiel ist der berühmte Aramäisch-Kurs. Da solche, insgesamt nur in geringem Umfang gefragten, Angebote nur an wenigen Schulen und dann zumeist an den best ausgestatteten angeboten werden, ermöglicht dies dann doch noch, die Jugend auf die «bessere», d.h. elitärere Schule zu schicken. Aber bestimmte Politiker nehmen diesen faktischen Zustand seit längerem zum Anlass, um gleich die völlige Aufhebung des Wohnortprinzips zu fordern. Die gefragtesten Schulen müssten dann eben Aufnahmetests oder -gespräche einführen. Hingegen klagen Lehrer- wie im übrigen auch Schülergewerkschaften, dies würde kurz- oder mittelfristig zu einer strikten sozialen Segregation führen, da die Reichen dann lieber ihre Kinder auf den «besseren» Schulen unter sich ließen. Die Oberschüler-Gewerkschaft UNL (Union nationale lycéenne) etwa fordert stattdessen «die Verstärkung und strikte Anwendung des Wohnortprinzips», mit dem Ziel, eine stärkere soziale Durchmischung der Schülerschaft herbeizuführen. (Vgl. 'France Soir' vom 08. September) Nicolas Sarkozy hat sich schon wiederholte Male für die Abschaffung der «carte scolaire», der Wohnortbindung, ausgesprochen. Aber überraschend kam, dass auch die Sozialdemokratin Royal sich am vorigen Sonntag, in einer Rede im südfranzösischen Florac, für eine «Aufweichung» dieses Prinzips einsetzte. Ihren Ausführungen zufolge sollen die Eltern für ihre Sprösslinge zumindest jeweils zwischen zwei oder drei Schulen wählen können. Allerdings schlug sie gleichzeitig vor, die im allgemeinen Vergleich schlechter abschneidenden oder stärker von sozialen Problemen geprägten Schulen «durch qualitiativ hochwertige Kulturaktivitäten» zu verbessern. Bei den Lehrerinnen und Lehrern dürfte sie sich trotz dieses Zusatzes nicht allzu beliebt gemacht haben, zumal sie gleich auch noch deren Arbeitszeiten und ihre Präsenzzeit in der Schule verlängern möchte. Der amtierende Premierminister Dominique de Villepin hatte sich in einer ersten Reaktion dagegen ausgesprochen, die aktuelle «Carte scolaire» (d.i. die nach Wohnorten geordnete Einteilung der Einzugsbereiche der jeweiligen Schulen) über den Haufen zu werfen. Am Ende der vergangenen Woche erklärte er sich dann jedoch zu ihrer «Überarbeitung» bereit. Dies dürfte allerdings nicht so schnell gehen, da in diesem Bereich die Bezirksregierungen in den Départements wichtige Zuständigkeiten haben. Der Staat kann zwar, über die Präfekten, in die Départements mit hinein regieren bzw. übt eine rechtliche Aufsicht über die Bezirksregierungen aus. Aber in dieser Sache müsste die Zentralregierung schon mit den jeweiligen Bezirksregierungen zusammen arbeiten. Daher wird es rapide Änderungen wohl vorerst nicht geben, solange kein umfassender Plan dafür ausgearbeitet ist. 5. Kulturkampf gegen die angebliche Permissivität der 68er Soweit also zu den sozialen Themen. Die Hauptschlagseite im bisherigen Vorwahlkampf lag dennoch, unverkennbar, auf den autoritären Programmpunkten. Den Schwerpunkt der jüngsten Rede von Innenminister Sarkozy, auf einer Großveranstaltung der UMP-Jugendorganisation in Marseille am vergangenen Sonntag (o3. September) vor angeblich 8.000 Personen, bildete die Attacke auf die 68er Generation und ihr angeblich bis heute vorherrschendes antiautoriäres Erbe. Diese Generation, so behauptete Sarkozy (ohne empirischen Beweis dafür, dass sie tatsächlich so mächtig sei wie dargestellt), «hat das Erbe verschleudert, ohne dass sie dieses Mehr an Lebensqualität beigebracht hätte, das sie einforderte. Sie hat überall, in der Politik, in der Erziehung, in der Gesellschaft, zu einer Umkehrung der Werte geführt und ein Dogma installiert, dessen Opfer heute die Jugend wird.» Dieses angebliche «Erbe des Mai 1968», dessen Existenz oder jedenfalls dessen Dominanz über die französische Gesellschaft - in der dargestellten Form - einigermaßen unbewiesen sein dürfte, sieht laut Sarkozy so aus, dass es «die Kinder fragt, was sie lernen möchten; dem Schüler sagt, dass er mit dem Lehrer auf gleicher Stufe steht; einen Krieg gegen die republikanische Elitebildung führt.» Stattdessen müsse wieder mehr Wert auf «Exzellenz» gelegt werden, forderte Sarkozy. Die Schule sei «kein Diskussionsgremium, kein ständiges Kolloquium», sondern «ich will eine Schule des Respekts, wo die Schüler aufstehen, wenn der Lehrer hereinkommt». Diesen sehr nach Kulturkampf gegen das Phantom, oder eher: gegen eine Karikatur des ominösen «68er Denkens» riechenden Diskurs reicherte Sarkozy - um kein Paradox verlegen - dann allerdings noch mit Schmeicheleien für die Jugend an und für sich an. Die Jugend, das sei der Sturm und Tatendrang, der alles verändern wolle und Heldentaten erbringe. Nach der Französischen Revolution, unter Napoléon und 1914 sei diese Jugend heldenhaft in Kriege gezogen. Ein fragwürdiges Vorbild. Auch wenn Sarkozy hinzufügt, den Ersten Weltkrieg habe diese Jugend «ausgeblutet» hinter sich gelassen. Aber sofort danach habe sie sich, ihre Erlebnisse im Rücken, wieder zu Großem aufschwingen können, habe im Anschluss «den Surrealismus und den Kubismus» erfunden. Voll daneben gegegriffen: der Kubismus hatte seine Blütezeit zwischen 1907 und 1914, und ging mit dem Ersten Weltkrieg darnieder. Aber wahrscheinlich hat's auf der Veranstaltung ohnehin niemand gemerkt. Eher zum Lachen ist, welche Prominenten Sarkozy bei derselben Gelegenheit zu seiner Unterstützung herankarren konnte. Neben dem französischen Altrocker Jonny Halliday - dem Autor volkstümlicher Rockschnulzen, dessen Sympathien für den Innenminister seit längerem kein Geheimnis mehr waren - hatte Sarkozy in Marseille noch einen weiteren Unterstützer aus der Kulturwelt aufzubieten. Es handelt sich um «Doc Gynéco», dessen Titel zwar so viel wie Frauenarzt (auf eine etwas saloppe Tour ausgedrückt) bedeutet, der aber hauptberuflich Rapper ist. Bei dem Medienstar handelt es sich nur um einen ausgemachten Macho, sondern auch um einen Sänger, der in seinen Texten - weil das zu seinem Bussiness dazu gehört, und ohne toughes Auftreten nicht so viel Schotter zu verdienen ist - in der Vergangenheit auch in harschen Worten von «den Bullen» und dem Hass auf die Polizei erzählte. Es ist schleierhaft, wie dessen Profil sich mit dem Image von Sarkozy als oberstem Chef und erstem Freund der Polizei, Law and Order-Politiker und Verteidiger konservativer Werte vertragen soll. Muss es aber wahrscheinlich auch gar nicht: Wenn die Unterstützung ein neues Publikum und zusätzliche Stimmen einbringt, stellt man keine Fragen mehr. 6. Royal für «Ordnung mit Gerechtigkeit» Aber auch die voraussichtliche Spitzenkandidatin der französischen Sozialdemokraten entdeckt immer mehr die Werte von Ordnung, Autorität und angeblich daraus erwachsender Gerechtigkeit für sich. Ségolène Royal, inzwischen vielerorts auch «Ségo» genannt, dürfte mit hoher Wahrscheinlich im November durch ihre Partei als Kandidatin nominiert werden. Sie hat noch 5 bis 6 männliche Mitbewerber, die oft schon mehrfach hintereinander hohe Regierungsämter bekleidet haben, aber als zu «verbraucht» oder jedenfalls relativ chancenlos gegenüber Madame Royal gelten. Zwar ist der sozialdemokratische Ordnungsdiskurs zum Teil taktisch gemeint, da die Partei vermutet, dass sie auf diesem Themenfeld den rechts von ihr stehenden Kräften keine offene Flanke bieten dürfe. Erfolgreiche sozialdemokratische Politiker, jedenfalls im neoliberalen Zeitalter, haben umgekehrt gerade mit diesem Thema gepunktet: Tony Blair hatten seinen ersten New Labour-Wahlkampf von 1997 zum Teil mit dem Slogan 'Law and Order is a Labour issue' bestritten. Aber über das taktische bzw. strategische Moment hinaus gibt es bei Ségolène Royal gerade auch biographische Anknüpfungspunkte, in Gestalt eines familiären Hintergrunds, mit dem sie sich (nach anfänglichem, ziemlich scharfem Bruch) nunmehr auf seltsame Weise wieder zu versöhnen scheint. Ségolène Royal, die 1953 im westafrikanischen Dakar auf die Welt kam, stammt aus einer Familie strammer französischer Militärs. Ihr Vater Jacques Royal war Offizier und wählte dereinst Jean-Louis Tixier-Vignancourt - das war der rechtsextreme Präsidentschaftskandidat des Jahres 1965 und Herold der Nostalgiker eines « französischen Algerien », dessen Wahlkampfleiter Jean-Marie Le Pen hieß. Es ist nicht genau belegt, dass der 1982 verstorbene Jacques Royal später auch für Le Pen stimmte; jener hatte begonnen, ab Mitte der siebziger Jahre selbst bei Wahlen anzutreten, in den Anfangsjahren freilich noch eher erfolglos. ' Le Monde' vom 29. Juni dieses Jahres notiert jedoch in einem Portrait der Familie Royal, dass man dies - eine Stimmabgabe für Le Pen - im Umfeld des Verstorbenen, nach dem Ableben Jacques Royals, «noch lange Zeit glauben wird». Jacques Royal war nicht nur Offizier und Offizierssohn, sondern hatte noch dazu seine Vorstellungen von patriotischer und katholischer Erziehung. Der Kinder achtköpf'ge Schar (geboren innerhalb von neun Jahren) gedieh jedoch nicht ganz so, wie der ehemalige Kämpfer in mehreren französischen Kolonialkriegen sich dies gern vorgestellt hätte und mittels einer Aufzucht zwischen Gottesdienst und Hausarbeit auch durchzusetzen versuchte. Die meisten von ihnen brachen sogar den Kontakt zum autoritären Vater ab, als ihre Mutter - Hélèné - diesen verließ; die arme Frau soll aus dem Domizil, das Jacques Royal in einem lothringischen Nest bezogen hatte, im tiefen Winter auf dem Fahrrad durch den Schnee entflohen sein. Ségolène Royal sollte ihren Vater erst anlässlich seiner Beerdigung wieder sehen, nachdem sie ihn zuvor noch auf Bezahlung ihres Studiums verklagt hatte, und nach lanjährigem Verfahren damit Erfolg hatte. Insofern eiferte die junge Frau nicht dem Teil ihrer Brüder nach, die nach anfänglichen Schwierigkeiten mit der väterlichen Autorität dann doch noch, nach dessen Vorbild, die militärische Laufbahn einschlugen. Ihr Bruder Gérard etwa wurde als Agent des französischen Auslandsgeheimdiensts DGSE berühmt und war 1985 an der Versenkung des Greenpeace-Boots 'Rainbow Warrior' in Neuseeland beteiligt. Die Umweltorganisation hatte damals gegen die französischen Atomwaffentests im Südpazifik protestiert. Ségolène Royal absolvierte die Elitehochschulen Science Po und ENA, die auf die Verwaltungslaufbahn vorbereiten, und war danach an einem Verwaltungsgericht tätig. Unter François Mitterrand wurde sie dann Präsidentenberaterin und Umweltministerin, unter der letzten sozialdemokratischen Regierung vor nunmehr einem halben Jahrzehnt war sie Lionel Jospins Staatssekretärin - erst für Schulwesen und dann für Kinderschutz. In der Partei hat sie ebenfalls ein Wörtchen mitzureden. Seit Ende der siebziger Jahre lebt sie mit François Hollande, dem derzeitigen Parteivorsitzenden der französischen Sozialisten, in eheähnlicher Gemeinschaft zusammen. Beide haben vier Kinder. Jüngst wurden Gerüchte laut, dass sie nunmehr doch noch heiraten würden, da es sich nicht schicke, unverheiratet vor die französischen Wähler zu treten - obwohl gewöhnlich gut unterrichtete Kreise längst wissen wollen, dass beide Protagonisten mittlerweile inoffiziell anderweitig liiert seien. Die Presse wusste bereits von einer Einladung des Regionalpräsidenten von Französisch-Polynesien, Oscar Temaru, vom Frühsommer, die beiden mögen doch zum Heiraten in die milde Südsee kommen. François Hollande hat solche Absichten jedoch alsbald dementiert, mit den Worten, er sei «gegen eine Vermischung von öffentlichem Leben und Privatleben». Das bedeutet nichts anderes, als dass er eine Hochzeit unter solchen Vorzeichen ganz klar als Wahlkampfereignis betrachten würde. Madame mochte ihrerseits zunächst nicht dementieren, später dann wollte sie die Angelegenheit gar nicht mehr öffentlich kommentieren. Möglicherweise hat sie sich ja gegenüber dem störrischen Möchte-nicht-Gatten einfach nicht durchsetzen können. Dennoch: Je näher der Wahltermin im kommenden Frühjahr rückt, desto eher ist bei Madame Royal offenbar eine Versöhnung mit familiâren Werten und ihrem eigenen biographischen Hintergrund angesagt. Die Floskel « Ich als Tochter von Militärs... » hat sich in den vergangenen Monaten längst einen Stammplatz auf den Lippen von Ségolène Royal, die jede dritte Phrase damit beginnen lässt, erworben. Dazu passt das Motto, unter das sie ihren Wahlkampf (wenn die Partei sie denn im Herbst nominiert) stellen möchte : «L'ordre juste», Die gerechte Ordnung. Der Tageszeitung ' Libération' vom 7. Juni dieses Jahres fiel darüber hinaus auf, dass der Begriff « Unordnung » bei Royal schon seit langem als Chiffre für alles, was negativ besetzt war, gestanden hat. In ihrem 1996 erschienen Buch ' La vérité d'une femme' (Die Wahrheit einer Frau) zum Beispiel untersucht Royal in verschiedenen aufeinanderfolgenden Kapiteln die zeitgenössischen Probleme und behandelt sie jeweils unter der Kapitelüberschrift «Die Unordnung....». So geht es nacheinander dem désordre économique , désordre politique , dem ' désordre du chômag'e (der Unordnung in Gestalt der Arbeitslosigkeit) und auch dem ' désordre de l'environnement' - jener in der Umweltpolitik - an den Kragen. Merke: Ein Problem ist, was Unordnung macht. Probleme beseitigen heißt Ordnung schaffen. Ordnung schaffen heißt die Probleme lösen? Es wäre natürlich falsch, Ségolène Royal auf diese ordnungspolitische Vision reduzieren zu wollen. Wenn derzeit ein enormer Medienhype rund um ihre Person herrscht - vor allem die Tageszeitungen ' Le Monde' und ' Libération' und das sozialliberale Wochenmagazin ' Le Nouvel Oberservateur' verschaffen ihre eine ständige, sozusagen « ordentliche » Publizität -, dann auch deshalb, weil es eine Innovation darstellt, dass eine Frau tatsächlich ernsthafte Aussichten auf das französische Präsidentenamt zu haben scheint. Aber Frau sein alleine ist bekanntlich noch kein Programm. Ihre ersten ernsthaften inhaltlichen Vorstöße drehten sich prompt um Zucht und Ordnung, pardon: Innere Sicherheit. Am 30. und 31. Mai hatten sich in zwei Pariser Trabantenstädten kurzzeitige, aber heftige Riots abgespielt. Ausgelöst worden waren sie durch den rechtsradikalen Bürgermeister von Montfermeil, Xavier Lemoine (ein ehemaliger Parteifreund des nationalkonservativen Grafen Philippe de Villiers; Lemoines Amtsvorgänger und Parteikollege Pierre Bernard nahm 1996 an der Beerdigung des Milizchefs unter dem Vichy-Regime, Paul Touvier, teil), der das Stadtzentrum für Gruppen von mehr als drei Jugendlichen verbieten wollte, und einen gewalttätigen Polizeieinsatz. Daraufhin hielt Royal am Abend des 31. Mai eine Ansprache in der Banlieuestadt Bondy. Eltern straffälliger Jugendlicher unter « familiäre Vormundschaft » stellen und ihnen zeitweise die Sozialleistungen sperren wolle sie, erklärte Madame in ihrer Rede. Und da man leider der Militärdienst abgeschafft habe (da Frankreich seit 5 Jahren eine reine Berufsarmee hat, die letzten Wehrpflichtigen versahen 2001 ihren Dienst) solle man « neue Formen militärischer Disziplin » für unruhige Jugendliche finde. Etwa in Gestalt überwachter Erziehungseinrichtungen; manche Beobachter wie der konservative Abgeordnete und ehemalige Vorsitzende einer Richtergewerkschaft Georges Fenech fühlten sich an die « Boost Camps » in den USA erinnert. Von links kam heftige Kritik, so von KP und Grünen. Auch von einigen Parteikollegen wie dem ehemaligen Bildungsminister Claude Allègre (der sich allerdings vor allem vor dem Hintergrund innerparteilicher Rivalitäten um die Präsidentschaftskandidatur zu Wort meldete), der äußerte: « Ségolène läuft Sarkozy hinterher, und Sarkozy läuft Le Pen hinterher ». Die konservative UMP dagegen beschuldigte Royal eines « schlecht gemachten Plagiats » ihrer Ideen ». Auch die beiden von Allègre angesprochenen Politiker meldeten sich zu Wort: Nicolas Sarkozy höhnte, er müsse jetzt befürchten, « von rechts überholt zu werden »; und Jean-Marie Le Pen meinte, so wie Sarkozy ein falscher Fuffiziger der Rechten sei, so sei « Royal eine falsche Frau der Linken. Sie hält sich für einen Sergeant der amerikanischen Marines! » Beides war ironisch gemeint, und war es doch nicht so sehr. Mutmaßlich ging es der künftigen Kandidatin darum, von vornherein zu verhindern, dass sie im Wahlkampf durch eine rechte Kampagne zur Sicherheitsfrage in die Defensive gedrängt werden könne. Die sozialistische Wählerschaft ist gespalten - 50 Prozent für Royals Äußerungen, 48 Prozent dagegen -, während 81 Prozent der Wähler Le Pens ihr applaudieren. Ségolène Royal regte ferner in ihrer o.g. Ansprache auch die Schaffung eines «allgemeinen obligatorischen Zivildienstes» für junge Erwachsene, nach dem Ende ihrer Schule, Universität oder Ausbildung, für die Dauer von 6 Monaten an. Diese Idee hat jüngst auch Innenminister Sarkozy erstmals unterstützt. Dabei geht es (im Geiste der Urheber dieser Idee) durchaus nicht allein um disziplinarische Funktionen, sondern daneben auch um die Sensibilisierung der jungen Generation für soziale Belange und gesellschaftliche Solidarität. Aber eben in Form eines neu zu schaffenden staatlichen Zwangsdiensts.... 7. Wiederholung des Szenarios von 2002 ? Den Wahlkampf zur Präsidentschaftswahl vom April 2002, die mit einer Stichwahlrunde zwischen dem konservativen Amtsinhaber Jacques Chirac und dem rechtsextremen Herausforderer Jean-Marie Le Pen endete, hatten «Sicherheitsthemen» weitestgehend beherrscht. Deshalb sprachen kritische Beobachter damals im Nachhinein davon, die anderen politischen Kräften hätten für Le Pen - der über lange Strecken hinweg verhältnismäßig schwach präsent war- seinen Wahlkampf an dessen Stelle betrieben. Den Startschuss zum damaligen Wahlkampf mit der «Inneren Sicherheit» gab damals die Nationalfeiertagsrede von Chirac am 14. Juli 2001. Darin zeichnete er das düstere Bild einer zerfallenden Staatsgewalt, die vor den Untätern zurückweiche, keine Autorität mehr genieße und alsbald niemanden mehr schützen könne. In den kommenden Monaten taten fast alle wichtigen Parteien so, als sei die "Unsicherheit" das wohl drängendste Zukunftsthema überhaupt. Kritische Sozialwissenschaftler analysierten dies damals in dem Sinne, dass dieser Begriff, infolge seiner ideologischen Vermittlung durch die Medien und durch die Alltagsideologie, zur allgemeinen Chiffre für alle möglichen Aspekte der Zukunftsangst geworden sei. Das hieß, dass die vorwiegend sozial motivierten Ängste durch den allgegenwärtigen Begriff des «Unsicherheitsgefühls» quasi aufgesaugt worden waren. Ein klassisches Beispiel: Nehmen wir einen Vertreter der sozialen Unterschichten, der jeden Tag Dutzende Kilometer zur (prekären, d.h. ungesicherten) Arbeit und zurück fahren muss, da er in der Nähe keinen Job findet, und gleichzeitig jeden Tag vor einer möglichen Entlassung oder einem Ende seines befristeten Vertrages oder Zeitarbeitsvertrages zittert. Ihm lässt sich - unter Zuhilfenahme entsprechend suggestiver Bilder von brennenden Autos aus den ghettoisierten Banlieues auf allen Kanälen, die ja nicht einmal gefälscht sein müssen, weil die Medien sie tatsächlich pausenlos präsentieren und damit wiederum zur Nachahmung animieren - u.U. einreden, die größte Angst, die er hegen müsse, sei, dass jemand sein Auto anzündet. Die Angst vor Sanktionierung, vor Job- und Existenzverlust können sich tatsächlich rund um dieses Bedrohungsbild herum kristallisieren: «Dann komme ich an dem Tag nicht (oder nicht rechtzeitig) zur Arbeit... Und da ich mir nicht den kleinsten Fehltritt erlauben darf, fliege ich dann sofort 'raus... » Vor allem, wenn Letzteres in der Öffentlichkeit, in Medien und Politikerreden ständig als scheinbar größte Gefahr ins Zentrum gerückt wird. (Und ferner setzt dieses Szenario in den Köpfen natürlich voraus, dass dsie alltäglichen sozialen Bedingungen in den Betrieben bereits derart hart und angespannt sind, dass das Nichterscheinen oder die Verspätung beim Job infolge eines solchen einmaligen Ereignis sofort zur Kündigung oder zur Nichtgverlängerung des Arbeitsvertrags führt.) Daraus resultiert der Ausgang der Präsidentschaftswahl von 2002, daraus resultiert das damalige hohe Abschneiden der extremen Rechten. Und darauf basierte eben auch der Erfolg von «Superminister » und Ober-Ankündigungspolitiker Nicolas Sarkozy, der nach seiner Ernennung im Mai 2002 mit seinem Hyperaktivismus in Sachen «Innere Sicherheit» alle Fernsehstudios besetzte. Die regierenden Konservativen verkauften den neuen Innenminister Sarkozy damals als Antwort auf den hohen Stimmenanteil von Jean-Marie Le Pen, also in gewissem Sinne deutlich als Angebot an dessen Wähler. Wird sich dieses Szenario vom April 2002 beim nächsten Urnengang wiederholen ? Dies befürchten einige Beobachter, vor allem, da sich eine erneute starke Betonung des Aspekts der «Inneren Sicherheit» im Wahlkampf abzuzeichnen scheint. Dennoch ist es ziemlich unwahrscheinlich, dass es sich auf identische Weise wiederholen wird. Denn die sozialen Themen könne dieses Mal nicht in so hohem Maße verdrängt werden, wie dies beim vorigen «Superwahljahr» 2002 (mit aufeinanderfolgenden Präsidentschafts- und Parlamentswahlen, genau wie im kommenden Jahr) der Fall war. Die Sozialdemokratie hatte sich damals in ihrer fünfjährigen Regierungsperiode abgenutzt, während sie nunmehr eine «Oppositionskur» hinter sich hat und sich in den Umfragen - gegenüber der Situation vor vier Jahren - stark verbessert hat. Und schließlich kam der Erfolg der extremen Rechten damals für viele Wähler überraschend, während er beim kommenden Mal von Vielen (vielleicht zu sehr) erwartet wird. Deswegen ist an eine Imitation der damaligen Konstellation im nächsten Jahr wohl eher nicht zu denken. Aber die neuerliche starke Präsenz des «Sicherheits»themas sorgt für eine dominierende konservative Ausrichtung der Gesellschaft. Selbst dann, wenn die Sozialdemokratin das Ringen um die Präsidentschaft gewinnen sollte. Doch bei der Wahl 2002 war Le Pen im Vorfeld durch die Umfrageinstitute unterschätzt worden. Deshalb behaupten manche Meinungsforscher und manche Politiker, man müsse seinen momentanen Umfragewerten 7 bis 8 Punkte hinzufügen, um die tatsächlichen Ergebnisse zu kalkulieren. Andere widersprechen dieser tatsächlich höchst fragwürdige Methode, denn bisher wird durch nichts belegt, dass im Moment tatsächlich ein solcher Abstand zwischen den tatsächlichen und den erklärten Stimmabsichten besteht. Aber mit Voraussagen lässt sich prima Politik machen. 8. Wahlkampfspektakel mit Menschenschicksalen Das Plansoll wurde nicht erfüllt, die Kennziffern der untergeordneten Behörden sind nicht gut. Also setzte es eine gesalzene Standpauke. Ansonsten Befürworter einer wirtschaftsliberalen und tendenziell marktradikalen Politik, kann Nicolas Sarkozy sich auch von seiner ebenso staats- wie zahlenversessenen Seite zeigen. 25.000 Abschiebungen aus Frankreich bis zum Jahresende habe er verlangt, hielt Innenminister Nicolas Sarkozy den versammelten Präfekten - diese hohen Beamten vertreten den französischen Zentralstaat in den Départements, leiten dort die Polizei und die Ausländerbehörden - Ende Juli vor. Aber im ersten Halbjahr wurden «nur» circa 10.000 «Rückführungen zur Grenze», wie der französische Fachbegriff dafür lautet, durchgeführt. «Wir sind weit entfernt von der Zielmarke», tönte Sarkozy vor seinen Untergebenen im großen Feiersaal des Innenministeriums. «10 Prozent von Ihnen haben nicht das Niveau von Rückführungen an die Grenze erreicht, das ich Ihnen vorgegeben hatte. Ich lade Sie eilig dazu ein, dies zu erreichen. Wenn das nicht der Fall ist, so wird es Folgen haben.» Die Präfekten, so ein Augenzeuge in der Wochenzeitung ' Le Canard enchaîné' , hätten daraufhin «ihre Schuhe angeguckt» oder «in die Hosen gemacht». Anscheinend hatte das Herumpoltern auch Folgen, denn die Abschiebemaschinerei hat sich bereits verstärkt in Gang gesetzt. Besonders im Visier sind derzeit Roma aus Rumänien und Bulgarien, wohin in den letzten Juli- und ersten Augusttagen bereits über 100 Personen in drei Sonderflügen abgeschoben worden sind. Am 17. August fand ein weiterer Sonderflug statt, am 29. August in Richtung Sofia. In den meisten Fällen ging es um Roma, die vor flagranten Diskriminierungen und äußerst elenden Lebensbedingungen in Südosteuropa geflohen waren. Theoretisch sind Kollektivabschiebungen - etwa mittels Sonderflügen - seit einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs, der eine Familienabschiebung aus Belgien in die Slowakei von 1999 sanktioniert hat, verboten. So sieht es auch der Artikel 4 eines Zusatzprotokolls zur Europäischen Menschenrechtskonvention vor. Denn die Gefahr ist zu hoch, dass die Rechtsgarantien der einzelnen Betroffenen massiv erletzt oder übergangen werden. Aber bisher ist das Papier geduldig, und Sarkozy geht es vor allem um den kurzfristigen politischen Effekt mittels markiger Ankündigungen - auch wenn bestimmte Praktiken im Anschluss durch die Gerichte verhindert oder verurteilt werden sollten. Anlässlich seines Auftritts vor den Präfekten, den die beliebte Satire- und Enthüllungszeitung ' Canard enchaîné' vom 02. August minutiös dokumentiert hat, lieferte Sarkozy auch eine Begründung für das Drängen mit: «Wenn wir unsere Ziele nicht erreichen, dann besteht ein echtes Demokratierisiko» erklärte er. Und meinte damit, dass es ihm eventuell nicht gelingen werde, die bisherigen Unterstützer der extremen Rechten dazu zu bewegen, bei der Präsidentschaftswahl im kommenden April lieber Sarkozy zu wählen.
Aber Sarkozy wäre nicht Sarkozy, würde er nicht gleichzeitig auf mehreren Hochzeiten tanzen, um sich als «über den politischen Fronten stehend» zu präsentieren. Wie so oft versucht er sich in einer politiscchen Gleichgewichtsübung, die beweisen soll, dass nur er die widerstreitenden Lager vereinen und sich mit seinem persönlichen Voluntarismus durchsetzen kann. Abschiebungen von «Illegalen», so meint jedenfalls Sarkozy, sind in der Wählerschaft populär - aber nicht unbedingt, wenn sie schulpflichtige Kinder und Jugendliche betreffen, die mit den eigenen Sprösslingen des potenziellen Wählers zusammen die Schulbank drücken und möglicherweise noch mit ihnen befreundet sind. Das sorgt für Unruhe und Abwehrreaktionen im Publikum. Im Frühsommer dieses Jahres hatte sich gezeigt, dass die Ankündigung, der im Herbst 2005 durch Sarkozy - infolge von Protesten gegen Abschiebungen von Minderjährigen mit ihren Familien - bis zum Ende des vergangenen Schuljahres gewährte Abschiebeschutz werde auslaufen, in breiten Kreisen Emotionen auslöste. Auch in bürgerlichen Milieus wurden humanistisch oder christlich begründete Einwände laut, und Teile der Linken mobilisierten sich gegen drohende Abschiebungen in den Ferien. Während andere am Strand liegen, müssen einige versteckt leben: Diese Vorstellung erschien vielen unerträglich. Die Proteste weiteren sich aus. Im Juni hatte Sarkozy daher angeboten, einen Teil der betroffenen Familien mit schulpflichten Kindern oder Jugendlichen zu «legalisieren», ihnen also eine Erlaubnis zum legalen Aufenthalt zu verschaffen, auf der Grundlage mehrerer Kriterien. Dazu gehörte das (dehn- und auslegbare) Merkmal der «guten Integration in die französische Gesellschaft» sowie das Kriterium der französischen Sprachkenntnisse. Bis zum 13. August hatten die betroffenen Familien Zeit, ihre Dossiers bei den Präfekturen zu hinterlegen. Sorry, die Quote ist voll! Bereits im Juli dieses Jahres hatte Sarkozy erklärt, er rechne damit, dass 20.000 Anträge gestellt würden und dass am Ende 6.000 Aufenthaltserlaubnisse erteilt würden. Nun hat sich herausgestellt, dass es ungefähr ein Drittel mehr «Legalisierungs»anträge geworden waren. Doch Sarkozy blieb trotzdem bei seinen Zahlen. Auch nach dem Ende der Antragsfrist sprach er von 6.000 zu erwartenden Aufenthaltsgenehmigungen. Nicht mehr und nicht weniger. Dies klingt bereits wie eine erneut, in Sollzahlen gefasste Anordnung an die ihm unterstehenden Präfekten. Tatsächlich zeigt die Erfahrung aus den einzelnen Schulen und Stadtbezirken in den vergangenen Wochen, dass offensichtlich ziemlich systematisch alle Dossiers abgelehnt worden sind, die im August bei den Ausländerbehörden eingingen - gleichgültig, ob die betroffenen Familien die aufgestellten Kriterien zu erfüllen schienen oder nicht. Anscheinend war die von Sarkozy aufgestellte Quote, die sich in der Zahlenvorgabe «6.000» ausdrückte, schon voll. Aber die Gleichgewichtsübung ging noch weiter. Das Motto lautet offenkundig: Die Einen ins Töpfchen für die humanistisch gesinnten Wähler; und die Anderen ins Kröpfchen, damit die eher rassistischen oder autoritär veranlagten Wähler sich berücksichtigt fühlen dürfen. Alles eine Frage der Dosierung: Gerechtigkeit und Härte, respektive «Standfestigkeit und Humanität», das ist Sarkozys selbsterklärte Devise von Innenminister Nicolas Sarkozy. «Besorgt, sich nur ja keine Unterstützung für die kommende Präsidentschaftswahl entgehen zu lassen», so analysiert die Tageszeitung 'Libération' vom 18. August, «glaubt er, bei den sensiblen Themen ein Gleichgewicht zu finden, indem er in eine Richtung losschlägt, sobald er denkt, dass er in einer anderen Richtung konziliant war... Nachdem er am Dienstag (15. August) bekannt gegeben hatte, dass er ungefähr 6.000 illegale Einwanderer mit schulpflichtigen Kindern in Frankreich eine Aufenthaltserlaubnis geben würde, musste er nach seiner Logik mächtig zuschlagen, um seinen Wählern den Eindruck zu geben, dass er unnachgiebig bleibe.» Balanceübung mit Polizeiknüppel Und so kam es dann auch. Am 17. August wurde es zum Tagesthema aller wichtigen Medien: In der Pariser Vorstadt Cachan wurde das größte besetzte Gebäude in ganz Frankreich seit 9 Uhr vormittags von einem riesigen Polizeiaufgebot geräumt. 600 Bereitschaftspolizisten und 200 Beamte der Sicherheits- und Verkehrspolizei waren auf dem Gelände des ehemaligen Studentenwohnheims im Einsatz, das seit 2003 von mehreren hundert Menschen bewohnt wurde. Bei ihnen handelte es sich meist um Einwandererfamilien schwarzafrikanischer Herkunft, in geringerer Zahl auch um Alleinstehende maghrebinischer Herkunft, und zu ihnen hatten sich noch einige Leute aus dem östlichen Europa hinzu gesellt. Ein Teil der bisherigen Bewohner waren 'Sans papiers', also « illegal » in Frankreich lebende Migranten. Aber durchaus nicht alle, und wohl auch nicht die Mehrheit. Denn viele unter den Betreffenden haben zwar Aufenthaltstitel und auch (wie fast alle Bewohner)eine Arbeit, können aber trotzdem auf dem so genannten freien Wohnungsmarkt mit seinen immer höheren Anforderungen - Einkommen, Bürgen, Garantien - keine Bleibe finden. Das 1961 errichte Gebäude stand leer, aber sein Eigentümer - das regionale Studentenwerk - wollte es abreißen lassen. Nicht um bessere Studierendenwohnungen oder auch Wohnraum für andere Leute zu errichten, sondern um einen Parkplatz zu bauen. In den letzten zwei Jahren hatten Verhandlungen mit den BesetzerInnen stattgefunden, denen angeblich Wohnungen angeboten werden sollten, wenn sie in eine sukzessive Räumung des Gebäudes in kleinen Gruppen einwilligten. Rund 40 Sans papiers hatten aber als einziges «Angebot» eine Ausreiseverfügung in ihren Briefkasten erhalten. Daraufhin hatten die 700 bis 1000 Bewohner/innen sich zusammengeschlossen und angekündigt, nur eine gemeinsame Lösung für alle Betroffenen und ohne Abschiebungen zu akzeptieren. Neben dem Argument der Illegalität ihres Aufenthalts in dem Gebäude, das sie bewohnten, bemühte Sarkozy auch noch ein humanistisch klingendes Argument für die Räumung der mehreren hundert Menschen. Unter Aspekten des Gesundheitsschutzes sei das Gebäude, unter anderem infolge einer möglichen Asbestgefährdung, bedenklich. Wie 'Le Canard enchaîné' vom 23. August nachweist, hält dies Sarkozy nicht davon ab, anderswo noch wesentlich üblere Wohnbedingungen zu tolerieren und nicht einzuschreiten, etwa aus politischen Rücksichtnahmen. Sei es gegenüber den windigen Vermietern vergammelter Hotels, die die Wohnungsnot von Immigranten ausnutzen, oder auch in einigen Fällen gegenüber Besetzern - sofern sie der «richtigen» Nationalität sind, d.h. solange Sarkozy keinen politischen Ärger mit den Herkunftsländern der Einwanderer (namentlich der Côte d'Ivoire) riskieren will. Den Betroffenen wurden, «sofern ihr Aufenthalt in Frankreich legal ist», kurzfristige Ersatzwohnungen angeboten. Von den «illegal» sich in Frankreich aufhaltenden wurden um die 50 in Abschiebehaft genommen, wonach manche im Nachhinein nachweisen konnten, dass sie in Wirklichkeit einen Aufenthaltstitel besaßen und ihn nur im entscheidenden Moment nicht bei sich trugen. Was die «Wohnungsangebote» für die Anderen betrifft, so stießen sie auf geringe Akzeptanz. Denn sie waren entweder nur für sehr kurze Zeit garantiert und/oder waren Hotelunterbringungen in für Einwanderer gedachten Absteigen, die - zu oftmals gesalzenen Preisen - keinerlei familiengerechten Wohnunterbringungen gewährleisten. Beispielsweise kam man in diesen, oft heruntergekommenen, Hotels nicht kochen. Rund 200 der geräumten Bewohner des Ex-Studentenwohnheims gingen darum, kaum dass sie geräumt worden waren, eine Turnhalle besetzen. Diese aber gehört nicht dem Staat, sondern der Kommune von Cachan, so dass der Innenminister kein Hausrecht anmelden konnte. Der sozialdemokratische Bürgermeister der rund 5 Kilometer südlich von Paris gelegenen Vorstadt, Jean-Yves Le Bouillonnec, wollte den Konflikt mit den zwangsgeräumten Bewohnern zunächst gütlich beilegen und nicht die Polizei für eine erneute Räumungsoperation herbei rufen. Vor den Zuhörerreihen bei der Sommeruniversität des Arbeitgeberverbands MEDEF machte Innenminister Sarkozy sich deshalb in der Öffentlichkeit über ihn lustig. Die versammelten Besser- und Bestverdiendenden lachten und prusteten, als Sarkozy ihnen trocken verkündete : «Der Bürgermeister von Cachan wollte sie in der Turnhalle aufnehmen. Nun, jetzt hat er ein Problem.» Die Staatsmacht in Gestalt der Präfekten, die dem Innenminister unterstehen, weigerte sich von da ab, die geringste Hilfestellung zu geben, um die Situation der nunmehrigen Besetzer der überfüllten Turnhalle zu entspannen. Dort schliefen und schlafen immer noch mehrere hundert Menschen - unter ihnen rund 40 schulpflichtige Kinder, für die am vergangenen Montag der Unterricht begonnen hat - auf engstem Raum. Die dienstlichen Untergebenen des Innenministers weigerten sich, leer stehende öffentliche Gebäude für ihre Unterbringung zur Verfügung zu stellen, nachdem die Geduld des Rathauschefs von Cachan nunmehr allmählich auch erschöpft wurde. (Am 1. September drohte er nunmehr auch damit, eine Räumung anordnen zu lassen.) Am Freitag Abend kündigte jetzt allerdings der Bürgermeister der Nachbarstadt Limeil-Brévannes, Joseph Rossignol, seinerseits an, er werde leer stehende Gebäude des Verteidigungsministeriums auf dem Boden seiner Kommune per Rathausverordnung zur Verfügung stehen. Damit kündigte sich eine Beruhigung der Situation in den kommenden Tagen an. Aber der Sarkozy unterstellt Präfekt legte am Freitag sein Veto dagegen ein, was er als juristischer Repräsentant des Zentralstaats grundsätzlich kann. Am Freitag Abend zogen der Bürgermeister und einige Kommunalparlamentarier vor die seit 1999 leer stehenden öffentlichen Räumlichkeiten, um diese für die Personen, die in Cachan in der Turnhalle ausharren, zu öffnen. Aber die vom Präfekten angeforderten Polizeikräfte hinderten die Mandatsträger am Zutritt. In den nächsten Tagen muss ein Verwaltungsgericht darüber entscheiden, welche Seite in dem Streit Recht bekommt. Solidarität In Paris demonstrierten unterdessen am Samstag Nachmittag rund 10.000 Menschen für die Solidarität mit den Ex-Besetzern. Am Mittwoch in der Vorwoche hatten zudem zwei prominente Mitglieder der französischen Fußball-Nationalmannschaft -- der (aus dem Überseedépartement La Guadeloupe stammende) Abwehrspieler Lilian Thuram und der im Senegal geborene neue Mannschafts-Kapitän Patrick Vieira -- 80 Plätze für das Länderspiel Frankreich/Italien an ehemalige Bewohner des besetzten Wohnheims in Cachan ausgegeben. Die beiden Spieler der Bleus hatten die Plätze im Stade de France, in Saint-Denis bei Paris, selbst bezahlt. Diese Geste schuf eine kurzzeitige Polemik, da konservative und rechtsextreme Politiker sicgh lautstark darüber empörten. Der rechtskatholische Graf und Präsidentschaftskandidat Philippe de Villiers schimpfte über Thuran, er sei «ein Milliardär, der der Gesellschaft Lehren erteilen möchte»; und er forderte ihn auf, die «Illegalen»aus Cachan «gleich bei sich zu Hause aufzunehmen, zu beherbergen und zu ernähren». Der Abgeordnete der konservativen Regierungspartei UMP Yves Jégo, der dem Innenminister Sarkozy sehr nahe steht, erklärte öffentlich: «Man kann ein großer Sportler sein, und sich auf dem Gebiet der Politik als ein armseliges Individuum herausstellen.» Der Trainer der Bleus, Raymond Domenech, verteidigte daraufhin die Entscheidung der beiden Spieler. Die KP-Vorsitzende und ehemalige Sportministerin (1997 bis 2002) Marie-George Buffet nannte die von ihnen ausgesprochene Einladung an die Ex-Besetzer von Cachan «eine schöne Geste». Die Tageszeitung 'Le Parisien' befragte für ihre Ausgabe vom 08. September rund 800 Personen, ob sie diese Unterstützung für Besetzer und «illegale» Einwanderer schockiert habe. Annähernd drei Viertel der Befragten zeigten sich ausdrücklich «nicht schockiert» (73 %). Dies gilt in etwas stärkerem Maße für Linkswähler (78 %), aber auch konservative und bürgerliche Wähler sind zu 70 % «nicht schockiert». Ebenfalls in der vergangenen Woche hatten zahlreiche Prominente die Geräumten in «ihrer» Turnhalle in Cachan besucht und ihre Solidarität bekundet. Zu ihnen gehören der Bauerngewerkschafter (und mögliche Präsidentschaftskandidat) José Bové, der Armenpriester Abbé Pierre, der Rapper Joey Starr und der Sänger Bénabar, die Schauspieler Charles Berling und Josiane Balasko, der Komiker Laurent Baffier sowie der Leichtathlet Stéphane Diagana. Artikel von Bernard Schmid vom 11.9.06. Es ist eine fürs LabourNet überarbeitete und aktualisierte Version des am 10.9.06 in telepolis erschienenen Beitrags |