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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Sauce hollandaise im Elysée-Palast Am 15. 05. 2012 wird François Hollande sein Amt, in das er am vorigen Sonntag mit 51,62 % der abgegeben Stimmen gewählt wurde, offiziell antreten. Am gestrigen 08. Mai, der in Frankreich anders als in Deutschland ein gesetzlicher Feiertag (zum Andenken an das Kriegsende 1945) ist, nahm Hollande bereits an der Seite Sarkozys an der feierlichen Zeremonie teil. Doch was ist von dem frisch gewählten, französischen Staatsoberhaupt künftig zu erwarten? Artikel von Bernard Schmid, Paris, vom 09.05.2012 Es ist kurz vor ein Uhr früh an diesem Montag, als der Wahlsieger mit heiserer Stimme auf die Bühne tritt, die am Vorabend auf der Pariser Place de la Bastille errichtet wurde. Umgeben von Zehntausenden teils neugierigen, teils jubelnden Menschen meist jüngeren Alters, die sich in einem beängstigenden Gedränge hin und her schieben, lässt François Hollande einige Allgemeinplätze vom Stapel. Er wolle der Präsident der beiden Js sein, lässt er wissen: der jeunesse - also der Jugend - und der justice , der Gerechtigkeit. Er wolle "für Frankreich arbeiten" und das Land zusammenzuführen, statt es sozial zu spalten, wie es bislang der Fall gewesen sein. Er werde die Menschen, die "Sozialpartner" und die Demokratie "respektieren". Der neue Amtsinhaber bleibt insgesamt reichlich wolkig. Seine Ankündigungen über "Respekt" und Aussöhnung werden jedoch klar als Distanzierung vom autoritären Führungsstil Nicolas Sarkozys aufgefasst Und von dem zu 60 bis 70 Prozent als reine Anti-Ausländer-Kampagne geführten Wahlkampf, den die konservativ-wirtschaftsliberale Noch-Regierungspartei UMP in den letzten Wochen an den Tag legte. Entsprechend waren nicht wenige Franzosen migrantischer Herkunft, aber auch nicht wenige junge Europäer verschiedener Länder auf den Bastille-Platz gekommen, zum Teil mit den Fahnen ihrer jeweiligen Herkunftsländer. So sah man irische Fahnen, spanische, marokkanische oder algerische sowie senegalesische. Am nächsten Tag bot diesen der politischen Rechten unterschiedlicher Schattierung, die nach dem Ausgang der Präsidentschafts- nunmehr für die Parlamentswahl vom 10. und 17. Juni mobilisieren, gleich den Anlass zur Fortsetzung ihrer Agitation. Es sei ein Skandal, dass Hollande sich angeblich "in einem Meer von roten und ausländischen Fahnen" dem Publikum gezeigt habe, tönte die bisherige konservative Ministerin Nadine Morano als Erste in die Mikrophone. Politiker des rechtsextreme Front National (FN) taten es ihr sogleich nach, und die faschistische Wochenzeitung Rivarol sprach auf ihrer Webseite von einem "antifranzösischen Taumel auf dem Bastille-Platz" . Auf Dutzenden von rechten Webseiten wird nunmehr dieses angebliche Exempel von Landesverrat herauf und hinunter dekliniert. Wer wählte wen? Von der Einkommensverteilung her fällt die Aufteilung der Wählerinnen und Wähler zwischen dem Gewinner der französischen Präsidentschaftswahl, François Hollande, und Verlierer Nicolas Sarkozy relativ klar aus. Wer im Monat unter 1.200 Euro verdient, hatte 59 % Chancen, für Hollande zu stimmen. Bei einem Monatseinkommen zwischen 1.200 und 2.000 Euro monatlich waren es 56 %, und in der nächst höheren Einkommensklasse 54 Prozent. Erst ab einem Monatseinkommen in Höhe von 4.000 Euro kehrt sich das Verhältnis um, mit 56 zu 44 Prozent zugunsten des bisherigen Amtsinhabers Sarkozy. Gewählt wurde Hollande mit deutlichen Mehrheiten unter Jungwählern unter 30, unter Industriearbeitern (58 Prozent), unter Franzosen mit Migrationshintergrund, aber auch von Angehörigen intellektueller Berufe und Freiberuflern wie Ärztinnen und Anwältinnen (52 Prozent). Im groß städtischen Milieu dominiert Hollande dominiert Hollande ebenfalls, mit einem Stimmenanteil von 57 Prozent in Ballungsräumen ab 100.000 Einwohnerinnen. Dagegen behielt Nicolas Sarkozy vor allem unter Rentnern (circa 60 Prozent), im ländlichen Raum sowie unter mittelständischen Unternehmern (70 Prozent) die Nase vorn. In geographischer Hinsicht blieben einige Hochburgen Sarkozy treu, etwa einige Regionen in Südostfrankreich (Hochburgen des "Vertriebenenmilieus" der früheren Algerienfranzosen), im Elsass (aufgrund konservativ-christlicher und dörflicher Traditionen) sowie die Auslandsfranzosen in Israel (92,8 %; ein dramatischer Ausdruck des starken Rechtsrucks der dortigen Gesellschaft). Und in Sarkozys Geburtsstadt, dem Pariser Millionärsvorort Neuilly-sur-Seine, überschritt der Kandidat noch einmal die 84 Prozent. Der Wechsel an der Spitze des französischen Staates ist offenkundig mit den sozialen Erwartungshaltungen eines Teils der Wählerschaft verbunden. Dennoch ist auf keinen Fall mit spektakulären Umverteilungsmaßnahmen oder Veränderungen in der Reichtumsverteilung zu rechnen. Hollande und die Bilanz der Mitterrand-Ära Sofern die Parlamentswahl im Juni dieses Jahres einen Richtungswechsel gegenüber der bisherigen Zusammensetzung bringt und Hollande eine Mehrheit erhält, sind seine Spielräume dennoch begrenzt. Schon sein Amtsvorgänger François Mitterrand (auf den Hollande sich wiederholt positiv bezog) scheiterte beim Versuch der damaligen Linksregierung, die nach Mitterrands Wahl am 10. Mai 1981 eingesetzt worden war, Strukturreformen zur "Überwindung des Kapitalismus" - so wurde es damals noch proklamiert - einzuleiten. Damals fanden tatsächlich einige Reformen statt, die noch dem ursprünglichen Sinn des "Reform"begriffs entsprachen (also eine Verbesserung der Lebensverhältnis anstrebten). Und nicht dem später vom Neoliberalismus verdrehten und verfälschten Sinngehalt, durch den "Reform" zum Synonym für soziale Einschnitte und Rückschritte geworden ist. Ein gutes Jahr hindurch wurden progressive Veränderungen durchgeführt: Abschaffung der Todesstrafe, Verkürzung der Wochenarbeitszeit von 40 auf 39 Wochenstunden, Herabsetzung des Rentenalters auf 60 (was damals der durchschnittlichen Lebensdauer bei guter Gesundheit entsprach). Danach kam die jähe Kehrtwende: Kapitalflucht, der Abwertungsdruck auf den französischen Franc, Drohungen mit der Vernichtung von Arbeitsplätzen und andere Machtinstrumente des wirtschaftlichen Kapitals setzen dem Experiment ein Ende. Ab Ende 1982 war von der anfänglichen Aufbruchseuphorie rein gar nichts mehr zu spüren. Im Frühjahr 1983 wurde le Tournant de la rigueur , "die Wende zur Austeritätspolitik", offen proklamiert. Die Wählerschaft lief den regierenden Linksparteien damals in Scharen davon, und es dauerte Jahre, bis sie sich wieder berappeln konnten. Die Periode 1983/84 markiert zudem den dauerhaften Durchbruch des rechtsextremen Front National zur erfolgreichen Wahlpartei. Stünde François Hollande der Sinn nach "Experimenten" - ihr Scheitern würde heute nicht mehr so lange benötigen. In Zeiten der verstärkten Einbindung in supranationale Zusammenschlüsse der EU, der Wirtschafts- und Finanzkrise und der (zuletzt insbesondere infolge der "Bankenrettung" ab 2008 massiv gestiegenen) Staatsverschuldung haben Staatenlenker noch wesentlich geringeren Einfluss auf den Lauf der Dinge, als dies 1981 der Fall war. Schon damals waren viele wichtige Entscheidungen in privaten Händen, etwa beim Industriekapital, konzentriert. Doch waren die damaligen Einflussmöglichkeiten von politischen Entscheidungsträgern noch wesentlich höher als heutzutage. Durch einen Blog der Zeitung Le Monde befragte Wähler in einer konservativ-liberalen Hochburg mit starker Konzentration der obersten Einkommensgruppen, Sceaux in der Nähe von Paris, bejubeln diese Tatsache offen: "Die gute Seite an der wirtschaftlichen Globalisierung ist, dass man 1981 nicht wiederholen kann!" [1] Den Ausstieg aus dem Kapitalismus erwartet derzeit niemand vom neuen Präsidenten Hollande. Aber etwas mehr soziale Gerechtigkeit - das erhoffen sich doch sehr viele seiner WählerInnen. Die Frage ist, ob die künftige Dynamik der Krise dafür Spielräume lassen wird. An zwei Punkten werden, nach den Ankündigungen Hollandes im Wahlkampf, reale Richtungswechsel erwartet. Zum Einen kündigte er an, 60.000 Stellen im öffentlichen Schulwesen wieder einzurichten. Die konservativ-wirtschaftsliberale Rechte tobte, und brachte immer wieder folgendes Argument dagegen vor: "In keinem Land der Welt schafft man in Krisenzeiten neue Stellen im öffentlichen Dienst, die Geld kosten und nichts zum Produktivwachstum beitragen!" In Wirklichkeit geht es bei Hollandes Versprechen lediglich darum, einen Teil dessen zu reparieren, was die Rechtsregierung in den letzten Jahren kaputt schlug. Durch die Einhaltung der eisernen Regel, jeden zweiten - etwa durch Verrentung frei werdenden - Arbeitsplatz im öffentlichen Dienst nicht neu zu besetzen, sondern zu streichen, wurden in den fünf Amtsjahren Sarkozys 80.000 LehrerInnenposten gestrichen. Seit 2002 sind es gar über 120.000 weggefallene Stellen. Die Rechtsregierungen wollten, dass das Privatschulwesen - das in Frankreich circa ein Fünftel des Nachwuchses einschult, konfessionell gebunden und zahlungspflichtig ist - die Lücken auffüllt. In entsprechend miserablem Zustand ist das Schulwesen heute in den sozialen Krisenzonen, etwa den Banlieues . Hollande möchte pro Jahr 12.000 Stellen wieder schaffen. Allerdings kündigte er auch bereits an, nicht nur Einstellungen von LehrerInnen, sondern auch von technischem Personal an den Schulen unter diese Zahl zu fassen. Er könnte also eventuell mogeln. Zum Zweiten hat Hollande im Wahlkampf eine einzige spektakuläre Ankündigung getätigt: die "Millionärssteuer". Ab einem individuellen Jahreseinkommen von einer Million Euro soll ein Spitzensteuersatz von 75 Prozent für die oberste Tranche greifen. Ein Teil seiner Berater hatte sich noch im Wahlkampf von diesem Vorhaben distanziert. Hollande, der ansonsten wegen der inhaltlichen Schwammigkeit seines Wahlkampfs angegriffen und gerne auch mit dem Spitznamen "Flamby" - eine Puddingmarke - tituliert wurde, blieb jedoch dabei. Allerdings bauen manche Politiker beider Lager darauf, die Verfassungsrichter könnten das Projekt verhindern. In einer Stellungnahme erklärten diese 2005, in ihren Augen sei es verfassungswidrig, wenn die Steuer "jemandem über 50 Prozent seines Einkommens nimmt". Der Rest ist Auslegungssache: Natürlich nimmt ein Spitzensteuersatz niemandem über die Hälfte des Einkommens weg, denn er greift ohnehin nur für die oberste Tranche - die ersten 1.000 Euro versteuert der Millionär in derselben Höhe wie die Mindestlohnbezieherin. Doch die Gegner der "Millionärssteuer" bauen fest darauf, dass diese an den nicht gewählten "Experten" vom Verfassungsgericht auflaufen könnte. Vorläufiges Fazit Nur eines steht derzeit fest: Falls François Hollande scheitert oder die Hoffnungen seiner Wähler gar zu bitter enttäuscht, dann fällt ihm eine enorme Verantwortung zu. Angesichts dessen, was sich schon im zurückliegenden Wahlkampf tat, lässt sich unschwer vorhersagen: Wenn die Konservativen wiederkommen, dann beim nächsten mal im Bündnis mit den Faschisten. Die extreme Rechte ist, mit 18 Prozent der Stimmen für Marine Le Pen, schon jetzt erstarkt wie noch nie zuvor. Hollande sollte im Blick behalten, dass dieses Lager ihn in den kommenden Jahren nicht in Ruhe lassen und jeden Fehler oder jedes Zurückweichen ausnutzen wird. Artikel von Bernard Schmid, Paris, vom 09.05.2012 1) Vgl. http://sceaux.blog.lemonde.fr/2012/05/07/le-bon-cote-de-la-mondialisation-cest-quon-ne-peut-pas-refaire-1981/ |