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Updated: 18.12.2012 15:51
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Soziale Demagogie der Rechten...

"Wird die rechtsextreme Kandidatin Marine Le Pen bei der bevorstehenden französischen Präsidentschaftswahl von Ende April und Anfang Mai dieses Jahres dabei sein? Am Vormittag des 29. Februar 12 kündigte sie jedenfalls gegenüber der Presse an, „natürlich, zum Glück“ sei sie dabei, sich der Anzahl von 500 Unterstützungsunterschriften gewählter Mandatsträger „zu nähern“. Mindestens 500 solche „Patenschaften“ von Bürgermeistern, Regional- oder nationalen Parlamentariern oder Europaparlamentsabgeordneten sind erforderlich, um als Präsidentschaftskandidat oder –kandidatin antreten zu können" - so beginnt "Die extreme Rechte vor den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen: Soziale Demagogie aus allen Rohren" von Bernard Schmid vom 09. März 2012.

Die extreme Rechte vor den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen: Soziale Demagogie aus allen Rohren

Schlägerangriffe von möglichen Anhängern auf ein Politikerpaar und Zitate Jean-Marie Le Pens von Robert Brasillach sowie Mussolini sorgen unterdessen für einigen Misskredit. Die aktuelle Parteiführung setzt unterdessen auf ein eigenes « Wirtschaftsprogramm ». Unterdessen sorgen ihre Vorschläge und Positionen zu Schwangerschaftsabbrüchen für Kontroversen.

Wird die rechtsextreme Kandidatin Marine Le Pen bei der bevorstehenden französischen Präsidentschaftswahl von Ende April und Anfang Mai dieses Jahres dabei sein? Am Vormittag des 29. Februar 12 kündigte sie jedenfalls gegenüber der Presse an, "natürlich, zum Glück" sei sie dabei, sich der Anzahl von 500 Unterstützungsunterschriften gewählter Mandatsträger "zu nähern". Mindestens 500 solche "Patenschaften" von Bürgermeistern, Regional- oder nationalen Parlamentariern oder Europaparlamentsabgeordneten sind erforderlich, um als Präsidentschaftskandidat oder -kandidatin antreten zu können. (Es gibt in Frankreich insgesamt 36.000 Kommunen und damit Bürgermeister, und alles in allem rund 45.000 Unterschriftsberechtigte im Vorfeld einer Präsidentschaftswahl.)

Ihr Vater Jean-Marie Le Pen hatte in der Vorwoche beim Fernsehsender i-Télé angedeutet, dass die Partei die Hürde wohl nehmen werde, nachdem sie wochenlang ihre Schwierigkeiten beim Sammeln der Unterstützungsunterschriften öffentlich verkündet hatte. Auf die Frage, ob die ganze Aufregung "wieder bei 510 oder 530 Unterschriften enden" werde, antwortete Le Pen senior mit "Glücklichweise, ja".

Am Abend des 01. März 12 veröffentlichte Marine Le Pen nun erstmals die (angebliche) Zahl der von ihrer Partei gesammelten Unterstützungsunterschriften: Diese liegt bei 452. Und sie schlug erneut Alarm, bzw. gab laut eigener Formulierung einen "Hilferuf an die Bürgermeister" ab. Zu dem Zeitpunkt hatte die Partei noch zwei Wochen Zeit, die Unterschriften auf den dafür vorgesehenen speziellen Formularen zu sammeln: Die amtlichen Formulare wurden den Bürgermeistern und sonstigen Mandatsträgern ab dem 22. Februar zugestellt, und nunmehr läuft die Frist noch bis zum 16. März 12, um die ausgefüllten Formulare beim Verfassungsgericht einzureichen. Alles, was vor dem 22. 02. 12 gesammelt wurde, waren nur "Versprechen" (bei denen Rückzieher jederzeit möglich sind), aber noch nicht die definitiven amtlichen Unterschriften. Am 01. März war, bezogen auf die Periode der Sammlung der amtlichen Formulare, also noch nicht einmal "Halbzeit". Die neueste Nachricht dazu vom Donnerstag, den 08. März 12 lautet, dass Marine Le Pen nunmehr noch "rund 30" solcher Patenschaften fehlen, um ans Ziel zu kommen.

Kritiker/innen und politische Konkurrenten behaupteten und behaupten jedoch, es handele sich bei den öffentlich in Szene gesetzten Schwierigkeiten des FN um "Bluff", welcher überwiegend darauf ziele, Aufmerksamkeit zu erregen. Genährt wurde dieser Vorwurf (der notwendig spekulativ bleibt) in der Vorwoche noch durch einen Versprecher von FN-Vizepräsident Louis Aliot: Er sagte am Abend des 21. Februar im Fernsehsender BFM TV, seine Partei habe "510" Unterschriften - zum damaligen Zeitpunkt handelte es sich freilich um Versprechen -, woraufhin er sich rapide auf "410" korrigierte. Am Nachmittag desselben Tages, des 21. Februar 12, hatte der französische Verfassungsgericht - am Vorabend der Versendung der amtlichen Formulare - eine Verfassungsbeschwerde von Marine Le Pen abgelehnt. Diese hatte beantragt, dass in Zukunft Präsidentschaftskandidaturen weiterhin 500 "Patenschaften" unter den Mandatsträgern haben sollen, die Namen der "Paten" aber nicht veröffentlicht werden sollen. Und sie hatte behauptet, das Gesetz von 1976 - das vorsieht, die Namen der "Paten" in den Räumen des Verfassungsgerichts auszuhängen - sei an diesem Punkt verfassungswidrig. Ihre Beschwerde wurde Anfang Februar 12 für zulässig erklärt und verhandelt, dann aber in der Sache abgelehnt. Daraufhin hatte eine Prominenten in Gestalt von Brigitte Bardot einen Brief an alle Bürgermeister Frankreichs verschickt, um diese aufzufordern, ihre Unterschrift für eine Kandidatur(möglichkeit) Marine Le Pens zu leisten. Die alternde Schauspielerin und Tierschützerin ist seit längerem dafür bekannt, dass sie ausgesprochen "rechte" Auffassungen kultiviert, und heiratete 1992 in vierter Ehe einen Parteiaktivisten des FN: den Industriellen Bernard d'Ormale. (Hingegen wird von den "Paten" unter den Mandatsträgern nicht unbedingt gefordert, dass sie auch inhaltliche Überzeugungen mit den Kandidatinnen teilen, deren Bewerbung bei der Präsidentschaftswahl ermöglichen. Tatsächlich unterzeichnen manche von ihnen nur, "um das pluralistische Funktionieren der Demokratie zu ermöglichen".)

Aber falls Marine Le Pen je nicht zur Präsidentschaftswahl antreten könnte - was im Augenblick noch als eher unwahrscheinlich gelten sollte -, dann hätte dies unter anderem noch eine weitere wichtige Konsequenz für den FN: Die Partei hätte dann keinerlei Anspruch auf Wahlkampfkosten-Rückerstattung. Aus diesem Grund sind bislang auch die Banken eher zurückhaltend dabei, der rechtsextremen Partei Kredite zu erteilen, da ihnen deren Rückzahlung nicht hinreichend garantiert erscheint. Deswegen wiederum sah sich der Front National in jüngster Zeit gezwungen (so wird jedenfalls am 28. Februar 12 auf der Webseite der Tageszeitung ,Le Figaro' behauptet), "aus Geldmangel einige Wahlveranstaltungen abzusagen". Nach dem 16. März, und im Falle einer Kandidatur Marine Le Pens, dürfte sich dies allerdings noch ändern.

Keine Wahlempfehlung zwischen den Hauptkandidaten

Am 29. Februar 12 verkündete die Chefin des Front National (FN) ebenfalls, wenn sie an der Wahl teilnahmen aber dann - entgegen ihrer Erwartungen - nicht in die Stichwahl am 06. Mai einziehen könne, dann werde sie "keinerlei Wahlempfehlung" für einen der beiden Bestplatzierten abgeben. Denn Nicolas Sarkozy und François Hollande seien in politischer Hinsicht "siamesische Zwillinge".

Nächtliche Attacke auf Politikerpaar

Nur Minuten später musste Marine Le Pen sich dann jedoch aus anderen Gründen öffentlich rechtfertigen: In der Nacht vom 28. zum 29. Februar 12 (zunächst auf Twitter) und in den frühen Morgenstunden des letzten Februartags wurde bekannt, dass am Vorabend im 15. Pariser Bezirk ein Angriff auf einen Politprominenten und seine Freundin erfolgt war. Es handelte sich um den sozialdemokratischen Politiker Arnaud Montebourg und seine Lebensgefährtin, die karibikfranzösische Journalistin Audrey Pulvar. Beide waren am Vorabend durch eine Gruppe von 15 Personen verbal attackiert worden waren, die bei ihrem Anblick angeblich "Juden, Juden, Juden" (auf deutsch) ausriefen. Auch wurden aus der Gruppe heraus zwei Gläser in ihre Richtung geworfen, wobei allerdings Augenzeugen von einem wenig zielgerichteten Wurf sprechen. Die mutmaßlichen Rechtsextremen riefen ersten Berichten zufolge Parolen und Sprüche wie "Jean-Marie Le Pen hat uns eine Erlaubnis zur Jagd auf Juden ab Mitternacht gegeben", "Frankreich den Franzosen" und "Le Pen, Präsident" - letzterer Slogan stammt eher aus der Zeit, als der Vater bis im Januar 2011 Parteivorsitzender war. Wahrscheinlich steht der Angriff im Zusammenhang mit einem Auflauf rechtsextremer Fußballhooligans, die sich am selben Abend zum "Gedenken" an einen rechtsradikalen Hooligankumpanen versammelt hatten - er war 2004 nach einem Angriff auf Fans eines israelischen Fußballclubs durch einen schwarzen Polizisten, wohl in Notwehr (Nothilfe), erschossen worden.

Marine Le Pen antwortete auf Fragen von Journalisten dazu: "Normalerweise bin ich es, die Opfer von Angriffen werde." Ansonsten solle "die Polizei ihre Arbeit tun". Einstweilen sei nicht erwiesen, dass "diese Leute" etwas mit ihrer Partei zu tun hätten. Unterdessen hat Marine Le Pen in der Zwischenzeit Strafanzeige gegen Arnaud Montebourg wegen "übler Nachrede" erstattet, weil dieser den FN jedenfalls insofern mit dem Angriff in Verbindung gebracht hatte, als er ihm das "Schüren eines rassistischen Klimas" vorwarf. Und ihr Vater Jean-Marie Le Pen seinerseits erstattete Anzeige gegen Unbekannt. Und zwar gegen "die Provokateure", die sich - wohl fälschlich - als angebliche Sympathisanten der Partei ausgäben, "und gegen jene, die ihre Parolen aufgreifen und wiedergeben" (also das angegriffene Politikerpaar).

Jean-Marie Le Pen hat in jüngerer Vergangenheit bereits auf andere Weise der von ihr so bezeichneten Strategie der "Entdiabolisierung" seiner Tochter Steine in den Weg gelegt. Der langjährige Chef des FN, von seiner Gründung im Oktober 1972 bis vor gut einem Jahr, glaubt nicht besonders an diese Strategie - ihm zufolge droht sie dazu zu führen, dass die Partei langweilig und verwechselbar werde. Auf dem zweitägigen "Präsidentschaftskandidat" des FN am 18. und 19. Februar d.J. in Lille tanzte der 83jährige deswegen einmal mehr aus der Reihe und zog einige Aufmerksamkeit auf sich, indem er Verse des antisemitischen Schriftstellers Robert Brasillach zitierte. Jener war im Februar 1945 als Nazikollaborateur standrechtlich erschossen worden. Als Jean-Marie Le Pen daraufhin vielfach aufgefordert wurde, sich zu distanzieren, rechtfertigte er sich in einem Interview im "Tagebuch des JMLP" - einer Videoserie auf der Webseite des FN - unter anderem unter Rückgriff auf ein Zitat von Benito Mussolini.

Pseudo-antikapitalistische Demagogie...

Die Tochter hingegen griff bei der Großveranstaltung in Lille verbal den "Eurofaschismus" heftig an. Allerdings meinte sie nicht - wie staunende Beobachter auf den ersten Blick hätten glauben können - das grenzübergreifende Bündnis rechtsextremer Kräfte, als sie diesen Begriff benutzte. Etwa ihre Kontakte zu österreichischen Burschenschaftern, in deren Milieu sich zahllose Neonazis und Holocaustleugner tummeln; Marine Le Pen war erst Ende Januar in Wien bei ihrem jährlichen "WKR-Ball" (am 27. 01. dieses Jahres) zu Gast gewesen. Vielmehr meinte sie die supranationalen Institutionen der EU, deren Opfer heute Griechenland sei und morgen Frankreich zu werden drohe.

Auch vermeintlich antikapitalistische Phraseologie bemühte Marine Le Pen bei ihrem Auftritt in Lille, und stand damit in gewisser Weise in der Traditionslinie ihres Vaters, unter dem der FN nach dem Ende des Kalten Krieges zu Anfang der neunziger Jahren einen stark sozialdemagogisch unterlegten Kurs eingeschlagen hatte - im Glauben, nach dem "Tod des Marxismus" sei man nunmehr die neue und einzige "Fundamentalopposition".

So malte Marine Le Pen ein finsteres Bild des linken Präsidentschaftskandidaten Jean-Luc Mélenchon, Vertreter eines Bündnisses aus französischer KP und einer Linksabspaltung der Sozialdemokratie - als Arbeiterverräter. Von ihm solle man nicht erwarten, er werde "die Arbeiterschaft und die französische Industrie retten". Vielmehr sei es "absolut voraussehbar, dass er im zweiten Wahlgang" der Präsidentschaftswahlen dazu aufrufen werde, für den sozialdemokratischen Kandidaten "François Hollande zu stimmen". Danach werde er "als Minister in einer Linksregierung enden, die am Schluss handeln wird wie die Regierung von Jules Moch und auf die Arbeiter schießen lässt, die sich weigern, ein Schicksal wie die griechischen Arbeiter zu akzeptieren."

Jules Moch war sozialdemokratischer Premierminister während des großen Bergarbeiterstreiks im Winter 1947/48, der durch die damals deutlich kommunistisch-statlinisch geprägte Gewerkschaft CGT angeführt wurde. Auslöser des Streiks waren nicht nur die schlechten Arbeits- und Lebensbedingungen der Bergarbeiter, sondern auch der Ausbruch des Kalten Krieges - das Kalkül der sowjetischen Außenpolitik spielte eine wichtige Rolle bei den Entscheidungen der französischen KP und der damaligen CGT. Zu Anfang 1947 hatten diese noch zum "Anpacken beim Wiederaufbau Frankreichs nach dem Krieg" aufgerufen und jeden Streik verdammt, doch der Beginn des Kalten Krieges ließ sie das Ruder um 180 Grad herumwerfen.

Schwerpunkt des Streiks war die französische Region Nord-Pas de Calais in der Nähe der belgischen Grenze. Also dort, wo Marine Le Pen am Wochenende des 18./19. Februar auftrat. Die Region Nord-Pas de Calais ist heute eine der Regionen, wo der rechtsextreme Front National bei Wahlen überdurchschnittlich stark abschneidet. Anders als in anderen französischen Regionen kommen hier besonders viele Wähler aus der enttäuschten und desorientierten früheren Anhängerschaft der Linksparteien. Und viele örtliche Kader des FN können einen kommunistischen Großvater aufweisen, wie etwa Steeve Briois. Der Enddreißiger wurde beim letzten Parteikongress vor 14 Monaten zum neuen Generalsekretär der Partei ernannt. Seit über zehn Jahren betrieb er zuvor, methodisch und systematisch, die soziale Verankerung der extremen Rechten in dem sozialen Krisengebiet - durch Nachbarschaftshilfe, Mieterberatung, Vermittlung von Arbeitsplätzen dank eines Netzes an sozialen Kontakten. Und durch blitzschnelles Reagieren auf örtliche Ereignisse, vom brennenden Auto über Einbrüche bis zum Sozialplan bei einer Firma.

... und Beschwören ländlich-konserativer Idylle

Szenenwechsel: Am Sonntag, den 26. Februar 12 trat Marine Le Pen nicht in einer historisch als "rot" geltenden Region auf wie in Lille, sondern hielt eine Großkundgebung in der beschaulichen Provinzstadt Châteauroux ab. Und hier klang ihre Rede ganz anders. "Ich liebe das ländliche und das dörfliche Frankreich." Und: "Die französische Seele ist zutiefst bäuerlich. Unsere Landschaften sind Räume einer unerhörten Reichhaltigkeit, wo Frankreich mit dem Besten, was seine Kultur zu bieten hat, fortlebt." Neben dieser rhetorischen Beschwörung des ländlichen Raums trug Marine Le Pen ein paar konkrete Vorschläge vor, wie sie auch von anderen politischen Kräften geteilt werden: eine Absage an den Kahlschlag bei "nicht rentablen" öffentlichen Dienstleistungen, keine Schließung von Postämtern und Schulen. Alles in allem setzte sie hier auf eine traditionelle und eher konservative Wählerschaft. Ihr wird die Bedrohung ihrer vermeintlichen Idylle durch Zuwanderung, Kriminalität und durch den beschworenen Niedergang Frankreichs ausgemalt.

Diese chamäleonhafte Wandlung des Auftretens, je nach Zusammensetzung des Publikums, ist bei der extremen Rechten grundsätzlich nichts Neues. Es gibt keine innere Logik, keine Kohärenz ihres Diskurses - bis auf ein unwandelbares Element, nämlich den Anspruch, die "Eigenen" gegen die Fremden, und die Nation gegen ihre Feinde zu verteidigen. Alles Andere im Diskurs und in der Programmatik der extremen Rechten kann an konkrete Bedürfnisse des Publikums angepasst werden.

Roter Faden "Wirtschaftsprogrammatik"

Als roter Faden in ihrem Präsidentschaftswahlkampf dienen Marine Le Pen in diesem Jahr jedoch besonders wirtschafts- und sozialpolitische Thematiken, die vor allem unter dem Blickwinkel der Abwehr gegen die "Abwanderung der französischen Industrie ins Ausland" präsentiert werden. Auch diese Strategie hat der FN bereits in den 1990er Jahren unter ihrem Vater erprobt, wobei die rechte "Globalisierungskritik" damals noch wesentlich stärker mit verschwörungstheoretischen und offen antisemitischen Inhalten durchsetzt war. Diese erkennbar braunen Spitzen hat Marine Le Pen in ihrer Argumentation abgeschnitten, jedoch das Grundmuster beibehalten - wobei sie unter die Argumentation der extremen Rechten eine größere Anzahl von Plagiaten aus Texten von linken oder keynesianistischen Autoren untermixt.

Zum ersten Mal allerdings wird die extreme Rechte in ihrer Argumentation auf diesem Gebiet inzwischen so ernst genommen, dass bürgerliche Politiker und Wirtschaftsprofessoren ihr antworten, um die "Unseriosität" der Lösungsvorschläge Marine Le Pens zu belegen. Alle Versprechen - wie die Erhöhung aller niedrigen Löhne um 200 Euro pro Monat - möchte diese einerseits durch die "Beendigung der Einwanderung" und die Rückkehr von Arbeitsmigranten in ihre Herkunftsländer finanzieren, zum Zweiten durch die Abkehr vom Euro und drittens durch Sondersteuern auf alle Importprodukte. Letzteres, so verspricht sie zugleich, soll "ohne Preissteigerungen" für die konsumierenden Franzosen von sich gehen.

Daran macht sich die harsche Kritik von bürgerlichen Wirtschaftswissenschaftlern fest, die akribisch nachzuweisen versuchen, dass diese Rechnung nicht aufgehe. Marine Le Pen macht sich dies wiederum oft zunutze, um umso stärker zu betonen, sie sei "die Kandidatin gegen das System und die Eliten". Bei einem Auftritt im Abendprogramm des zweiten Fernsehkanals ,France 2' - zur besten Sendezeit - am Abend des 23. Februar 12 wurde Marine Le Pen etwa durch den Wirtschaftswissenschaftler François Lenglet scharf angegangen. Ihm gegenüber sah sie zeitweilig relativ alt, da nicht hinreichend kompetent, aus. Dagegen war die Debatte mit dem bürgerlich-patriotischen Ideologen Henri Guaino, der als einer von mehreren Redenschreibern Nicolas Sarkozys tätig ist, ein Genuss für die rechtsextreme Politikerin: Guaino betonte einige gemeinsame Werte, um dann jedoch seinen Kandidaten (Sarkozy) als die moderate, vernünftige und effiziente Alternative und Marine Le Pen als die radikale Ausgabe darzustellen. Mit ihm hatte Marine Le Pen leichtes Spiel, indem sie an die in jeglicher Hinsicht eher klägliche Bilanz Sarkozys erinnerte.

Ins Schwitzen kam sie jedoch gegenüber dem linksreformistischen Präsidentschaftskandidaten Jean-Luc Mélenchon, der für ein gemeinsamen Wahlbündnis der französischen KP und einer Linksabspaltung von der Sozialdemokratie antritt. Dieser griff sie inhaltlich scharf an, während Marine Le Pen jegliche Debatte mit dem (laut ihren Worten) "öffentlichen Beleidiger" verweigerte und ihm in der Sendung demonstrativ den Rücken zuwandte - während Mélenchon weiter argumentierte. Auf der Webseite der Boulevardzeitung ,Le Parisien' wurden daraufhin LeserInnen befragt, "wer die Debatte gewonnen" habe, "Le Pen oder Mélenchon". Obwohl auch die Bezieher/innen der täglichen Newsletter des FN alsbald dazu aufgefordert wurden, ihr Online-Votum dazu abzugeben, fiel das Ergebnis mit über 91 % zugunsten Jean-Luc Mélenchons sehr deutlich aus. Kurz darauf forderte dann allerdings Marine Le Pens Vater und Amtsvorgänger als Parteichef - Jean-Marie Le Pen - seinerseits Mélenchon zum gemeinsamen öffentlichen Debattieren auf, mit den Worten, dass er ihm dann dabei "die Unterhose ausziehen werde". Dieses Mal lehnte Mélenchon es ab, mit dem alternden Jean-Marie Le Pen (inzwischen 83) zu debattieren, und forderte stattdessen weiterhin eine Debatte mit der Tochter und aktuellen Präsidentschaftskandidatin des Front National ein.

Eines der Themen, bei denen Jean-Luc Mélenchon die rechtsextreme Kandidatin bei der TV-Debatte scharf angegriffen hatte, war die Abtreibung. Seit deren Legalisierung durch ein Gesetz vom Januar 1975 (die ,Loi Veil') hatte die extreme Rechte lange Jahre mehrheitlich ihr erneutes Verbot eingefordert. Jedoch nicht Marine Le Pen, die deswegen - und weil sie selbst doppelt geschieden ist - seit den 2000er Jahren neben den "Traditionalisten" ihrer Partei als "Modernisierin" auftreten konnte, jedoch u.a. vom nationalkatholischen und katholisch-fundamentalistischen Flügel des FN heftigen Anfeindungen ausgesetzt war. Marine Le Pen fordert nicht unmittelbar ein Verbot von Abtreibungen, trat jedoch in den letzten Jahren für eine Förderung - durch finanzielle Begünstigungen für Mütter und Familien bspw. - von "französischen Geburten" - ein.

Bei der TV-Debatte vom 23. Februar 12 sprach sic sich u.a. gegen "Bequemlichkeits-Abtreibungen" aus (die nur vorgenommen würden, weil die betroffenen Frauen es unterlassen würden, Verhütungsmittel zu nehmen, also Schwangerschaftsabbrüche als Quasi-Verhütungsmethode praktizierten). Bei dieser vorgeblichen Kategorie von Abtreibungen sprach Marine Le Pen sich für die Abschaffung der bislang z.T garantieren Krankenkassenfinanzierung des Eingriffs aus. Auf Nachfrage von Journalisten sowie ihres linkssozialdemokratischen Widersachers in der Debatte - Jean-Luc Mélenchon - hin führte Madame Le Pen daraufhin das Beispiel "alter Leute" an, die sich "keine Medikamente mehr leisten" könnten, weswegen die gesetzliche Krankenkasse vorrangig für deren Bedürfnisse aufkommen statt Abtreibungen finanzieren soll. Mélenchon erwiderte ihr darauf hin, dass Schwangerschaftsabbrüche dadurch zur Geldfrage würden und vor allem reicheren Frauen offenstünden (und verwahrte sich gegen das Gegeneinander-Ausspielen der Frauen und der "älteren Leute ohne Geld für Medikamente"). Als die rechtsextreme Politikerin darauf erwiderte, ferner sei sie ja auch für die "Freigabe zur Adoption" unerwünschter, aber nicht abgetriebener Kinder, bezeichnete Mélenchon dies als "Legalisierung der Leihmutterschaft". Und "morgen (würden) dann Milliardäre sich unter diesem Vorwand ihre Leihmütter aussuchen können".

Am gestrigen internationalen Frauentag am 08. März flammte die Kontroverse auf. Marine Le Pen wetterte erneut gegen die von ihr so bezeichneten "Bequemlichkeits-Abtreibungen" - ebenso wie ihr Vize-Parteivorsitzender und Lebensgefährte Louis Aliot am Vormittag im Radiosender ,France Inter', der daraufhin von einer Journalistin des Senders im Interview wüst angekoffert wurde (sein Ausdruck sei "ekelhaft"). Im Laufe des Tages versuchte Marine Le Pen sich dann aber zur Vorkämpferin für die sozialen Rechte der Frauen aufzuschwingen: Statt über Abtreibungen müsse man über Kindergartenplätze diskutieren, von denen es zu wenig gebe - was zutrifft -, weshalb man die Kommunen gesetzlich zur Einrichtung einer ausreichenden Zahl von Kindergartenplätze verpflichten müsse. Die durch Marine Le Pen losgetretene Kontroverse über eine Einstellung der Krankenkassen-Rückzahlung für Schwangerschaftsabbrüche beschäftigte einen Teil des Tages über die französischen Medien.

B. Schmid 9. März 2012


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