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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Frankreich, Rechte und Rechtsextreme im beginnenden Wahlkampf (Teil 2): Nicolas Sarkozy versucht dem Front National das Wasser abzugraben. Marine Le Pen verstärkt im Gegenzug ihre soziale Demagogie Fortsetzung unseres Ende Januar begonnenen, aktuellen Berichts - vgl. Teil 1 unter: http://labournet.de/internationales/fr/wahl12_3.html Jedenfalls die Lacher hatte Nicolas Sarkozy in den letzten Tagen kurzfristig voll auf seiner Seite, nachdem er sein Wahlplakat für die Präsidentschaftswahlen vom 22. April und 06. Mai d.J. präsentierte. Am vergangenen Mittwoch, den 15. Februar 12 durchbrach der Amtsinhaber die durch die bürgerlichen Medien künstlich aufgespannte Spannung und erklärte im ersten Kanal des französischen Fernsehens: " Ja, ich bin Kandidat." Das Plakat mit dem zentralen Wahlkampfslogan des Anwärters auf seine Wiederwahl wurde am selben Tag durch seine Berater veröffentlicht. Es zeigt den Präsidenten und nunmehrigen erneuten Kandidaten vor dem Hintergrund einer Wellenlandschaft. Die Aufschrift dazu lautet: La France forte , "Das starke Frankreich". Spötter begannen sich schon kurz darauf zu mokieren. Im Internet sah man vielfach das Wahlplakat Sarkozys in unzähligen Abwandlungen. Eine davon zeigte etwa im Hintergrund das gleich bleibende Meer, aber auch das Wrack des vor einem Monat vor der Insel Giglio verunglückten italienischen Dampfers Costa Concordia . Lustig wurde es in den letzten Tagen aber erst richtig, als Fotospezialisten der Pariser Abendzeitung Le Monde mehr über die Aufnahme heraus bekamen, die dem Plakat zugrunde liegt. Zwischen den Pixeln des Fotos lassen sich nämlich Detailangaben zur Bildagentur, die das Foto zuerst publiziert hatten, zu Ort und Zeit der Aufnahme herausfiltern. Und das Meer, vor dem Sarkozy sich im Studio photographieren ließ, gehört - zu Griechenland. In diesen Tagen, während Tausende Griechen in Armut und Elend gestürzt sind und das deutsch-französische Tandem "Merkozy" in der Europäischen Union immer drängender gegenüber dem "Pleitestaat" auftritt, passt dies wie die Faust aufs Auge. Die rechtsextreme Kandidatin Marine Le Pen griff die Anekdote am Wochenende auf, um zu prophezeien, Frankreich werde ähnlich enden wie Griechenland, das soeben durch die EU "in die Steinzeit zurück" befördert werde. Anders als deutsche Rechte und viele deutsche Medien stellt Le Pen Griechenland stets als Opfer der supranationalen Strukturen dar, und nicht als Staat der Schuldigen, Faulen und Parasiten. Sarkozy, so tönte Marine Le Pen auf ihrem "Präsidentschaftskonvent" am Samstag und Sonntag, den 18. und 19. Februar in Lille - wo ihr Vater Jean-Marie den 1944 erschossenen antisemitischen Schriftsteller Robert Brasillach mit einem seiner Gedichtverse zitierte -, stehe der Kandidat nicht für la France forte , sondern la France morte . Also "das tote Frankreich". "Präsidentschaftskonvent" des FN in Lille Ansonsten setzte Marine Le Pen auf eine sich zunehmend steigernde soziale Demagogie. Sie selbst bezeichnete sich, wie bereits am Vorabend anlässlich ihrer Einladung in die Abendnachrichten von TF1 (des 1987 privatisierten, ersten Kanals des französischen Fernsehens), als "Kandidatin der Volksrevolte, des Zornes des kleinen Volkes". Wobei die französischen Begriffe le peuple und, davon als Adjektiv abgeleitet, populaire durch den deutschen Begriff "Volk" nur ungenau wiedergegeben sind. Denn der französische Begriff bezeichnet vie stärker als der deutschsprachige eine soziale Kategorie ("die Leute von unten gegen die da oben"); ein quartier populaire ist nicht etwa - wie in dummdeutschen Übersetzungen bisweilen zu lesen ist - ein "volkstümliches Viertel", sondern ein Unterklassen-Stadtteil. Sogar den linkssozialdemokratischen Kandidaten Jean-Luc Mélenchon, der auch durch die Französische kommunistische Partei (den PCF) unterstützt wird, versuchte Marine Le Pen aus diesem Anlass als Kandidatin "der sozialen Unzufriedenheit" zu übertrumpfen. So posaunte sie am Wochenende in Lille hinaus: "Monsieur Mélenchon glaubt anscheinend, es genüge, dass er einen roten Schal trägt (.), um die Arbeiterschaft und die französische Industrie zu retten. (Anm.: Im Geiste Marine Le Pens bedeutet dies natürlich überwiegend: gegen Produktionsverlagerungen ins Ausland.) Aber sein unvermeidbarer und voraussehbarer Aufruf dazu, (Anm.: in der Stichwahl um die französische Präsident für den sozialdemokratischen Kandidaten) François Hollande zu stimmen, wird ihm einen guten Platz als Totengräber des Volkes einräumen. Er wird als Minister in einer Linksregierung enden, die enden wird wie jene von Jules Moch (Anm.: Anspielung auf das Verhalten des damaligen Kabinetts gegenüber dem Bergarbeiterstreik von 1947/48), indem sie auf die Arbeiter schießen lässt, die sich weigern, ein Schicksal wie das der griechischen Werktätigen zu akzeptieren." Rechte Demagogie vom feinsten! Natürlich gekoppelt an eine heftige Agitation gegen die supranationale Einbindung in die Europäische Union, welche - neben der Globalisierung, präsentiert als Komplott gegen die Nationen und zur Zerstörung ihrer Industrien - als Quelle allen Übels hingestellt wird. Marine Le Pen sprach in diesem Zusammenhang bei ihrem Auftritt in Lille gar von "Eurofaschismus" , wobei dieser Begriff nicht etwa die Zusammenarbeit zwischen dem französischen FN und der österreichischen FPÖ (vgl. unten) oder ähnlichen Parteien bezeichnete, sondern die EU-Institutionen in Brüssel. Letztere bezeichnete sie als "Zitadelle des Finanzkapitals, Besatzungssitz der Banken und multinationalen Konzerne, ein Haus der Knechtschaft, das die Völker zermalmt und die Griechen zum Schlachthof führt - wie uns morgen." Rechts macht Rechtsaußen Konkurrenz Marine Le Pen muss sich anstrengen, um möglichst viel verlorenes Terrain wieder wettzumachen. Glaubt man der Mehrzahl der verfügbaren Umfragen, hat in den letzten Wochen ihr Stimmenpolster leicht abgenommen. In den meisten Vorwahlumfragen liegt Marine Le Pen derzeit eher bei 16 bis 17 Prozent (gegenüber über 20 % im Frühjahr 2011), nur eine Befragung zeigt sie derzeit noch bei zwanzig Prozent. Eine detaillierte Meinungsstudie unter dem Titel Présidoscopie, welche am 16. Februar 12 durch die Pariser Abendzeitung Le Monde vorgestellt wurde, zeigt einen leichten Rückgang der Stimmabsichten für Marine Le Pen von zuvor 18 % auf noch 16 %. Demnach verlor sie je ein halbes Prozent an die beiden stärksten Kandidaten Nicolas Sarkozy und François Hollande, noch ein halbes Prozent zugunsten des bürgerlichen Mitte-Rechts-Oppositionspolitikers François Bayrou, und weitere 0,5 % an den Linkssozialdemokraten Jean-Luc Mélenchon. (Letztere dürften wohl eher in die, i.Ü. problematische, Kategorie "Protestwähler/innen" fallen.) Umso heftiger und lautstärker agitiert Marine Le Pen nunmehr gegen den Amtsinhaber und erneuten Präsidentschaftskandidaten Nicolas Sarkozy, als die Regierungsrechte in den letzten Wochen ideologisches Terrain vom FN zu übernehmen versuchte (vgl. auch unseren Teil 1 dazu). Dabei setzt zumindest ein Teil des Regierungslagers offenkundig auf scharfe ideologische Polarisierung gegenüber der sozialdemokratischen Opposition - du gros rouge qui tache , wie Sarkozy es mehrfach vor Beratern formulierte, also ungefähr "mit dickem Rotstift, der (beim Schreiben) Flecken hinterlässt" . Sarkozys Kalkül lautet, dass "eine Expertenkampagne etwa zu wirtschaftlichen und sozialen Themen das Publikum langweilt" , und die Unterschiede zwischen dem konservativ-wirtschaftsliberalen Lager und der im Anwärterstand auf die Regierungsposition stehende Sozialdemokratie dabei "nicht klar zu Tage träten" . Diese Lehre habe er aus den beiden Fernsehdebatten zwischen Spitzenpolitikern beider Seiten, Alain Juppé und François Hollande im einen und François Fillon sowie Martine Aubry im anderen Falle, gezogen. So setzte sich Sarkozy am vorletzten Wochenende - kurz vor der offiziellen Bestätigung seiner Kandidatur - in Szene, indem er dem konservativ-reaktionären Wochenmagazin Le Figaro Magazine ein sehr langes Interview gewährte. Es erschien am 11. Februar 12 unter dem Titel "Meine Werte für Frankreich" und kündigte erstmals offen die Absicht Sarkozy zu einer erneuten Präsidentschaftskandidatur an. Darin spricht der Präsident und Kandidat für seine Nachfolger sich unter anderem für mehr Volksabstimmungen in der nächsten Amtsperiode aus, und nennt auch gleich zwei Themen, zu denen er ein Referendum anberaumen möchte: den Umgang mit Arbeitslosen und jenen mit "illegalen" Einwanderer. Als allererstes möchte er das Wohlvolk darüber befinden lassen, ob und in welchem Ausmaß Erwerbslose noch ein Recht auf Unterstützung haben sollen, "wenn sie ein Arbeitsangebot oder eine Fortbildung ablehnen". Zwar können Arbeitslose schon bislang sanktioniert werden, falls sie solche "Angebote" ausschlagen, jedoch nicht in vergleichbar starkem Maße wie in Deutschland oder Dänemark. Dass eine wichtige politische Entscheidung per Referendum getroffen wird, ist zwar in Frankreich nichts gänzlich Neues: Unter der 1958 eingerichteten Fünften Republik fanden bislang neun solcher Abstimmungen statt, in der Regel zu Fragen des Staatsaufbaus, und zuletzt zur Verkürzung der Amtszeit des Präsidenten (2001) sowie zum Europäischen Verfassungsvertrag im Jahr 2005. Noch nicht dagewesen ist jedoch, dass eine Volksabstimmung anberaumt wird, bei welcher die Mehrheit über fundamentale Interessen einer mehr oder minder schutzlos gestellten Minderheit quasi zu Gericht sitzen soll. Der bürgerliche Mitte-Rechts-Oppositionspolitiker und Präsidentschaftskandidat François Bayrou antwortete denn auch auf Sarkozy, mit dessen neuesten Vorschlägen rutsche er "auf ein gefährliches Terrain". Hingegen antwortete im Namen des FN dessen Vizepräsident (und Lebensgefährte von Marine Le Pen), Louis Aliot, indem er sofort für seine Partei das Copyright auf die Idee anzumelden versuchte: Seine Partei, erklärte Aliot, habe sich schon immer für eine "Abstimmungs-Republik" eingesetzt. Nicolas Sarkozy kopiere sie nunmehr lediglich. Rechtsaußenparlamentarier Christian Vanneste sanktioniert Um Vorwürfen entgegen zu steuern, die regierende Rechte gebe dabei autoritären und rassistischen Strömungen zu weit nach, hat der konservativ-wirtschaftsliberale Bürgerblock nun an einem Punkt die Reißleine gezogen. Vergangene Woche wurde bei der Regierungspartei UMP ein Ausschlussverfahren gegen den, als notorischer Rechtsaußen bekannten, Abgeordneten Christian Vanneste eingeleitet. In einem am 10. Februar 12 publizierten Interview hatte Vanneste einmal mehr gegen Schwule gehetzt, was zu seinen Spezialitäten zählt, und sich dabei über "die Legende, Homosexuelle seien während des Zweiten Weltkriegs aus Frankreich deportier worden", mokiert. Tatsächlich hat es unter der Nazibesatzung in Frankreich keine mit der Situation im Reichsgebiet vergleichbaren Massendeportationen von Homosexuellen gegeben. Historiker sammelten jedoch die Namen von 62 Franzosen, die allein aufgrund ihrer Homosexualität deportiert worden waren. Vanneste hat nicht zum ersten Mal durch Sprüche über Homosexuelle - deren Liebe ihm zufolge "den Fortbestand der Menschheit gefährdet" - die Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Zur selben Zeit wollte der Parlamentarier am Donnerstag, den 16. Februar 12 am Kolloquium eines obskuren Instituts für Bevölkerungspolitik, das von dem Rechtsextremen Yves-Marie Laulan geleitet wird, teilnehmen. Auf der Rednerliste standen auch Aktivisten aus dem Umfeld des Front National (Gilbert Collard), des Bloc identitaire und anderer neofaschistischer Organisationen. Aufgrund eines Hinweisartikels in Le Monde musste Vanneste seine Beteiligung in letzter Minute annullierte - auch Collard sagte ab -, aber das Ausschlussverfahren gegen ihn bei der UMP lief bereits an. Übrigens nutzte auch der Front National die Gunst der Stunde, um sich neben Vanneste als geradezu moderat zu profilieren. Sein Vizepräsident Louis Aliot griff Vanneste für seinen letzten Ausspruch an (dieser sei unbestritten "eine Dummheit") und empfahl ihm öffentlich, "einmal Geschichtsbücher zu öffnen " und darin zu lesen. Hingegen unterstützten zwei notorische Rechtsausleger aus der Parlamentsfraktion der regierenden UMP, darunter der einschlägig bekannte Lionnel Luca aus Nizza, Vanneste gegen die Ausschlussdrohung. "Bunt gemischtes" Unterstützerkomitee: Afrikanische Nationalistin, jüdischer Extremist... Nämlicher Gilbert Collard ist i.Ü. auch das wohl prominenteste Mitglied des "Unterstützerkomitees" für Marine Le Pen, das offiziell am 01. Februar 12 vorgestellt wurde. Der Anwalt war früher sogar bei einer antirassistischen Organisation aktiv, dem MRAP. Er wurde dort jedoch 1990 ausgeschlossen, weil er sich bei der gerichtlichen Verteidigung eines Holocaustleugners - zwecks eigener Legitimierung - mit seinen dortigen Funktionen brüstete und zudem noch falsche Angaben darüber machte, indem er sich zu Unrecht einen Vorsitzendenposten (im Stadtverband von Marseille) andichtete. In den Jahren danach war er vor allem auf dem rechten Flügel der Bürgerlichen unterwegs gewesen und war Kommunalparlamentarier. in Vichy. Ihm zur Seite steht eine bunte Mischung von Personen, wobei darauf Wert gelegt wurde, möglichst einen Namen aus jeder potenziell von Rassismus oder Antisemitismus betroffenen Gruppe zur Verfügung zu haben. Als willkommenes Alibi zur Abwehr von Rassismusvorwürfen, insbesondere. Als Afrikanerin gehört etwa die aus der Côte d'Ivoire (Elfenbeinküste) stammende Rosine Nahounou dem Komitee an. Sie ist eine Unterstützerin des früheren nationalistischen Präsidenten Laurent Gbagbo, der im April 2011 durch eine militärische Intervention unter maßgeblicher Beteiligung Frankreichs gestürzt wurde. Der Front National, der in der Außenpolitik oft isolationistische Positionen einnimmt (wertvolles französisches Blut dürfe nicht "für fremde Interessen vergossen" werden), hatte die französische Rolle dabei heftig kritisiert. Und der araberfeindliche jüdische Extremist Michel Ciardi, der eine eigene (unbedeutende) "Union jüdischer Franzosen" anführt, hat in dem Komitee unter anderem die Abwehr von Antisemitismusvorwürfen zur Aufgabe. Marine Le Pen bei deutschsprachigen Nazigestalten unterwegs Vor diesem Hintergrund antwortete er auf die scharfe Kritik, die Marine Le Pen in Frankreich erntete, nachdem sie am 27. Januar 12 in Wien am "WKR-Ball" rechter Burschenschaften des "Wiener Kooperations-Rings" teilgenommen hatte. Auf Einladung von FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache weilte sie damals in Österreich. Auf ihrem Besuchsprogramm stand auch das Büro des äußerst umstrittenen "dritten Nationalratspräsidenten" des österreichischen Parlaments, Martin Graf. Der FPÖ-Politiker ist auch Mitglied der Burschenschaft Olympia, deren Verbindungen zu Neonazis und Holocaustleugnern durchsichtig sind. In Frankreich hagelte es deswegen Kritik an Marine Le Pen, die "zu Hause" für ein Profil der von ihr so genannten "Entdiabolisierung" - dazu gehören die Distanzierung von Antisemitismus, historischem Faschismus und Nazisympathien - steht. Die Vereinigung SOS Racisme und die Union jüdischer Studierender Frankreichs (UEJF) kritisierten solche Kontakte Le Pens in Österreich scharf. Daraufhin kündigte die FN-Politiker eine Strafanzeige wegen "Verleumdung" gegen die beiden Organisationen an. Zugleich beeilte sie sich, am 1. Februar vor Journalisten zu erklären, der Nationalsozialismus sei "ein Gräuel" gewesen. Sie "bedauere es manchmal, nicht zu jener Zeit gelebt zu haben". Wichtig war der Zusatz: Allerdings deswegen, weil sie so die Chance versäumt habe, "ihn zu bekämpfen". Aktuelle Fortsetzung dazu: "Demnächst in diesem Theater"... Artikel von Bernard Schmid zu den Wahlkämpfen in Frankreich vom 21. Februar 2012 |