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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Giftzwergs Abgang Nicolas Sarkozy wird wieder Wirtschaftsanwalt. In diesem Beruf kann er voraussichtlich etwas weniger Schaden anrichten als in dem bisherigen, den er zwischen 2007 und 2012 ausübte. Am 15. Mai 12 wird er das Amt des französischen Staatspräsidenten offiziell an seinen Nachfolger François Hollande übergeben. Wie ist die Niederlage der politischen Rechten, der Kandidat "trotz allem" immer noch beachtliche 48,4 % der Stimmen erhielt, zu bewerten? Nicolas Sarkozy war nicht nur der kürzeste, sondern auch der kurzlebigste französische Präsident. Das Staatsoberhaupt mit den längst notorischen Komplexen hinsichtlich seiner Körpergröße - die ihn seit seiner Jugend zerfressen - wurde auch am schnellsten wieder abgewählt. Nach fünf Jahren im Amt macht Frankreichs (alsbald Ex-)Präsident nun seinen Abgang. Vor ihm wurde bislang erst ein Präsident unter der Fünften Republik nach seinem ersten Mandat abgewählt, Valéry Giscard d'Estaing im Jahr 1981. Allerdings dauerten die Amtsperioden der französischen Präsidenten damals noch sieben Jahre. Hingegen absolvierten Charles de Gaulle, François Mitterrand und Jacques Chirac alle mindestens zwei Amtszeiten. Georges Pompidou zählt in diesem Zusammenhang nicht: Er fällt gewissermaßen aus der Reihe, weil er nach knappen fünf Jahren im Elysée-Palast an einer Krankheit starb. In Anbetracht seines scharfen Polarisierungskurses in der Schlussphase des Wahlkampfs (vgl. dazu unseren Artikel zum 1. Mai der französischen Rechten im LabourNet ), seiner konkreten Politik in den letzten Jahren vor allem auf sozialem und steuerpolitischem Gebiet und seiner persönlichen Bilanz erhielt er mit 48,34 Prozent immer noch erstaunlich viele Stimmen. Zumal die beiden bestplatzierten Bewerber nach ihm auf der Rechten, die beim ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahl vertreten waren, beide nicht für ihn stimmen mochten. Der Mitte-Rechts-Oppositionspolitiker François Bayrou - in Deutschland stünde er auf dem gemäßigten Modernisiererflügel der CDU - erklärte am Donnerstag vor der Stichwahl, er selbst werde für François Hollande stimmen. Besonders, weil Sarkozy "einen verrückten Wettlauf mit der extremen Rechten" eingegangen sei. Seinen Wählern, 9,1 Prozent in der ersten Runde, ließ er die Entscheidung jedoch offen. Ebenfalls keine explizite Wahlempfehlung hatte Marine Le Pen abgegeben, die doppelt so viele Stimmen in der ersten Runde erhielt. "Persönlich" kündigte sie jedoch an, in der Stichwahl ungültig zu stimmen. Tatsächlich votierten 51 Prozent ihrer Anhänger für Sarkozy, 15 Prozent für Hollande, der Rest nicht oder ungültig. Entgegen der Haupttendenz in der Anhängerschaft wünschte der Apparat des Front National jedoch die Niederlage Sarkozys, um für die Zukunft die eigene Partei auf den Trümmern der etablierten Rechten zu stärken. Dabei hatte Nicolas Sarkozy der Partei in der letzten Zeit so schöne Augen gemacht, und unter anderem den FN explizit vor laufenden Kameras als "vereinbar mit der Demokratie" bezeichnet. Die rechtsextreme Partei benutzt heute noch als ihr Symbol jene Flamme in den Nationalfarben, die dereinst von Italiens Neofaschisten entworfen wurde, um die aus dem Sarg in den Himmel auffahrende Seele Benito Mussolinis darzustellen. Im Kontext der sozialen und ökonomischen Krise hatte die Führung der bürgerlichen Rechten unter Sarkozy sich offenkundig für eine Strategie entschieden, die man im Französischen unter dem Motto Ca passe ou ça casse resümierten könnte. Das hieß: Entweder kommen wir damit durch, oder wir scheitern und gehen gleich in die Opposition Gegenüber dem vordergründig weichen, auf sozialen Konsens und Integration von Protestpotenzialen abzielenden Kurs des rechten Sozialdemokraten François Hollande versuchte das konservativ-wirtschaftsliberale Lager solcherart den Durchmarsch. Es spekulierte dabei darauf, durch die Krisenfolgen sei die Gesellschaft bereits reif genug geschossen, um etwa eine scharfe Einschränkung der Gewerkschaftsrechte hinzunehmen. Oder einen verschärften Sozialabbau, begleitet von massiver Ausländerhetze: Unter den Wähler/inne/n Sarkozys in der Stichwahl geben 65 % an, ihre Wahl sei durch die Sorge um "Staatsverschuldung und Haushaltsdefizite" motiviert, und 53 %, es sei aus Sorge um "Einwanderung".; dies waren mit Abstand die beiden wichtigsten Wahlmotive in ihrem Lager. [1] Wenn dies nicht der Fall sei, so kalkulierte die bürgerliche Rechte, werde man lieber in die Opposition gehen und der Sozialdemokratie die ordinäre Krisenverwaltung überlassen. Falls diese dabei scheitert, will man in wenigen Jahren wiederkommen - und zwischendurch die Bündnisfrage gegenüber der extremen Rechten "klären". Auf François Hollande lastet also eine schwere Verantwortung, auch für die Zukunft der bürgerlichen Demokratie. Scheitert er in den Augen eines beträchtlichen Teils seiner Wähler, so dürfte die Alternative zur nunmehr regierenden Mitte lauten: ganz rechtsaußen. Die UMP bereitet sich darauf in ihrem nunmehr erfolgenden Gang in die Opposition vor, wird dabei aber voraussichtlich für einige Zeit durch heftige innere Strategiedebatten zerrissen wird. Nicolas Sarkozy wird persönlich nicht dabei sein: Er kündigte am Montag an, das politische Leben zu verlassen. Schon vor fünf Monaten hatte er angekündigt, er könne sich ein Leben nach der Politik vorstellen, um dann "richtig Geld zu verdienen". Wahrscheinlich wird Sarkozy als Wirtschaftsanwalt oder -funktionär wiederkehren. Auch wenn der deutsch-französische neoliberale Grüne Daniel Cohn-Bendit seinerseits Sarkozys Zukunft eher als "Chef von TF1", dem betont rechten (und 1987 unter Premierminister Jacques Chirac privatisierten) ersten Kanal des französischen Fernsehens, sieht. Auch dorthin würde Sarkozy passen, könnte aber in diesem Fall erheblich mehr Schaden anrichten, als wenn er - wie er Anfang der Woche ankündigte - sich wieder als Anwalt registrieren lässt. Artikel von Bernard Schmid, Paris, vom 09.05.2012 1) Vgl. http://www.rue89.com/rue89-presidentielle/2012/05/07/le-peuple-de-droite-est-toujours-la-et-bien-la-231961 |