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Updated: 18.12.2012 16:07
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Frankreich: Neue Beschleunigung des "Reform"kalenders. Mehrwertsteuererhöhung kommt voraussichtlich, Reform des Kündigungsschutzes steht jedoch in Frage

Speedy Sarkozy drückt auf die Tube: Der seit nunmehr 107 Tagen amtierende französische Präsident ist auch weiterhin entschlossen, Frankreich mit der Brechstange zu "reformieren".

Am heutigen Donnertag, 30. August, spricht Nicolas Sarkozy vor der Sommerakademie des Arbeitgeberverbands MEDEF. Dessen Chefin, Laurence Parisot, hatte die ,Université d'été' am Vortag in der Höheren Handelsschule HEC in Jouy-en-Josas (in der Nähe von Versailles) eröffnet. Vergangene Woche waren noch zwei Brandbomben auf dem Gelände der HEC entdeckt und entschärft worden, ein Zusammenhang mit der Sommerakadamie oder dem Auftritt Nicolas Sarkozys dort konnte jedoch bisher nicht nachgewiesen werden.

Aus diesem Anlass wird Nicolas Sarkozy nunmehr seinen "Reform"kalender für die nächste Zukunft ankündigen. Im Vorfeld hatte es in den Medien noch Debatten darüber gegeben, ob aufgrund der international drohenden Bankenkrise im August und der sich abzeichnenden Zinserhöhung in Europa (die eine Einschränkung der Kredite für Produktivinvestitionen und damit eine Verlangsamung der Wirtschaftstätigkeit bedeutend wird) das Tempo nicht verlangsamt werden solle. Dies haben jedoch Regierungspolitiker bisher einhellig dementiert. Premierminister François Fillon - der freilich neben dem allmächtig auftretenden "OmniPräsidenten" Nicolas Sarkozy nicht viel zu bestellen hat - erklärte diese Woche nochmals energisch, es gebe keinen Anlass, um den Fuß vom Gaspedal herunter zu nehmen. Er rechne fest mit einer Wachstumsrate von 2,25 % im laufenden Jahr, und 2,5 % für das kommende Jahr 2008.

Unterdessen stehen einige Eckdaten für die anstehenden "Reformen" schon fest:

  • Am 3. September, voraussichtlich, wird der ehemalige "sozialistische" Politiker (bis im Februar 2007 war er Sprecher der blairistischen Präsidentschaftskandidatin Ségolène Royal in Wirtschaftsfragen) und jetzige Sarkozy-nahe Staatssekretär Eric Besson seinen "Untersuchungsbericht" über die Frage einer Mehrwertsteuererhöhung vorlege. Der Beschluss scheint aber bereits gefasst: Die Anhebung der Konsumsteuer, und damit der ungerechtesten aller Besteuerungsarten (da die Mehrwertsteuer in keiner Weise am Einkommen ausgerichtet ist), von derzeit 19,6 % um bis zu fünf Prozentpunkte wird kommen. Dies wird die Regierung auch benötigen, um das Loch, das durch Steuergeschenke an die Besser- und Bestverdienenden in diesem Sommer aufgerissen worden ist, wieder zu stopfen. Angeblich sucht der Staat zur Zeit so dringend Geld, dass die Regierung auch daran denkt, einige der steuerlichen "Schlupflöcher" und "Nischen" für bestimmte Kategorien von Steuerpflichtigen (etwa für diejenigen, die private Investitionen in den Immobiliensektor vornehmen, wobei die Steuernachlässe angeblich den Wohnungsbau fördern sollen) zu schließen. Deren Gesamtsumme beträgt zur Zeit bis zu 45 Milliarden Euro. Anscheinend schickt die Regierung sich an, dem ideellen "gesamtkapitalistischen" Interesse zu fröhnen, dabei aber einige Partikularinteressen innerhalb der Bourgeoisie (die bisher etwa das Kunstmäzenatentum steuerlich begünstigen) zu "opfern". Dies ist jedenfalls dem ,Canard enchaîné' vom 29. August zu entnehmen.

    Doch zurück zur Mehrwertsteuererhöhung, die zwar radikal antisozial wäre, aber in Orwellschem Neusprech auf den Namen ,TVA sociale' ("soziale Mehrwertsteuer", da angeblich Arbeitsplätze in der heimischen Produktion rettend) getauft wird. Die linksliberale Tageszeitung ,Libération' hatte in ihrer Ausgabe vom 23. August durchblicken lassen, dieselbe werde nun wahrscheinlich "probeweise" in einem bestimmten Sektor eingeführt, nämlich der Bekleidungs- sowie Luxuswarenindustrie. Diese Lösung scheint aber bereits wieder verworfen worden zu sein. Die Pariser Abendzeitung ,Le Monde' schreibt in ihrer Ausgabe vom Dienstag Abend, die durch die Regierung mit der Prüfung wirtschaftlicher Auswirkungen der höheren Mehrwertsteuer beauftragten vier Sachverständigen kämen zum Schluss, letztere sei "günstig für die Wettbewerbsfähigkeit" der französischen Wirtschaft. Die Idee einer sektorell begrenzten Erhöhung der Mehrwertsteuer sei NICHT beibehalten worden.
  • Am 7. September beginnen die Beratungen mit Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden über einen so genannten ,Contrat unique' oder "Einheitlichen Arbeitsvertrag". Dieser soll, einem Versprechen des ehemaligen Kandidaten Nicolas Sarkozy zufolge, die bisherigen Arbeitsvertragsformen (befristeter, unbefristeter Arbeitsvertrag, Zeitvertrag..) ablösen und durch einen einheitlichen Typus ersetzen. Letzterer würde quasi nach dem Punktesystem funktionieren: Je länger ein/e Lohnabhängige/r im Betrieb beschäftigt ist, desto stärker würde der Kündungsschutz ausfallen. In den ersten Jahren nach Begründung des Arbeitsverhältnisses wäre eine Kündigung dabei ein Kinderspiel.

Das Problem besteht jedoch darin, dass weder die Gewerkschaften noch das Arbeitgeberlager richtig von der Idee begeistert sind. Die Gewerkschaften fürchten ohnehin einen neuen Angriff auf den Kündigungsschutz der abhängig Beschäftigten. Hingegen sind die Arbeitgeber unter anderem deshalb nicht davon überzeugt, weil sie von einem erneuten Herumwerkeln am Kündigungsschutz den erneuten Anstieg sozialer Spannungen befürchten (so ,Le Canard enchaîné' von diesem Mittwoch). Auch möchten sie ungern das bisherige Instrument des befristeten Arbeitsvertrag "preisgeben" bzw. verlieren: Da weiß man wenigstens, was man hat, während die Kapitalvertreter noch keine Gewissheit haben, ob das neue Instrument ihnen wirklich die erhoffte "Rechtssicherheit" bringen wird.

  • Am 4. Oktober beraten Gewerkschafte, Arbeitgeber und Regierung dann anlässlich einer (ersten) tripartistischen Konferenz über die " Verbesserung der Arbeitsbedingungen". Dabei soll es unter anderem um eine "Modernisierung" der Arbeitsmedizin und die Vorbeugung von Berufskrankheiten gehen.
  • Auf einer zweiten tripartistischen Konferenz, die durch die Regierung auf den 23. Oktober anberaumt wird, soll es um die Kaufkraft gehen. Dort will die Regierung Fillon u.a. über eine Abänderung der Modalitäten bei der jährlichen Anpassung des gesetzlichen Mindestlohns SMICs diskutieren. Darauf darf man höchst gespannt blicken! Auch soll es darum gehen, wie sich der Anteil der Mindestlohn-Empfänger an der gesamten aktiven Bevölkerung senken lasse.
  • Bei einer dritten Konferenz der Regierung mit Arbeitgebern und Gewerkschaften soll es damm am 12. November um die Erreichung der Lohngleichheit zwischen Frauen und Männern gehen. "Tausend mal proklamiert, nie ist etwas passiert..." Nunmehr soll das hehre Ziel für das Jahr 2009 endlich, soll heißen, "definitiv" erreicht werden. So sieht es der Regierungsfahrplan vor.

Die Präsidentin des Arbeitgeberverbands MEDEF, Laurence Parisot, fordert unterdessen einen "aktiven Anteil" für ihren Verein "an den Reformen" (so die Wirtschaftstageszeitung ,Les Echos'). Und sie fordert, "die Wirtschaftsreformen weiter als bisher" voran zu treiben - unter dieser Überschrift kündigt ,Le Monde' am Mittwoch Abend ein längeres Interview mit Parisot vor. Man darf gespannt auf die Fortsetzung sein - in der vagen Hoffnung, dass sich doch irgendwann einmal (bald?!) ernsthafte Widerstände regen könnten. Ja, könnten...

Bernard Schmid, Paris, 30.08.2007


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