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Updated: 18.12.2012 16:07
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Schutzschild für die Reichen: Die Sarkozy-Bande lässt Steuergeschenke für die Reichen und neue Gesetze gegen Straftäter und Ausländer beschließen

Ein Mann hält Wort: Der seit nunmehr zwei Monaten amtierende französische Präsident Nicolas Sarkozy ist drauf und dran, einen Gutteil seiner im Wahlkampf verbreiteten Ankündigungen in die Tat umzusetzen. Ein Teil des französischen Publikums mag sich über solcherart Einlösung eines Versprechens freuen, während ein anderer Teil die Nachricht eher als handfeste Drohung auffasst. Die Abgeordneten der französischen Nationalversammlung werden deshalb den ganzen Monat Juli über - während dem üblicherweise die parlamentarischen Sommerferien beginnen - zu einer parlamentarischen Sondersitzung zusammentreten.

Schon im Juli 2002 und 2003 hatten, unter der damaligen konservativen Regierung von Jean-Pierre Raffarin, solche sommerlichen Sitzungsperioden stattgefunden. Damals ging es darum, im ersten Jahr die Maßnahmen zur "Inneren Sicherheit" und im zweiteren Falle die so genannte Rentenreform des damaligen Sozialministers - und jetzigen Premiers - François Fillon zu verabschieden. Die letztgenannte "Reform", die in jenem Jahr über zwei Monate lang auf erbitterte soziale Widerstände und Massenproteste gestoßen war, konnte auf diesem Wege während der Urlaubsperiode und nach Erschöpfung der Demonstranten durchgedrückt werden.

Aber im Unterschied zu damals betreffen die neuen Gesetze und Beschlüsse, die während der Sommerpause verabschiedet werden sollen, eine breite Themenpalette. Als erstes Maßnahmenbündel berieten die Abgeordneten der Nationalversammlung - des parlamentarischen Unterhauses, das im Streitfall das letzte Wort gegenüber dem Senat oder Oberhaus behält - seit dem Dienstag vergangener Woche über das Gesetzespaket zu "Arbeit, Beschäftigung und Kaufkraft", abgekürzt TEPA. Dieses ist nunmehr in der Nacht vom Montag zum Dienstag dieser Woche, in erster Lesung, verabschiedet worden. Unterdessen liegt der Nationalversammlung seit diesem Dienstag nun das Gesetz der neuen Justizministerin Rachida Dati zum Jugendstrafrecht und zur Behandlung von Mehrfachstraftätern vor. Die Regierung hat das Eilverfahren gewählt, das es erlaubt, einige sonst geltende Verfahrensregeln über den Haufen zu werfen. So sollen alle Vorlagen noch im Juli bis in dritter und abschließender Lesung angenommen werden. Um dies zu erreichen, wurden einige Vorlagen zuerst im Senat beraten, um sie im Anschluss an die Nationalversammlung weiterzureichen, obwohl üblicherweise das "Unterhaus" zuerst mit der Diskussion von Gesetzestexten beginnt.

Hinter dem Kürzel "TEPA" verbergen sich in allererste Linie Steuergeschenke an Besser- und Bestverdienende. So wird nunmehr ein so genanntes "steuerliches Schutzschild" ( bouclier fiscal ) eingeführt, das es Vermögensbesitzern und Großverdienern erlauben soll, den Ansprüchen des Fiskus besser zu widerstehen. Die Idee ist folgende: Personen, die bereits Millionäre sind und daneben Einnahmen etwa aus Managergehältern oder Kapitaleinkünften beziehen, fallen bisher unter die Großvermögenssteuer (ISF). Da diese sich zur üblichen Einkommenssteuer addiert, kann es vorkommen, dass ein beträchtlicher Teil der zusätzlichen Neueinnahmen - nicht des bereits angehäuften Vermögens - abgeführt werden muss. Dem möchte die Regierung nun ein Ende setzen.

Noch im Vorjahr hatte das konservative Vorgängerkabinett unter dem damaligen Dominique de Villepin eine Begrenzung der fiskalen Abgaben für diesen Personenkreis eingeführt: Nicht mehr als 60 Prozent der Neueinkünfte sollen, alle Steuerarten zusammengezählt, abgeführt werden können. Ausgenommen bliben dabei aber ausdrücklich die beiden Sondersteuern CSG (Allgemeiner Sozialbeitrag) und CRDS (Beitrag zur Abzahlung der sozialen Schulden), die 1990 bzw. 1995 eingeführt worden waren, um die Sozialversicherungskassen - bei gleichzeitiger fortschreitender Entlastung der Unternehmen - durch die Steuerzahler sanieren zu lassen. Die CSG war unter dem soziallliberalen Preministerminister Michel Rocard, der eine Minderheitsregierung anführte, in einem Stimmbündnis mit den Konservativen und gegen die Voten der KP eingeführt worden, und die CRDS geht auf den konservativen Premierminister Alain Juppé zurück. Die besondere Natur dieser beiden Steuern liegt darin, dass sie unabhängig vom Lohn- und Gehaltseinkommen liegen. Das bedeutet, dass sie auch sowohl auf Kapital- und Mieteinkünfte als auch auf die Einkommen von Rentnern und Arbeitslosen, sofern sie ein bestimmtes Minimum überschreiten, erhoben werden.

Nunmehr möchten Sarkozy und Fillon jedoch die Großverdiener ausdrücklich auch gegen diese beiden Sondersteuern schützen. Die neue Regel, die wesentlich radikaler ausfällt als die 2006 durch die Konservativen angenommene Steuerreform, lautet: Nicht mehr als 50 Prozent (statt bisher 60) der Neueinkünfte dürfen abgeführt werden; und anders als bisher müssen die CSG und die CRDS dabei mit angerechnet werden. Das läuft darauf hinaus, dass zwar Arbeitslose und Rentner der Sondersteuer nicht entfliehen können, wohl aber Vermögensbesitzer. Aufgrund der Einbeziehung der beiden "Sozialsteuern" in das "steuerliche Schutzschild" bedeutet dies, dass die sonstige Steuerlast - ohne CSG und CRDS - beim Spitzensatz für die höchsten Einkommen nicht über 39 Prozent liegen wird.

Dies führt derzeit auch innerhalb des bürgerlichen Lagers zu Spannungen, da ein Teil der konservativen Abgeordneten - wie auch die Europäische Union - dagegen die Imperative von Sparpolitik und Reduzierung es Haushaltsdefizits geltend machen. Doch davon ließen sich Sarkozy und Fillon nicht beirren, der neue Präsident plädierte vielmehr höchstpersönlich am Montag in Brüssel für eine Verschiebung der Defizit-Reduzierung auf "so bald wie möglich". Die Pariser Abendzeitung Le Monde berechnete unterdessen, dass rund 250.000 Haushalte aus den obersten Einkommensbereichen von den Steuergeschenken profitieren und rund 800 Millionen Euro einstreichen werden. Davon kassieren aber die 13.000 bestsituierten Steuerhaushalte allein 583 Millionen. Offenkundig wird versucht, die Wirtschaft durch den Konsum der Schwerreichen anzukurbeln.

Hartes Vorgehen gegen Straftäter und ökonomische Nutzverwertung von Einwanderern

Weniger mit Samthandschuhen angefasst werden unterdessen Straftäter und Ausländer. Für Erstere führte die neue Vorlage von Justizminiserin Dati nunmehr Mindeststrafe ein, falls sie - durch die Begehung derselben Straftat wie beim ersten Mal - rückfällig werden. Bislang kennt das französische Strafrecht nur Höchststrafen, ansonsten entscheidet der Richter unter Würdigung der Gesamtumstände sowie eines Persönlichkeitsbilds über das Strafmaß. 16- und 17jährige Jugendliche sollen ab der zweiten "Rückfalltat" automatisch dem schärferen Erwachsenenstrafrecht unterliegen. In beiden Fällen, bei den Mindeststrafen und bei Jugendlichen, soll der Richter aber in Ausnahmefällen und mit spezieller Begründung von den neuen Regeln abweichen können. Andernfalls, hätten die Gerichte also keinerlei minmalen Ermessensspielraum mehr eingeräumt bekommen, wäre die Reform auch verfassungswidrig gewesen. Offenkundiges Ziel ist es, die Knäste aufzufüllen, obwohl diese mit derzeit 61.000 Insassen für offiziell 50.000 Plätze bereits überfüllt sind. Dazu passt, dass Präsident Sarkozy unter Bruch einer alten Tradition keinen Gnadenerlass für Häftlinge zum Nationalfeiertag am 14. Juli unterzeichnen wird.

Was Ausländer betrifft, so sollen sie künftig vor der Einreise stärker nach ökonomischem Nutzen gefiltert werden. Zur Zeit sind der größte Teil der legal Einreisenden Familienangehörige und Ehegatten von Franzosen oder "legal" in Frankreich lebenden AusländerInnen. Nur 5 Prozent der neu erteilten Aufenthaltserlaubnisse hängen mit einer Arbeitsaufnahme zusammen. Präsident Sarkozy hat nun Anfang vergangener Woche die Priorität aufgestellt, diese Proportionen müssten umgekehrt werden. Mindestens 50 Prozent der legalen Einreisen müssten an eine Arbeitsaufnahme gekoppelt sein, wobei ausschließlich für "Mangelberufe" und besonders gesuchte Qualifikationen Arbeitskräfte rekrutiert werden sollen. Im Umkehrschluss sollen sowohl die Aufnahme von Familienangehörigen als auch von Asylsuchenden begrenzt und zu diesem Zweck kontingentiert, d.h. nach einer jährlich vorab festgelegten fixen Quote bemessen werden. Die Gesamtzahl der aufgenommenen Zuwanderer soll dabei nicht wachsen, sondern kontinuierlich bleiben. Nicht Menschen soll künftig kommen, sondern vorzugsweise nur Träger rarer Qualifikationen.

Einschränkung des Streikrechts

Seit Dienstag/Mittwoch dieser Woche flammt nun auch die Debatte über die künftige Regulierung bzw. Einschränkung des Streikrechts wieder auf. Derzeit wird ein Text über die Einführung eines so genannten ,Service minimum' (Mindestbetrieb) in den öffentlichen Verkehrsbetrieben debattiert. Dieser geht noch nicht so weit, eine Dienstverpflichtung für streikwillige Beschäftigte vorzusehen (weshalb manche Beobachter auch erwarten, dass die neuen Vorschriften von begrenzter Wirkung bleiben werden, wie die liberale Pariser Abendzeitung ,Le Monde' annimmt). Jedoch enthält der Gesetzentwurf eine Reihe von Vorwarn-, Verhandlungs- und Informationspflichten der streikwilligen Transportbediensteten, die de facto die Eröffnung eines Arbeitskampfs erschweren und die Fristen dafür erheblich verlängern werden. Bisher besteht in den öffentlichen Diensten, seit einem Dekret von 1963, eine Anmeldungspflicht für Arbeitskämpfe - die es in der Privatindustrie und im privaten Dienstleistungsgewerbe nicht gibt. Demnach muss bisher ein Ausstand fünf Tage zuvor, durch eine der anerkannten Gewerkschaften, für die Dauer von 24 Stunden angemeldet werden. Freilich war es bislang auch Praxis, dass im Ausblick auf einen (mutmaßlich) länger dauernden Arbeitskampf so genannte "Bündelanmeldungen" vorgenommen wurde. Das bedeutet, dass etwa am 1. Juli ein Bündel von Anmeldungen für einen wahrscheinlichen Ausstand am 6. Juli, am 7. Juli, am 8. Juli, am 9. Juli. hinterlegt werden. Damit hielten sich bis zum jetzigen Zeitpunkt die Gewerkschaften der Transportarbeiter den Rücken frei, um im Rahmen einer so genannten ,Grève reconductible' (eines Streiks, über dessen Fortführung oder Nichtfortführung alle 24 Stunden in Vollversammlungen mit erhobener Hand abgestimmt wird) den Arbeitskampf fortführen zu könen. Solche ,grèves reconductibles' , die der Dynamik von Streikversammlungen unterliegen, sind bei den Arbeitgebern besonders gefürchtet.

Dem soll nunmehr ein Riegel vorgeschoben werden: "Bündelweise Anmeldungen" sollen nicht mehr möglich sein. Stattdessen soll die Anmeldung für einen erneuten 24stündigen Ausstand erst hinterlegt werden können, wenn der vorherige Arbeitskamp(tag) abgelaufen ist, d.h. nach jedem stattfindenden 24stündigen Streik soll die Vorwarnfrist erneut anzulaufen beginnen.

Zudem werden dem jetzt vorliegenden Entwurf zufolge neue, zusätzlichen Fristen eingeschoben werden, die die Vorbereitungszeiten für einen Streik erheblich verlängern werden. So soll nach einer Vorankündigungsperiode, "deren Dauer zwei Tage nicht überschreiten kann", auf Antrag einer der beiden Streitparteien hin (also auch des Arbeitgebers) eine Verhandlungsperiode eröffnet werden, "deren Dauer acht Tage nicht überschreiten kann". Zwar kann keine der verhandelnden Parteien zum Abschluss eines Abkommens verpflichtet werden, aber die Eröffnung und Durchführung von Verhandlungen während eine Periode von höchstens 8 Tagen kann demnach erzwungen werden.

Alles in allem kommt man, mit den neuen Vorschriften, auf eine Periode von nicht mehr 5 Tagen, sondern nunmehr (bis zu) 16 Tagen, bevor ein Arbeitskampf im Transportsektor real eröffnet werden kann. Zudem soll bei Streiks generell - also möglicherweise zukünftig auch im Privatsektor der Wirtschaft - nach Ablauf von 8 Tagen eine Urabstimmung aller Beschäftigten des betroffenen Unternehmens "mit einem Votum per geheimer Urnenabstimmung" stattfinden müssen. Dies soll die Dynamik von Streik-Vollversammlungen brechen helfen. Zudem sollen "minoritäre" Streiks, die entweder durch eine aktive Minderheit im Betrieb oder aber durch eine bestimmte, besonders benachteiligte Beschäftigtengruppe (etwa durch die Arbeiter in einem Werk, ohne Zustimmung der Angestellten und leitenden Angestellten) oder eine bestimmte Abteilung aufgrund spezifischer Probleme durchgeführt werden, nach spätestens 8 Tagen unterbunden werden. Auch Streiks, deren Unterstützungsfront infolge der harten Verweigerungshaltung des Arbeitgebers und möglicherweise aufgrund von Repressalien oder Umgehungsstrategien durch die Kapitalseite bröckelt, könnten eventuell auf diese Weise abgewürgt werden.

Alles in allem geht es Regierung und Kapital darum, die Besonderheiten des französischen Streikrechts (das im Unterschied zum deutschen kein "organisches Recht" in der Hand der Gewerkschaftsapparate, sondern ein Individualrecht aller Lohnabhängigen darstellt) so weit wie möglich einzuschränken. Historisch erklärt sich die Entstehung dieses besonderen Streikrechts aus der doppelten Geschichte einer zum Teil anarchosyndikalistisch geprägten Arbeiterbewegung und einer Arbeitgeberschaft, die (vor dem Gesetz von Dezember 1968, das die Existenz von Gewerkschaftssektionen im Unternehmen anerkennt) "bloß keine Gewerkschaft im Betrieb" dulden mochte. Deswegen war es in bestimmten historischen Perioden den in paternalistisch-personalistischer Tradition stehenden Betriebseigentümern sogar noch lieber, "anarchisch aufwallende" Arbeitskampfbewegungen zu beobachten, als die "Einnistung" von Gewerkschaften im Betrieb hinzunehmen. Die Zeiten haben sich aber diesbezüglich gründlich geändert, zumal die deutliche Mehrzahl der französischen Gewerkschaften ihre einstmalige quasi-revolutionäre Tradition seit längerer oder kürzerer Zeit abgelegt hat.

Am Mittwoch dieser Woche wurde nun bekannt, dass Premierminister François Fillon und sein Arbeits- & Sozialminister Xavier Bertrand daran denken, neben den Transportbetrieben nun auch im Schuldienst einen ,Service minimum' einzuführen. Zwar soll an Streiktagen das Lehrpersonal nicht zum Unterrichten verpflichtet werden können, wohl aber die öffentlichen Schulen zum Empfang und zur Aufnahme der Kinder und Jugendlichen. Die Presseagenturen berichteten am Mittwoch Vormittag, dass François Fillon nicht ausschließen möge, künftig für sämtliche öffentlichen Diensten einen solchen "Mindestbetrieb" einzuführen. Die CGT und die französische Sozialdemokratie sprachen von einer "Provokation".

Artikel von Bernard Schmid vom 19.7.07


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