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Updated: 18.12.2012 16:07 |
FRANKREICH NACH DEN PRÄSI-WAHLEN Die Agenda des Präsidenten Sarkozy Oder: Die "reformerische" Dampfwalze kommt ins Rollen "Monsieur Sarkozy will ,alle Reformen auf einmal durchführen'" titelte die Pariser Abendzeitung ,Le Monde' in ihrer Doppelausgabe vom vergangenen Sonntag und Montag. Der neue Präsident ist offenkundig finster entschlossen, eventuelle Kritiker und Gegner der anvisierten konservativ-liberalen "Reformen" gar nicht erst Atem schöpfen zu lassen. (Natürlich geht es um "Reformen" im Sinne des neoliberalen Betrugs, der seit 15 Jahren mit dem Begriff angestellt wird, um Gegenreformen oder Rückschritte zu titulieren; zuvor bezeichnete das Wort ja noch Verbesserungen, die eine Verbesserung der Lage der arbeitenden Bevölkerung herbeiführen und gar einer schrittweisen Überwindung des Kapitalismus dienen sollten. So jedenfalls die Illusion, die über Jahrzehnte hinweg durch die Sozialdemokratie unterhalten wurde.) Dieselbe Zeitung zitiert die amtierende Hochschulministerin, die 39jährige Valérie Pécresse (UMP), mit den Worten: "Es ist einfacher, sie (also die ,Reformen') gleichzeitig zu machen, als sie nacheinander durchzuführen." Obwohl die Gesamtzahl der Ministerien unter Präsident Nicolas Sarkozy auf 15 reduziert worden ist, erhielt die junge Aufsteigerin Pécresse erhielt ein eigenes Ministerium, während bis dahin ein/e Staatssekretär/in im Bildungsministerium für die Hochschulen und die Forschung zuständig war. Da die neue Regierung wichtige Pläne bezüglich der Universitäten hegt, musste ein Schlüsselposten für diese Aufgabe her. Präsident Sarkozy hat sich die "Autonomie der Universitäten" auf die Fahnen geschrieben - und damit auch die neue Ministerin, da der seit vergangenem Freitag amtierende Premierminister François Fillon ausdrücklich klarstellte, dass alle Kabinettsmitglieder "auf das Genaueste das politische Projekt von Nicolas Sarkozy umzusetzen haben". Im Vergleich zu seinen Amtsvorgängern wird der neue Präsident in höherem Maße die Richtlinien der Politik persönlich bestimmen. Verstärkte Ungleichheiten im Schul- und Hochschulwesen Im Namen der "Autonomie der Universitäten" sollen die Hochschulen sich künftig zum Teil aus Privatgeldern finanzieren dürfen - und müssen. Um "die Besten" anzuziehen, werden sie sich Lehrkräfte und Studierende verstärkt selbst aussuchen, und die Bezahlung der höchstqualifizierten Kräfte in Lehre und Forschung z.T. frei aushandeln dürfen. Die Ungleichheiten zwischen armen und reichen Hochschulen, und damit auch bei den Aussichtschancen ihrer Absolventen, werden wachsen. Aber neben Sarkozy hatte sich auch seine Gegenkandidatin Ségolène Royal für eine vergleichbare "Autonomie der Hochschulen" ausgesprochen, ohne so weit zu gehen wie Sarkozy. In ihrem 100-Punkte-Programm versprach sie, "die Autonomie der Universitäten im nationalen Rahmen zu stärken", d.h. ohne den Rahmen einer einheitlichen Bildungspolitik gänzlich zu sprechen. Wie üblich alle Gegensätze "versöhnend" bzw. verkleisternd, versprach sie eine verstärkte Finanzautonomie der Universitäten und Freiheit bei ihrer Personalauswahl, aber unter Aufsicht der nationalen Strukturen. (Vgl. dazu auch die Artikelüberschriften in ,Le Monde' vom 16. Februar 2007: "Die Kandidaten von UMP und PS predigen eine größere Freiheit", und vom 17. März 2007: "Die Sozialistin ist für die Autonomie der Universitäten".) In ähnliche Richtung wie die Tendenz im Universitätsbereich geht auch die geplante Lockerung bzw., ab kommendem Jahr, Abschaffung der ,Carte scolaire' oder Wohnortbindung bei den Schulen. Die "gefragtesten" und mit den besten Mitteln ausgestatteten Schulen werden dann Aufnahmetests oder -gespräche durchführen, um über die Bewerbungen von außerhalb ihres geographischen Einzugsbereichs kommenden Schülerinnen und Schülern zu entscheiden. Beide führenden KandidatInnen, Nicolas Sarkozy und (ab September 2006 auch ausdrücklich) Ségolène Royal, hatten sich im Vorwahlkampf für ihre "Lockerung" ausgesprochen. Konservative und bürgerliche Kreise haben sich seit längerem auf dieses Wohnortprinzip bei der Einschulung eingeschossen, da es Eltern aus "besserem Hause" dazu verpflichte, ihre Kinder auf Schulen zu schicken, wo (aufgrund der geographischen Nachbarschaft) auch Sprösslinge aus den sozialen Unterschichten oder "Problemfamilien" zu finden sind. Letztere werden beschuldigt, "das allgemeine Niveau zu drücken" und damit dem eigenen Nachwuchs die Zukunftschancen zu verderben. Ohnehin umgehen viele Familien - die konservative Tageszeitung ,Le Figaro' behauptete in ihrer Ausgabe vom 07. September 2006: bis zu einem Drittel - das Wohnortprinzip durch einige Tricks. Dazu gehört, die eigenen Kinder für relativ seltene oder als anspruchsvoll geltende Fremdsprachen anzumelde. Da solche, insgesamt nur in geringem Umfang gefragten, Angebote nur an wenigen Schulen und dann zumeist an den best ausgestatteten angeboten werden, ermöglicht dies dann doch noch, die Jugend auf die "bessere" Schule zu schicken. Nunmehr soll, so kündigte die neue Regierung es zu Anfang dieser Woche an, die Wohnortbindung alsbald aufgehoben werden. Der neue Bildungsminister Xavier Darcos forderte zunächst, ab kommendem Herbst sollten mit Beginn des neuen Schuljahrs "10 bis 20 Prozent" der SchülerInnen außerhalb ihrer geographischen Einschulungszone zugeteilt werden können. Ab dem Herbst 2008, so fuhr Darcos fort, solle die Wohnortbindung völlig aufgehoben werden: Das Prinzip der Einschulung am Wohnort dürfe "nicht zum Hausarrest werden", erklärte er am vergangenen Sonntag in einem Radiointerview beim Sender France Info. Unkonkret äußerte er sich jedoch am Montag bei seinem ersten Schulbesuch, in einer Mittelschule in der Pariser Vorstadt Asnières (nordwestlich der Hauptstadt). Empfang für Gewerkschaften Um eventuelle Widerstände abzufedern oder einzulullen, empfing Darcos zu Anfang dieser Woche auch bereits alle wichtigen Lehrergewerkschaften an seinem Amtssitz. Der Generalsekretär der FSU, der mit Abstand wichtigsten Lehrergewerkschaft, Gérard Aschieri, erklärte im Nachhinein, der neue Minister habe sich "bei der Diskussion sehr offen gezeigt". Die Lehrergewerkschaften würden aber in der Sache "wachsam bleiben". Was die Methode betrifft, hat Xavier Darcos darin seinem neuen Herrn und Meister nachgeeifert. Der neue starke Mann im Staat hat bereits am Montag und Dienstag der vergangenen Woche, also noch vor seiner Amtseinführung (am vorigen Mittwoch), die Repräsentanten aller wichtigen, d.h. vom Gesetzgeber als "repräsentativ" anerkannten Gewerkschafts- und Arbeitgeberverbände empfangen. Zwar erklärte der Generalsekretär der rechtssozialdemokratischen CFDT, François Chérèque, im Nachhinein, Nicolas Sarkozy habe "viel von der Methode und wenig vom Inhalt" der künftigen Entscheidungen und kommenden Weichenstellungen gesprochen. Aber in einer Hinsicht sind die Pflöcke eingeschlagen: Im Gegensatz zu seinen Amtsvorgängern wird Sarkozy keine einsamen Hinterzimmerentscheidungen treffen und darauf hoffen, dass die auf diese Art gefassten Kabinettsbeschlüsse ohne allzu viel Aufsehen zu erregen "irgendwie" durchkommen werden - um dann Rückzieher machen zu müssen, sobald ernsthafter Gegenwind aufkommt. Das ist die Methode, die seitens der Rechten und der Bourgeoisie seinem Vorgänger Jacques Chirac vorgeworfen wird - weshalb auch der wirtschaftsliberale Journalist Jean-Claude Casanova dem aus dem Amt scheidenden Präsidenten vorige Woche in ,Le Monde' eine schwache Bilanz und (so lautet die Überschrift) "zögernde Weichlichkeit" attestierte. Hingegen wird Nicolas Sarkozy vielmehr alle Einschnitte und alle Verschlechterungen für die arbeitende Bevölkerung offensiv anpacken, großankündigen und mit einer Kommunikationsoffensive begleiten. Dabei wird er auch die Gewerkschaften (oder ihre Spitzen) nicht in ihrer "Schmollecke" belassen, wo sie auf dumme Ideen - oder gar Gedanken an Protest, ja sozialen Widerstand - kommen könnten. Sondern er wird sie aktiv kommunikationell einzubinden suchen. Ähnliches gilt auch für die ökologischen Verbände, die an diesem Montag mit großem Trara bei Sarkozy und seinem neuen Umweltminister - dem früheren Premierminister (1995 bis 97) Alain Juppé, der damals als elitärer Technokraten auffiel, aber jetzt um Zukunftssicherung und "nachhaltige Entwicklung" besorgt sein soll - empfangen wurde. Das Treffen verlief dem Vernehmen nach sogar angenehm und in entspannter Atmosphäre, nur beim Thema Nuklearenergie habe es offene Differenzen gegeben. Nicolas Sarkozy tritt für einen baldigen Einstieg in die nächste AKW-Generation, in Gestalt des "Europäischen Druckwasserreaktors" EPR, der u.a. durch Siemens in Zusammenarbeit mit dem französischen Konzern Framatome entwickelt worden ist, ein. Dessen Errichtung in Frankreich soll demnächst beschlossen werden. Bisher läuft nur ein Prototyp des EPR in Finnland. Man darf darauf bauen, dass Sarkozy die Entwicklung der nächsten AKW-Generation und die Neufauflage des Atomprogramms sehr offensiv als Großleistung der Umweltpolitik und ökologische Wohltat verkaufen wird, unter Berufung auf die drohende Klimakatastroph. Tatsächlich ist bei AKWs kein Ausstoß an CO2-Gas zu verzeichnen, dafür eine Menge andere Probleme, beim strahlenden Atommüll angefangen... Das Arbeitgeberlager seinerseits hegt gewaltige, immense, enorme Erwartungen an Nicolas Sarkozy. Die Präsidentin des größten Arbeitgeberverbands MEDEF, Laurence Parisot, nahm am Mittwoch (16. Mai) als geladener Gast an der Zeremonie der Amtsübergabe von Chirac an Nicolas Sarkozy teil. Unterdessen versetzt Präsident Sarkozy - das gehört zur Kommunikationsoffensive mit dazu - ihrem Lager auch den einen oder anderen kleinen Dämpfer. So kündigte er Ende vergangener Woche, bei einem Besuch der Airbus-Werkskantine am Freitag, ein beabsichtigtes Verbot der so genannten ,Golden parachuts' an. Hintergrund ist der Lärm, den der Abgang des früheren Airbus-Vorstandsvorsitzenden Noël Forgeard verursacht hat: Während der Abbau von 8.000 Arbeitsplätzen auf dem Programm steht, nahm die ausscheidende Flasche bescheidene acht Millionen Euro an Abfindungen mit. Seit gestern ermittelt übrigens die französische Polizei in dieser Angelegenheit, da der Verdacht besteht, Forgeard habe ein Insiderdelikt begangen und dafür gesorgt, dass er sich dieses Geschenk genehmigen lassen konnte. Sarkozy will schon "ab Sommer 2007" ein Gesetz gegen solche Praktiken durchbringen, wobei seine Absichten bislang unklar sind - offen bleibt, ob es um ein Verbot solcher Riesenabfindungen für gescheiterte Manager und Unternehmensführer, oder um eine Begrenzung der Summen gehen wird. Die generelle Absicht dazu hatte Nicolas Sarkozy in der Schlussphase des Wahlkampfs bekannt gegeben. Arbeitgeberpräsidentin Laurence Parisot hatte daraufhin herumgestänkert, es handele sich um einen unzulässigen staatlichen Eingriff in die Privatwirtschaft usw. Im Hinblick auf die persönlichen Risiken der Manager ist die Dame, die oft und gern die mangelnde Risikobereitschaft der Lohnabhängigen (bezüglich der Hinnahme von Prekarität u.ä.) nicht gar so risikofreudig. Schlag auf Schlag Ab diesem Sommer soll es dann (buchstäblich, aua auweia) Schlag auf Schlag bei den so genannten "Reformen" gehen. Bei einer sommerlichen Sondersitzung des französischen Parlament sollen noch im Juli/August vier größere Gesetzesvorhaben durchgepeitscht werden:
Und im Herbst 2007 soll dann ein weiteres zentrales Ereignis stattfinden, in Gestalt eines vierfachen "Gipfels der Sozialpartner". Dort sollen weitere wichtige Weichenstellungen vorgenommen werden. Doch mehr dazu im nächsten Teil, ... Bernard Schmid, Paris, 23.05.2007 |