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Updated: 18.12.2012 16:07 |
Frankreich: Was bringt die Konservative Revolution? Überblick über die ersten wirtschafts- und sozialpolitischen Weichenstellungen. Rückblick auf den Wahlausgang
Das Größere Übel hat also gewonnen. Es war abzusehen. Die rechtssozialdemokratische Heiße Luft-Verkäuferin Ségolène Royal, die so gern Alles mit Allen "versöhnen" wollte und ansonsten nur hohles Geblubber feilzubieten hatte, konnte nicht überzeugen. Als glaubwürdige Alternative gegenüber dem neokonservativ-neoliberalen Projekt eines Nicolas Sarkozy konnte sie damit im Leben nicht erscheinen. Für die Linke konnte diese Kandidatin nur Teil des Problems, nicht Teil der Lösung sein. Ihr Absturz ist verdient, da eine Sammlung sozialpartnerschaftlicher Seifenblasen und die Hoffnung darauf, dass das Wirtschaftswachstum es schon richten werde (während die neoliberale Dampfwalze in Kandidatengestalt den Menschen, auch den sozialen Unterklassen, konkrete "Angebote" machen konnte), als Programm einfach nicht trägt. Dennoch hätte man gehofft, dass sie am Ende trotz allem gewinnt. Nicht, weil sich dadurch irgendetwas verbessert hätte, gewiss nicht. Wohl aber weil sich die wirtschafts- und sozialpolitische Situation weniger schnell und weniger brutal verändert hätte, als nun zu erwarten ist. Den Rest hätten dann die sozialen Kämpfe und Mobilisierungen regeln müssen. Nicht weil sie eine Frau war, wie manche nun jammernd behaupten, sondern weil sie die Vertreterin eines hundsmiserablen Politikangebots und noch dazu fachlich schlecht und inkompetent war, hat Ségolène Royal verloren. Aber damit hat das Land sich nun das Größere Übel an der politischen Macht eingehandelt. Neokonservativismus als Partei der Dynamik Zufall ist es keiner: Es ist Nicolas Sarkozy erfolgreich gelungen, in den Augen vieler Menschen, auch aus den sozialen Unterklassen, als Kandidat der Dynamik und der Bewegung zu erscheinen. Demgegenüber erschien das Bündnis der "Mitte" aus rechten Sozial- und Christdemokraten, aus Ségolène Royal und François Bayrou, das sich in den letzten Wochen herauszuschälen begann (der Mitte-Rechts-Politik Bayrou kündigte am Donnerstag vor der Wahl an, er werde "nicht Sarkozy" wählen, was eine indirekte aber deutliche Stimmempfehlung darstellte), als Partei des Konservatismus, des Weiter-So-Wurschtelns. Es war in den vergangenen Wochen möglich, auf einer Party den einzigen "Proleten" und Schwarzen unter den Gästen sagen zu hören, er wähle Sarkozy, weil der zumindest "was bewegen" wolle - während die Gauche Caviar, die Schicki-Micki-Linke, auf Royal oder Bayrou abonniert war. Und tatsächlich hat Sarkozy reale Umwälzungen angekündigt. Im Gegensatz zu dem Geblubber von Ségolène Royal (sie werde den gesetzlichen Mindestlohn zu einem zukünftigen Zeitpunkt "so bald wie möglich" erhöhen, hahaha; sie werde ihre Versprechen aus einem Wirtschaftswachstum oberhalb von 2,5 Prozent finanzieren, weil es unter ihr als Präsidentin gaaanz viel Wachstum geben werde, hihihihi) darf man auch absolut darauf vertrauen, dass er seine Ankündungen fast Eins zu Eins verwirklichen wird. Hohle Versprechen wird es mit ihm nicht geben, er wird Alles oder jedenfalls Vieles davon wahrmachen. Die französische Gesellschaft wird in fünf Jahren anders aussehen als heute. Unter Ségolène Royal hätte man dies kaum erwarten dürfen. Nur werden diese Veränderungen nicht im Sinne von sozialem Fortschritt, Emanzipation und kollektiver Solidarität ausfallen. Im Gegenteil. Aber manchmal gibt es solche historischen Situationen, im Kontext der kapitalistischen Krise: Die herrschenden Klassen sind zu brutalen Veränderungen (in ihrem Sinne) entschlossen. Aus den Unterklassen ihrerseits ertönt ein lauter Ruf nach Veränderungen. Aber da die politische Linke aus unterschiedlichsten Gründen nicht in der Lage ist, auf diesen Veränderungswunsch glaubhaft zu antworten und das Versprechen auf Umwälzung zu verkörpern, kristallisiert die Hoffnung auf Veränderung sich auf der rechten Seite. Wenn das Drängen auf Veränderung auf beiden Seiten, "unten" und "oben", auf diese Weise zusammentrifft, kann es tatsächlich zu Perioden größerer Umbrüche kommen. Nur ist klar, dass es hinterher auch wieder Angeschmierte geben wird. Das "Votum Sarkozy': Eine widersprüchliche Allianz Die politische Stärke Nicolas Sarkozys liegt nun darin, dass er diesen, sich im Augenblick (zum Teil) rechts kristallisierenden Wunsch nach Veränderung mit einem stockkonservativen Votum zusammenführt. Am besten abgeschnitten hat der neokonservative Kandidat, mit Abstand, unter alten Altersgruppen bei den über 65jährigen (dort erhielt er 72 % der Stimmen). Am schwächsten schnitt er hingegen in der Altersgruppe direkt darunter ab (50- bis 64jährige, wo er 43 Prozent der Stimmen erhielt); hier wirkt die Prägung der "1968er Werte", auf die Sarkozy in den 8 Tagen vor dem Wahlsonntag wiederholt wie besinnungslos einknüppelte, noch fort. Am zweitschwächsten schnitt Sarkozy in der Altersgruppe der 18- bis 24jährigen ab, wo die Stimmenanteile allerdings mit 49 % für Sarkozy und 51 % für Royal beinahe ausgeglichen sind. In der höchsten Altersgruppe handelt es sich dabei unzweideutig um ein konservatives Votum, um den Ausdruck einer Angst vor Veränderungen. Aber auch dieses soziale und psychologische Bedürfnis hat Nicolas Sarkozy bedient. Das gilt auch in anderen Altersgruppen und in einem Teil der prekarisierten, verunsicherten und in die Defensive gedrängten Unterklassen, die nach symbolischer "Sicherheit" und Stabilität verlangen und diesen Wunsch teilweise ideologisch übercodiert im Ruf nach dem starken Mann äußern (24 % der Zeitarbeiter wählten im ersten Wahlgang Jean-Marie Le Pen, laut ,La Tribune' vom 23. April). Ab seinen Reden vom 11. März in Caen und vom 13. März in Besançon beschwor Nicolas Sarkozy immer wieder die bedrohte nationale Identität als Schutzwall gegen den "Zerfall des sozialen Zusammenhalts" und gegen die Verwerfungen der "Globalisierung". Derselbe Kandidat, der wie kein zweiter für eine Entfesselung der Marktkräfte auf wirtschaftlichem Gebiet und für eine extreme Annäherung an die Politik der US-Administration Bush im Sinne einer neuen Achse Washington-Paris eintritt, beschwor die Gefahren eines "seelenlosen Kapitalismus". Derselbe Kandidat, der (als Befürworter des UN-Angriffs auf den Irak) sich nicht entblödet hatte, am 11. September 2006 in Washington D.C. lauthals zu verkünden, die Mittelmacht Frankreich habe durch ihre Ablehnung des Irakkriegs durch Chirac im Jahr 2003 die Weltmacht Nummer Eins "erniedrigt", malte nun vor französischem Publikum die Gefahr einer "Uniformierung der Welt" durch die "Dominanz der englischen Sprache" in finstersten Farben aus. In seiner Rede von Besançon, in der Sarkozy sich gegen reale und imaginäre Angriffe verteidigte und sich selbst als Opfer der Political Correctness -- der an einem Tabu zu rütteln gewagt habe - präsentierte, benutzte er nicht weniger als 28 mal die Worte "Identität", "nationale Identität" und "identitär". Gesellschaftliche Basis vorhanden Die Persönlichkeit Nicolas Sarkozys, der alle möglichen widersprüchlichen Erwartungen und Projektionen in seiner Person zu vereinigen verstand (und dem durch kritische Beobachter oft "Narzissmus" attestiert worden ist), erklärt dabei bei weitem nicht alles. Vielmehr verfügt er über eine echte soziale Basis, wie das Ausmaßseines Wahlerfolgs beweist. Nicolas Sarkozy war sogar mutmaßlich von vornherein der Kandidat, der mit Abstand über die breiteste und greifbarste soziale Basis verfügte. Denn seine beiden wichtigsten GegenkandidatInnen, Ségolène Royal und François Bayrou, waren weitgehende Medienprodukte. Also Figuren, die durch das Fernsehen, die Regenbogenpresse oder auch die seriöse Presse (,Le Monde' hat etwa seit anderthalb Jahren aktiv daran gearbeitet, die politische Figur Ségolène Royal aufzubauen und ihr eine "präsidiale Statur" zu verleihen) aufgeblasen worden sind. Das galt zunächst für die Kandidatin Royal, die ein reines Produkt der Medien- und Stimmungsdemokratie darstellte (vgl. dazu ausführlich den Artikel auf heise ). Seit Februar dieses Jahres, als die politische Schwäche Royals und die Hohlheit ihres Diskurses immer deutlicher wurde, wurde daraufhin eine zweite Figur aufgeblasen: François Bayrou schnellte innerhalb von vier bis fünf Wochen in den Vorwahlumfragen von 6 % auf 24 % der Stimmabsichten hoch, bevor er ebenso schnell wieder ein paar Prozent verlor. Nicht, weil die reale gesellschaftliche Basis für seine Ideen so schnell gewachsen wäre. Sondern, weil viele potenzielle sozialdemokratische Wähler sich enttäuscht in dieses Votum flüchteten, nachdem absehbar geworden war, dass Royal gegen die "Kommunikationsmaschine" Sarkozy keine Chance haben würde. Medien und Umfrageinstitute bauten damals eine zweite Figur auf: Überall wurde in Befragungen ein hypothetischer zweiter Wahlgang mit Bayrou gegen Sarkozy simuliert, woraus sich der Befund ergab, dass Bayrou den neokonservativen Kandidaten in der Stichwahl schlagen könnte. Dieses Experiment war zwar unseriös oder verdiente jedenfalls nicht die Beachtung, die die wichtigsten Medien ihm einräumten -- da es ein schlechter Witz war, in den Umfragen einen zweiten Wahlgang mit einem Kandidaten zu simulieren, der zu dem Zeitpunkt keine Chance hatte, den ersten Wahlgang zu überleben. Denn damals wurde Bayrou mit 6 oder 8 Prozent der Stimmen gehandelt. "Das Spektakel", um mit Guy Debord zu suchen, schuf sich also seine politischen Figuren. Unterdessen baute aber der Block um Nicolas Sarkozy, der natürlich seinerseits auch auf "Spektakel"methoden zurückgriff und einen "amerikanisierten" Wahlkampf betrieb, eine echte gesellschaftliche Basis auf: Ihre Ideen oder Slogans fanden eine reale Verankerung in der Gesellschaft (allen voran die magische Zauberformel des Kandidaten: "Mehr arbeiten, um mehr zu verdienen"). Es gab eine positive Identifikation bestimmter Vorstellungen oder Wünsche mit Sarkozy. Wer hingegen für Royal oder Bayrou stimmte, wählt oftmals nur "Sarkozy verhindern!", ex negativo, aber identifizierte sich nicht positiv mit irgendwelchen Politikangeboten. Der Wahlsieg Nicolas Sarkozys ist so der Ausdruck einer echten gesellschaftlichen Verankerung der Eckwerte der jetzt drohenden Konservativen Revolution. Bemerkenswert ist dabei, dass die Wahlbeteiligung bei der Stichwahl sich dabei auf annähernd gleicher Höhe wie im ersten Wahlgang gehalten hat, mit 85 Prozent im ersten und 84 Prozent im zweiten Druchgang. Das ist die höchste Wahlbeteiligung seit der ersten Präsidentschaftswahl unter der Fünften Republik, im Jahr 1965. Dabei hat die Stichwahl offenkundig neue Wähler mobilisiert, die dem ersten Wahlgang ferngeblieben waren. In allen politischen Lagern, die nicht mit eigenen Kandidaten in der Stichwahl vertreten waren (die radikale Linke, das christdemokratisch-liberale Zentrum um François Bayrou, die extreme Rechte unter Jean-Marie Le Pen) war zwischen den beiden Runden jeweils eine "Flucht" in die Wahlenthaltung von rund 20 Prozent der Wähler im ersten Wahlgang festzustellen. (Je nach Studie, manche Untersuchungen - wie etwa in ,Libération' vom heutigen Dienstag - geben für die Wähler Le Pen auch eine Wahlenthaltung von über einem Drittel in der Stichwahl an. Am Wahlabend im Fernsehen hingegen wurde die Stimmabstinenz der Le Pen-Wähler mit 20 Prozent beziffert.) Das bedeutet aber, dass im gleichen Zeitraum andere StimmbürgerInnen, die beim ersten Mal nicht an der Wahl teilgenommen hatte, mobilisiert werden konnten. Denn die Stimmbeteiligung ist zwischen den beiden Runden quasi nicht zurückgegangen. Deshalb muss man davon ausgehen, dass mindestens 93 Prozent der wahlberechtigten Bevölkerung an einem der beiden Durchgänge der diesjährigen Präsidentschaftswahl teilgenommen haben. Dies entspricht einer Quasi-Vollbeteiligung, wenn man davon ausgeht, dass es einen gewissen Prozentsatz von Invaliden, Bettlägrigen und Alzheimerkranken gibt. Der Wahlsieg Nicolas Sarkozys ist also nicht das Prudukt einer Demobilisierung der Wählerschaft (wie dies häufig bei US-amerikanischen Wahlen der Fall ist), sondern im Gegenteil einer extrem starken Mobilisierung. Von den Wählern des christdemokratischen Zentrumspolitikers François Bayrou haben, nach ersten Analysen, je 40 Prozent die sozialdemokratische Präsidentschaftsbewerberin Ségolène Royal und 40 Prozent Nicolas Sarkozy gewählt. Dagegen enthielt sich ein Fünftel der Wahl zwischen den beiden Kandidaten. Unter den Wählern des Rechtsextremen Jean-Marie Le Pen vom 22. April entschieden sich (laut Berechnungen des französischen Fernsehens) dieses Mal zwei Drittel für den Konservativen Nicolas Sarkozy. Hingegen optierten 19 Prozent für die Wahenthaltung, die ihr "Chef" Le Pen am 1. Mai propagiert hatte, und 15 Prozent gingen zur sozialdemokratischen Kandidatin Royal. Nicht zu vergessen bleiben die Wählerinnen und Wähler der anderen Linksparteien neben der Sozialdemokratie, die im ersten Wahlgang rund zehn Prozent der Wählerschaft ausmachten. Von ihnen gingen 71 Prozent zu Royal und ein Fünftel in die Wahlenthaltung. Hingegen sollen sich neun Prozent unter ihnen für Sarkozy entschieden haben. Soziale Polarisierung Diese Präsidentschaftswahl hat Frankreich also polarisiert. Aber im Gegensatz zur Wahl von vor fünf Jahren drückte diese Polarisierung sich nicht in einem Votum für Parteien und Kräfte links von der Sozialdemokratie oder rechts von den Konservativen aus, sondern in einem Votum für die "großen" Kandidaten. Dabei verfügte Sarkozy, im Gegensatz zu seiner Gegenkandidatin Ségolène Royal, über ein echtes ,Projet de société', also eine Vorstellung über die Gesellschaft, die er anstrebt. Während Royal viel von der "Versöhnung Frankreichs mit sich selbst" sprach, widersprüchliche Versprechungen machte und schön klingende Allgemeinplätze predigte, schlug Sarkozy konkrete Umwälzungen vor. Im Vordergrund standen dabei drei Themen, die es ihm erlaubten, bis in Teile der sozialen "Unterklassen" hinein zu mobilisieren, während er zugleich die Oberklassen von vornherein auf seiner Seite wusste. Obwohl diese Vorhaben durchaus im Sinne einer Beschleunigung der in nahezu allen Ländern der Erde vordringenden neoliberalen "Reformen" ausfallen, erlaubt ihre konkrete Präsentation es Sarkozy bisher, damit erfolgreich zu werben. Der erste Punkt ist das immer wieder von ihm beschworene ,Travailler plus pour gagner plus' (Mehr arbeiten, um mehr zu verdienen). Dahinter verbirgt sich nichts anderes als das Vorhaben einer spürbaren Verlängerung der Wochen- und der Lebensarbeitszeit. Das entspricht nicht unbedingt den Interessen der abhängig Beschäftigten. Aber da Nicolas Sarkozy es immer und immer wieder als einziges Mittel präsentiert hat, das es auch den Geringverdienern erlauben solle, am Monatsende über die Runden zu kommen und "ihren Kindern endlich einmal Urlaub zu bezahlen", hat diese Offensive durchaus auch bei Arbeitern und Angestellten Gehör gefunden. In ihrem Ohr bleibt letztzlich "Gagner plus" (Mehr verdienen) hängen, während sie sich von dem Gesäusel Ségolène Royals (Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns irgendwann, "große Diskussion mit den Sozialpartnern" - gähn) buchstäblich nichts kaufen können. Vor allem in kleineren und mittleren Privatbetrieben, wo Gewerkschaften kaum oder gar nicht mehr vertreten sind und die Beschäftigten es sich gar nicht mehr ernsthaft vorstellen können, erfolgreich um Lohnerhöhungen zu verhandeln. Dort, wo die Betroffenen das zu ihren Ungunsten bestehende soziale Kräfteverhältnisse genügend verinnerlicht haben, um überhaupt nicht mehr an eine andere Verteilung zwischen Kapital und Arbeit zu glauben, erscheint Sarkozys Vorhaben durchaus als attraktives Angebot: "Früher aufstehen", Überstunden, Wochenendarbeit - Hauptsache, dass am Monatsende genug zum Leben für sich und die eigene Familie herausspringt. Dumm nur, dass die Unternehmen, folgen sie dem Rezept Nicolas Sarkozys, damit auch insgesamt weniger Arbeitskräfte benötigen werden. Die Arbeitslosenzahlen dürften damit, gelinde ausgedrück, nicht gerade sinken. Diese betrifft der zweite Punkt: Sarkozys "Schmarotzer"diskurs. Im Wahlkampf hatte der künftige Präsident betont, künftig dürfe keine Sozialleistung mehr "ohne Gegenleistung", etwa in Form von "gemeinnütziger Aktivität", ausbezahlt werden. Und er spielte "das Frankreich, das früh aufsteht und sich abplagt", in seinen Reden regelmäßig gegen das "in der sozialen Hängematte liegende" aus. Aber er hat es verstanden, auch die real vom Arbeitsmarkt Ausgeschlossenen für sich anzusprechen. Er schlug den Arbeitslosen eine Art Deal vor: Ihre monatliche Stütze soll deutlich angehoben werden (auf 90 Prozent des letzten Monatslohns), im Gegenzug zu einer Straffung des Kontrollregimes und einer Verkürzung ihrer Verweildauer in der Erwerbslosigkeit. Konkret möchte Nicolas Sarkozy, dass alle Arbeitslose "alle 14 Tage" zu einer Unterredung mit ihren Sachbearbeitern vorgeladen werden, und dass sie maximal zwei Jobangebote ausschlagen dürfen. Während der Dauer ihrer Arbeitslosigkeit werden sie damit etwas besser leben und sich stärker ernst genommen fühlen als bisher, da man sie oft monate- und jahrelang mit geringen Bezügen und ohne Beachtung dahinvegetieren ließ. Aber die Kehrseite der Medaille ist, dass man eine wachsende Zahl von Erwerbslosen in Beschäftigungsverhältnisse zwingen wird, die sie unter normalen Umständen - aufgrund schlechter Bezahlung, großer Entferung vom Wohnort oder miserablen Arbeitsbedingungen und Arbeitszeiten - nie angenommen hätten. Der dritte Punkt war das Versprechen, die Zahl der Beschäftigten in den öffentlichen Diensten deutlich zu reduzieren. Konkret möchte Sarkozy "jeden zweiten (altersbedingten) Abgang in den öffentlichen Diensten nicht durch eine Neueinstellung zu ersetzen". Das bedeutet konkret, dass in den kommenden Jahr 225.000 Arbeitsplätze in den öffentlichen Diensten, darunter Schulen und Krankenhäuser, wo sie dringend benötigt werden, wegfallen werden. Bisher ist diese Forderung aber populär, da Sarkozy vor dem Hintergrund einer Stimmung gewählt wird, in der öffentlich Bedienstete pauschal als "zu Unrecht Privilegierte, die ihren Arbeitsplatz nicht verlieren und im Gegensatz zu den Privatbeschäftigten ohne Risiko streiken können" wahrgenommen werden. Diesen Diskurs des sozialen Neids und der Missgunst haben die regierenden Konservativ-Liberalen in den letzten Jahren, insbesondere unter der Regierung von Jean-Pierre Raffarin (2002 bis 05), erfolgreich gestreut. Im Moment kann Sarkozy damit auf Beifall unter den Beschäftigten in der Privatindustrie und im privaten Dienstleistungsgewerbe hoffen. Abzuwarten bleibt, ob dies immer noch der Fall sein wird, wenn Schulen und Krankenhäuser immer schlechter funktionieren werden. Abzuwarten bleibt, ob die soziale Basis Nicolas Sarkozys auf die Dauer bei der Stange bleiben oder, wenn ihre Enttäuschungen erwartet werden, auseinanderlaufen wird. Und, wenn dies passiert, wohin sie sich wenden wird. Werden die Spaltungslinien der Gesellschaft, die die Wahl Nicolas Sarkozys erheblich begünstigt haben - die Bewohner von Innenstädten wünschen härteres Vorgehen gegen die Einwohner der Sozialghettos in den Trabantenstädten, die Privatbeschäftigten wünschen ein Ende der "Privilegien" der öffentlich Bediensteten - noch zunehmen? Werden jene, die sich auf der einen Seite benachteiligt fühlen, ein noch härteres Vorgehen gegen die "Bevorzugten" in einer anderen Gruppen fordern? Oder wird es zu breiteren sozialen Protestbewegungen kommen, wenn Nicolas Sarkozy versuchen wird, sozialen Errungenschaften aus der französischen Geschichte zu Leibe zu rücken? Dies wird die nähere Zukunft zeigen müssen. Bernard Schmid, Paris, 08.05.2007 |