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Updated: 18.12.2012 15:51
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Im Pariser Umland: Ein Novum: 150 Arbeiter streiken für «illegale Immigranten» unter ihren Kollegen. Solidarität gefordert

Das hat es noch nie gegeben! Circa 150 Lohnabhängige haben eine Woche lang gestreikt, um ihre Arbeitskollegen in Schutz zu nehmen, die Sans papiers (also sich «illega» in Frankreich aufhaltende Immigranten) sind. Ihr Ausstand ist seit Montag vormittag vorläufig zu Ende. Aber die zur Zeit 22 betroffenen Sans papiers werden durch die Ortsleitung des Gewerkschaftsbunds CGT in Massy-Palaiseau (rund 10 Kilometer südlich von Paris) versteckt, nachdem die Polizei am Ende vergangener Woche unmittebar anzurücken drohte. Nach wie vor halten sie ihre Protestbewegung aufrecht, ebenso wie ihre Arbeitskollegen ihre Forderungen auch weiterhin unterstützten. Am gestrigen Dienstag um 11 Uhr organisierten die Sans papiers und ihre Unterstützer eine Pressekonferenz vor dem Betrieb. Dabei kam auch Prominenz, in Gestalt von Persönlichkeit aus der (linken) Politik und den sozialen Bewegungen. Die Solidarität beginnt sich zu organisieren.

Ort des Geschehens ist « Modeluxe », eine Großwäscherei in Chilly-Mazarin. Diese Pariser Vorstadt liegt benachbart zu Massy und, 3 Kilometer weiter, zu der Unterbezirks-Hauptstadt Palaiseau ; alle drei Städte gehören zum Département Essonne (Hauptstadt Evry), der das südliche Pariser Umland umfasst.

Die Großwäscherei bearbeitet die Handtücher und Bettwäsche von Luxushotels der französischen Hauptstadt. «Wenn Sie ab jetzt in einem Luxushotel übernachten, dann wissen Sie wenigstens, wer Ihre Leintücher gewaschen hat» erklärt deshalb der Ortsvorsitzende der CGT ironisch. Modeluxe gehört aktuell dem britischen Konzern Sunlight. Der Betrieb beschäftigt 160 Lohnabhängige, die alle den gesetzlichen Mindestlohn SMIC (rund 1.250 Euro brutto und kaum 1.000 Euro netto) verdienen, ohne Lohnzuschläge und ohne 13. Monatsgehalt.

«Illegale» Situation als Erpressungsinstrument

Unter den Beschäftigten befand sich lange Zeit rund ein Viertel, die «Papierlose» waren, also keine gültige Aufenthaltstitel in Frankreich besaßen. Viele von ihnen arbeiten nunmehr schon seit 5 Jahren im Betrieb. Die Mehrheit der Beschäftigten insgesamt, ob mit oder «ohne Papiere» (im o.g. Sinne), stammen aus Mali. Dabei hat die Tatsache, dass die «legalen» und die «illegalen» Einwanderer unter den Lohnabhängigen des Betriebs oftmals Landsleute sind, die Solidarisierung wahrscheinlich erleichtert. Allerdings ist ein solches Verhalten aktiver Solidarität, wie es jetzt zu Tage trat, dennoch bisher eine Ausnahmeerscheinung. In anderen Fällen ducken sich jene Einwanderer, die selbst von «Papierproblemen» nicht betroffen sind, oftmals dann, wenn es hart auf hart kommt; oder sie verfechten gar eine Mentalität im Sinne von: «Der letzte, der (legal nach Frankreich) herein kam, macht die Tür hinter sich zu.» In diesem Falle nun lief die Sache völlig anders ab.

Die Situation der «Papierlosen», die nach dem Stand der Gesetzgebung des bürgerlichen Staates legal nicht arbeiten dürfe, diente dem Betrieb (wie in so vielen Fällen) als Flexibilisierungsinstrument. Alle Sans Papiers im Betrieb waren in einer Nachmittagsschicht zusammen gruppiert, die an 6 Tagen in der Woche arbeiten musste, gegenüber 5 Tagen pro Woche für die übrigen Beschäftigten. Und während die Beschäftigten in den anderen Schichten das Recht auf eine Kaffeepause hatten, gab es für die Sans papiers-Schicht keine Pausen, sondern nur maximal das Recht zum Aufsuchen der Toilette. Eine 26jährige Arbeiterin «ohne Papiere» bezeugt im Übrigen in 'Libération' (Mittwochsausgabe), dass sie bereits zwei Verwarnungen erhalte haben, deshalb, weil sie «zu lange auf der Toilette geblieben» sei. Die unbezahlten Überstunden häuften sich, wobei dieses Problem allem Anschein nach auch die übrigen Arbeiter/innen in dem Betrieb betroffen hat.

Das Unternehmen wusste nach Aussagen aller Beteiligten (Gewerkschaft und «papierlosen» Beschäftigten, aber auch in der Presse zitierten leitenden Angestellten), dass die Betroffenen keine gültige Aufenthaltserlaubnis besaßen. Bei Einstellungen wurde -- sofern klar wurde, dass kein Aufenthaltstitel vorgelegt werden konnte, wie das Gesetz es prinzipiell bei Aufnahme einer Beschäftigung erfordert, oder aber dass dieser offenkundig falsch war -- stattdessen eine Kopie vom Steuerbescheid und vom (ausländischen) Pass verlangt, um über eine Adresse und ein Foto zu verfügen. Denn im Unterschied zu den Ausländerbehörden erkennen die französischen Finanzämter die Sans papiers durchaus an: Steuern bezahlen dürfen sie nämlich...

Scheinheiliges Legalisierungs-Versprechen

Im Dezember 2004 kam es zu einer Polizeirazzia in dem Unternehmen, auf der Suche nach «illegalen ausländischen» Arbeitskräften.Aber das beherzte Eingreifen der CGT sorgte für den Abbruch der Razzia und verhinderte, dass es zu Verhaftungen und in der Konsequenz zu Abschiebungen kam. Der Betrieb verpflichtete sich gegenüber den Beschäftigten, sich aktiv für die Regularisierung» der Betroffenen (d.h. die Legalisierung ihres Aufenthalts) bei der Präfektur einzusetzen - indem sie ihnen eine Beschäftigungsgarantie mit begründeter Nachfrage nach ausländischen Arbeitskräfte gebe und dadurch einen legalen Aufenthaltsgrund schaffe. Die Sans Papiers erklärten sich ihrerseits dazu bereit, die eventuellen Kosten, die dem Betrieb dafür anfallen könnten, von ihrem Lohn abziehen zu lassen. Im April 2005 lieferte Modeluxe den Behörden also eine Liste, auf der 42 Sans papiers unter ihren Beschäftigten namentlich identifiziert wurden. Die Präfektur (d.h. die juristische Vertretung des Zentralstaats im Département, die auch die Ausländerbehörde umfasst) reagierte, indem sie zwar den Betroffenen keine Aufenthaltspapiere gab, wohl aber diese beim Betrieb weiter arbeiten ließ. In kompletter Illegalität, jetzt mal aus Sicht ihres eigenen Gesetzeswerkes... aber im Wissen von Behörden, Betriebsleiter und aller Beteiligten.

Doch in den letzten Monaten begann die Situation sich zu ändern Der Betrieb soll nach offiziellen Angaben verkauft werden, und der Übernehmer (so heißt es seitens von Modelux) wolle keine Sans papiers und damit potenziell verbundene Scherereien vorfinden. Ab dem Frühjahr 2006 fingen die Angehörigen der Sans papiers-Schicht an, vom Betrieb neu eingestellte Mitarbeiter auszubilden bzw. einzuarbeiten. Aber der Direktion ging es darum, dass die neu eingearbeiteten Beschäftigten die «Illegalen» nach einiger Dauer ersetzen sollten.

Unterdessen befanden sich noch 22 Sans papiers unter den Beschäftigten, da zwanzig andere inzwischen abgesprungen sind: Sie arbeiten nicht mehr im Betrieb, befinden sich nicht mehr in Frankreich oder an einem anderen Ort, fühlten den Boden unter ihren Füßen zu heißwerden etc. etc. Unter ihnen erklärte die Präfektur sich dazu bereit, 4 (von 22) zu «regularisieren». Aber wie aus einem Artikel der Nachrichtenagentur AFP, der (redaktionell überarbeitet) am Dienstag abend gegen 21 Uhr auf der Homepage von 'Le Monde' publiziert wurde, hervor geht, soll die Direktion selbst diese 4 gegenüber den Behörden ausgesucht haben. Sie habe diejenigen Beschäftigten bestimmt, die «aufgrund spezifischer Funktionen im Betrieb nicht kurzfristig ersetzt werden können», mit diesen Worten zitiert die Agentur den CGT-Ortsvorsitzenden Raymond Chauveau.

Im Laufe des September 2006 ging die Unternehmensleitung daran, «illegale ausländische» Mitarbeiter wegen 'faute grave' zu kündigen. Dieser Begriff bezeichnet eine Verfehlung oder einen Disziplinarverstoß, der schwerwiegend genug ist, dass er eine fristlose Entlassung (ohne Einhaltung der gesetzlichen oder kollektivvertraglichen Kündigungsfristen) rechtfertigt. Die Begründung bestand im angeblichen «Vorlegen gefälschter Papiere» bei der Personalabteilung anlässlich der Einstellung.

Daraufhin traten «nahezu sämtliche» (AFP) der rund 160 Beschäftigten in den unbefristeten Streik gegen diese Maßnahme. Dabei erhielten sie Hilfe und Unterstützung vom CGT-Ortsverband Massy-Palaiseau. Diese Ortsverwaltung gehört seit längerem zu den mit Abstand kämpferischsten der CGT, die eine mehrjährige Tradition der aktiven Unterstützung und Verbindung mit der Sans papiers-Bewegung aufweist. (Unter anderem hängt das anscheinend auch mit der Präsenz von Aktivisten einer maoistischen Partei, des PCOF, in der örtlichen CGT zusammen.)

Doch am Freitag voriger Woche erzielte die Direktion des Unternehmens einen für sie günstigen Entscheid des Gerichts in der Bezirkshauptstadt Evry. Dieses legitimierte einen Polizeieinsatz, um die Wäschekarren zu entfernen, die sich im Hof des Betriebs zu stauen anfingen, sowie um die «betriebsfremden Personen» (also die Angehörigen des CGT-Ortsverbands Massy-Palaiseau) zu entfern. Am Ende der vergangen Woche schien das Anrücken der Polizei unmittelbar zu drohen, und damit die Festnahme sowohl der «betriebsfremde» CGT-Aktivisten als auch und vor allem der hauptbetroffenen Sans papiers. Die CGT Massy-Palaiseau entschied deshalb, den Betrieb mit den Hauptbetroffenen zu verlassen und diese unter ihren Schutz zu nehmen.

Am Montag früh im Morgengrauen beschloss eine Vollversammlung der übrigen Beschäftigten, die Arbeit vorläufig wieder aufzunehmen. In einer Vereinbarung mit der Betriebsleitung konnten sie herausholen, dass der Betrieb 3 der 5 bestreikten Wochentage bezahen muss (zur Erinnerung: in Frankreich gibt es kein Streikgeld, und wer streikt, bezahlt selbst in Form von Lohnverlust!). Ihre Forderunge halten die Arbeiter aufrecht, sowohl was die «Regularisierung» ihrer «papierlosen» Kollegen betrifft als auch ihre eigenen Arbeitsbedingungen. Dazu zählen die Löcher im Dach, die nicht zur Verfügung gestellte Arbeitskleidung, die unbezahlten Überstunden und die unverschämt niedrigen Löhne.

Am Dienstag um 11 Uhr vormittag organisierte die CGT eine Pressekonferenz vor den Toren des Betriebs. Im Publikum befanden sich u.a. die französische KP-Vorsitzende Marie-George Buffet, der Präsidentschaftskandidat der LCR (undogmatische Trotzkisten) und SUD Post-Gewerkschafter Olivier Besanceno ; der Generalsekretär der Antirassismusbewegung MRAP Moulout Aounit ; die Gewerkschafterin der ehemaligen CFDT-Linken (jetzt eine eigene Gewerkschaft unter dem Namen SNU) unter den Beschäftigten der Arbeitsagentur Claire Villiers (seit 2004 parteilose, aber auf einer Bündnisliste der KP gewählte Regionalparlamentarierin in Paris ; mehrere Parlamentarier/innen der KP und der Sozialdemokratie ; sowie AktivistInnen der CGT und der Arbeitslosenbewegung AC ! Die Solidaritätskampagne fängt an sich zu organisieren, es wird um finanzielle Unterstützung sowie um Unterschriften um eine Petition nachgesucht.

KONTAKT :

(Campagne pour les salariés de Modelux)

Union Locale CGT de Massy-Palaiseau
14 chemin des femmes
(F) 91300 MASSY
Telefon 0033 - 1 - 69 32 15 76    

Bernard Schmid, 11.10.2006


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