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Updated: 18.12.2012 16:07 |
Widerstände gegen Einschränkungen des Streikrechts Erste Widerstände gegen Einschränkungen des Streikrechts und Abbau von Lehrerposten Die Ankündigungen der französischen Regierung, das bestehende Streikrecht aushöhlen und den geplanten ‚Service minimum’ (Mindestbetrieb) in den Transportbetrieben auch auf andere öffentliche Dienste ausweiten zu wollen –- vgl. Labournet von gestern, letzter Abschnitt des Artikels „Schutzschild für Reiche“ –- hat zu ersten Ankündigungen sozialer Widerstände geführt. Zugleich zeigten sich Teile der Regierung um Schadensbegrenzung bemüht, so dass die Äußerungen von dieser Seite im Laufe des Mittwoch und Donnerstag widersprüchlich ausfielen und zeitweise ein (vermeintlich) chaotisches Erscheinungsbild hervorriefen. Am Dienstag dieser Woche hatte das Regierungslager zunächst einen doppelten Vorstoß in Sachen Einschränkung des Streikrechts unternommen. An jenem Tag begann im Senat, dem parlamentarischen „Oberhaus“, die Debatte des seit längerem ausgearbeiteten Gesetzentwurfs zur Einrichtung eines ‚Service minimum’ in den öffentlichen Verkehrsmitteln. (Üblicherweise fängt die Debatte einer Gesetzesvorlage in der Nationalversammlung an, also im „Unterhaus“. Aber da die Regierung für sämtliche „Reform“pläne in diesem Juli das Eilverfahren gewählt hat und gesetzgeberische Not vortäuscht, wurden die üblichen Verfahrensregeln über den Haufen geschmissen.) Die Gesetzeskommission des Senats, unter dem Vorsitz der Senatorin Catherine Procacchia aus dem noblen Pariser Vorort Vincennes, hatte dazu einen Bericht vorgelegt. In ihrem Bericht an die Parlamentarier schlägt die Kommission vor, zu den bestehenden neun Artikeln der Gesetzesvorlage einen zehnten Artikel hinzuzufügen. Dieser soll die Pflicht für den Gesetzgeber beinhalten, bis spätestens zum 1. Oktober 2008 eine Bilanz aus der Anwendung der neuen Vorschriften in den Verkehrsbetrieben zu ziehen – und dies, um „die Opportunität einer Ausdehnung (dieser Bestimmungen zum ‚Service minimum’) auf die übrigen Beförderungsmittel, ja ihre Übertragung au die anderen öffentlichen Dienste zu untersuchen“. In ihrer Ansprache vor den Mitgliedern des parlamentarischen Oberhauses machte sich die Senatorin Procacchia im übrigen dafür stark, die Ausdehnung des zunächst für den Personentransport anvisierten ‚Mindestbetriebs’ auch „auf andere Beförderungsmittel, insbesondere den Wasser- und Luftverkehr und den Gütertransport“ zu prüfen. Und sie fügte hinzu: „Die Frage der Einrichtung eines ‚Mindestbetriebs’ in anderen öffentlichen Diensten wiebei der Post oder im Schulwesen wird ebenfalls von den Schlussfolgerungen des (Anm.: bis im Oktober 2008 zu erstellenden) Berichts profitieren können.“ Im Hintergrund steht der Druck, den insbesondere die Wirtschafts- und Arbeitgeberverbände entfalten: Während der Anhörungen des Senats im Vorfeld der Gesetzesdebatte hatten die Kapitalvertreter sich energisch dafür ausgesprochen, auch beim Gütertransport und bei der Postzustellung über Einschränkungen des Streikrechts (oder zumindest der Streikfolgen im Falle eines Arbeitskampfs) nachzudenken und entsprechend zu handeln. Denn das Kapital möchte nicht länger wirtschaftliche Verluste hinnehmen müssen, falls es zu Arbeitskämpfen bei der Fracht- und der Postzustellung kommt, wie dies vor allem im November/Dezember 1995 frankreichweit der Fall war. Hingegen kommt sowohl von der Kapitalseite als auch von manchen Elternverbänden (vor allem den rechteren) her Druck, um die Einrichtung eines „Mindestbetriebs“ in den öffentlichen Schulen im Streikfalle zu fordern, um nämlich die Eltern von der Frage „Wohin mit den Kindern während eines Ausstands?“ zu entlasten. Bisher hatte die Wirtschaft sich darüber beklagt, dass die Ausfallzeiten zu nehmen bzw. die abhängig Beschäftigten sich geballt Urlaubstage nehmen, wenn sie Kinder im Vorschul- oder Grundschulalter haben und es im Bildungswesen zu sozialen Konflikten kommt. Denn für die bis zu 12jährigen sind die Lehrer/innen selbst für die Aufnahme von SchülerInnen verantwortlich (auch wenn kein Unterricht erteilt wird); sofern sie ihr Streikrecht ausüben möchten, können sie dieser Pflicht nicht nachkommen. Hingegen gibt es in den Mittel- und Oberschulen ein besonderes Aufsichtspersonal, die ‚Pions’ (oft etwa Studierende mit Zeitverträgen, die für die Pausenaufsicht und Sicherheitsvorkehrungen zuständig sind), welches auch bei Totalausfall des Unterrichts dafür sorgt, dass die Jugendlichen im Schulgebäude aufgenommen werden können. Es sei denn natürlich, dass auch dieses Personal streikt... Mit diesen Anforderungen, die insbesondere von der Kapitalseite her vorgetragen werden, entfernt man sich aber natürlich von den vorgeblichen Nöten und Ängsten der Bevölkerung (in Gestalt von Passagieren der Transportdienste bzw. der Eltern im Schulwesen), die die Regierung allein im Auge zu haben behauptet. Im Falle des Gütertransports etwa lässt sich das Argument des „Wohls der Passagiere“ nicht länger geltend machen. Am Dienstag Abend hatte dann Premierminister François Fillon selbst im Fernsehsender France 3 angekündigt, eine Ausdehnung des z.Zt. für den Personentransport debattieren ‚Service minimum’ in Zukunft auch auf die übrigen öffentlichen Dienste „und darunter auf den Schulbetrieb“ anzuregen. Daraufhin hatte das Thema am Mittwoch begonnen, die gesamte Presse zu beschäftigten (Labournet berichtete am gestrigen Tag). Gewerkschaftliche Reaktionen Ohnehin hatten sich an diesem Mittwoch die verschiedenen Gewerkschaften im Bildungswesen treffen sollen. Dies war seit längerem geplant gewesen. Gegenstand ihres vorhersehbaren Protests waren bis dahin die Regierungpläne gewesen, ab kommendem Schuljahr 17.000 Stellen im öffentlichen Schulsystem zu streichen. (Im Frühsommer war zunächst von 10.000 die Rede gewesen, aber Anfang Juli hatte die Wirtschaftstageszeitung ‚Les Echos’ enthüllt, dass sogar 17.000 abgebaut werden sollten. Dies entspricht der Regel, die der neue Präsident Nicolas Sarkozy im Wahlkampf angekündigt hatte: 50 Prozent der altersbedingten Abgänge sollen nicht ersetzt werden.) Nunmehr wurde eine Resolution verabschiedet, in der sich die verschiedenen Gewerkschaften im Bildungswesen dafür aussprechen, „so bald wie möglich nach Beginn des neuen Schuljahrs“ (das Anfang September anfängt) „die Bedingungen für eine möglichst breite Mobilisierung zu schaffen“. Dabei soll sowohl gegen den Stellenkahlschlag als auch gegen die Pläne zur Aushöhlung des Streikrechts gekämpft werden. Unterzeichner des gemeinsamen Kommuniqués sind die FSU (Hauptgewerkschaft des Lehrpersonals, früher KP-nahe), die Bildungsgewerkschaften der CFDT (SGEN-CFDT), der CGT (FERC-CGT) und des „unpolitisch-refomistischen“ Dachverbands UNSA (SE-Unsa) sowie die nicht einem Dachverband angehörende Gewerkschaft Faen. Am Mittwoch versuchte Bildungsminister Xavier Darcos daraufhin, die Situation zu beruhigen. „Im Moment gibt es nur einen einzigen ‚Mindestbetrieb’ (Service minimum), und der betrifft die Transportbetriebe“ versuchte er, am Ausgang der mittwöchlichen Kabinettssitzung vor der Presse zu beschwichtigen. Die Lehrer seien also („zunächst“) nicht betroffen, erklärte er mit anderen Worten. Doch freilich fügte er hinzu, dies „hinder(e) mittelfristig nicht daran“, im Schulwesen über „Möglichkeiten der Aufnahme von Schülern, der Fortsetzung der öffentlichen Dienstleistung (im Streikfalle)“ nachzudenken. Arbeits- und Sozialminister Xavier Bertrand dementierte am Mittwoch seinerseits, über die Einrichtung eines ‚Service minimum’ im Transportsektor hinausgehen zu wollen. Allerdings sprach er sich für den Mechanismus einer „Überprüfung und Bilanz“ des demnächst dazu verabschiedeten Gesetzes bis im Oktober 2008, wie es in der Senatsdebatte angeregt worden war, aus. Dies bedeute aber noch nicht, dass die Vorschriften auch auf andere Sektoren und Dienste übertragen würden, denn dies sei „juristisch kompliziert“. Im Transportbereich kommt es ebenfalls zur Vorbereitung von Mobilisierungen und möglichen Aktionen der abhängig Beschäftigten. Am 31. Juli findet ein seit Anfang des Monats Juli durch die CGT (zunächst allein) vorbereiteter Aktionstag gegen die Regierungspläne zum Streikrecht statt. Ihm hat sich nun seit gestern, branchenübergreifend, der Dachverband der linken Basisgewerkschaften SUD/Solidaires angeschlossen. Speziell bei den Eisenbahnern kommen zur CGT nun sowohl die Basisgewerkschaft SUD-Rail (SUD Schienenverkehr) als auch die CFDT-Transportgewerkschaft FGTE-CFDT (die relativ fortschrittlich ist und in Linksopposition zur sozialliberalen, im allgemeinen relativ regierungsfreundlichen Führung des Dachverbands steht) hinzu. Allerdings ist für den 31. Juli, mitten im französischen Sommerloch, nicht mit riesigen Mobilisierungen zu rechnen. So geht die Sprecherin des Dachverbands Solidaires (dem hauptsächlich die SUD-Gewerkschaften angehören), Annick Coupé, davon aus, dass an jenem Tag „eher symbolische, von aktiven Gewerkschaftsmitgliedern getragene“ Aktionen stattfinden würden; es es sei aber „wichtig, dass wir zeigen, dass wir dieses Gesetz nicht passieren lassen, ohne etwas zu tun“ (zitiert nach ‚Les Echos’ vom Donnertag). Doch immerhin sind Protestversammlungen bzw. –kundgebungen in ganz Frankreich auf dem Plan vorgesehen. Nicht ausgeschlossen ist, dass die Mobilisierung am 31. Juli als Auftakt zu weiteren sozialen Konflikten ab dem Herbst dient. Eine solche Ankündigung („für den Fall, dass die Regierung die Gewerkschaften weiterhin ignoriert“) hat CGT-Generalsekretär Bernard Thibault am Mittwoch angekündigt. In einer gemeinsamen Erklärung des Dachverbands Solidaires (SUD-Gewerkschaften), von SUD-Rail, der Lehrergewerkschaft FSU und von Attac wird am Mittwoch ebenfalls angekündigt, dass „das Dossier im Herbst erneut geöffnet wird“. Kommt es tatsächlich, wie sich z.Zt. abzuzeichnen scheint, zu mehr oder massiven Konflikten im Bildungswesen, dann könnte die seit der Wahl Nicolas Sarkozys bislang noch anhaltende Phase „bleierner Ruhe“ an der sozialen Front vorüber sein. (Bernhard Schmid, Paris, 02.02.06) |