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Updated: 18.12.2012 15:51
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Aktuelle soziale Kämpfe in Frankreich:

Fastfoodsektor, Kulturprekäre und Debatten um das Streikrecht der Transportbeschäftigten

Seit dem 13. Oktober sind sie im Streik, die aus Westafrika und Sri Lanka stammenden Küchenangestellten des Pariser "Nobelrestaurants" Café Ruc (vgl. Labournet vom 10. November 04).

Am Mittwoch kommender Woche (24. November) wollen sie jetzt, zusammen mit Beschäftigten der französisch-belgischen Fastfoodkette Quick und den streikenden Zimmerfrauen der Hotelkette ACCOR, ein gemeinsames Kampfkollektiv gründen. Damit könnte der gesamte Dienstleistungs-Niedriglohnsektor angesprochen werden.
 
Im Hotel- und Gaststättengewerbe ist es in den letzten drei bis vier Jahren vermehrt zu spektakulären Kämpfen gekommen, vor allem auch im Fastfood-Sektor, der sich durch eine besonders hohe Zahl prekärer Beschäftigter mit Migrationshintergrund auszeichnet. Ein McDonalds-Restaurant im 10. Pariser Bezirk war bis im März dieses Jahres 363 Tage lang wegen Streiks
geschlossen geblieben, infolge der Entlassung von fünf Betriebsratskandidaten, denen der Pächter einen fingierten Diebstahl in die Schuhe zu schieben versuchte. Der Austand endete mit ihrer Wiedereinstellung und der Bezahlung von etwa 40 Prozent der Streiktage sowie einer sechsprozentigen Lohnerhöhung. Während des einjährigen Ausstands wurden auch zahlreiche
andere Fastfood-Läden durch das Basiskollektiv, das die Unterstützung organisierte, in die Mobilisierung einbezogen. Das seinerzeitige UnterstützerInnenkollektiv wird voraussichtlich am 24. 11. ebenfalls mitmischen.

Die Prekären in Gaststätten- und Dienstleistungsgewerbe sind auch in der Pariser Coordination des intermittents et des précaires (CIP) vertreten, die neben den streikenden Fastfood-Beschäftigten auch die diskontinuierlich beschäftigten Kulturarbeiter (intermittents du spectacle) vertritt. Ihre Gruppe hat mit dem Kulturstreik im Sommer und Herbst 2003 sowie den
Störungen beim Filmfestival von Cannes, im Mai dieses Jahres, monatelang die sozialpolitische Debatte beherrscht. Ihr Ausstand richete sich gegen die drastische Reduzierung der Überbrückungsgelder aus der Arbeitslosenkasse, die ihnen das wirtschaftliche Überleben ermöglichen, seit Juni 2003.

Neues von den prekären Kulturschaffenden (intermittents): Einen Schritt vor, zwei Schritte zurück?

Nach den Zwischenfällen von Cannes im Frühjahr 2004 und ihren Folgen - infolge der Misshandlung von Pressefotographen, neben ausständischen intermittents, war auch die Presse aufgebracht - musste die Pariser Regierung zunächst zurückrudern. Zwar verweigerte sie die Rücknahme der "Reform" bei den Überbrückungsgeldern, doch gründete sie zum 1. Juli 04 einen Sonderfonds, aus dem die nunmehr aus der Unterstützung herausfallenden Kulturprekären alimentiert werden
können.

Aber seit einigen Wochen versucht sie, die materiellen Zugeständnisse durch die Hinterhür wieder in Frage zu stellen. Denn Konkret wird beispielsweise in einem vorläufigen Abschlussbericht, den Jacques Charpillon, Verwaltungsdirektor im Kulturministerium, Anfang September 04 seinem Minister vorlegte, angeregt, Kulturschaffenden während einer Berufsanfängerperiode von sechs bis 24 Monaten grundsätzlich. nur noch den Zeitarbeiterstatus zuzuerkennen. Damit würden die spezifischen sozialen Garantien, die mit dem intermittent-Status verbunden sind, wegfallen. Aber auch nach dieser obligatorischen „Einstiegsperiode" sollen bestimmte Beschäftigtengruppen auch weiterhin automatisch als ZeitarbeiterInnen eingestuft werden. Konkret anvisiert werden alle angeblich reinen „technischen Berufe" wie etwa Masken- und BühnenbildnerInnen, die „dem künstlerischen Schöpfungsakt fern" stünden. Dagegen wenden KritikerInnen ein, ein
Bühnenbildner oder –maler sei mindestens ebenso kreativ tätig wie ein Regieassistent, der zahlreiche Verwaltungstätigkeiten zu erledigen hat, dem aber weiterhin offiziell „Kreativität" zugebilligt werden soll.

Ein weiterer Untersuchungsbericht, der Kulturminister Renaud Donnedieu de Vabre am 30. September dieses Jahres überreicht worden ist, spricht dagegen der Ersetzung des intermittent-Status in vielen Fällen durch einen neuen Typus von befristeten Arbeitsverträgen das Wort. Offenkundig ist, dass die Regierung danach strebt, sich des lästigen Problems zu entledigen, indem eine Kategorie von prekär oder diskontinuierlich Beschäftigten, die bisher noch verhältnismäßig solide soziale Garantien besaß, tendenziell durch andere Kategorien mit weitaus weniger sozialen Garantien abgelöst werden soll.
Bis Anfang Dezember soll der Regierung dazu eine Expertise des Wirtschaftswissenschaftler Jean-Paul Guillot vorgelegt werden.

Eine durch die CIP als Selbstorganisation der Betroffenen bei progressiven Sozialwissenschaftlern, wie dem Ökonomen und 'Multitude'-Herausgeber Yann Moulier-Boutang von der Universität Paris-1, in Auftrag gegebene „Gegenexpertise" scheiterte bisher. Und zwar daran, dass staatliche Stellen wie das Sozialministerium und die von den „Sozialpartnern"v erwaltete Arbeitslosenkasse UNEDIC keinerlei Informationen herausrückten. Eine solche Blockade ist in der bisherigen Geschichte
beispiellos.

Einschränkung des Streikrechts bei den Transportarbeitern?

Um eine andere soziale Gruppe, die oftmals zu den Trägern sozialen Protests gehört und gleichzeitig über einen Hebel verfügt, den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen "Alltagsbetrieb" erheblich zu beeinträchtigten, nimmt die Regierung sich derzeit besonders an. Es geht um die Transportbeschäftigten bei der Bahngesellschaft SNCF wie bei den kommunalen, vor allem
Pariser, Verkehrsbetrieben. Bereits im Wahlkampfjahr 2002 hatte der alte und neue bürgerliche Präsident Jaques Chirac seiner Basis versprochen, das Streikrecht der Transportangestellten einzuschränken und notfalls per Gesetz die Einführung eines Service minimum zu erzwingen - also eines Mindestbetriebs, der durch Dienstverpflichtungen erzwungen werden kann. Die Debatte darüber ist nach den Frühjahrsstreiks von 2003 erneut hochgekocht. Ursprünglich hatte Chirac dem Transportminister Gilles de Robien von der christdemokratischen UDF bis zum Ende dieses Jahres Zeit für die Erarbeitung eines Konzepts gegeben. Die Rede war etwa von einer gesetzliche Verpflichtung der Beschäftigten im öffentlichen Dienst, sich bis 48 Stunden vor einem Streik individuell als Streikgewillte oder nicht Streikgewillte zu bekennen.

Ende Oktober wurde dann bei der SNCF ein neues Kollektivabkommen zum Streikrecht durch die Direktion und sieben der neun Gewerkschaften der Eisenbahner - alle außer der populistischen Force Ouvrière (FO) und der linken Basigewerkschaft SUD - geschlossen. Es sieht vor, künftig vor der Ausrufung jedes Streiks - die nach geltendem Recht im öffentlichen Dienst mit einer
Anmeldefrist von fünf Tagen verbunden ist - eine zehntägige obligatorische Verhandlungsperiode einzuhalten. Erst danach soll ein Streik binnen 24 Stunden beginnen können, wobei Bahndirektion und Gewerkschaften sich aber "zum Zwecke der Information der Kunden" vorab auf einen "voraussichtlichen Dienstplan" verständigen sollen. Einen ähnlichen "Vorwarnmechanismus mittels sozialer Konzertierung" gibt es seit 1996 bereits bei den Pariser Bus- und Metrobetrieben, wo
seitdem die Zahl der Streiks um zwei Drittel gesunken ist.

Die Mehrheitsgewerkschaft CGT hat bei den Eisenbahnern - anders als bei den Busfahrern - das jüngste Abkommen unterzeichnet. Zwar hat die Bahndirektion keine Gegenleistungen für die jetzt vereinbarte "Vorwarnfrist"erbracht, wie die FO-Gewerkschaft bemängelt. Allerdings lautet das Kalkül der "postkommunistischen" CGT, die geschlossene Vereinbarung werde helfen, künftig Schlimmeres zu vermeiden. Denn tatsächlich enthält sie keine Bestimmungen zu Dienstverpflichtungen und obligatorischem Service minimum. Ferner ist an das Abkommen ein gemeinsamer Brief der Unterzeichnerparteien angeheftet, in dem diese sich gegen eine zukünftige gesetzliche Beschränkung des Streikrechts aussprechen. Für den Fall, dass die Regierung solche Pläne wahr macht, drohen die meisten Gewerkschaften zudem mit einer Aufkündigung der jetzigen
Vereinbarung und einem neuen Konflikt.

Dennoch zeigten sich der Premier Jean-Pierre Raffarin und sein Transportminister sehr zufrieden mit dem neuen Abkommen bei den Eisenbahnern, das möglichst rasch Nachahmer in anderen öffentlichen Betrieben finden soll. Gilles de Robien bezeichnete es als ersten Schritt, dem aber noch weitere Vereinbarungen zur Frage einer Mindestbelegschaft im Streikfalle folgen sollten, damit man von einem Gesetz absehen könne. Raffarin dagegen erklärte den Rückgriff auf ein solches Gesetz
weiterhin für "wahrscheinlich". Ihn fordert auch der wirtschaftsliberale Flügel der Regierungspartei UMP, der sich in dieser Frage ausnahmsweise sehr für die Idee staatlicher Regulierung begeistert.

Artikel von Bernard Schmid vom 13.11.04


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