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Updated: 18.12.2012 16:07 |
Sinkflug eines Wahlsiegers "Stößt das "Modell Sarkozy" an seine Grenzen? Hat das Publikum von der Show schon wieder die Nase voll? Seit Januar dieses Jahres vollzieht der französische Staatspräsident, der am 16. Mai 2007 mit dem Image eines strahlenden Winner-Typen - dem aber nicht zu allzu viele Skrupel nachgesagt werden - ins Amt kam, einen fast kontinuierlichen Sinkflug in den Meinungsumfragen vollzogen" - so beginnt der ausführliche Beitrag "Ein Jahr nach seiner Amtsübernahme: Sarkozy amtsmüde? In der Klemme? Oder einfach beim Aussitzen der Unzufriedenheit(en)?" von Bernard Schmid vom 23. Mai 2008. Ein Jahr nach seiner Amtsübernahme: Sarkozy amtsmüde? In der Klemme? Oder einfach beim Aussitzen der Unzufriedenheit(en)? Stößt das "Modell Sarkozy" an seine Grenzen? Hat das Publikum von der Show schon wieder die Nase voll? Seit Januar dieses Jahres vollzieht der französische Staatspräsident, der am 16. Mai 2007 mit dem Image eines strahlenden Winner-Typen - dem aber nicht zu allzu viele Skrupel nachgesagt werden - ins Amt kam, einen fast kontinuierlichen Sinkflug in den Meinungsumfragen vollzogen. Nach einer zwischenzeitlichen, kurzfristigen Erholung seiner Umfragewerte stieg er zum ersten Jahrestag seiner Wahl am 6. Mai erneut ab, und noch weiter als zuvor. Umso diskreter, ja auffällig unauffällig für einen actionverliebten Medienhengst wie Sarkozy, beging das Präsidentenamt im Elysée-Palast deshalb auch diesen Jahrestag. Der Informationsdienst des Internet-Providers Orange.fr sprach von einem "griesgrämigen (morose) Jahrestag". Und folgt man einem Bericht, der eine Woche danach in der Pariser Wochenzeitung ,Le Canard enchaîné' erschien, dann zögerte Sarkozy, doch noch bei einer Veranstaltung von Anhängern seiner Regierungspartei UMP zum Jahrestag aufzutreten. Am Ende blieb er der Veranstaltung, zu der rund 2.000 Personen gekommen waren, dann doch fern. Und überlegte sich eigenes eine Begründung dazu: Er sei nicht gekommen, "da er der Präsident aller Franzosen und nicht nur seiner (eigenen) politischen Familie" sein müsse. Doch der Generalsekretär der UMP, Patrick Devedjian, der sich in den letzten Wochen immer stärker vom Unterstützer zum Rivalen entwickelt - u.a. weil er schwer durch die Aufteilung der Regierungsposten nach der Wahl enttäuscht wurde - übermittelte die Botschaft, mit der er beauftragt worden war, nicht vollständig. Er verkündete der (relativ kleinen) Menge, die da im Saal ungeduldig auf Nicolas Sarkozy wartete, lediglich: "Der Präsident lässt sich entschuldigen." Daraufhin war die Stimmung gründlich versaut. Und der Premierminister François Fillon, der nach Devedjian und in einem Saal voller enttäuschter und müde wirkender Anhängertruppen sprach, dankte es ihm entsprechend aus vollem Herzen... 55 Prozent erklärten zum selben Zeitpunkt, dass sie nicht möchten, dass er in vier Jahren erneut kandidiert. Und nur 36 bis 38 Prozent erklärten, dass sie dem Präsidenten "vertrauen", während 58 Prozent ihm ihr "Misstrauen" aussprachen. (Vgl. http://www.centpapiers.com/55-des-Francais-ne-souhaitent-pas,3675) Seit längerem ist der französische Präsident auch in der Beliebtheitsskala hinter seinen Premierminister François Fillon zurückgefallen - einen eher blassen Politiker, dem Präsident Sarkozy bislang kaum Platz für eigenständige Auftritte gelassen hat. Vielleicht hat gerade dies dem Premier paradoxerweise genutzt, da er nicht so stark mit dem offiziellen Glimmer der Sarkozy-Ära identifiziert wird. Obwohl Fillon eine direkte politische Verantwortung für viele der sozialen Einschnitte der letzten Jahre trägt, etwa als damaliger Arbeits- und Sozialminister für die heftig umstrittene "Rentenreform" vom Frühsommer 2003, wird dies durch die öffentliche Meinung im Augenblick kaum wahrgenommen. François Fillon blieb monatelang im Schatten von Nicolas Sarkozy, konnte sich dabei aber auch weniger "abnutzen", zumindest in jüngster Zeit. Mehrere Monate lang konnte er sich auf einem stabilen Polster von 55 bis 59 Prozent positiver Umfragewerte "ausruhen", während Sarkozy längst seinen Abstieg angetreten hatte. In jüngster Zeit geht es nun allerdings auch mit ihm bergab. Anfang Mai hatte er erstmals (mit 51 % Ablehnungen) mehr negative als positive Werte auf seiner Beliebtheitsskala stehen. Soweit die Oberfläche. Denn dies beschreibt nur eine Seite des politischen und gesellschaftlichen Geschehens. Bereits die Tatsache, dass Premierminister François Fillon sich lange Monate hindurch in den Umfragen weitaus besser hielt als sein Vorgesetzter im Amt - obwohl beide ein- und dieselbe Politik betrieben -, deutet darauf hin, dass die öffentliche Meinung in ihrer Mehrheit (noch) nicht unbedingt deren Kerninhalte verwirft. Bei einem Teil seiner früheren Wähler eckt Sarkozy mit seinem Stil eines ungehobelten Neureichen zunehmend an. Die "Überbelichtung" (surexposition) seines Privatlebens infolge seiner Heirat mit dem Ex-Model Clara Bruni, sein Faible für Kurzurlaube auf Yachten oder in Privatjets von befreundeten Milliärden wie Vincent Bolloré sowie für Rolex-Uhren trugen hierzu ebenso bei wie seine Manieren eines Parvenüs. (Vgl. http://www.heise.de/tp/r4/artikel/27/27214/1.html) Ursprünglich hatte Sarkozy im Wahlkampf des vergangenen Jahres immer wieder "das Frankreich, das früh aufsteht, hart arbeitet und nicht unnötig protestiert" gelobt und seine Versprechungen an dieses Publikum gerichtet - während er zugleich in seinem letzten Wahlkampfmeeting Ende April 2007 versprach, "das Erbe des Mai 68 endgültig zu liquidieren". Das kam bei einem Teil der konservativen, und ebenso bei einem Teil der rechtsextremen Wähler gut an. Statt weiterhin die harte Arbeit zu loben, praktiziert Sarkozy jetzt aber das Angebertum dessen, der es geschafft hat und sich persönlich auf der Gewinnerseite angekommen sieht. Das sorgt in denselben Kreisen für Enttäuschung und Verbitterung. Die Zahlen, die vor drei Monaten diesbezüglich durch die liberale Pariser Abendzeitung publiziert wurden, sprechen eine klare Sprache: Im Monat seiner Wahl sprachen 88 Prozent der Wähler des rechtsextremen Front National dem neuen "starken Mann" an der Spitze Frankreichs ihr Vertrauen aus. Im Hochsommer vergangenen Jahres, nach den ersten Eskapaden Nicolas Sarkozys in Nobelrestaurants und auf Luxusyachten unmittelbar nach seiner Wahl, waren es noch 65 Prozent, ähnlich viele wie im nationalen Durchschnitt (zwei Prozentpunkt darunter). Anfang Februar waren noch 43 Prozent unter ihnen, d.h. zum damaligen Zeitpunkt, je nach Umfrage, zwei Prozentpunkte mehr oder fünf Prozent weniger als im nationalen Durchschnitt. Auch wenn dies nicht bedeutet, dass die organisierte extreme Rechte bei kommenden Wahlen so schnell wieder Tritt fassen wird, denn auch der Front National - ähnlich wie die Linke - wurde durch die zeitweilige Hegemonie des von Sarkozy geschmiedeten und angeführten politischen Blocks destabilisiert und desorientiert. -------------------- EINSCHUB: Die unverschämtesten Blogs und Netzveröffentlichungen über Nicolas Sarkozy. * Der Kurzfilm-Klassiker: Dieses satirische Video, das kurz vor der Präsidentschaftswahl 2007 ins Netz gestellt und seitdem millionenfach konsultiert wurde, zeigt imaginäre Fernsehnachrichten über den Tod des 87jährigen Präsidenten Sarkozy "zu Beginn seines achten Mandats". Im Ceaucescu-Stil wird das Staatsoberhaupt als "Leuchtturm des Denkens", den zehn Generationen im Gedächtnis behalten sollten, bezeichnet. Neben einigen Übertreibungen enthält der Kurzfilm Anspielungen auf tatsächliche wunde Punkte Sarkozys, etwa sein politisches Spiel mit Religionsgruppen unterschiedlicher Couleur, darunter höchst fragwürdigen wie der "Scientologie-Kirche". Während Sarkozy im Vorjahr u.a. auch dank seiner Anziehungskraft auf ehemalige Le Pen- Wähler ins Amt kam, setzt das Video "seine Witwe Marine Sarkozy" (alias Marine Le Pen) in Szene... >> http://www.dailymotion.com/video/x1pbsy_sarkozy-petit-pere-du-peuple In den letzten Wochen ebenfalls ein Klassiker: Das Video vom Austicken Sarkozys auf der Pariser Landwirtschaftsmesse gegenüber einem Mann, der ihm nicht die Hand schütteln mochte : http://www.youtube.com/watch?v=axDyUNWyuw8 Der Ätzendste: der Blog http://sarkostique.xooit.fr/index.php (von ,caustique', also "ätzend"). Ein paar Rubriken zur Auswahl: die Kopftöche - ,casserolles' -, die Sarkozy scheppernd hinter sich herzieht; Sarkozy und die Verwaltung des Landes wie im Monopoly-Spiel; Sarkozy und die illustren Gestalten seines Hofstaats, wobei der Hof - la cour - auch als ,Cour des miracles' (Gangster-Unterschlupf) erscheint; Sarkozy, ,le petit père des pipoles', also der kleine Vater des Prominentenklatschs, in Abwandlung vom ,petit père des peuples' (Josef Stalin, "das Väterchen der Völker")... Nicolas Sarkozy, "armer kleiner reicher Mann": http://letincelle.centerblog.net/3631743-Nicolas-Sarkozy-pauvre-petit-homme-riche- * Der Blog des kleinen Nicolas Sarkozy, der vor allem während des Präsidentschaftswahlkampfs aktiv war: http://lepetitnicolassarkozy.over-blog.com/ Ohne Zweideutigkeit: "Sarkozy non merci!" Rubriken u.a.: "Die Verrücktheit Nicolas Sarkozys", "Ein ganz kleiner Präsident in einer Demokratie ohne Größe", "Die Methode Sarkozy: Verrat und Manipulation"... >> http://sarkononmerci.fr/ * "Die Kleinanzeige des Nicolas Sarkozy", oder wie der Präsident seine Frau, das langjährige Model Carla Bruni gefunden hat (Satire): http://www.music-shared.fr/humour-decouverte-les-fanfreluches-la-petite-annonce-de-nicolas-sarkozy/ ( ENDE DES EINSCHUBS) ------- Welche ,Errungenschaften' für die Rechte bzw. die Bourgeoisie? Auch wenn im Augenblick das "Modell Sarkozy" nicht im vollen Sinne zu triumphieren scheint, so ist doch die Frage aufzuwerfen, was die Präsidentschaft Nicolas Sarkozys für die politische Rechte und die französischen wirtschaftlichen Eliten in ihrem bisherigen Verlauf gebracht hat. Eine Feststellung springt dabei ins Auge: Ihr Herangehen an das "notwendige Reformieren" der französischen Gesellschaft und Ökonomie ist dabei ein grundlegend anderes als zu Zeiten des Amtsvorgängers Jacques Chirac. Chirac und seine Premierminister mussten - vor allem in der Anfangsphase ab 1995 - notgedrungen zurückstecken, nachdem ihre zum Teil offen lügnerischen Sozialversprechen im Wahlkampf in offenkundigen krassen Gegensatz zu einer anderslautenden Praxis getreten waren und sich schnell Protest an diesem Widerspruch entzündet hatte. An denselben Punkten rücken Sarkozy und seine Mannschaft hingegen beim Abbau historischer Errungenschaften der Arbeiterbewegung und des antifaschistischen Sozialkompromisses von 1944/45 entschlossen und zügig voran. Letzteren hatte der frühere Vizepräsident des Arbeitgeberverbands, Denis Kessler, in einem am 4. Oktober 2007 publizierten Interview explizit zu liquidieren versprochen: "Man muss systematisch das Programm des Conseil national de la Résistance (Anm.: von 1944) abwickeln". (Vgl. http://www.jerpel.fr/spip.php?article173 ) Jenseits der unterschiedlichen Persönlichkeiten und Temperamente der beiden Staatsoberhäupter spielen auch objektive Faktoren bei der Erklärung dieser manifesten Unterschiede eine Rolle: Jacques Chirac hatte sich 1995 als Präsidentschaftskandidat gegen einen (vermeintlich stärkeren) Konkurrenten aus den Reihen seiner eigenen Partei, damals des neogaullistischen RPR, behaupten müssen und deswegen auf der Klaviatur der schön klingenden sozialen Versprechungen gespielt. Hingegen wusste Sarkozy im Wahlkampf von 2006/07 eine geeinigte Rechte, die er hinter sich hatte zusammenschließen können, hinter sich. Und er kündigte im Wahlkampf tatsächlich kaltschnäuzig an, was er auf dem Gebiet der "nötigen Reformen" später auch durchzusetzen versuchte. Eine Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit tat sich so gar nicht erst auf. Stattdessen strich er zunächst den Imagebonus dessen, "der ehrlich auftritt und tut, was er sagt" und "der auch mal auf den Tisch hauen kann" ein. Allerdings hatten viele seiner Anhänger und Sympathisanten sich dabei zugleich erhofft, dass auch für sie selbst etwas dabei vom gedeckten Tisch abfallen würde, falls sie sich nur eine Scheibe vom Winnertypen abschnitten und hart - oder dynamisch - genug im Leben aufträten. Blitz- statt Stellungskrieg, so lautet die neue Methode beim "Reformieren" auf wirtschafts- und sozialpolitischem Gebiet. Die Erfolgsbilanz des Agierens der neuen Regierung kann sich dabei, aus wirtschaftsliberaler Sicht, durchaus sehen lassen. Jenseits des augenblicklichen parteipolitischen Erfolgs - mit Blick auf die Umfragewerte - sowie des vordergründigen Jammers mancher lautstarker "Reform"befürworter fällt das Ergebnis gar nicht so mager aus. Kein Präsident vor ihm hat erfolgreich an die Eisenbahnerrenten rühren können, ohne das Land durch einen mehrwöchigen und konsequent geführten Transportstreik "lahm gelegt" zu sehen. Und die Drohung, das Regierungslager könne gesetzgeberisch aktiv werden, hat genügt, um in den letzten Monaten - auf anderen Gebieten - die Gewerkschaften "freiwillig" zum Verzicht auf angestammte Positionen und zum Aushandeln regressiv ausfallender "Kompromisse" zu bewegen. Nach dem Motto: Wenn wir nicht das Zweitschlimmste durch unsere Unterschrift akzeptieren, könnte auch das Schlimmste kommen. So konnten Regierungs- und Arbeitgeberseite immerhin vier von fünf Gewerkschaftsdachverbänden (alle außer der CGT) zur Unterschrift unter ein Abkommen "zur Modernisierung des Arbeitsmarkts" vom 18. Januar dieses Jahres bewegen, das die Probezeiten - während derer kein Kündigungsschutz besteht - verlängert, die Möglichkeiten zum Abschluss unbefristeter Arbeitsverträge ausdehnt und ihnen jetzt u.U. auch eine unbestimmte Dauer zubilligt. Bislang konnten befristete Arbeitsverträge nur für eine feststehende Dauer abgeschlossen werden, mit Ausnahme krankheitsbedingter Vertretung eines abhängig Beschäftigten durch einen anderen. Ferner wird durch das neue Abkommen in bestimmten Fällen den Gang zum Arbeitsgericht nach einer Kündigung ausgeschlossen. Und auch die CGT konnte die konservativ-liberale Rechte zugleich in ihre Strategie einbinden und auf relativ zahme Positionen festlegen. Einer der Gründe dafür ist, dass die Regierung die so genannten Sozialpartner seit Anfang des Jahres über eine Neufestlegung der Regeln zur so genannten "gewerkschaftlichen Repräsentativität" verhandeln ließ - wiederum unter der Androhung, im Falle eines Scheiterns der Verhandlung und des Ausbleibens einer Vereinbarung selbst gesetzgeberisch aktiv werden. Die "Repräsentativität" ist die bestimmten Gewerkschaften vom Gesetzgebern zuerkannte Eigenschaft, durch sie als befähigt und befugt gelten, im Namen der abhängig Beschäftigten zu sprechen und Kollektivverträge (die Entsprechung zu den deutschen Tarifverträgen) abzuschließen. Jahrzehnte hindurch hatten Gesetzgeber und Arbeitgeberlager kleinere, kaum eine reale soziale Basis aufweisende - eher rechte - Gewerkschaften am Leben gehalten, um die "übermächtige" und "kommunistische" CGT aus dem sozialen Dialog heraushalten zu können. Nunmehr gilt diese Konzeption aber als überholt, und Berater Nicolas Sarkozys sprachen davon, dass endlich "auch in der sozialpolitischen Landschaft Frankreichs die Berliner Mauer fallen" müsse. Um eine sich rapide entpolitisierende oder auch zu sozialdemokratischen Positionen übergehende CGT besser integrieren zu können, haben Regierung und Arbeitgeber nun die Positionen kleinerer und eher rechter Gewerkschaften, wie des Verbands christlicher Arbeitnehmer (CFTC), "geopfert". Denn bei den Verhandlungen kam ein Abkommen vom 10. April dieses Jahres heraus, das vorsieht, dass Gewerkschaften nunmehr das Bestehen einer realer sozialen Basis nachweisen müssen, um rechtsverbindliche Kollektivverträge im Namen der Beschäftigten schließen zu können. So muss eine Gewerkschaft etwa 10 Prozent bei den Betriebsratswahlen erhalten haben, um im Betrieb als "repräsentativ" zu gelten. Zuvor mussten bestimmte kleinere Gewerkschaften, waren sie einmal vom Gesetzgeber anerkannt, gar nichts mehr beweisen. Die Neuregelung begünstigt die "postkommunistische" CGT und die sozialliberale CFDT, die beiden größten Gewerkschaftsbünde - und durfte zu einem Fusionsfieber unter den übrigen, kleineren Gewerkschaftsverbänden führen. Denn letztere sehen sich nun zum Teil in ihrer Existenz, zumindest längerfristig, bedroht. Sarkozy und seinem politischen Umfeld gelang damit freilich das Kunststück, die ehemals "rote" Gewerkschaft CGT einzubinden, das zuvor noch keiner bürgerlichen Regierung gelungen war. Und Letztere hielt ihrerseits über Monate hinweg (relativ) still, da sie den Erfolg der Verhandlungen - die für ihre Zukunft entscheidende Weichen stellten - nicht gefährden mochte. So verzichtete die CGT bei der Abschaffung der günstigen "Sonderregelungen" (régimes spéciaux) bei den Renten der Eisenbahner und anderer Berufsgruppen im vergangenen Winter darauf, das Land durch einen Generalstreik "lahmzulegen". Ihr Ausstand im November 2007, der "nur" neun Tage dauerte - ein Rekord in der Kürze, verglichen etwa mit den dreieinhalb Wochen Streik bei allen Transportbetrieben im Herbst 1995 aus ähnlichem Anlass - und den sie nicht auf andere Berufsgruppen über die hauptbetroffenen Eisenbahner hinaus ausdehnte, blieb nicht als sonderlich kämpferisch in Erinnerung. Er wirkte eher wie eine pro forma absolvierte Pflichtübung. Da hatten Sarkozys Amtsvorgänger Jacques Chirac und dessen Premierminister Alain Juppé, der nach anderthalb Jahren regelmäßigen Aufflammens von Streiks und Widerständen gegen seine Politik im Frühjahr 1997 de facto das Handtuch warf, noch völlig andere Erfahrungen machen müssen. Rechten Anhängern der Staatsautorität ebenso wie Verfechtern einer neoliberalen Wirtschaftspolitik gilt Chirac deswegen im Nachhinein als "ängstlicher Feigling", der nichts durchzusetzen vermocht habe. Starke Rechte - oder schwache Linke? Dass die regierende Rechte mit ihrer "neuen" Methode bisher relativ gut "durchkommt", liegt nicht ausschließlich an ihr selbst. Auf der Gegenseite hat sie es mit geschwächten Kräften zu tun. Die politische Linke ist zersplittert, und entlang von Fragen, die von der Sache her rational und strategisch zu diskutieren wären - "Wie hältst Du es mit einer potenziellen Regierungsbeteiligung?", "Ist der Neoliberalismus oder der Kapitalismus das zu überwindende Problem?" - herrscht eine heillose Verwirrung und organisatorische Aufspaltung, während vor allem im Abschnitt 2006/07 der Röhrenblick auf die Wahlen und die Beteiligung an ihnen überwog. Die Gewerkschaften ihrerseits sind, aufgrund mehrer objektiver und subjektiver Faktoren, in die Defensive gedrängt. Die "postkommunistische" CGT als noch immer stärkster Gewerkschaftsbund hat sich sozialdemokratisiert und verhält sich relativ passiv. Der Zustand der Rechten allein erklärt also nicht alles. Dennoch stellt sich die Frage, ob sie sich zwischen dem Beginn der Chirac- und jenem der Sarkozy-Ära verändert, ja einen Qualitätssprung erlebt hat. Diese Frage wird derzeit in einer Reihe von Quellen kontrovers diskutiert. So haben eine Reihe sozialwissenschaftlicher oder politischer Zeitschriften Sonderausgaben zum "Phänomen Sarkozy" auf den Markt geworfen, von denen einige einen Blick lohnen. Dies gilt etwa für die Ausgabe Nr. 53 der Zeitschrift Mouvements vom Spätherbst 2007, unter dem Titel La New droite (Untertitel: "Eine konservative Revolution auf französisch?"), und die zum selben Zeitpunkt erschienene Sondernummer der Revue Esprit: Qu'est-ce que le sarkozysme? Erwähnenswert ist ferner das, in Teilen der Linken beinahe zum Kultbuch gewordene, schmale Büchlein des ex-maoistischen Philosophiedozenten Alain Badiou: De quoi Sarkozy est-il le nom? (Wofür steht der Name Sarkozy?) Während Badiou sich vor allem grundsätzlichen, teilweise politisch und teilweise philosophisch angegangenen Fragen - wie einer Neubegründung des Universalismus, der sich u.a. an der Frage der Rechte von Migranten weltweit messen lassen mus - widmet, versuchen sich die Zeitschriftenbeiträge an einer Feinanalyse der Erfolgsgrundlagen des "Phänomens Sarkozy". Jenes definiert Badiou als einen "Neopétainismus", wobei er darunter nicht einen Faschismus oder Neofaschismus im engeren Sinne versteht (was auch inhaltlich falsch wäre). Von der richtigen Annahme ausgehend, dass das autoritär-klerikale Regime von Vichy nicht mit dem Faschismus oder Nationalsozialismus auf eine Stufe zu stellen ist, wohl aber in ihrem Windschatten gedieh, postuliert Badiou: "Die massenhaft verbreitete Grundidee des Pétainismus war (.) dass, nach dem Krieg von 1939, Pétain die Franzosen vor den desaströsesten Auswirkungen des Weltkriegs beschützen werde." Der Pétainismus sei eine Allianz der Verängstigten gewiesen, die, so Badiou, viele Züge des Verhaltens der Menschen unter dem Faschismus - Badiou: "Angst, Denunziation, Verachtung der anderen" - , aber nicht dessen "Affirmationskraft" und "vitalen Elan" aufwies. In diesem Sinne betrachtet der sich nach wie vor zum Marxismus bekennende Philosoph die (anfängliche) breite Zustimmung zu Sarkozy als "Möglichkeit eines Neopétainismus mit Massenbasis", dessen Anhänger sich vor den Krisen und Verwerfungen der Welt in Sicherheit wähnen wollen und deshalb umso stärker nach Schutz vor ("illegaler") Einwanderung und "Bedrohungen für die innere Sicherheit" verlangen. Auf welchen Begriff der "Sarkozysmus" genau zu bringen ist, lassen die Autoren der beiden Sammelbände in Zeitschriftenform - deren mit Abstand interessanterer die Ausgabe von Mouvements darstellt - offen. Der Schullehrer für Philosophie Pierre Tevanian sieht seinerseits Elemente des Pétainismus in dem zeitgenössischen politischen Phänomen angelegt, und analysiert den Spuren des Pétain-Programmsatzes "Arbeit, Familie, Vaterland" in Sarkozys Wahlkampfdiskurs und -programmen nach. Diese seien jedoch mit Modeerscheinungen, mit punktuellen Imitationen von Ronald Reagan oder Margaret Thatcher sowie politischen Charakterzügen Silvio Berlusconis verschnitten. Die wahre Stärke des Phänomens Sarkozy sieht Tevanian jedoch mitnichten in dessen eigenen Merkmalen, sondern ganz überwiegend darin, dass ihm auf der anderen Seite nichts Substanzielles gegenüber stehe: Die etablierte Linke sei so ideenlos wie angepasst und habe, etwa in Sachen Einwanderungspolitik, einige Grundsätze ihrer Gegner geschluckt und übernommen. Die Auffassung, dass die Stärke der Rechten nur oder überwiegend in der Schwäche der Linken liege, teilen andere Autoren jedoch nicht. "Ist die (französische) Rechte intelligent geworden?" lautet so die Grundfrage des Sammelbands, den die Zeitschrift Mouvements als ihre Nummer 53 herausgab. Dabei spüren die Verfasser mehrerer interessanter Beiträge der programmatischen Erneuerung des französischen konservativen Blocks nach und arbeiten heraus, inwiefern dieser auf auch ausgefeilte Weise die Schwächen der sozialdemokratischen Alternative ausnutzt. Anschaulich lässt sich dies etwa im Beitrag von Marco Oberti über die Schulpolitik herauslesen: Seit Jahren liegt einer der Grundwidersprüche des öffentlichen Schulsystems in Frankreich darin, dass dieses die Gleichheit der Chancen für alle Schüler proklamiert, aber auf einer realen, strukturellen Ungleichheit aufbaut. Aufgrund der, in Frankreich besonders starken, räumlichen Segregration zwischen Gesellschaftskategorien bzw. -klassen sind manche Schulen aufgrund ihres Standorts mit einer solchen Konzentration sozialer Probleme (bzw. ihres Niederschlags in der Generation der schulpflichtigen Kinder, in Form von Lernschwierigkeiten, psychischen Problemen und Verhaltensauffälligkeiten) konfrontiert, das sie den "lernfähigen und -willigen" Schülerinnen und Schülern von vornherein nur geringe Chancen bieten können. Die bisherige Antwort der Republik auf diese Herausforderung für das Bildungswesen lautet, dass das Wohnortprinzip strikt einzuhalten sei, Kinder und Jugendliche also in der geographischen Nähe ihres Elternhauses einzuschulen seien, wodurch eine "Zufallsmischung" unter den Schülern entstehe. Dies ist eben nicht der Fall, da die Verteilung der Wohnbevölkerung auf die einzelnen Schulbezirke schon durch starke soziale Unterschiede geprägt ist. Zudem umgehen findige Eltern - vor allem solche, die selbst einen relativ guten Bildungshintergrund haben - diese Wohnortbindung schon seit längerem seit durch allerlei Tricks: Anwendung der Kinder bei Verwandten, die Wahl seltener Fremdsprachen, die nur in bestimmten Schulen angeboten werden. Die politische Rechte hat eine, demagogische, Antwort auf dieses reale Problem gefunden: die "Freiheit der Schulwahl" durch die Abschaffung der so genannten Carte scolaire, also die Aufhebung der Wohnortbindung. Diese ist nun auch real für den Beginn des Schuljahres 2008/09 angekündigt. Sie wird in der Praxis dafür sorgen, dass die gefragtesten und am besten ausgestatteten Schulen, deren Absolventen die landesweit besten Ergebnisse haben, sich ihre Kandidaten werden aussuchen, ja handverlesen können. Die neu geschaffene Mobilität wird also vorwiegend die mit, um mit Pierre Bourdieu zu sprechen, reichlich "kulturellem Kapital" ausgestatteten Kinder der Mittel- und Oberklassen und eine schmale Elite "hochbegabter" Schüler betreffen. Jene aus den sozialen Unterklassen werden nur noch stärker in den dann "abgeschriebenen" Schulen konzentriert werden und in ihrem eigenen Saft schmoren. Anstatt aber diese Risiken anzuprangern, führte die sozialdemokratische Präsidentschaftskandidatin Ségolène Royal in ihrem Wahlkampf einen Eiertanz auf: "Lockerung" des bisher geltenden Wohnortprinzips ja, seine Aufhebung nein. Damit schlug sie einen irgendwie gearteten Mittelweg zwischen einem schlechten Status quo und einem Änderungsvorschlag, der nur noch höhere Risiken in sich birgt, vor und begab sich in die Defensive gegenüber einer bürgerlichen Rechten, die wesentlich konsequenter und entschlossener argumentierte. Somit stand die politische Rechte als Verfechterin einer "Alternative", die sozialdemokratische Kandidatin hingegen als Verteidigerin eines kaum noch haltbaren Status Quo in der Öffentlichkeit da. Auch in der Sicherheits-, Polizei- respektive Kriminalitätspolitik hat die Rechte unter Nicolas Sarkozy zeitweise vermeintliche Erfolge erzielt und vorgebliche Lösungen vorgetragen. So schien sie zeitweise das Fieber zu senken, indem sie das Thermometer zerschlug, durch die Beendigung der Politik der so genannten ,Police de proximité' oder bürger- bzw. einwohnernahen Polizei. In der Sache handelte es sich dabei darum, lokal angesiedelte Polizeieinheiten, die innerhalb der Krisenzonen der Trabantenstädte angesiedelt werden sollen, zu schaffen. Dies hatte die sozialdemokratisch geführte Regierung in den Jahren 1997 bis 2002 unter dem Namen ,Police de proximinité' unternommen. Auf diesem Wege sollte eine Deseskalation im polizeilichen Auftreten herbei geführt werden: Bis dahin war das Erscheinungsbild der Polizei in den Banlieues von militarisierten, ortsfremden Einheiten geprägt gewesen, die die lokalen Verhältnisse nicht kennen, bestimmte "Krisenzonen" nur zu Strafexpeditionen betreten und sich dort wie in (zeitweilig erobertem) Feindesland aufführen. Oft trägt dabei zusätzlich zum Aufbau von Spannungen bei, dass besonders junge, unerfahrene Beamte dort zum Einsatz kommen, denen das Image "der Banlieues" selbst erhebliche Furcht einflößt und die sich nur umso aggressiver benehmen. Um dem ein Ende zu setzen, hatte die sozialdemokratische Regierung kleine, dezentrale Einheiten geschaffen, deren Beamte auch tagsüber in ihren Büros innerhalb der Trabantenstädten ansprechbar sein und die so ein minimales Vertrauensverhältnis zu den Einwohnern aufbauen sollen. (Allerdings koexistierten diese "anwohnernahen" Polizeikräfte, die über kleine dezentrale Kommissariate innerhalb der Banlieues verfügten, auch unter der sozialdemokratischen Regierung mit den Rambotrupppen à la BAC - ,Brigades anti-criminalité' -, die sträflicherweise zu keinem Zeitpunkt aufgelöst worden waren. Während die Erstgenannten tagsüber und an Werktagen in ihren Büros ansprechbar waren, "gehörte" die Nacht in den Banlieues weiterhin - sofern Polizei zum Einsatz kam - den durchmilitarisierten Ramboeinheiten. Und es kam auch unter der "Links"regierung weiterhin zu Toten durch polizeiliche Gewalteinwirkung unter den Banlieuejugendlichen und infolge dessen zu Unruhen, so Ende 1997 in Dammarie-les-Lys, Anfang 1999 in Toulouse oder im Frühjahr 2000 in Lille-Sud.) Die Rechtsregierungen ab 2002 hatten diese Politik jedoch vollständig beendet und eine Rückkehr zu einem "Rambo-Auftreten" der Polizei betrieben. Das minderte zunächst scheinbar die Kriminalitätsrate in den Banlieues, da - aufgrund wachsender räumlicher Entfernung zwischen Polizeikommissariaten und Einwohnern und/oder verringerter Öffnungszeiten für den Publikumsverkehr - insgesamt weniger Straftaten zur Anzeige gebracht wurden. Die Lage für die Bürger/innen vor Ort verbesserte sich zwar nicht, wohl aber schien die Autorität des Staates "rehabilitiert" worden zu sein. Denn, so der damalige Innenminister Sarkozy, in der vorherigen Phase hätten Polizisten "allzu oft Sozialarbeiter gespielt, und das ist nicht ihre Aufgabe". Diese scheinbare deutliche Verbesserung der Kriminalitätsstatistiken war eine der wichtigen Ursachen für den Publikumserfolg des, "hart durchgreifenden", damaligen Innenministers Sarkozy. Aber das Vorgehen insgesamt war höchst eskalationsträchtig, wie sich bei den Unruhen 2005 zeigte, nachdem zahlreiche Deseskalations- und Vermittlungsmöglichkeiten zwischen Staatsgewalt und Einwohnern zerstört worden waren. Nunmehr kehrt, mit den seit Februar 2008 neu geschaffenen ,Unités territoriales de quartier', auch die Rechtsregierung stillschweigend zu Konzepten zurück, die denen der "anwohnernahen Polizei" aus dem vergangenen Jahrzehnt doch sehr ähneln. Auch wenn der Strategiewechsel nicht beim Namen genannt wird. Ist die französische Rechte also intelligent geworden, nachdem der "sozialistische" Premier Guy Mollet in den 1950er Jahren einmal über sie geäußert hat, sie sei "die dümmste Rechte der Welt"? Nichts darauf hin, dass dies dauerhaft so wäre. Aber das konservative Lager, die Wirtschaftsliberalen und die Reaktionäre sind tatsächlich - vor allem - deswegen so stark, weil ihre Gegner derzeit oft schwach und strategie- oder ideenlos wirken. Angst um das eigene Image. im Internet Unterdessen scheinen Nicolas Sarkozy tatsächlich ernsthafte Sorgen um sein Image zu plagen, bezüglich er dessen nun sogar explizit das Internet überwachen lassen möchte. Die Einen halten es freilich für einen guten Witz, während Andere sehen sich schon im Überwachungsstaat à la George Orwells 1984 wähnen - die Auffassungen sind sehr geteilt darüber, was man vom neuen Beauftragten des Elysée-Palasts zur Internetsuche, Nicolas Princen, und seiner wichtigen Mission zu denken hat. Der junge Mann ist am 17. März dieses Jahres offiziell durch Staatspräsident Nicolas Sarkozy zum Berater ernannt worden, mit dem Auftrag, täglich die Weiten des Internet bezüglich "Nachrichten, Gerüchten und Falschinformationen" über das egozentrische und hyperaktive Staatsoberhaupt abzusuchen. Ausfindig gemacht für die Öffentlichkeit hat ihn jedoch der Blog LePost.fr, der vor allem durch den Pressekonzern ,Groupe Le Monde' gespeist wird. Princen - auch "der andere Nicolas" genannt - ist ein junger Mann, der wie der ideale Schwiegersohn aus Sicht einer angepassten Spießerfamilie wirkt: 24 Jahre jung, soll er so etwas wie den jungunternehmerisch-dynamischen Erfolgstypus verkörpern. Er ist Absolvent gleich dreier Elitehochschulen (Normale sup', Science Ho und der Handelsschule HEC), stets frisch gekämmt und adrett gekleidet. Im vergangenen Jahr war er im Wahlkampf zuständig für den Webblog NSTV, alias "Nicolas Sarkozy TV". Jetzt also soll er nach Sachen im Internet Ausschau halten, die nicht gar so nett für sein großes Vorbild - den "kleinen Nicolas", wie manche Zeitgenossen Sarkozy aufgrund seiner Körperdimensionen nennen - ausfallen. Das Internet aber ist groß. So groß, dass es eher schwerfällt, einen richtigen Überblick zu behalten. Immerhin erscheinen laut dem Webmagazin ,La République des Blogs' Tag für Tag 10.000 Artikel und Beiträge im Netz, die Nicolas - dem Präsidenten, nicht dem anderen - zum Gegenstand haben. Davon seien "80 Prozent kritisch"; bis schlichtweg unfreundlich, möchte man hinzufügen. Ferner bereitet es dem Elyséepalast schon Sorgen, was an Kurzfilmen, Videonachrichten und puren Informationen auf viel besuchten Webpages wie Youtube oder Dailymotion erscheint und dem Präsidenten gewidmet ist. Selbst wenn es völlig ohne Kommentar ausfiele, hätten die Berater Sarkozy schon ihre liebe Not mit diesem Angebot, da ihnen die Kontrolle über ihre "Kommunikation" zu entgleiten droht. Als Sarkozy etwa Ende Februar den Salon de l'agriculture - die jährliche Pariser Landwirtschaftsmesse - besuchte, entglitt ihm folgender Satz gegenüber einem Mann, der ihm nicht die Hand schütteln mochte: ,Alors casse-toi, pauvre con.' (Dann hau ab, du armer Depp!) Der Präsident wusste sicherlich nicht, dass ein Amateurfilmer die Szene mitschnitt, die in den folgenden Stunden binnen kürzester Zeit eine Million mal auf Youtube betrachtet wurde. Seitdem raufen sich die Lehrer im Lande, die ihren SchülerInnen höfliche Umgangsformen beizubringen versuchen, die Haare. Dem Image Nicolas Sarkozys war es freilich nicht sonderlich zuträglich. Princen, der andere Nicolas, soll sich also künftig als Frühwarnsystem betätigen. Allein sei er mit dieser Aufgabe nicht, behauptete jedenfalls eine Zuschrift, die in der linksliberalen Tageszeitung ,Libération' - welche seit Wochen mehrfach seitenweise Reaktionen von Journalisten und Lesern zur Ernennung Princens veröffentlicht hat - erschien. Vielmehr sei er nur der Direktor einer ganzen Stabs von Mitarbeitern, die bereits anfingen, in Internetforen Mails mit entgegengesetztem Inhalt zu posten, überall dort wo gar zu kritisch über Sarkozy hergezogen werde. Es wäre demnach also verharmlosend, sich die Aktivität des jungen Mannes als die eines einsamen jungen Strebers, in einer einer Dachkammer zu nächtlicher Stunde über Bildschirme gebeugt, vorzustellen. Auch andere Quellen sprechen davon, dass Princen nicht allein sei, dass aber seine Person einer Praxis - an der weitaus mehr Leute beteiligt seien - gewissermaßen ein Gesicht verleihe. Der Internetbeauftragte einer auf Programme zur Überwachung aktueller Neuerscheinungen im Netz spezialisierten Firma, Digimed, mit Namen Christophe Asselin etwa äußert sich in diesem Sinne. Er erwähnt gegenüber dem Blog ,Le Contrejournal' die Tatsache, dass schon seit mehreren Jahren eine vierköpfige Gruppe im Amt des Premierministers an der Auswertung des Internet arbeite und eine Art täglicher elektronischer Presseschau erstelle. Das Unternehmen Digimed stellt spezielle Programme her, die es erlauben, dank des Gebrauchs von Schlüsselwörtern einen schnellen Überblick über alle Neuerscheinungen im Netz zu einem bestimmten Thema zu gewinnen. Soeben hat die Firma die Version 7 ihres speziell dafür entwickelten Programms ASP herausgebracht. Unternehmen wie der französische Multikonzern Véolia nutzen solche Technologien, um ständig einen Überblick über die neusten Angebote ihrer Konkurrenten zu behalten. Asselin, der es dabei nicht versäumt, Werbung für die Leistungen des eigenen Unternehmens zu betreiben, hebt die Effizienz solcher Programme hervor: Ja, eine einzelne Person könne auf diesem Wege innerhalb weniger Stunden tatsächlich "zumindest die wichtigsten Blogs, die von Nicolas Sarkozy sprechen, kontrollieren". Die Kommunikation zu bestimmten Schlüsselbegriffe lasse sich mittels entsprechender Programme in Form einer Graphik auflisten, so dass sich "binnen einer Stunde mehrere tausend Quellen behandeln lassen". Mehrere andere Personen könnten dann zu einem späteren Zeitpunkt damit befasst werden, deren Inhalt genauer zu studieren. Allerdings möchte Asselin deshalb nicht die Idee eines Online-Polizeistaats aufkommen lassen: Dieses Vorgehen erlaube es noch nicht, die wahre (zivile) Identität der Blogger herauszubekommen, sofern diese nicht ihre wirklichen Namen benutzen. Und es sei nicht eine Person wie Nicolas Princen, die "gegnerische" Blogs oder ihre Foren mit Propagandazwecken dienenden Postings zuballere: Dafür seien entweder politische Aktivisten "oder spezialisierte Agenturen", die ihre Dienste gegen Bezahlung anböten, zuständig. Nicht gar so dramatisch wie mancher Warner vor dem Überwachungsstaat sieht man es unterdessen in vielen Diskussionsforen im Netz. Dort zeigt man sich bislang eher belustigt über die Aufgaben des frischgebackenen Elysée-Beraters. Und wünscht ihm "viel Spaß", falls er sich tatsächlich an die Sysyphos-Arbeit machen möge, alle Neuerscheinungen im Netz über Sarkozy zu verfolgen. Ein Blogbetreiber etwa sandte Princen eine Mail mit den Worten: "Ich habe eine Alert auf meiner Webpage für Dich eingerichtet, damit Du auch ja über jede Änderung ihres Inhalts informiert wirst." Der Blogger Luc Mandret seinerseits kündigte an, Artikel systematisch mit dem Codewort "Nicolas Sarkozy" zu versehen. Um Princen dabei zu helfen, dass er auch nicht arbeitslos wird, haben Internetuser auch bereits mehrere Foren extra für ihn eingerichtet. Allein bei Facebook gibt es inzwischen drei solcher Diskussionsgruppen: "Die Gruppe derer, die meinen, dass Nicolas - das Auge von Paris - die ganze Welt überwachen sollte" und "Nicolas Princen ist sexy" sowie "Überwach' mir alles, Nicolas!" Manche Webuser erklären sich auch enttäuscht darüber, dass nicht wenigstens ein richtig dramatisch wirkender Dienst mit der Überwachung des Internet beauftragt worden sei, "vergleichbar mit der National Security Agency in den USA". Wieder andere versprechen Princen schlicht eine "Entjungferung 2.0", oder wetten auf ihrem Blog um ein Bier darum, wer es als Erstes schafft, "die IP-Adresse von Nicolas Princens Computer herauszufinden". Dass Princen und die Seinen wirklich alles überwachen oder gar durch Mailverkehr "berichtigen" können, was im Netz über Sarkozy erscheint, ist ausgesprochen unwahrscheinlich. Aber wahrscheinlich dürfte der Blog LePost.fr tendenziell richtig liegen mit seiner These, dass es sich zumindest um eine Warnung handele, nach dem Motto: "Wir haben Euch im Auge!" Seinen Betreibern zufolge soll die sichtbare Präsenz des 24jähringen einerseits von etwas besser ausgestatteten Diensten im Hintergrund ablenken. Andererseits solle Autoren im Internet signalisiert werden, dass sie sich zumindest potenziell Forderungen nach Gegendarstellung oder gar Strafverfolgung aussetzen, falls sie es gar zu doll mit Sarkozy treiben. Und drittens könnte man hinzufügen, dass es Bestandteil einer neu gefassten Kommunikationsstrategie für den Präsidentenpalast sein könnte, zumindest zu wissen, welche Nachrichten oder Gerüchte über den Präsidenten jeweils gerade die Netzöffentlichkeit bewegen. Seit dem 22. April zeigt sich die kritische Bloggerszene nunmehr alarmiert: Erstmals deutet sich an, dass ein "Anti-Sarkozy-Blog" im Internet Schwierigkeiten bekommen hat. Seit dem 19. des Monats können die Besitzer des Blogs ,Torapamavoa', der unter der Bezeichnung "Offizieller Lieferant von Anti-Sarkozy-Content" auftritt, keine neue Inhalte auf ihre eigene Webpage mehr einstellen. Der Provider - ,Blogger', der von der Google-Gruppe abhängt - hat ihnen den Zugang gesperrt, und wirft ihnen "Verletzung der Nutzungsbedingungen" ihres Blogs vor. Innerhalb von 20 Tagen soll die Webpage nun gelöscht werden, falls ihre Besitzer nicht erfolgreich Beschwerde einlegen konnten. Bis dahin war ,Torapamavoa' durch den Online-Dienst Wikio als "90. politischer Blog in Frankreich", was seinen Platz in einer Rangliste bei Verbreitungsgrad und Besucherzahl betrifft, eingestuft worden. Auf alternativen Webpages wie etwa dem bekannten "unabhängigen Nachrichtendienst" indymedia sieht man nun Zensur am Werke, und erblickt darin die ersten Auswirkungen "der Überwachung des Internet durch die Lakaien Sarkozys". B. Schmid, 23. Mai 2008 |