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Updated: 18.12.2012 15:51
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Frankreich: Neudefinition der "Repräsentativität" (Vertretungsmacht) der Gewerkschaften: Nun steht fest, wer unterschreibt und wer nicht.

Die Herausschälung einer Achse CGT-CFDT bestätigt sich

Am 10. April wurden die Verhandlungen zwischen den sog. Sozialpartnern über die "Repräsentativität" der französischen Gewerkschaften (also ihre rechtliche Befähigung, Abkommen und Kollektivverträge abzuschließen, die für die Lohnabhängigen eine rechtlich bindende Wirkung entfalten) abgeschlossen. Seit dem 24. Januar dieses Jahres waren mehrere Verhandlungsrunden durchgeführt worden - unter dem Druck der Regierung, die stets im Hintergrund die Drohung bereit hielt, falls es sich nicht zu einer "sozialpartnerschaftlichen" Vereinbarung komme, dann werde sie selbst gesetzgeberisch aktiv werden. Und das konnten die Gewerkschaften sich kaum wünschen, da sie nicht davon ausgehen konnten, dass die solcherart festgeklopften Neuregelungen dann in ihrem Sinne ausfallen würden. (FUSSNOTE 1)

Es handelt sich um die zweite große Baustelle "sozialpartnerschaftlich" auf den Wege gebrachter "Reformen" - nach dem Abkommen vom 11./18. Januar 2008 zur "Modernisierung des Arbeitsmarkts", d.h. zum Kündigungsschutz u.Ä. -, die unter der Präsidentschaft Nicolas Sarkozys "erfolgreich" und im Parforceritt zu Ende geführt wurde.

Heraus kam bei den Verhandlungen ein Textentwurf für eine Vereinbarung zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern, auf nationaler Ebene, den wir an dieser Stelle bereits in seinen Grundzügen vorgestellt haben. (Vgl. http://www.labournet.de/internationales/fr/representation.html ) Nunmehr stellte sich aber die Frage, welche Verbände ihre Unterschrift unter die Vereinbarung setzen und dadurch das Vorgehen legitimieren würden.

Jetzt steht es fest: Die beiden größten Gewerkschaftsdachverbände, die CGT ("postkommunistisch", mit Tendenz zur galoppierenden Sozialdemokratisierung an der Spitze) und CFDT (rechtssozialdemokratisch und pro-neoliberal), werden das Abkommen zur Neuregelung der gewerkschaftlichen "Repräsentativität" unterzeichnen. An diesem Mittwoch, den 23. April beschloss die CFDT nach einer Tagung ihrer führenden Instanzen, ihre Unterschrift unter die neue Vereinbarung zu setzen. Der Beschluss wurde mit 30 Ja-Stimmen bei zwei Enthaltungen, und ohne Gegenstimme, im obersten Führungsgremium angenommen. (Vgl. http://fr.news.yahoo.com/afp/20080423/tfr-social-syndicats-patronat-2elead-b7b6525.html externer Link) Schon in der Vorwoche hatte die CGT ihrerseits nach einer Vorstandssitzung am Donnerstag ? durchblicken lassen, dass sie das Abkommen unterstütze werde.

Hingegen lehnen die drei anderen, bislang vom Gesetzgeber als "automatisch repräsentativ" anerkannten (d.h. mit einer gesetzlichen Unterstellung ihrer Vertretungsfähigkeit ausgestatteten) Gewerkschaftsdachverbände das Abkommen ab. Dies gilt sowohl für den drittstärksten Gewerkschaftsbund, den populistisch schillernden und vorgeblich "unpolitischen" Verband Force Ouvrière/FO (vgl. http://tempsreel.nouvelobs.com/actualites/social/20080414.OBS9592/representativite_des_syndicats
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externer Link) als auch die beiden kleinsten und eher rechten Gewerkschaftsdachverbände: die CFTC, also den christlichen Gewerkschaftsbund, und die Standesgewerkschaft der höheren und leitenden Angestellten CFE-CGC. Diese drei kleineren Dachverbände haben von der anlaufenden "Reform" allerlei zu verlieren, da ihre bislang vom Gesetzgeber großzügig unterstellte "Repräsentativität" dabei draufgehen wird.

In der vergangenen Woche zeichnete sich bereits ab, dass die CFE-CGC voraussichtlich, um ihrem möglichen Verschwinden vorzubeugen, mit einem anderen Gewerkschaftsverband oder -zusammenschluss fusionierend wird. Seit Donnerstag/Freitag vergangener Woche prüfen die Vorstände der CFE-CGC und des bislang nicht auf nationaler Ebene als "repräsentativ" anerkannten Zusammenschlusses "unabhängiger Gewerkschaften", UNSA, ein organisatorisches Zusammengehen. Gegen die Zusammenlegung ihrer Strukturen gibt es allerdings bislang in beiden Verbänden noch stärkere aktive und passive Widerstände. So verfügen beide potenziellen Partner, CFE-CGC und UNSA, bei der Polizei über einen ihrer jeweils stärksten Branchenverbände. Nur können die beiden Polizeigewerkschaften sich gegenseitig nicht riechen. Nicht zuletzt gibt es auch Unterschiede in der politischen Prägung beider Gewerkschaftsapparate: Die UNSA-Funktionäre gehören eher größerenteils der französischen Sozialdemokratie an (die ihre Sympathien im gewerkschaftlichen Spektrum auf die CFDT, UNSA und zum Teil auch FO verteilt). Hingegen kommt das Führungspersonal der CFE-CGC historisch eher aus der Tradition des "sozialen Gaullismus", und steht überwiegend der bürgerlichen Rechten nahe.

Innerhalb des Apparats der CFE-CGC gibt es - neben dem Projekt eines Zusammenschlusses mit der UNSA - auch noch Pläne für eine mögliche Annäherung an die Christenheinis von der CFTC, also zwischen den beiden im Hinblick auf ihre gesellschaftspolitischen Positionen rechtesten (pardon: "moderatesten") Gewerkschaftsverbänden. Allerdings dürfte letzteres Vorhaben auf noch stärkere Widerstände stoßen, da eine der derzeit beschworenen Gemeinsamkeiten zwischen UNSA und CFE-CGC in der Verteidigung der französischen "Laizität" (dem offiziell erhobenen Anspruch der Republik auf Trennung zwischen Kirche und Staat) liegt.

Fazit

Dadurch wird auch klar, dass die am 10. April abgeschlossene Vereinbarung überwiegend im Sinne der beiden großen Gewerkschaftsdachverbände, CGT und CFDT, ausfällt. Tatsächlich wird es kleineren Gewerkschaften, die in vielen Bereichen kaum oder nicht (mehr) den Beweis für die Existenz einer "echte" soziale (Massen-) Basis erbringen können, künftig schwerer fallen, im Namen der - ungefragt bleibenden - Lohnabhängigen zu sprechen. Dabei bleibt die Reform freilich auf halbem Wege stehen, denn sie hätte auch ein Mehrheitserfordernis für den Abschluss von rechtlich bindenden Vereinbarungen oder Kollektivverträgen einführen können; stattdessen müssen Gewerkschaften, um ein solches Abkommen rechtsgültig werden zu lassen, künftig 30 % der Wählerstimmen im Betrieb oder in Branche repräsentieren.

Gleichzeitig entspricht die sich herausschälende neue "Achse" CFDT-CGT der (perspektivischen) Ausrichtung der Politik beider Gewerkschaftsdachverbände, aber insbesondere der CGT, seit einem knappen Jahrzehnt. Der Kongress der CGT Ende Januar und Anfang Februar 1999 in Strasbourg hatte damals, im Namen der "gewerkschaftlichen Einheit", erstmals beschlossen, eine privilegierte Allianz mit der CFDT anzustreben. Dieses in Aussicht stehende Bündnis war jedoch in den kommenden Jahren immer wieder vorübergehend ausgesetzt worden, aufgrund der auseinander strebenden Positionen beider Gewerkschaftsdachverbände - und insbesondere weil die CFDT-Führung bei wichtigen Einschnitten (wie der "Rentenreform" im Frühjahr und Sommer 2003) beinharte rechte, regierungsnahe Positionen einnahm. Dennoch zeichnete sich in der Politik der CGT-Führung ihrerseits ab, dass sie stets auf ihre potenzielle "Partnerin" CFDT Rücksicht zu nehmen versuchte, und die Radikalisierung der Konflikte nie "zu weit trieb".

Nicolas Sarkozys Position

Was die Regierungspolitik des konservativ-liberalen Blocks betrifft, so hat sie selbst einen Richtungsentscheid in den eigenen Reihen getroffen. Denn im Vorfeld des Abschlusses der Vereinbarung vom 10. April hatte es an der Spitze des Staates noch ein Spiel mit verteilten Rollen gegeben: Tendenziell befürwortete Matignon (das Amt des Premierministers, derzeit François Fillon) ein Abkommen im Sinne der oben beschriebenen "Achse CFDT-CGT", während der Elysée-Palast (das Präsidentenamt) noch eher den kleineren, rechteren Gewerkschaftsdachverbänden - für vergangene treue Dienste für das bürgerliche Lager - die Stange zu halten schien.

Dieser Strategieunterschied widerspiegelte im Übrigen auch einen Konflikt innerhalb des Arbeitgeberlagers. Denn dort vertrat traditionell der Metall-Arbeitgeberverband (UIMM) eine Politik der Aufrechterhaltung und - auch finanziellen - Unterstützung kleinerer, rechter bis "gelber" Gewerkschaften. Hingegen setzte sich im zentralen Arbeitgeberverband Medef in den letzten Jahren eine Linie durch, die für eine Einbindung der CFDT und neuerdings auch der CGT plädierte, sofern Letztere (bzw. ihrer Führung) "vernünftig" werde und pragmatische statt gar zu "ideologische" Positionen einnehme. Aufgrund der aktuellen Krise des Metall-Arbeitgeberverbands (UIMM), infolge des Skandals um dessen "Schwarze Kassen", hat sich nun die letztgenannte Linie durchsetzen können. Sie wurde vor allem vom Dienstleistungskapital getragen.

Inzwischen scheinen aber auch Sarkozys Berater sich genau dieser Position angeschlossen zu haben. Sein Umfeld wurde jedenfalls an diesem Mittwoch in der Wochenzeitung ,Le Canard enchaîné' mit den Worten zitiert, man begrüße den Orientierungs- bzw. Strategiewechsel gegenüber den Gewerkschaften und die Tatsache, dass man "endlich gemerkt (habe), dass die Berliner Mauer gefallen ist". Das bedeutet, dass man nun auch hier für die Notwendigkeit plädiert, die CGT als "Partner" einzubinden, um den so genannten Reformen eine stärkere Legitimität und bessere Durchsetzbarkeit zu verleihen. Denn - so die Zeitung in einem redaktionellen Artikel - man habe die Nase voll von dem traditionellen Schema, wonach "die nette CFDT" und kleinere, rechte Gewerkschaften Abkommen unterzeichnen, "aber nur, um im nächsten Atemzug die CGT und oft auch SUD und die FSU dagegen mobil machen zu sehen, (die) oft auch die Annullierung von Vereinbarungen zu erreichen."

Genau diesen Standpunkt vertritt Nicolas Sarkozy (himself) in einem Gastbeitrag für die liberale Pariser Abendzeitung ,Le Monde', der am 19. April unter dem Titel "Für starke Gewerkschaften" erschien. (Vgl. http://abonnes.lemonde.fr/politique/article/2008/04/18/nicolas-sarkozy-pour-des-syndicats-forts_1035493_823448.html externer Link) Während die Überschrift vorwiegend demagogisch ist, widerspiegelt der Text seines Artikels eine reale, längerfristige strategische Orientierung. Die wichtigsten (Kern-)Sätze darin lauten: "Die Berufsverbände - die gewerkschaftlichen und jene der Arbeitgeber - stärker und verantwortlicher/verantwortungsbewusster zu machen, uns auf den sozialen Dialog zu stützen, UM DIE REFORMEN DURCHZUFÜHREN, unser System der sozialen Beziehungen umzubauen, um die Kollektivverhandlungen zu fördern: Das sind die Versprechen, die während des Wahlkampfs abgegeben habe. Warum? Weil ich die innerste Überzeugung habe, dass - um die Reformen zu erklären und durchzuführen, die unser Land braucht/benötigt - es in enger Partnerschaft mit denen tun müssen, die die Interessen der Beschäftigten und der Unternehmen vertreten." Und: "Die Franzosen sind dem Gewerkschaftswesen sehr verbunden. Aber wie wollen starke und verantwortliche/verantwortungsbewusste Gewerkschaften. Stark, damit ihre Interessen besser vertreten werden. Verantwortungsbewusst, damit man (es) nicht bei der nutzlosen, karikaturhaften, ideologischen Konfrontation bleibt, aber damit man konkrete Lösungen für ihre täglichen Probleme findet." Hugh, der Häuptling Sarkozy hat gesprochen!

Artikel von Bernard Schmid, Paris, vom 25.04.2008

(FUSSNOTE 1): ANMERKUNG:

Hingegen war die "Repräsentativität" der Arbeitgebervertreter kein Gesprächs- und Verhandlungsgegenstand - obwohl manche Gewerkschaftssprecher dies infolge der tiefen Gräben, die infolge des Skandals um die "schwarzen Kassen" des Metall-Arbeitgeberverbands UIMM ( Labournet berichtete ) im Arbeitgeberlager aufbrachen, ausdrücklich anregt hatten. Die "Repräsentativität" der Kapitalistenverbände wird nach wie vor als etwas Quasi-Natürliches unterstellt. Allerdings trifft es zu, dass diese in der Regel die Interessen ihrer Klientel besser und konsequenter verfechten, als so manche Gewerkschaft jener der lohnabhängig Beschäftigten.


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