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Updated: 18.12.2012 16:07
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Proteste gegen die nächste Stufe der "Rentenreform"

"Knapp 300.000 laut Polizei (exakt sind es ihren Angaben zufolge 296.000), und 700.000 laut Gewerkschaften: Dies sind die Zahlen der Teilnehmer/innen an Demonstrationen in insgesamt 150 französischen Städten am gestrigen Donnerstag. Allein in Paris gingen n. Polizeiangaben 28.000 und laut VeranstalterInnen 70.000 Menschen auf die Stra?e. Und nach eigenen Beobachtungen des Autors dieser Zeilen waren es, in der französischen Hauptstadt, zwischen 40.000 und 50.000 (mit starker Präsenz vor allem der CGT)" - so beginnt der Bericht "Demonstrationen gegen die nächste Stufe der "Rentenreform" in Frankreich" von Bernard Schmid vom 23. Mai 2008.  

Demonstrationen gegen die nächste Stufe der "Rentenreform" in Frankreich: Ein Etappenerfolg. Aber wohl kaum ausreichend, um die erneute Verlängerung der Lebensarbeitszeit (von 40 auf 41 Beitragsjahre) verhindern zu können...

Knapp 300.000 laut Polizei (exakt sind es ihren Angaben zufolge 296.000), und 700.000 laut Gewerkschaften: Dies sind die Zahlen der Teilnehmer/innen an Demonstrationen in insgesamt 150 französischen Städten am gestrigen Donnerstag. Allein in Paris gingen n. Polizeiangaben 28.000 und laut VeranstalterInnen 70.000 Menschen auf die Stra?e. Und nach eigenen Beobachtungen des Autors dieser Zeilen waren es, in der französischen Hauptstadt, zwischen 40.000 und 50.000 (mit starker Präsenz vor allem der CGT).

Die Proteste richteten sich gegen die nächste Stufe der "Rentenreform", die in ihrem Kern im April 2003 vom damaligen Arbeits- und Sozialminister François Fillon (dem jetzigen Premier) vorgestellt worden war und am 24. Juli 2003 vom französischen Parlament verabschiedet worden ist. In ihrem Grundsatz sah die "Reform" bereits damals vor, die Lebensarbeitszeit - für jene, die eine Pension zum vollen Satz beziehen wollen - von zuvor 37,5 Beitragsjahren zur Rentenkasse (eine Zahl, die vor 1993 für alle abhängig Beschäftigten und zehn Jahre später bereits nur noch für die Staatsbediensteten gültig war) auf perspektivisch 42,5 Beitragsjahre bis im Jahr 2020 verlängert werden.

In diesem Jahr 2008 wurde nun, in diesem Rahmen, nach schrittweiser Anhebung, die Schwelle der 40 Beitragsjahre für alle Lohnabhängigen und also auch für die Staatsbediensteten erreicht. Nur soll laut dem Beschluss von 2003 jedes weitere (Beitrags-)Jahr Anhebung durch die Regierung, "nach Konsultation der Sozialpartner", nochmals ausdrücklich bestätigt werden. Dies sollte damals die "Sozialpartner" beruhigen, insbesondere die rechtssozialdemokratische CFDT, die trotz massiver Proteste und Demonstrationen seit dem 15. Mai 2003 die "Reform" auch ausdrücklich unterstützte - aber sich als "Gegenleistung" diese "Garantie" der späteren nochmaligen Überprüfung bzw. "Bilanzierung" durch die Regierung geben ließ.

Dieses Jahr steht nun also deswegen die Bestätigung des Übergangs von 40 auf 41 Beitragsjahre an. Und das steht auch im Moment konkret auf der Tagesordnung. Das Kabinett von François Fillon, wie auch sein Arbeits- und Sozialminister Xavier Bertrand, haben den Gewerkschaften in punkto "Konsultation" ganz klar signalisiert: "Wir können gerne reden und noch weiter reden, aber in der Sache werden wir gar nichts am Beschlossenen ändern." Denn der Beschluss sei ja bereits im Jahr 2003 gefallen. Und da mindestens ein großer Gewerkschaftsbund - die rechtssozialdemokratische CFDT, die 2003 die "Reform" im Grundsatz unterstützt hat - im Moment zwar verbal protestiert, aber zugleich nicht an der von ihr mitgetragenen "Reform" von 2003 rütteln will, gibt es nicht einmal eine gewerkschaftliche Einheit in dieser Frage.

Die CFDT nimmt verbal gegen die autoritäre Methode, mit der die Regierung die erneute Anhebung der Zahl der erforderlichen Beitragsjahre einfach (wie schon seit 2003 geplant) durchzieht, Stellung. Und fordert zumindest erneut - wie theoretisch auch schon 2003 - "Gegenleistungen", etwa in Form einer Anhebung des Grads der in Lohn und Brot stehenden Beschäftigten oberhalb von 50 Jahren. Da nämlich einerseits die Betriebe diese "Senioren" als "zu alt, zu teuer, zu unproduktiv" systematisch los zu werden versuchen, andererseits aber die Lebensarbeitzeit theoretisch wächst, entsteht im Prinzip ein Widerspruch. In der Praxis wird dieser scheinbar Widerspruch freilich dadurch (aus Sicht der Bourgeoisie bestens) gelöst, dass die Leute einfach mit niedrigen Pensionen aufgrund von Abschlagszahlungen in (Früh-)Pension gehen - oder aber, und hier liegt der Hase im Pfeffer, zum Abschluss privater Zusatzversicherungen oder Betriebsrenten gezwungen werden.

Ihrerseits setzt nun die CFDT an dem vermeintlichen Widerspruch (der in Wirklichkeit keiner ist, sondern dem Resultat eines politischen Willens entspricht) an, um Beschäftigungsförderungsprogramme für die "Senioren" ab 50 zu reklamieren. Ein Wunsch, den die Regierung theoretisch auch teil, weshalb sie einige Programme dazu aufgelegt hat, die freilich nur geringe Wirkung entfalten.

Unterdessen ruft die CFDT - am gestrigen Tage zusammen mit allen anderen französischen Gewerkschaftsorganisationen, die irgendeine Bedeutung haben - zwar zu den Demonstrationen gegen die "nächste Stufe der Rentenreform" mit auf. Aber gleichzeitig verhinderte sie, dass realer Druck entfaltet werden konnte, indem etwa eine Konvergenz der unterschiedlichen gesellschaftlichen Kämpfe der letzten Wochen und Monate entstanden wäre.

So gibt es seit März dieses Jahres eine breite Protestbewegung von Oberschüler/inne/n (lycéens) und auch Lehrer/innen gegen den für das nächste Schuljahr geplanten Abbau von 11.800 Lehrer/innen/stellen im nationalen öffentlichen Bildungswesen. (Im "Ausgleich" sollen nunmehr die - überwiegend katholischen, und zahlungspflichtigen - Privatschulen kräftig gefördert werden, was zudem als prächtiger Ausweg für die Bildungsmisere in den Sozialghettos der französischen Banlieues verkauft und regierungsamtlich angepriesen wird.)

Ihren Höhepunkt fand diese Bewegung Ende März, als 40.000 bis 50.000 Oberschüler/innen, Lehrer/innen und auch Eltern allein in Paris demonstrierten. Danach sank das Mobilisierungsniveau, u.a. aufgrund der 14tägigen Frühjahrsferien im Unterricht während des April, zeitweise ab. Doch seit Anfang Mai kam die Bewegung nochmals - obwohl schwächer als zuvor - in Schwung. Aber nun setzt Bildungsminister Xavier Darcos offen auf das "Aussitzen des Problems" und darauf, dass nun in Bälde - im Juni - das Abitur beginnen wird, was die Betreffenden schon zu einem Aussetzen des Protests zwingen werde. Am Ende der vergangenen Woche erfuhr die Protestbewegung nochmals ein Aufbäumen: Am Donnerstag fanden Streiks im Bildungswesen und parallel dazu Demonstrationen in zahlreichen französischen Städten statt. Und am Sonntag rief die größte Lehrer/innen/gewerkschaft FSU frankreichweit zu einem Demonstrationstag "zur Verteidigung des öffentlichen Schulwesens" auf, in Paris kamen dazu rund 50.000 Menschen.

Nun hätte es also nahe gelegen, diese relativ breite Protestbewegung mit jener gegen die "Rentenreform" zusammenzulegen - so, wie der Massenstreik im Frühjahr 2003 gegen den Kern der "Rentenreform" perfekt mit einem massiven Ausstand im französischen Bildungswesen zusammenfiel, wobei die Lehrer/innen damals die "Speerspitze" der allgemeinen sozialen Kämpfe bildeten.

Aber das verhinderte insbesondere der Einspruch der CFDT(-Spitze): Deren Generalsekretär François Chérèque bemängelte im Vorfeld, im Falle eines Zusammenführens der beiden Kämpfe würden "die (Ober)Schüler nur instrumentalisiert", durch die Erwachsenen bzw. Gewerkschaften.

Als ob es sich um unmündige Kinder handele, und als ob die Jugendlichen an den Oberschulen nicht um Unterstützung für ihren Protest rufen würden... Aus diesem Grunde also kam es nicht zu einer "Fusion" der Protesttage, sondern zu auseinanderfallenden Mobilisierungsdaten. Jene, die an mehreren Demonstrationen - etwa am Donnerstag vergangener Woche, am Sonntag und jetzt wiederum am gestrigen Tag - teilnahmen, zeigen entsprechend begreifliche Ermüdungserscheinungen.

Dennoch waren einige kämpferisch wirkende Lehrerblocks mit eigenen Transparenten in der gestrigen Pariser Demo vertreten, neben Blocks der streikenden Sans papiers. Aus all den genannten Gründen ist jedoch nicht anzunehmen, dass der Protest auf seinem jetzigen Niveau genügen dürfte, um die nächste Stufe bei der Anhebung der Lebensarbeitszeit in Frankreich zu verhindern. Dazu wäre schon mehr erforderlich...


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