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Updated: 18.12.2012 15:51
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Rechtsradikale zur Rentenreform, sowie den Streiks und den sozialen Konflikten darum, Teil II

Teil I vom 18.10.2010

In der vergangenen Ausgabe stellten wir die wichtigsten Reaktionen aus der damaligen Rechten zum Sozialprotest, der in den vergangenen Wochen Frankreich prägte, vor - sofern sie bis dahin eingangen waren. Aus aktuellem Anlass folgt nun die Fortsetzung, zu Reaktionen aus dem Front National (FN), aus der rechtsextremen Presse sowie dem außerparlemantarisch-aktivistischen Bloc identitaire . - Unterdessen gingen die Streiks in Frankreich, vor allem in den Raffinerien und Häfen, am 29. und 30. Oktober 10 größtenteils zu Ende. Es kommt zwar noch zu Demonstrationen; so am nächsten "Aktionstag" der Gewerkschaften am kommenden Samstag, den 06. November. Das Inkrafttreten des Gesetzes zur Renten"reform", das am 27. Oktober von beiden Parlamentskammern definitiv angenommen wurde und nur noch die Unterschrift von Präsident Nicolas Sarkozy benötigt, werden sie jedoch aller Voraussicht nach nicht mehr verhindern können [1]

Front National: Anlässlich von Raffineriebesetzung - Wunsch nach härterer Repression gegen Streikende

Die grundsätzlichen Positionen der Hauptpartei der französischen extremen Rechten zu Streiks & Renten"reform" - soziale Demagogie gegen das "System", gepaart mit gleichzeitiger Befürwortung einer Erhöhung des Rentenalters - stellten wir bereits in der vergangenen Woche an dieser Stelle vor.

Zwischenzeitlich ereignete sich im Morgengrauen des Freitag, den 22. Oktober 2010 eines der wichtigsten Einzelmomente während der jüngsten Streikbewegung: die polizeiliche Räumung der bestreikten und besetzten Raffinerie in Grandpuits, östlich von Paris. Diese bedeutete eine gravierende Einschränkung des Streiksrechts, da ihr rechtlich eine Dienstverpflichtung eines Teils des streikenden Personals << aus Gründen der Landesverteidigung >> (sic) zugrunde lag. [2]

Auch dazu nahm der FN, mittels eines Pressekommuniqués seiner derzeitigen Vizepräsident Marine Le Pen vom 22. Oktober 10, öffentlich Stellung. Diese Positionierung ist insofern interessant, als sie (jenseits des ansonsten an den Tag gelegten Bemühung, sowohl die Gewerkschaften als auch das Regierungslager verbalradikal zu attackieren) einen klaren Wunsch nach härterer Repression und "weniger zurückhaltendem" Vorgehen gegen die Streikenden zum Vorschein treten lässt.

Und hier die wichtigsten Auszüge aus diesem Kommuniqué. In diesem ist im Übrigen zwar auch von einer "ungerechte und wirkungslosen Reform" des Rentensystems und einer "sturen" Regierung die Rede - diesbezüglich ruft die Presseaussendung jedoch nicht zu wirklichen politischen Konsequenzen auf. Eindeutige Konsequenzen wollte Marine Le Pen hingegen, ausweislich ihrer Pressemitteilung, aus den Streiks in den Raffinerien (deren Treibstoffdepots zum damaligen Zeitpunkt durch Streikposten blockiert waren) ziehen:

" Die vergangene Nacht vorgenommene (ungefähr: Dienstverpflichtung) der Raffinerie in Grandpuits lässt die Regierung große Töne spucken. Dabei trägt die Regierung keinerlei Verdienst dadurch, dass sie so tut, als widersetze sie sich einer Situation, die sie durch ihre eigene Schlappheit aufkommen ließ. (...)

Die Regierung hätte (schon) während der ersten Blockieraktionen eingreifen müssen. Diese gehen in der Tat über das einfache Streikrecht hinaus. Sie bestehen darin, arbeitswillige Beschäftigte an der Arbeit zu hindern und das Chaos sowie das Anhalten der Wirtschaft in unserem Land hervorzurufen.

Die Blockaden und die Benzinknappheit (Anm.: aufgrund der Raffineriestreiks) sind deswegen nicht duldbar. Seit zwei Wochen lässt sich Frankreich im Chaos nieder, zwischen Demonstrationen, Streiks und Blockieraktionen."

Zwar sei auch die konservativ-wirtschaftsliberale Regierung für diese angeblich furchtbaren Dinge " mit verantwortlich ", fährt Marine Le Pen fort - denn sie lasse sie einfach geschehen, in der Hoffnung, "dass die soziale Bewegung (dadurch) unpopulär wird". Ebenso habe sie den Sicherheitskräften angeblich die Anweisung erteilt, "nicht" oder "nur mit großer Weichheit gegen Randalierer (in den Jugenddemonstrationen) vorzugehen" - deren Wirken " die logische Konsequenz daraus, dass sich nun auch die Oberschüler der Protestbewegung anschlossen ", sei. Dahinter stecke "ein politisches Kalkül" - folgt man Marine Le Pen bisher: zu Lasten der sozialen Protestbewegung, um sie durch Akte einer Minderheit zu diskreditieren. Dieses sei jedoch beiseite zu legen, denn die einzige Lösung sei im Endeffekt - das harte Durchgreifen: "Marine Le Pen denunziert das kriminelle Doppelspiel der Regierung. (.) Die Regierung muss aufhören in Komplizenschaft mit den Gewerkschaften (ANM.: nanu, bis dahin verstand man, dass Sarkozy ihnen durch die Schlappheit der Polizei Schaden zufügen wolle?, Ende Anm.) mit dem Feuer zu spielen, und die republikanische Ordnung sofort überall wiederherstellen. Das Prinzip der Null-Toleranz muss auf alle Krawallstifter angewendet werden." Gleichzeitig müsse die Regierung aber auch aufhören, den wirtschaftsliberalen Imperativen des Finanzkapitals zu gehorchen.

Rechtsextreme Zeitung ,Minute': Hohn und Spott für Streikende

Das wichtigste rechtsextreme Presseorgan, das derzeit auf Papier erscheint (also unter Absehden von den nur im Internet stehenden rechtsextremen Medien), ist die Wochenzeitung ,Minute' . Bei ihr handelt es sich um eine traditionsreiche rechtsextreme Zeitung, die in der Schlussphase des französischen Algerienskriegs - 1961 - erstmals erschien. Sie steht Teilen des FN nahe, und unterstützt im derzeitigen Ringen um dessen künftigen Vorsitz im Augenblick glasklar den Kandidaten (und Herausforderer) Bruno Gollnisch gegen Marine Le Pen.

,Minute' nimmt seit Wochen vor allem durch Karikaturen zum Geschehen an der sozialen Konfliktfront Stellung. Dabei befördert ihr Zeichner vor allem eine Botschaft: Die Streikenden sind faul und dumm.

In ihrer Ausgabe vom o1. September 10 über "Die Staatsbediensteten" sieht man so zwei Urlauber am Strand. Sagt der eine: "Jetzt gehen die Ferien wirklich zu Ende!" Antwortet der andere: "Jetzt werden wir uns gegen die Rentenreform wenden müssen." Die Message lautet: Streik ist wie Urlaub für diese Faulpelze; angemerkt sei, dass streikende Beschäftigte in Frankreich (anders als deutsche Gewerkschaft) keinen Lohnersatz beziehen, also ihre gesamte Bezahlung verlieren. - In der Ausgabe vom 15. September sieht man die sozialistische Parteichefin Martine Aubry, die jedenfalls verbal (als Oppositionspolitikerin) die Anhebung des Rentenalters klar verurteilt hat, in einem Neandertaler-Kostüm. Ihr gegenüber steht ein Journalist mit Notizblock, der ungläubig nachfragt, ob sie wirklich das bisherige Renteneintrittsalter beibehalten wolle. Am 22. September 10 zeichnet ,Minute' den Generalsekretär des Gewerkschaftsdachverbands CGT, Bernard Thibault, beim Sehtest. Der Augenarzt Nicolas Sarkozy versucht verzweifelt, den sehbehinderten Thibault den Text auf einer Tafel ablesen zu lassen: "Es ist kein Geld mehr da!" Der Gewerkschafter als (seh)behindert - und nicht in der Lage, die dramatische finanzielle Situation des Staates zu begreifen -, der Präsident als Arzt, der sein Bestes versucht: Die unausgesprochene Positionierung des Zeichners im aktuellen sozialen Konflikt ist in der Sache eindeutig.

Am 13. Oktober 10 spottet der Karikaturist von ,Minute' über "De(n) Streik-Kult in Frankreich"; in der Sprechblase liest man im Munde eines mutmaßlichen Gewerkschafters: "Ich verstehe nicht, warum man den Streik bei der (französischen Eisenbahngesellschaft) SNCF nicht respektieren sollte. Die Moslems respektieren doch auch ihren Ramadan!" Dies war ganz bestimmt nicht als Kompliment an die Adresse der Gewerkschaften gemeint... In ihrer Ausgabe vom 20. Oktober 10 zeichnet , Minute' einen dümmlich wirkenden Gewerkschafter (ausweislich seines Buttons mit der Aufschrft "CGT), der die Räumung von Streikposten vor blockierten Treibstoffdepots kommentiert: "Das ist doch der Gipfel! Die Polizei sabotiert unsere Sabotage." Und in der Nummer vom 27. Oktober 10 raucht einem "Durchschnittsfranzosen", wie die Nationalen ihn sehen möchten - mit Baskenmütze und Schnauzbart - der Kopf vor lauter sichtlich unangehmen und verstörenden Phänomenen: "Staatsbedienstete; Banken; Unsicherheit; Radar (d.h. Verkehrskontrollen); Streiks; Steuern..."

Bloc identitaire: Aufmärsche gegen revoltierende Jugend

"Der Widerstand marschiert in Lyon", hieß es am 22. Oktober 2010 in der Stadt am Zusammenfluss von Rhône und Saone. An jenem Freitag marschierte der rechtsextreme Jugendverband des außerparlamentarischen Bloc identitaire - also die Jeunesses identiaires - durch die drittgrößte Stadt Frankreichs, von der Place Carnot zur Place Ampère. Rund 150 bis 200 Aktivisten kamen, glaubt man ihren Angaben, zusammen. Ihr so genannter Widerstand richtete sich aber - inmitten einer Periode von Streiks, Blockaden und Jugendprotesten - keineswegs gegen die Staatsmacht oder das Kapital.

Vielmehr forderte dieser "Widerstand" der besonderen Sorte, die Staatsgewalt solle endlich "aufräumen", und zwar mit "dem Gesocks". Im Original hieß es la racaille , ein Begriff, den die extreme Rechte der 1920er und 1930er Jahre (neben anderen Bezeichnungen) regelmäßig für Einwanderer benutzte und den der damalige Innenminister Nicolas Sarkozy im Oktober 2005 auf straffällige Jugendliche in den Sozialghettos französischer Trabantenstädte münzte. Nicht nur er, inzwischen Staatspräsident geworden, benutzte ihn damals zur Benennung der subproletarischen Jugend - oft mit Migrationshintergrund - in den banlieues . Auch ein Teil von ihr bezeichnet sich übrigens selbst - provozierend und ironisch - seit längerem mitunter als caillera, unter Umkehrung der Silben, wie es im Jugendslang der banlieues sehr verbreitet ist.

Anlass des Aufmarschs der "identitätsbezogenen" oder "identitätstreuen Jugend" waren die Ausschreitungen, die drei Tage zuvor in der Innenstadt von Lyon stattgefunden hatten. Am Rande einer großen Sozialprotest-Demonstration von Gewerkschaften, Oberschüler-inne-n und Studierenden ka m es dabei zu Reibereien mit der Polizei, aber auch zu Plünderungsszenen in manchen Läden sowie zum Anzünden einzelner Autos. Daran hatten sich sowohl Jugendliche aus der "weißen" Mehrheitsgesellschaft - besonders Schülerinnen und Schüler - als auch Altersgenossen aus den am Rande von Lyon gelegenen Sozialghettos und Vorstädten mit hohem Migrantenanteil beteiligt. Teile der bürgerlichen Presse sprachen, völlig überzogen, von angeblichen "Bürgerkriegsszenen" und einer "Stadtguerilla" (sic). Dies war ganz im Sinne der konservativen Regierung, die den Fokus der öffentlichen Anmerkung auf solche Szenen zu lenken versuchte, um die Gesellschaft in ihrem Sinne zu polarisieren und vom Gegenstand des sozialen Konflikts - der geplanten "Reform" des Rentensystems - abzulenken. [3]

Die Jeunesses Identitaires verfügen in Lyon über einen besonders aktiven örtlichen Verband, unter dem Namen "Rebyne!" Diese Bezeichnung steht für einen Lyoner Dialekt-Ausdruck, der so viel wie "Aufruhr, Revolte" bedeutet. Letzterer wurde historisch vor allem durch eine gleichnamige Hungerrevolte in Lyon im April 1529, La Grande Rebeyne , die sich gegen Spekulationen mit Getreidepreisen richtete, bekannt.

Anlässlich der sozialen Auseinandersetzungen im Laufe des Oktober 2010 versuchte auch er, in der Öffentlichkeit mitzumischen - aber nicht auf Seiten der Protestierende. Vielmehr versuchte er in seinem Auftreten, die öffentliche Meinung gegen die "Randalierer" aus den Tagen zuvor zu polarisieren, in Verbindung mit einer ethnisierenden Darstellung von deren "Gewalt": Angeblich seien ganz überwiegend Jugendliche mit Migrationshintergrund daran "schuldig". Anlässlich ihres Aufmarschs am 22. Oktober verteilte die "identitätstreue Jugend" Handzettel, auf denen Fotos einer hässlichen Szene zu sehen waren, die sich mutmaßlich Ende März 2006 abgespielt hatte. Damals hatten Jugendgangs aus den banlieues Schüler-innen am Rande einer Sozialprotestdemo, die sich seinerzeit gegen die Einschränkung des Kündigungsschutzes für unter 26jährige richtete, angegriffen und ausgeraubt. (Solcherlei Szenen haben sich im Jahr 2010 bislang nicht wiederholt.) Begleitet war die Fotographie - auf dem übernommenen Ausschnitt waren überwiegend Schwarze zu sehen - von der Abbildung eines Flugzeugtickets der Fluggesellschaft Air France, dem Vermerk "einfacher Flug" und der Aufschrift: "Sie zünden Autos an, plündern Geschäfte, greifen unsere Mädchen an, beleidigen unser Land... Schenken wir ihnen die Rückkehr nach Hause!"

Im Laufe ihres Aufmarschs kamen den (laut eigenen Angaben) 150 bis 200 rechtsextremen Aktivisten jedoch rund 200 Gegendemonstranten. Die Polizei sammelte die jungen Rechtsradikalen ein, verfrachtete sie in Einsatzbusse und nahm eine Personalienfeststellung an ihnen vor. Am folgenden Tag schäumten die Identitaires in einem Kommuniqué (vom 23.10.10), die Polizei habe "den Widerstand am Aufräumen gehindert" (Sic). Es fährt fort: "Und das Gesock kann unterdessen seine Missetaten fortsetzen!"

Auch in Paris demonstrierten am Samstag, den 23. Oktober rund 250 bis 300 Anhänger des außerparlamentarischen, rechtsradikalen Bloc identitaire - laut dessen eigenen Behauptungen angeblich "rund 500" - gegen ,la racaille' . Unter dem Motto " Die andere Jugend" demonstrierten die Rechtsradikalen vor allem gegen den migrantischen Teil der rebellierenden Schichten der Jugend. Im Anschluss veröffentlichte die rechtsradikale Organisation eine in pseudo-rebellischem Tonfall gehaltene Presse-Aussendung. In ihrem Kommuniqué hieß es, diese (rechten) Jugendlichen sorgten sich um kämpferische Werte und um die Identität ihres Volkes, "nicht um ihre Renten, die sie im Jahr 2040 oder 2050 ohnehin nicht erhalten dürften" - sinngemäß: weil es dann keine mehr geben könnte (sic).

Bernard Schmid, Paris, 02.11.2010


1) Zur Ursachenforschung dazu, dass die Streiks letztendlich ihr Hauptziel nicht erreichten, vgl. http://labournet.de/internationales/fr/rente2010_25.html

2) Vgl. dazu ausführlich: http://labournet.de/internationales/fr/rente2010_23.html

3) Lyon war, neben der Pariser Vorstadt Nanterre, eines der Zentren solcher Zusammenstöße: 200 Festnahmen von insgesamt 1.423 landesweit zwischen dem 12. und dem 19. Oktober (einige Tage später waren es bereits über 2.200) wurden dort verzeichnet. Auch hatten bei Redaktionsschluss dieses Artikels am 23. Oktober bereits mindestens ein Dutzend Prozesse gegen jugendliche "Randalierer" im Blitzverfahren, das bei "Flagrantidelikten" zur Anwendung kommen kann, stattgefunden. Die Aufgegriffenen, die dabei verurteilt wurden, hatten sich jedoch selten wirklich gravierende Straftaten zuschulden kommen lassen; vielmehr handelte es sich mehrheitlich um Oberschüler, die im Tränengasnebel Wurfgeschosse in Richtung Polizei befördert hatten.


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