letzte Änderung am 22. März 2004

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Regionalparlamentswahlen 2004: Wirtschafts- und sozialpolitischer Protest bestimmte den Wahlausgang

Zum Abschneiden der einzelnen Parteien

Die wirtschafts- und sozialpolitischen Themen haben den Ausgang der französischen Regionalparlamentswahlen dominiert. Auf diesem Gebiet wurden besonders die Regierungsparteien, die konservative Sammlungsbewegung UMP und die christdemokratische UDF, von den Wählern abgestraft.

Über ein Drittel der französischen Wähler und Wählerinnen hat erklärtermaßen in letzter Minute darüber entschieden, wem ihre Stimme zukommen sollte. Letztendlich fiel die Tendenz zugunsten der etablierten Linksparteien aus - von den Sozialdemokraten über die Grünen bis zur Kommunistischen Partei. Sie erhielten zusammen im landesweiten Durchschnitt 40 Prozent der Stimmen, gegenüber knapp 34 Prozent für die bürgerliche Rechte. Voraussichtlich wird die sozialdemokratisch geführte Linkskoalition bei der Stichwahl am kommenden Sonntag rund ein halbes Dutzend bisher konservativ geführter Regionen übernehmen. Bislang regierten Konservative und Liberale 14 französische Regionen und Sozialdemokraten die übrigen acht.

Dabei dürfte es sich weniger um eine ungetrübte Zustimmung zu diesen Parteien handeln, denn diese waren vor zwei Jahren bei den Präsidentschaftswahlen für ihre damalige fünfjährige Regierungsbilanz sanktioniert worden. Wohl aber handelt es sich um ein Warnsignal an die jetzige Regierung, die den Abbau sozialer und rechtsstaatlicher Standards in derart beschleunigtem Tempo vorangetrieben hat, dass die Erinnerung an die Vorgängerregierung unter Lionel Jospin dadurch im Nachhinein in scheinbar rosiges Licht getaucht wird.


Der rechtsextreme Front National

Befürchtet wurde aber, dass die Terrorangst ­ unter anderem nach den Anschlägen von Madrid - der extremen Rechten zugute kommen könnte. Diese erhielt am Sonntag knapp 17 Prozent der Stimmen. Davon entfallen 15 Prozent auf den Front National (FN) von Jean-Marie Le Pen und der Rest auf seine Abspaltung unter Bruno Mégret sowie auf rechtsextreme Regionalisten, die vor allem im Elsass gut abschnitten. Dort erhielt der FN 18,5 Prozent, während die Liste "Alsace d¹abord" (Elsass zuerst) des früheren FN-Funktionärs Robert Spieler weitere 9,5 Prozent erhielt.

Damit schnitt die extreme Rechte aber - global gesehen ­ nicht höher ab, als es seit Monaten erwartet war, vielmehr blieb sie sogar hinter den Vorhersagen mancher Beobachter leicht zurück. Der FN kann nunmehr in voraussichtlich 18 von insgesamt 22 französischen Regionen in die Stichwahl am nächsten Sonntag ziehen, wozu zehn Prozent der Stimmen erforderlich sind. Allerdings hat er nirgendwo realistische Chancen, künftig die Regionalregierung zu stellen.

In den Tagen vor der Wahl war bereits sehr viel von der extremen Rechten die Rede gewesen. Ein Artikel des konservativen Wochenmagazins Le Point (vom 18. März) hatte der Stimmabgabe für die extreme Rechte vorab eine Rationalisierung verliehen: Die Wähler des FN stimmten gar nicht so sehr für einen rassistischen und autoritären Kandidaten, sondern vor allem für den, der den etablierten Politikern den größten Schrecken einjagen. Das mag bei einem Teil der FN-Wählerschaft, die sich im zurückliegenden Jahrzehnt in eine Stammwählerschaft von knapp 10 Prozent und einen Anteil an Wechselwählern teilen lässt, zutreffen. Freilich wurde auf diesem Wege dieser pervetierte "Protest" von vornherein entschuldigt.

Dass die Ergebnisse des FN manche Befürchtungen eher leicht unterschritten haben, deutet darauf hin, dass es letztendlich vor allem die sozial- und wirtschaftspolitischen Protestmotive waren, welche die Wahl entschieden haben. Zwar versuchte auch die extreme Rechte, den sozialen Unmut auf diffuse Weise zu bedienen. Der FN machte teilweise Wahlkampf gegen die "soziale Unsicherheit". Das war ein geschickter Schachzug: Im Präsidentschaftswahlkampf 2001/02 hatten Linke und Antirassistischen den Tiraden des FN - aber auch denen vieler Kandidaten aus den etablierten Parteien ­ zur "Inneren Sicherheit" entgegen gehalten, die wahre Verunsicherung der Gesellschaft sei sozialer und wirtschaftlicher Natur; das wachsende subjektive "Sicherheitsbedürfnis" sei nur eine Verkleidung der objektiv gesellschaftlich begründeten Zukunftsangst. Der FN stellte jetzt diese Argumentation einfach auf den Kopf: Die "soziale Unsicherheit" sei einfach ein Aspekt des wachsenden "Niedergangs" und der Dekadenz des Vaterlands, und sei nur die Kehrseite der Medaille der "kriminellen Unsicherheit". Beide werden so in ein äußerst diffuses, aber wirksames Bedrohungsgefühl zusammengeführt.

Völlig ist diese Rechnung aber nicht aufgegangen. Der Front National wird in voraussichtlich 18 (von 22) Regionen in der Stichwahl präsent bleiben. Aber er hat keinerlei realistische Chancen, eine Regionalregierung zu übernehmen (oder sich an ihr zu beteiligen, mangels Bündnispartners).


Links von der Sozialdemokratie

Dass die extreme Rechte ihren Schatten bereits im Vorfeld auf die Regionalparlamentswahl warf, hat sicherlich mit dazu beigetragen, dass auf der Linken letztendlich das Motto von der Wahl des "kleineren Übels" Wirkung entfaltete. Das schadete der radikalen Linken, die vor allem mit den gemeinsamen Listen der eher undomgatischen Ligue Communiste Révolutionnaire (LCR) und der traditionalistischen Lutte Ouvrière (LO, Arbeiterkampf) präsent war. Ihnen waren im Vorfeld landesweit rund sieben Prozent der Stimmen prognostiziert worden. In den Wahlurnen wurden es dann nur knapp fünf Prozent. Vor allem in der südostfranzösischen Region PACA (Provence ­ Alpes ­ Côte d¹Azur), wo der Front National besonders bedrohlich erschien ­ letztendlich erhielt er dort aber mit 23 Prozent einen relativen Dämpfer ­ trieb das die linken Wähler dazu, das "kleinere Übel" zu wählen. Die radikale Linke erhielt so zwischen Marseille und Nizza stark unterdurchschnittliche 2,5 Prozent.

Mehr Erfolg hatte die radikale Linke unterdessen in der Region von Toulouse, Midi-Pyrénées. Dort traten sowohl die Liste von LO und LCR als auch ein linksalternatives Bündnis, das bis zu linken Grünen reichte, an und überflügelten mit zusammen 13 Prozent die extreme Rechte. Ähnlich hatte es in dieser Region auch bereits bei den letzten Regionalparlamentswahlen 1998 ausgesehen.

Zu den Gewinnern der Wahl zählt zweifellos die Kommunistische Partei. Sie hatte bei der Präsidentschaftswahl 2002 ihr historisches Rekordtief mit nur drei Prozent erreicht, was eine Quittung für ihre fünfjährige Regierungsbeteiligung darstellte. Jetzt schienen ihr die frankreichweiten Umfragen erneut mikroskopische Ergebnisse vorherzusagen. Dabei handelte es sich freilich insofern um eine optische Täuschung, als die KP in 14 von 22 Regionen gar keine eigenen Listen präsentierte, sondern jene von Sozialdemokraten und Grünen unterstützte.

In den übrigen Regionen erprobte sie unterschiedliche Rezepte. In einigen Fällen trat sie mit reinen Parteilisten an, was vor allem im Falle der nordfranzösischen Picardie mit stattlichen 16,6 Prozent bedacht wurde. Spitzenkandidat war hier Maxime Gremetz, der eher für seine pro-sowjetischen Nostalgien denn für vorwärtsweisende linke Ideen bekannt wurde. In der Hauptstadtregion Ile-de-France dagegen trat Parteichefin und frühere Sportministerin Marie-George Buffet mit einer gemischten Liste an, auf der neben KP-Funktionären auch Vertreter aus sozialen Bewegungen und Initiativen kandidierten. Da diese "Gauche populaire et citoyenne" (Linke der kleinen Leute und der Bürgerrechte) mit sieben Prozent die radikale Linke ­ die vier Prozent erhielt ­ wider Erwarten hinter sich lassen konnte, muss von einem Erfolg gesprochen werden. Erwartet wird, dass Marie-George Buffet künftig die gesamte KP in ein ähnliches geartetes, lockeres Bündnis überführen will.


Nähere Aussichten

In Paris wird, nach der erwarteten Wahlniederlage der Konservativen, jetzt mit einer Regierungsumbildung gerechnet. Gleichzeitig kündigte alle Spitzenpolitiker am Sonntag und Montag, der "Reformkurs", der dazu diene, "das Land an die internationale Konkurrenz anzupassen" ­ so Verteidigungsministerin Michèle Alliot-Marie am Wahleabend ­ werde fortgesetzt.

Ein halbes Dutzend der 22 französischen Regionen dürften im zweiten Wahlgang, am nächsten Sonntag, neu an die sozialdemokratisch geführte Linkskoalition fallen. Bisher hatten UMP und UDF 14 Regionen regiert, die Sozialdemokraten ihrer acht. Hinzu kommen noch vier französische "Übersee-Territorien", deren politische Landschaft einige Besonderheiten aufweist. Dagegen dürfen die Konservativen und Liberalen sich wenig Hoffnungen machen, ihrerseits eine Region zu "erobern", mit einer Ausnahme: In der Hauptstadtregion Ile-de-France, wo ein bedeutender Teil der französischen Wirtschaftskraft konzentiert ist, gilt das Rennen derzeit noch als offen. Bisher hatte eine sozialdemokratische Minderheitsregierung unter Jean-Paul Huchon den Pariser Regionalrat angeführt - aber nur, weil die Konservativen es sich nach der letzten Wahl 1998 nicht erlauben konnten, in der wichtigsten Region ein mögliches Abkommen mit dem rechtsextremen Front National zu schließen.

Besonderes Aufsehen hat die deutliche Niederlage der Konservativ-Liberalen in der westfranzösischen Region Poitou-Charente erregt, handelt es sich hier doch um die Heimatregion des amtierenden Premierministers Jean-Pierre Raffarin. Der wirtschaftsliberale Politiker, der aus der kleinen marktradikalen Partei Démocratie Libérale (DL) kommt ­ letztere ging 2002 in der rechten Einheitspartei UMP auf, ebenso wie ein Teil des christdemokratisch-liberalen Parteienkartells UDF ­ hat die "Regionalisierung" der französischen Politik auf seine Fahnen geschrieben. Viele sozial-, wirtschafts- und bildungspolitische Kompetenzen sollen auf die Regionen übertragen, und letzteren "Experimentier-Spielräume" eingeräumt werden. Denn dies soll erlauben, die Staatsausgaben zu drücken und bisherige sozialstaatliche Garantien aufzubrechen, da ärmere und reichere Regionen nicht dieselben sozialen Standards aufrecht erhalten werden.

Seine "eigene" Herkunftsregion hatte Raffarin ­ ehemaliger Regionalpräsident in Poitiers - dabei zur Vorzeige- oder Modellregion erhoben. Doch die von ihm, nach seiner Berufung auf den Sessel des Premierministers in Paris, eingesetzte Amtsnachfolgerin Elisabeth Morin erlebte eine schwere Niederlage. Die frühere sozialdemokratische Schulministerin Ségolène Royal, mit 47 Prozent der Stimmen, hätte beinahe schon im ersten Wahlgang gewonnen, was extrem selten vorkommt. Das ist, vor allem, ein symbolischer Tritt in den Hintern von Premierminister Raffarin.

Bernhard Schmid, Paris  

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