letzte Änderung am 19. März 2004 | |
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Am 21. und 28. März werden in Frankreich sämtliche Regionalparlamente und ein Teil der Bezirksparlamente in den Départements neu gewählt. Alle Parteien - mit Ausnahme der in Paris regierenden Konservativen wollen aus diesen regionalen Wahlen eine "nationalen Testwahl" machen, um landesweit die Regierung abzustrafen, die mit dem Bulldozer gegen sämtliche sozialen Errungenschaften der Nachkriegszeit vorgeht.
Tatsächlich erklären derzeit (laut "Le Monde" vom 18. März 04) stattliche 70 Prozent der Franzosen in Umfragen, sie wollten "Protest wählen" und die Regierung sanktionieren. Zu befürchten ist allerdings, dass davon nicht zuletzt der rechtsextreme Front National profitieren könnte, der vermutlich erneut bedeutende Stimmengewinne verzeichnen wird.
Die Neofaschisten nutzen den wachsenden Widerspruch zwischen der kleinbürgerlichen Basis der Regierung und ihrer realen Politik, die vor allem dem Grosskapital zunutze kommt, mittels betonter Anti-Steuer-Demagogie aus. Auch an die soziale Unzufriedenheit wird appelliert, wobei die extreme Rechte allerdings in ihren eigenen Vorstellungen die sozialen Rechte noch schärfer beschneiden will als die jetzige Regierung. Auf der Wahlkampf-Abschlusskundgebung des Front National in der Pariser Region, am Dienstag dieser Woche, bezeichnete Le Pen das von der jetzigen Regierung gewählte Rentenalter (65 Jahre, statt vorher 60) als Fehler: Seiner erklärten Ansicht nach müsste das Renteneintrittsalter bei 75 liegen. Doch rechtsextreme Wähler lesen selten die Programme, sondern drücken eher eine dumpfe und unbewusste Unzufriedenheit aus.
Die bürgerlichen Parteien werden voraussichtlich an Boden verlieren. Ihre Regierung hat sich in den letzten Wochen, nach den Arbeitslosen und den Krankenschwestern und den Eisenbahnern und anderen sozialen Kategorien, jetzt auch noch mit der wissenschaftlichen Intelligenz des Landes angelegt. Vorige Woche traten über 2.000 Direktoren von Forschungseinrichtungen (es gibt ihrer frankreichweit knapp 3.500) zurück. Aus Protest gegen die Politik der Regierung, die den öffentlichen Wissenschaftsinstitutionen immer weniger Mittel zur Verfügung stellt und gleichzeitig den privaten Unternehmen und Konzernen Geld für die Entwicklung ihrer privaten Forschungsabteilungen (das im Haushaltsgesetz 2004 vorgesehen ist) gibt. Den Protest führen vor allem fortschrittliche Köpfe. So wurde das Kollektiv "Retten wir die Forschung", das bereits 65.000 Unterschriften von wissenschaftlich Tätigen gesammelt hat, von dem Biologen Alain Trautmann initiiert. Er nahm am Pariser Mai 1968 teil und gehörte später, bis 1977, als kritisches Mitglied der französischen KP an.
Ein spektakulärer Akt begleitete diese Ämterniederlegung: Über 1.500 Forschungsleiter trafen sich am Dienstag voriger Woche (dem 9. März) in einem Saal des Pariser Rathauses, um anzukündigen, dass sie diese seit Wochen im Raum stehende Drohungen jetzt wahrmachen werden. Ursprünglich sollte die Versammlung an der Sorbonne stattfinden, doch die älteste Pariser Universität verweigerte den Teilnehmern einen Saal. Das hauptstädtische Rathaus dagegen wird von Sozialisten und Grünen regiert, die landesweit in der Opposition stehen und bei den Protestierenden um Sympathie werben. Vor der Tür demonstrierten zahlreiche junge wissenschaftliche Hilfskräfte, junge DoktorandInnen und viele sonstige Studierende. Mit schwarzen Helium-Luftballons, die an einer Schlinge um ihren Hals befestigt waren und von dort aus in die Luft aufstiegen, stellten sie symbolisch ihre Erdrosselung dar.
Premierminister Jean-Pierre Raffarin hatte sich den Vorwurf dümmlicher Intellektuellenfeindlichkeit eingehandelt, indem er auf die Proteste der Forscher und Intellektuellen Ende Februar antwortete, er ziehe ihnen ohnehin "die Intelligenz der Hand, die direkt zum Herzen geht" vor. Dieser dummdreiste Spruch wird seitdem vielerorts übersetzt als Raffarins "Intelligenz der Faust in's Gesicht, gepaart mit der Intelligenz des Fußes in den Hintern".
Doch welche Alternativen stellt die Linke bereit? Für die stärkste Partei der parlemantarischen Opposition, den Parti Socialiste (PS), muss man auf die Frage mit einem Fragezeichen antworten. Sie hat bisher, seit ihrer katastrophalen Wahlniederlage im Frühjahr 2002, kaum an Profil hinzugewonnen. Und derzeit bereitet sich der Wirtschaftsliberale und ehemalige Finanzminister Laurent Fabius bereits demonstrativ auf die Präsidentschaftskandidatur 2007 vor. Von sichtbaren Alternativen zur antisozialen Kahlschlagspolitik kann kaum die Rede sein.
Die Kommunistische Partei, die unter Jospin fünf Jahre lang mitregiert hatte, steckt ihrerseits nach wie vor in der Krise. In einigen Regionen tritt sie von vornherein auf Einheitslisten mit den Sozialdemokraten an, um wenigstens ihre lokalen und regionalen Mandate retten zu können. In anderen, zwischen einem Viertel und einem Drittel der Regionen, tritt sie dagegen im ersten Wahlgang mit "autonomen Listen" an, um in der Stichwahl mit den gemeinsamen Kandidatenlisten von Sozialdemokraten und Grünen zu fusionieren. Im Großraum Paris wiederum erprobt die KP eine dritte Variante und tritt mit VertreterInnen aus sozialen Bewegungen - etwa Claire Villiers aus der Arbeitslosen-Selbstorganisation AC! - auf einer gemischten Liste unter dem Namen Gauche populaire et citoyenne (ungefähr: Linke der kleinen Leute und der Bürgerrechte) an.
Links von den ehemaligen Koalitionsparteien der "pluralen Linksregierung" unter Lionel Jospin (1997 bis 2002) treten ferner die beiden trotzkistischen Parteien, die Ligue Communiste Révolutionnaire (LCR) und Lutte Ouvrière (Arbeiterkampf, LO), mit gemeinsamen Listen an. Beide politischen Formationen haben ein recht unterschiedliches Profil: Die undogmatische LCR ist stark in sozialen Bewegungen vertreten, während die eher traditionalistisch-dogmatisch auftretende Lutte Ouvrière sich eher auf die Arbeiterklasse in einem sehr klassischen Sinne konzentriert und vor allem in der "globalisierungskritisch"-internationalistischen Bewegung durch Abwesenheit glänzt. Doch die beiden konkurrierenden Organisationen waren sich vor den Regional- und Europaparlamentswahlen dieses Jahres darüber einig, dass man das Stimmenpotenzial der radikalen Linken nicht spalten solle. Das erfreut nicht alle Anhänger vor allem der LCR, welche auch unter vielen linken Intellektuellen auf Sympathie trifft, die aber LO gegenüber reseviert eingestellt sind.
Hoffnung darauf, die im vorigen Jahr durch die Raffarin-Regierung eingeführte Zehn-Prozent-Hürde deren Überschreiten es erlaubt, an der Stichwahl teilzunehmen, während ab fünf Prozent die "Fusion" mit anderen Listen unter Rückzug der eigenen Kandidaten möglich ist - zu überschreiten, machen LO und die LCR sich vor allem in der industriellen Krisenregion Nord-Pas de Calais nahe der belgischen Grenze. Dort können sie auf einen Teil der früheren, von den ehemaligen Linksregierungen enttäuschten KP-Wähler rechnen. In der Hauptstadtregion Ile-de-France wurden der LO/LCR-Liste Anfang März acht Prozent vorhergesagt, der Gauche populaire et citoyenne 6,5 Prozent.
Letztere wird, soweit sie über 5 Prozent der Stimmen erhält, vor dem zweiten Wahlgang mit Sozialdemokraten und Grünen "fusionieren", also KandidatInnen auf deren Liste entsenden. Dagegen wollen LO und LCR im zweiten Wahlgang - sofern sie nicht mehr dabei sind - keine Wahlempfehlung abgeben, mit Ausnahme jener Regionen, wo der rechtsextreme Front National ernsthafte Siegeschancen aufweist. In letzterem Fall wird man zur Wahl der sozialdemokratisch geführten Linkskoalition aufrufen.
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