letzte Änderung am 19. März 2004

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FRANKREICH VOR DEN REGIONALPARLAMENTSWAHLEN: DROHT EINE NEUE SERIE RECHTSEXTREMER ERFOLGE?

Le Pen als "Opfer des Systems"?

"Wird der 21. März zum 21. April?" Diese Frage wird derzeit gern von Journalisten und Politikern gestellt. Nicht, dass dem französischen Kalender revolutionäre Umwälzungen bevor stünden. Aber am Tag des diesjährigen Frühlingsbeginns werden frankreichweit alle Regional- und ein Teil der Bezirksparlamente neu gewählt ­ im ersten Durchgang, am 28. März findet dann ein zweiter Wahlgang statt.

Der 21. April wiederum verweist auf die Präsidentschaftswahl vor zwei Jahren. Damals waren der bürgerliche Amtsinhaber Jacques Chirac und der rechtsextreme Politiker Jean-Marie Le Pen als bestplatzierte Kandidaten aus dem ersten Wahlgang hervorgegangen. Für viele Franzosen und Französinnen war es ein Schock. Nach zwei Wochen und zahlreichen Demonstrationen konnte sich dann aber in der Stichwahl Präsident Chirac mit über 82 Prozent der Stimmen klar durchsetzen.

Sollte sich das Szenario jetzt in einigen französischen Regionen wiederholen? Daran glauben derzeit einige Beobachter. Noch weiter verbreitet ist jedoch die Annahme, dass die extreme Rechte zumindest hohe Wahlergebnisse in einigen Regionen und im Landesdurchschnitt erzielen werde. Auch wenn ihr "Frontmann" Jean-Marie Le Pen jetzt, aller Voraussicht nach, nicht persönlich kandidieren kann. Aber der Reihe nach.

Bereits im Spätherbst 2003 hatte die Parteien- und Wahlforscherin Nonna Meyer öffentlich erklärt, sie rechne damit, dass der Front National "leicht 17 Prozent im landesweiten Durchschnitt" erreichen könne; dies entspräche dem Stimmenanteil von Le Pen 2002. Denn das Klima dafür stehe günstig, angesichts mehrerer Faktoren. Dazu zählt die Abnutzung der regierenden Konservativen angesichts einer weithin als antisozial betrachteten Politik, und gleichzeitig das Ausbleiben einer halbwegs glaubwürdigen Alternative auf der Linken. Dazu gehören ferner die Ängste, die durch die EU-Osterweiterung und die deswegen befürchtete Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt ausgelöst werden.

Politische Debatte um die "kulturelle Identität"

Die klarste Parallele zur Konstellation der Präsidentschaftswahl von 2002 zog der Chefredakteur der Pariser Abendzeitung Le Monde, Jean-Marie Colombani. In einem Leitartikel vom 9. Januar dieses Jahres warnte er davor, die Debatte rund um das Gesetz zum Kopftuchverbot an öffentlichen Schulen ­ das vorige Woche in erster Lesung verabschiedet wurde ­ öffne eine "wahrhafte Büchse der Pandora". Der liberale Journalist sieht die Eile, mit der die Konservativen gesetzgeberisch aktiv wurden, im Zusammenhang mit den anstehenden Regional- und Bezirksparlamentswahlen. Tatsächlich ist diese Verbindung des öfteren auch von konservativen Politikern hergestellt, etwa in Gestalt der Drohung, falls die Gesetzesvorlage nicht in Bälde verabschiedet werde, dann werde Le Pen von der Verzögerung profitieren.

Colombani unterstrich: "Alle haben gesehen, wie der extremen Rechten (2002) das Ausweiden des Themas genutzt hat. Sie wird erneut an Legitimität gewinnen, weil jetzt die Frage der in den Mittelpunkt der innenpolitischen Debatte gerückt wird." Dem Editorialisten zufolge herrscht dabei ein politisches Kalkül: Bleibe die extreme Rechte als einzige starke Alternative übrig, dann könne das die Konservativen über die Wahlen retten, wie bereits vor zwei Jahren Chirac, dem im Vorfeld niemand eine erfolgreiche Wiederwahl zugetraut hätte. "Dieses politische Kalkül", so fährt der Leitartikel fort, "wirft eine schwerwiegende historische Verantwortung auf."

Auch manche islamistischen Reaktionen in Reaktion auf dieses Gesetz, so möchte man hinzufügen, haben zu dieser kulturellen "Ethnisierung" der innenpolitischen Debatte mit beigetragen. Aber man hätte vielleicht damit rechnen müssen.

Und wenn Le Pen gar nicht kandidieren könnte?

Nicht sicher ist jedoch, ob die extreme Rechte zugleich auch in der Lage sein wird, eine französische Region zu regieren. Diesen Anspruch erhob sie vorab besonders im südostfranzösischen Paca (Provence ­ Alpes ­ Côte d’Azur). Dort wollte der alternde Parteigründer Jean-Marie Le Pen persönlich antreten, als Direktkandidat im stockreaktionären Nizza sowie als Spitzenkandidat für die Regionalpräsidentschaft in Marseille.

Daraus wird allerdings wahrscheinlich nichts, da der FN-Chef allem Anschein nach nicht die rechtlichen Voraussetzungen erfüllt, um in Südostfrankreich zu kandidieren. Denn dazu müsste er steuerlich in Nizza gemeldet sein. Normalerweise wäre das kein Problem, da es ausreichen würde, die kommunalen Steuern - die in Frankreich auf Wohn- und Geschäftsraum erhoben werden - für das Wahllokal auf seinen Namen abzuführen. Doch die örtlichen Parteifreunde haben angeblich geschlampt - und das Wahllokal nur auf den Namen der Partei eintragen lassen, und nicht auf denjenigen Le Pens, dessen Name allerdings auf dem Mietvertrag steht. Dem Vernehmen nach drohen jetzt innerparteilich deswegen einige Köpfe zu rollen...

Am Montag (16. Februar) war der Stichtag für die Anmeldung der Listen, die zu den Regionalparlamentswahlen antreten wollen, abgelaufen. Jetzt lag es am Regionalpräfekten - der den Zentralstaats in Marseille juristisch vertritt -, Christian Frémont, die Rechtmäßigkeit der Listen zu überprüfen.

Am Mittwoch vormittag hat der Regionalpräfekt, nach Prüfung der Kandidaten-Unterlagen, die Kandidatur von Jean-Marie Le Pen wegen der genannten Rechtsmängel abgelehnt. Der FN-Parteichef kann und wird jetzt noch den Conseil d'Etat, das oberste Verwaltungsgericht in Paris, gegen die Entscheidung anrufen. Wirkliche Erfolgschancen hat er dabei wohl nicht.

In Südostfrankreich ist seit einigen Tagen bereits ein Nachfolger für Le Pen als Listenführer des FN in der Region im Gespräch: Der (pensionierte) General Louis Martin, der im Algerienkrieg diente. Beide Männer hatten sich 1957 in Algier kennen gelernt. Damals war Le Pen freiwillig dienender Offizier im Algerienkrieg, der in den ersten Jahresmonaten 1957 eigenhändig gefangene Angehörige der algerischen Unabhängigkeitsbewegung folterte. Das ist inzwischen gerichtlich nachgewiesen: Das Urteil im letzten diesbezüglichen Prozess (Le Pen hatte Verleumdungsklage gegen "Le Monde" eingereicht und scheiterte damit) fiel am 26. 06. 2003; dabei ging es um einen Fall von Folterungen mit Todesfolge.

Welche Auswirkungen hat die neue "Le Pen-Affäre"?

Am vorigen Freitag hat Le Pen bereits auf Radio France angekündigt: "Wenn man versucht, mich im Morgengrauen am Waldrand zu meucheln, dann wird man meine Schreie bis an's andere Ende des Planeten hören". Wenige Tage davor hatte er in einem Interview mit der Pariser Abendzeitung Le Monde angekündigt, seine Nichtzulassung zur Wahl würde "einen Skandal mit nationaler Tragweite" darstellen. Und die Sonntagszeitung JDD zitiert ihn am 15. Februar mit den Worten: "Wenn ich daran gehindert werde, in Paca zu kandidieren, dann werde ich nirgendwo antreten, aber überall (= in allen Regionen) Wahlkampf machen".

Viele glauben, dass Le Pen die "Verhinderung" seiner Kandidatur inszeniert habe, mit dem Ziel, dass möglichst viel über ihn geredet wird. Die Umfragewerte für seine Kandidatur in der Region Paca standen ohnehin nicht sonderlich gut: Während dem FN landesweit Werte oberhalb von 15 Prozent prognostiziert werden, wäre Le Pen demnach in Südostfrankreich auf 22 Prozent im ersten Wahlgang und 20 Prozent in der Stichwahl gekommen. Konservative und Sozialdemokraten hätten demnach, in einer Stichwahl mit drei Listen, jeweils 40 Prozent erhalten.

Nun kann man davon ausgehen, dass Le Pen in den Vorwahlumfragen normalerweise "unterbewertet" ist, da manche seiner Anhänger ohnehin allen "Journalisten" - die BefragerInnen eingeschlossen - misstrauen und sich nicht offen zu ihrem Votum bekennen. Dennoch schien Jean-Marie Le Pen von einem persönlichen Wahltriumph weit entfernt. (Die eigentliche Gefahr bestand und besteht daher auch nicht in einer Wahl des Parteiführers Le Pen zum Präsidenten einer Region, denn das ist so gut wie ausgeschlossen - wohl aber darin, dass der FN landesweit seinen Stimmenanteil noch ausbauen kann und noch mehr in die Pose des "Herausforderers des Establishments" hineinwachsen wird können.)

Die Dienstags-Ausgabe (17. Februar) von "Le Monde" kolportiert, Le Pen habe "technische" - also juristisch-administrative - Lösungen für sein Meldeproblem, die durchaus noch bestanden hätten und ihm von Mitarbeitern vorgetragen wurden, ausgeschlagen. Das könnte für die These sprechen, Le Pen sei es gar nicht so sehr um eine ernsthafte Durchsetzung seiner Kandidatur gegangen. Zumal ein nur wenig über dem nationalen Durchschnitt liegendes Wahlergebnis für ihn in PACA seinem (in der Vergangenheit vergeblich angefochtenen) Allein-Führungsanspruch innerhalb der Partei wohl erneut Schaden zugefügt hätte. Und in der Rolle des donnernden "Volkstribunen", die Le Pen als angebliches "Opfer der Machenschaften des Systems" nunmehr erneut einnehmen wird, gefällt er sich ohnehin besser als im Gewand des Regionalpolitikers, der auch "langweilige" Sachthemen zu bearbeiten hat.

Fraglich ist noch, ob die vorab verbreitete Aufregung um Le Pens Kandidaturchancen das Abschneiden der Rechtsextremen günstig oder ungünstig beeinflussen wird. Le Pen wird mit der Ansicht zitiert: "Diese neue Verfolgung wird dem FN zwei bis drei Prozent zusätzlich Prozentpunkte einbringen." Der sozialistische Regionalpräsident Michel Vauzelle in Marseille ist gegenteiliger Auffassung und vertritt die Ansicht, der FN in Südostfrankreich werde 2 bis 3 Prozent verlieren, da Le Pen "seine Imkompetenz und seinen Mangel an Voraussicht" unter Beweis gestellt habe. Allerdings ist er auch der Auffassung (so zitiert ihn jedenfalls das Journal du dimanche, JDD), dass Le Pen in Wirklichkeit "das einfache Problem des steuerlichen Wohnsitzes seit langem gelöst" hätte, wenn er nur wolle.

Auch der konservative Spitzenkandidat in Marseille, Renaud Muselier, vertritt einen ähnlichen Standpunkt: Er könne nicht an "einen solchen Anfängerfehler" seitens von Le Pen glauben. In Wirklichkeit, so meinen verschiedene Politiker (laut dem JDD), habe der Chef des Front National ohnehin "noch andere steuerliche Wohnsitze" in der Region, als jenen im Wahlkampflokal von Nizza. Es handele sich lediglich um eine Inszenierung, mit dem Ziel, dass man möglichst viel von und über Le Pen rede.

Noch einmal sei das JDD zitiert: "Einzige Sicherheit: Diese ‚Affäre‘ erlaubt es ihm (Le Pen), die Aufmerksamkeit in diesem Wahlkampf zu monopolisieren". Die Pariser Abendzeitung Le Monde übertitelt deswegen ihre Dienstagsausgabe (vom 17. Februar): "Welches Spiel treibt Le Pen?" Und eine daneben stehende Karikatur zeigt Jean-Marie Le Pen, der eine Wahlurne schüttelt, nebst einer Sprechblase mit den Worten: "Dieses Mal ist es wirklich wahr: Ich bin Opfer eines Komplotts!" Daneben steht ein altes Mütterchen, das nur fragt: "Schon wieder?"

Tatsächlich: Einmal mehr versucht der rechtsextreme Politiker sich als Opfer des Systems, Opfer einer Verschwörung gegen seine Person, in Pose zu werfen. Bereits 2002 hatte auch das zu seinem Erfolgsrezept gehört ­ damals hatte er Schwierigkeiten dabei gehabt, die 500 Unterschriften von Mandatsträgern zusammen zu bekommen, die für eine Präsidentschaftskandidatur erforderlich sind. Das hatte ihm auch erlaubt, im März/April 2002 Wochen lang im Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit zu stehen, kurz vor dem Wahltermin am 21. April... Allerdings sind es dieses Mal nicht Sonderbestimmungen des Wahlrechts (die man durchaus als undemokratischen "Filter" für Präsidentschafts-Kandidaturen betrachten kann), sondern eigenes Zutun oder aber eigenes Unvermögen seitens seiner Parteifreunde, die ursächlich für Le Pens Schwierigkeiten wurden.

Dennoch wäre es möglicherweise politisch riskant, würde Le Pen aus formal-administrativen Gründen vom Urnengang ausgeschlossen. Da Le Pen bereits mehrfach in der südostfranzösischen Paca-Region kandidiert hat, beispielsweise bei den Parlamentswahlen 1993 (in Nizza) und bei den Regionalparlamentswahlen 1998, wäre es vielleicht nicht für alle WählerInnen einsichtig, warum er dieses Mal der Wahl fernbleiben sollte. Vielleicht wären manche Wähler bereit, an Le Pens These zu glauben, es habe "Anordnungen aus dem Elysée-Palast" an die örtliche Verwaltung gegeben. Aber vielleicht geht diese Rechnung auch doch nicht auf, weil die Kampagne gar zu abgeschmackt wirkt...

Allgemein: Das Klima ist günstig für die extreme Rechte

Das Klima erscheint günstig für den Front National, dessen Umfragewerte tatsächlich steigen und bereits die 15-Prozent-Marke überschritten haben. In den Umfragen für die Pariser Abendzeitung Le Monde etwa kletterte der FN Anfang Februar von vorher 14 auf 15,5 Prozent. Dabei ist die extreme Rechte in den Vorwahlumfragen normalerweise unterbewertet, da viele ihrer Anhänger "Journalisten" (inklusive BefragerInnen) grundsätzlich nicht über den Weg trauen, oder sich aus anderen Gründen nicht offen zu ihrem Votum bekennen.

Nachdem die "Kopftuch"-Debatte seit Anfang Dezember fast alle sonstigen innenpolitischen Diskussionen überlagert hatte, kommt nun auch ein zweites Thema dem Front National entgegen, ohne dass er sich selbst anstrengen müsste, es in die Köpfe zu hämmern.

Ganz Frankreich hat in den letzten zwei Wochen den Atem angehalten, um zu verfolgen, wie der frühere Premierminister Alain Juppé von einem Gericht in Nanterre wegen der Organisierung eines Korruptionssystems verurteilt wurde - woraufhin seine konservativen Parteifreund ein Rührstück rund um das "Justizopfer" inszenierten und die Richter offen herausforderten. Sogar Tränen flossen. Premierminister Jean-Pierre Raffarin hatte öffentlich gewünscht, im Berufungsverfahren in einigen Monaten vor einem Versailler Gericht möge "das Urteil anders ausfallen", was eine offene Einmischung der Exekutive in die Angelegenheit der Judikative darstellt. Justizminister Dominique Perben soll, wie über die Presse ruchbar geworden ist, seinerseits bereits die Möglichkeiten zu einem Freispruch im Berufungsverfahren eruiert haben.

Und die Spatzen pfeifen von den Dächern, dass der bisher als kalter Technokrat verschmähte Juppé derzeit nur deswegen von seinen UMP-Parteifreunden umhätschelt wird, weil es gilt, seinen früheren Vorgesetzen im Pariser Rathaus zu schützen: einen gewissen Jacques Chirac. In dessen Interesse hatte damals der Filz aus privaten Unternehmen, die aus dem fetten Kuchen der Pariser Steuergelder genährt wurden, neogaullistischer Partei ­ die dabei die nötigen illegalen Spenden einsammelte, um die Chirac’schen Ambitionen auf das höchste Staatsamt mit einer Wahlkampfmaschinerie auszustatten ­ und "Chirac-Clan" funktioniert.

Deswegen braucht die rechtsextreme Partei gar nicht mehr extra laut "Korruption" zu rufen. Dabei ist es ein altes strategisches Ziel der extremen Rechten, die politische Debatte auf eine solche Schlammschlacht (der angeblich "Sauberen" gegen die "Korrupten"; auch wenn es innerhalb der rechtsextremen Partei selbst oft sehr vetternwirtschaftsmäßig zugeht) zu reduzieren. Handelt es sich doch um ein allerbestes, wenngleich "billiges", populistisches Schmiermittel...

Marine Le Pen auf Charme-Tournee im Raum Paris

Die Tochter des alternden Parteigründers - er wurde im Juni vorigen Jahres bereits 75 - , die ehemalige Anwältin Marine Le Pen, macht unterdessen ihren ersten "eigenen" Wahlkampf in der Ile-de-France (der Hauptstadtregion, also in und rund um Paris).

Jean-Marie Le Pen beginnt seine Rede damit, dass er einen jungen Parteiaktivisten mit der "Ehrenflamme" (die Flamme ist das Parteisymbol des FN) auszeichnet, der "im Dienst an der Sache verletzt" worden ist .

 

Am vorigen Freitag, dem 13. Februar sollte die Wahlkämpferin etwa vom Arbeitgeberverband Medef der Region Ile-de-France offiziell empfangen werden; der Medef ist landesweit der mit Abstand größte, zentrale Unternehmerverband. Vorgesehen war, dass sie dabei von Jean-Michel Dubois, der sich beim FN um die mittelständischen Unternehmer kümmert, und den ultra-wirtschaftsliberalen Professor an der Universität Paris-9, Jean-Richard Sulzer begleitet würde. Letzterer hat sich in den letzten Monaten immer offener dem FN angenährt, könnte aber als Bindeglied in Teile der bürgerlichen Rechten hinein funktionieren.

Le Pen, Jean-Marie und Le Pen, Marine - symbolische Wachablösung (vorläufig nur am Rednerpult)

Le Pen: Wehe, wenn Ihr nicht auf mich hört...

Zum Abschluss gibt's die Nationalhyme (Besser: Ohren zu!)

Seitens des Medef rechtfertigte man sich gegenüber der Tageszeitung Libération (11. Februar) damit, dass man alle Kandidaten empfangen wolle, die auf die Wahlprüfsteine des Medef geantwortet und dabei ihren Wunsch nach einem Treffen bekundet hätten. So habe man auch den Sozialdemokraten Jean-Paul Huchon und den Christdemokraten André Santini empfangen.

In ihrer Ausgabe vom Dienstag abend gibt die Pariser Abendzeitung Le Monde bekannt, dass das Treffen am vorigen Freitag vom regionalen Medef-Präsidenten Didier Duran "aus familiären Gründen" auf Anfang dieser Woche verschoben worden sei. Am Montag dann sagte der Medef der Region Ile-de-France aber doch noch ab - wie Le Monde schreibt, aufgrund des Drucks des nationalen Arbeitgeberverbands auf seine regionale Sektion. Wahrscheinlich ist, dass vor allem der mittelständische Flügel innerhalb des regionalen Medef ein Interesse an dem Treffen hatte. Ihm gehört auch der FN-Mittelstandspolitiker Dubois an, der in den Neunziger Jahren - als Vertreter eines mittleren Betriebes in einer nördlichen Pariser Trabantenstadt - als Gewählter in der Industrie- und Handelskammer der Region saß.

Tatsächlich ist das vorwiegend auf Mittelständler sowie eine für Anti-Steuer-Parolen empfängliche Klientel zugeschnittene Wahlprogramm von Marine Le Pen angetan, in solchen Kreisen Sympathien zu erwecken. Teilweise wurde in solchen Kreisen die Drohung damit, für den FN zu votieren, auch zum Erpressungsinstrument gegenüber der konservativen Rechten. Denn bei dieser klafft ein wachsender Widerspruch zwischen ihrer eher kleinbürgerlichen Basis und der nackten Politik zugunsten des Großkapitals, die sie faktisch betreibt. An dieser Kluft versucht die extreme Rechte anzusetzen.

Beispielsweise berichtete die grünen-nahe Wochenzeitung "Charlie Hebdo" im Dezember 2003, ein wichtiger Fachverband der Hotel- und Gaststättenbetreiber drohe damit, seine Klientel im März zugunsten der extremen Rechten stimmen zu lassen, falls nicht "endlich" die Mehrwertsteuer für Restaurantbetriebe und das Gaststättengewerbe von 20,6 auf 5,5 Prozent abgesenkt werde. (Das hatte 2002 zu den Wahlversprechen der konservativen Regierungsmannschaft Raffarin gehört. Doch seine Verwirklichung war mit dem Verweis auf Widerstände bei der EU-Kommission in Brüssel immer wieder hinausgeschoben worden.) Jetzt hat die Raffarin-Regierung, in der zweiten Februarwoche, dieser Forderung aber doch noch nachgegeben.

Zugleich betreibt Marine Le Pen auch einen betont sozialdemagogisch aufgezogenen Wahlkampf ­ der allerdings vor allem auf die Frage der "wirtschaftlichen Globalisierung" zugeschnitten ist. Diese bildet, zusammen mit der Immigration, angeblich eine Bedrohung von außen, gegen welche die Nation vereint zusammen müsse ­ im Bündnis von nationaler Arbeit und nationalem Kapital.

Die rechtsextremen Spitzenkandidat(inn)en in der Hauptstadtregion Ile-de-France. Von rechts nach links:


- ?
- Michel de Rostolan (applaudierend), 57, Verbindungsmann von Le Pen zum rechten Flügel der US-Republikaner, in den späten 80er Jahren Kopf des französischen Unterstützungskomitees "für die Wiederwahl von Ronald Reagan" (Comité français pour la réélection de Reagan)
- Myriam Baeckeroot, 55; seit den späten 60er / frühen 70er Jahren in "nationalrevolutionären" Kreisen aktiv
- Le chef
- Martial Bild, 41, Vorsitzender der Pariser Parteisektion und Cheforganisator der zentralen FN-Veranstaltungen
- Martine Lehidieux, Mitte 70, Witwe eines hohen Funktionärs des Vichy-Regimes, seit der Parteigründung des FN mit dabei, Vizechefin der Partei, Chefin des "Nationalen Zirkels der europäischen Frauen"
- Jean-Richard Sulzer, ultra-wirtschaftsliberaler Professor an der Universität Paris-9
- Dominique Joly, 32, junger Streber und Finanzexperte
- Roger Holeindre, genannt "Popeye", Ende 70, alter Militarist und Haudegen, Mitkämpfer in mehreren französischen Kolonialkriegen; seit der Parteigründung des FN mit dabei, Leiter des CNC (Cercle national des combattants/ Nationaler Zirkel der Kämpfer), also des FN-eigenen Veteranen- und Militaristenverbands

So verteilen die FN-Wahlkämpfer im Großraum Paris seit Ende Januar/ Anfang Februar ein hoch professionnell gemachtes, vierseitiges Faltblatt. Das Titelblatt ist unter das Motto der "Sozialen Unsicherheit" gestellt. Man sieht darauf einen offensichtlich nackten Mann, dessen Blöße lediglich in einen Karton gekleidet ist ­ auf dem "Made in China" zu lesen ist. Liest man den Inhalt des Faltblatt, dann wird einem oder einer "die französische Industrie" als solche, pauschal, als Opfer von Desindustrialisierung, Produktionsverlagerung und Globalisierung vorgestellt ­ eben als handele es sich um eine äußere Verschwörung und nicht um einen aus materiellen Interessen resultierenden Prozess, an dem französische Kapitelinhaber eifrig teilnehmen. Doch bei der extremen Rechten kommt man letzten Endes immer wieder bei einer "Verschwörung gegen die (eigene) Nation" heraus.

De facto ist das Wahlprogramm jedoch eher arm an realen sozialen Versprechungen. Für Arbeitslose etwa enthält es eher die Drohung mit verstärkten Kontrollen und dem Kappen aller Unterstützung für erwerbslose Personen, die "zumutbare Arbeitsplätze ablehnen". Dennoch bilden diese Personen eine, auf der Ebene von Demagogie, umworbene Klientel. Immer wieder seit Anfang der Neunziger gelang es dem FN auch, nicht unerhebliche Stimmenanteile unter Arbeitern und Arbeitslosen einzustreichen. Jedenfalls unter jenem Anteil von ihnen, der überhaupt noch wählen geht. Wie Libération (vom 4. Februar) berichtet, planen mehrere Arbeitlosen-Selbstorganisationen deswegen eine aktive Einmischung in den Wahlkampf - mit dem Ziel, dem Einfluss des FN entgegen zu treten, dessen wachsenden Einfluss sie konstatieren könnten.

Wachsende Unzufriedenheit ­ findet sie einen progressiven Ausdruck?

Genau zwei Drittel der Franzosen, so ergab eine Befragung im Auftrag von Le Monde, wollen derzeit "Protest wählen" oder abstimmen, um die Regierung "abzustrafen". Mit Ausnahme der konservativen UMP wollen fast alle Parteien aus dem regionalen Urnengang eine nationale Testwahl machen, zumal sie ­ neben den diesjährigen Europawahlen ­ die letzten landesweiten Wahlen vor 2007 sind.

Die etablierten Linksparteien befinden sich dabei aber ebenfalls in einem schlechten Zustand. Die Sozialdemokratie hat sich noch immer nicht von der verheerenden Wahlniederlage ihrer Präsidentschaftshoffnung Lionel Jospin erholt. Und ernsthafte Alternativen anzubieten, kann sie kaum ernsthaft behaupten, da die konservative Rechte in vielerlei Hinsicht Pläne der Sozialdemokratie aus ihrer Regierungszeit aus den Schubladen geholt hat. Immer mit dem dezenten Hinweis darauf, dass die Sozialisten im Grunde dieselben Rezepte gehabt hätten, aber nur "zu feige gewesen sind, um die Reformen durchzusetzen, auch wenn sie unpopulär sind".

Das tut die derzeitige Regierung gewiss, oft in brachialer Form. Allen möglichen sozialen Gruppen wird derzeit signalisiert, dass ihre einstmaligen sozialen Errungenschaft systematisch zur Disposition gestellt werden, und dass es dabei nichts zu verhandeln gibt. Doch die Widerstände bleiben bisher noch voneinander isoliert, zumal die Niederlage angesichts der so genannten Rentenreform im Sommer 2003 ­ nachdem bis zu zwei Millionen Menschen dagegen demonstriert hatten ­ Spuren in Form einer zeitweisen Demoralisierung vieler Kampfeswilligen hinterlassen hat.

Eine mitreißende, kämpferische Alternative zur knallharten sozialen Krisenverwaltung stößt daher derzeit auf ein Glaubwürdigkeitsproblem. Dennoch bieten sich auch Alternativen links von den Sozialdemokraten an.

Die KP, die unter Jospin fünf Jahre lang mitregiert hatte, steckt tiefer in der Krise denn je. In einigen Regionen tritt sie von vornherein auf Einheitslisten mit den Sozialdemokraten an, um wenigstens ihre lokalen und regionalen Mandate retten zu können. Andernorts dagegen präsentiert sie eigene Liste. Im Großraum Paris wiederum tritt sie mit VertreterInnen aus sozialen Bewegungen, etwa Claire Villiers aus der Arbeitslosen-Selbstorganisation AC!, auf einer gemischten Liste an. Weiter links treten die beiden trotzkistischen Parteien mit unterschiedlichem Profil, die LCR (Ligue Communiste Révolutionnaire) und Lutte Ouvrière (LO, Arbeiterkampf) mit gemeinsamen Listen an, denen bisher 6 bis 7 Prozent der Stimmen vorausgesagt werden. Für einen Sitz in einem Regionalparlament wird das jedoch wahrscheinlich nicht reichen.

Denn vor einem Jahr hat die Raffarin-Regierung auch das Wahlrecht ändern lassen. Jetzt benötigt eine Liste stattliche 10 Prozent der Stimmen, um überhaupt noch in den zweiten Wahlgang zu kommen. Gleichzeitig erhält jene Liste, die auf Platz Eins gelangt, 25 Prozent der Sitze im Regionalparlament vorab zugeteilt, bevor die anderen drei Viertel auf die Listen nach ihrem Stimmenanteil verteilt werden.

Falls drei Listen in der Stichwahl bleiben, erhält damit die stärkste Liste ab einem Stimmenanteil von einem Drittel der Stimmen mindestens die Hälfte der Mandate. Raffarin hatte damals die Wahlrechtsreform ­ die die großen Parteien bevorzugt - unter anderem damit gerechtfertigt, sie bilde einen Sperrriegel für den Front National. Doch jetzt wird befürchtet, in einzelnen Regionen könnte auch dieser sich die neue "Siegerprämie" zunutze machen. Falls er denn die Konservativen und die Sozialdemokraten überholen könnte.

Bernhard Schmid (Paris)

ZUSATZ:
Strafantrag gegen Le Pen wegen rassistischer Äußerungen ­ Und neue Ausfälle am folgenden Tag

Am Freitag voriger Woche, dem 13. Februr, musste Le Pen sich vor einem Pariser Strafgericht verantworten. Die Licra (Internationale Liga gegen den Rassismus und den Antisemitismus), die eine eher bürgerlich-liberale Antirassismusorganisation bildet, und die traditionsreiche Liga für Menschenrechte (LDH) ­ deren Gründung 1898 eine direkte Reaktion auf die antisemitische Mobilisierung während der Dreyfus-Affäre darstellte ­ hatten Klage gegen den rechtsextremen Politiker erhoben.

Gßgenstand des Strafverfahrens war ein Interview von Jean-Marie Le Pen, das am 19. April 2003 ­ zum Auftakt des damaligen FN-Parteitags in Nizza ­ in der Pariser Abendzeitung Le Monde erschien. Darin führte Le Pen u.a. aus: "An dem Tag, an dem wir in Frankreich nicht 5 Millionen, sondern 25 Millionen Moslems haben werden" (Anm.: die für die aktuelle Situation angegebene Zahl ist falsch, nach neuesten Berechnungen leben heute circa 3,7 Millionen Moslems in Frankreich) "dann werden sie es sein, die bestimmen.

Und die Franzosen werden sich verstohlen die Mauern entlang drücken, sie werden vom Bürgersteig herunter ausweichen und dabei die Augen hinabsenken. Wenn sie es nicht tun werden, dann wird man zu ihnen sagen: ‚Was guckst Du mich so an?‘ Und dann können Sie nur noch abhauen, sonst werden Sie Prügel einstecken."

In dem, durch Licra und LDH angestrengten Strafverfahren forderte die Staatsanwaltschaft am Freitag zwei Monate Haft auf Bewährung, 8.000 Euro Geldstrafe und ein Jahr Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte (inklusive des passiven Wahlrechts und seiner Wahlmandate) gegen Le Pen. Das Urteil wird am 2. April bekannt gegeben, also nach den Regionalparlamentswahlen.

Am darauf folgenden Abend (Samstag, 14. Februar) weilte Le Pen in Strasbourg, wo er allerdings durch eine größere Gegendemonstration von zwei Menschen empfangen wurde. Aufgerufen dazu hatten Sozialisten, KP, Grüne, LCR, Attac, die Antifavereinigung Ras-le-Front (Schnauze voll vom Front) und eine Lehrer- sowie eine Studentengewerkschaft.

Vor 1.500 Menschen, die zu seiner Saalveranstaltung gekommen waren, holte Le Pen zu einem erneuten verbalen Schlag aus. Dieses Mal wandte er sich heftig gegen die antirassistischen Organisationen, die seine Verfolger seien. So führte der rechtsextreme Politiker wörtlich aus: "Es gibt in Frankreich eine Partei der Collabos (Anm.: negativer Begriff für Kollaborateure), die mit den Antifranzosen zusammen arbeitet." (Anm.: Der Begriff der anti-France, als Bild einer groß angelegten Verschwörung gegen die französische Nation, gehört seit langem zum rechtsextremen Standardrepertoire.)

Und weiter im Originalton: "Unter ihnen sind die Miliz (sic!) der Licra, die Frei-Zuhälter (Anm.: franc-maquereaux, eine bösartige Abwandlung von franc-maçons für Freimaurer; diese weltanschauliche Vereinigung einer republikanisch-laizistischen Elite gehört, neben den Juden, zu den klassischen Figuren der rechtsextremen Vorstellung von der Weltverschwörung) von der Liga für Menschenrechte und von SOS Racisme, die mich zur Räson zu bringen trachten."

Noch steht nicht fest, ob auch diese Ausfälle spätere rechtliche Folgen für Jean-Marie Le Pen haben werden.

BhS, Paris

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