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Updated: 18.12.2012 16:07 |
Reformterror "Am Donnerstag Abend schließlich verteidigte der seit vier Monaten amtierende Präsident seine Weichenstellungen, die er an den beiden Vortagen verkündet hatte, in einer Fernsehansprache an die Nation. Bei jedem Mal griff der oberste Hektiker im Staate eine Fülle von Einzelthemen auf..." - aus der Einleitung von Bernard Schmids Beitrag zur politischen Offensive des französischen Präsidenten "Reformterror" vom 21. September 2007 Reformterror Hat er sich dieses Mal übernommen? Oder nur wieder sich selbst übertroffen? Nicolas Sarkozy, der autoritäre Speedy Gonzalez der französischen Politik, hat in dieser Woche zu einer neuen Offensive durchgestartet. Drei Gongschläge wolle er ertönen lassen: Am Dienstag hielt er im Pariser Senat seine Rede über einen „neuen Gesellschaftsvertrag“ neoliberaler Couleur. Am Mittwoch war in Nantes, in einer regionalen Verwaltungshochschule, die Verkündung der kommenden Umwälzung im Staatsdienst dran. Am Donnerstag Abend schließlich verteidigte der seit vier Monaten amtierende Präsident seine Weichenstellungen, die er an den beiden Vortagen verkündet hatte, in einer Fernsehansprache an die Nation. Bei jedem Mal griff der oberste Hektiker im Staate eine Fülle von Einzelthemen auf: Dichtgedrängt ist die Auflistung der von oben angeordneten Veränderungen, die in nächster Zukunft anstehen sollen. Eventuelle Kritiker und Opponenten sollen gar nicht erst die Zeit finden können, die nötig ist, um Atem zu schöpfen und bei kühlem Kopf nachzudenken. Und fügt man dem hinzu, dass die Gewerkschaftsdachverbände in eine Abfolge von „Runden Tischen“ zu diversen Themen, Gipfeltreffen und Verhandlungsrunden eingebunden werden sollen (vgl. http://www.labournet.de/internationales/fr/wahl07j.html ) kann man sich ein Bild davon machen, wie schwierig es ist, der Offensive zu entgehen. Mit Schwung sollen Gewerkschaften und/oder soziale Widerstandspotenziale überrollt werden. Aber möglicherweise geht die Rechnung nicht völlig auf, weil Sarkozy es – vielleicht – übertrieben, weil er das Boot überladen hat. An einigen Ecken und Enden rühren sich jetzt erstmals Bestrebungen, einen sozialen oder gewerkschaftlichen Widerstand auf die Beine zu stellen. An drei oder vier Fronten kann man diese Bemühungen zur Zeit beobachten: mit der Organisierung einer Demonstration von Gewerkschaften und Linkskräften gegen die Selbstbehalte für Patienten im Gesundheitswesen am 29. September (dem übernächsten Samstag) in Paris; mit dem Streik der französischen Bahngesellschaft SNCF, der ursprünglich für den 17. Oktober angesetzt worden war und (nach eintägiger Verschiebung) jetzt am 18. Oktober stattfinden soll; und mit den Treffen der Gewerkschaften bei der Pariser Verkehrsgesellschaft RATP sowie generell im öffentlichen Dienst, bei denen am Donnerstag Abend und am Freitag über Mobilisierungen beraten werden soll(te). Rede vor dem MEDEF Um genau zu sein, hat Nicolas Sarkozy seine erste Rede sozial- und wirtschaftspolitischen Inhalts, nach der Sommerpause 2007, am 30. August dieses Jahres anlässlich der „Sommeruniversität“ des Arbeitgeberverbands MEDEF in Jouy-en-Josas gehalten. Dabei tätigte der Präsident aber nicht so viele konkrete Ankündigungen, wie zum Teil von ihm erwartet war, sondern hielt eine eher allgemeine Rede mit viel Lobhudelei für die braven, produktiven, innovativen Unternehmer. Die Bewertungen klafften deshalb auseinander. Während die linksliberale "Libération" daraufhin titelte: „Sarkozy zieht seine Show beim MEDEF mit drei Nichtigkeiten ab“, sah die KP-nahe Tageszeitung "L"Humanité" hingegen „die antisoziale Kriegsmaschine“ am Werk. Die Wahrheit lag wohl irgendwo in der Mitte. Denn bereits das Symbol zählte: Es handelte sich um die erste Rede, die ein französischer Präsident vor dem Unternehmerverband in seiner eigenen Hochburg – anlässlich seiner Sommerakademie und in der „Höheren Handelsschule“ HEC – hielt. Ansonsten rollte Sarkozy zwar bei diesem Mal, am 30. August, keine Riesenliste mit konkreten Mabnahmen aus. Einzelne Ankündigungen gegen den versammelten Kapitalvertretern dennoch ruhig wie Honig: -Die Ladenöffnungszeiten sollten endlich auf den Sonntag ausgedehnt werden können. Er, Sarkozy, versteht nicht, warum „die Hälfte der Champs-Elysée als Touristenzone gilt (Anm.: d.h. die Läden eine Sondergenehmigung für sonntägliche Öffnung haben) und in der anderen Hälfte die Geschäfte geschlossen sind.“ - Sehr wichtig: die „Entkriminalisierung (wörtlich "depénalisation", also Ent-Strafrechtlichung) des Handels- und Gesellschaftsrechts“. Das bedeutet, dass wegen eines Straftatbestands im Bereich der Wirtschaftskriminalität – etwa Korruption oder Bereicherung aus Gesellschaftsvermögens – keine empfindlichen (Freiheits-)Strafen mehr verhängt werden können sollen. Stattdessen soll es finanzielle Entschädigungen geben. Sarkozy betonte, er sehe nicht ein, warum „kleinere Fehler beim Betrieb eines Unternehmens einen mit einem Bein ins Gefängnis“ bringen könnten. Die progressive Richtergewerkschaft SM erwiderte daraufhin in einer Repblik, bei millionschweren Vergehen unter Einsatz wirtschaftlicher Macht gehe es eben nicht um eine paar kleine „Versehen“. Heute bereits ist das Risiko für einen US-amerikanischen Unternehmer, in seinem Lande aufgrund finanz- und wirtschaftspolitischer Delikte in den Knast zu gehen, höher als (bei gleichartigen Straftaten) in Frankreich. - Besonders „witzig“ ist diese Forderung nach „Entkiminalisierung“ freilich aus dem Munde eines Präsidenten, der ansonsten nun wirklich für das absolute Gegenteil steht. In der letzten Augustwoche, unmittelbar nach seiner Rückkehr aus seinem US-Urlaub, hatte Nicolas Sarkozy sich bspw. mit der halbwegs irren Forderung profiliert, auch Unzurechtsfähigen vor einem Strafprozess zu machen, „damit die Opfer sich erleichtert fühlen“. - Ansonsten kündigte Sarkozy eine Fusion der (paritätisch von Arbeitgeber- und Gewerkschaftsvertretern besetzten) Arbeitslosengeldkasss UNEDIC und dem staatlichen Arbeitsamt ANPE „bis zum Jahresende“ an. (Darauf wird zurückzukommen sein.) Der Präsident sprach sich mit warmen Worten für die Idee eines „freundschaftlichen Bruchs“ (rupture à l"amiable) des Arbeitsvertrags aus, die von Arbeitgeberpräsidenten Laurence Parisot, der Chefin des MEDEF stammt. Dabei geht es darum, dass das Kündigungs(schutz)recht nicht mehr angewendet wird, wenn beide Parteien des Arbeitsvertrags sich im Vorfeld auf bestimmte Auflösungsmodalitäten geeinigt haben. Nur leider konnte Sarkozy keine konkrete Weichenstellung dazu verkünden, weil – u.a. auf Anregung der neuen Regierung hin – Arbeitgeber und Gewerkschaften seit dem 7. September über die Neufassung der Arbeitsmarktregeln und darunter des Kündigungsschutzes verhandeln. Die Rede zum „neuen Gesellschaftsvertrag“ vom Dienstag Am Dienstag dieser Woche nun kündigte Sarkozy, der seine Ansprache im Senat vor Mitgliedern einer Vereinigung auf Arbeits- und Sozialrecht spezialisierter JournalistInnen hielt, einen „neuen Gesellschaftsvertrag“ an. Dies sollte eine Geste an die Adresse der Gewerkschaften darstellen, die dabei zugleich in den Rang von „sozialen Hauptakteuren“ befördert wurden. Alles in allem wohl ein Zuckerl für die „andere Seite“, nachdem Nicolas Sarkozy drei Wochen zuvor mit dem Arbeitgeberverband herumgeschäkert hatte wie noch kein französisches Staatsoberhaupt vor ihm. Die Gewerkschaften sollen, Sarkozy zufolge, in künftige Gesetzgebungs- und Reformprozesse vorab eingebunden werden. Eine Ankündigung, die ein und für sich ein alter Hut ist – so sehr, dass der Arbeits- und Sozialminister seines Amtsvorgängers Jacques Chirac (ein gewisser François Fillon, heute Sarkozys Premierminister, der jedoch nicht aus dem Schatten des übermächtigen Präsidenten herauskommt und unter akuten Profilierungsschwierigkeiten leidet) sie im Jahr 2004 bereits in einem Gesetz festschrieb. Seit dem Jahr 2000 hat nämlich die Rechte in Frankreich „sozialpartnerschaftliche“ Mechanismen für sich entdeckt . Aber nur, weil sie glaubt, auf diesem Wege beim Vorrücken auf vermintem Terrain – wo jederzeit die Bombe eines sozialen Konflikts hochgehen könnte – vorab Entschärfungsarbeit zu leisten. Die Gewerkschaften sollen dann im Idealfall die Minenräumer spielen... Aber das Besondere an Nicolas Sarkozy ist nun sein Verständnis von Einbindung der Gewerkschaften in Verhandlungen. Ein Verständnis, das da vom Sinn her ziemlich genau lautet: „Ich bestimme – Ihr habt 14 Tage Zeit, und wehe, wenn das Gewünschte nicht dabei herauskommt! Dann machen wir das Gesetz und hauen es Euch um die Ohren, bis Ihr Sternchen seht! Wegtreten!!“ In der Tat hat Sarkozy nun das „heiße Eisen“, das bisherigen Regierungschef seit 1995 (nach den Erfahrungen des armen Premierministers Alain Juppé mit einem Flächenstreik der öffentlichen Dienste) als zu gefährlich um Umgang mit den Gewerkschaften galt, aufgegriffen und in die Hand genommen. Er hat am Dienstag angekündigt, die „Sonder-Rentenregelungen“ in öffentlichen Unternehmen wie der Bahngesellschaft SNCF oder bei den Energieversorgungsunternehmen EDF und GDF sollten „an das allgemeine Regime angepasst“, d.h. aufgehoben werden. (Vgl. dazu http://www.labournet.de/internationales/fr/wahl07l.html ) Verhandlungen dazu, ja, die soll es geben: „14 Tage lang“ soll Arbeits- und Sozialminister Xavier Bertrand nun mit den Gewerkschaften über „die Grundsätze der Reform“ verhandeln. Dann sollen die Grundsätze feststehen, und es darf über die Details „(Staats-, Anm.)Unternehmen für Unternehmen“ weiterverhandelt werden. „Bis zum Jahresende“ soll die Reform stehen. Und falls nicht, dann wird die Regierung es den – günstigeren – Rentenregelungen in den betroffenen öffentlichen Diensten eben auf gesetzgeberischem Wege besorgen. Dann hätten die Gewerkschaften aber erst recht keinen Einfluss mehr auf die Vorgänge. Nicolas Sarkozy präzisierte dazu: „Ich werde offen sein, was die Mittel und die Methode betrifft, aber ich werde weder bezüglich der Methode noch der Prinzipien nachgeben.“ Damit hat er den Gewerkschaften faktisch die Pistole auf die Brust gesetzt. Dennoch reagierten diese in der Anfangsphase völlig schlapp und lau, ebenso wie (was nicht verwundert) die sozialdemokratisch dominierte parlamentarische Opposition. Sowohl der Chef der französischen „Sozialisten“, François Hollande, als auch die Führung des französischen sozialdemokratisch-neoliberalen Gewerkschaftsbunds CFDT erklärten, das Hauptproblem sei „ein Problem der Methode“. Denn falls eine Reform der Renten in den öffentlichen Diensten – und das bedeutet in diesem Falle unzweideutig eine Abschaffung der historisch errungenen, günstigeren Regelungen in bestimmten Sektoren – „auf dem Wege des Dialoges“ durchgeführt werde, dann wäre sie richtig. Nur auf quasi-diktatorischem Wege verordnet, wie es Nicolas Sarkozy offenkundig vorschwebt, sei sie verwerflich. So erklärte CFDT-Generalsekretär François Chérèque am 10. September, falls Sarkozy und die Regierung mit Gewalt durchbrechen wollten, „dann riskieren sie einen größeren Konflikt, (in dem Falle) auch mit der CFDT.“ Ansonsten gelte aber auch, dass die betroffenen Rentensysteme reformiert werden müssten, „weil sie sonst pleite sind“. Die CGT gab sich zwar etwas kämpferischer; so erklärte ihr Generalsekretär Bernard Thibault, falls Sarkozy sich auf Biegen und Brechen durchsetzen wolle, „dann wird es Sport geben (Anm.: d.h. heftig zugehen), und nicht nur aufgrund der Rugby-Weltmeisterschaft“, die in diesem September in Frankreich stattfindet. Aber auch hier legte man den Schwerpunkt auf die Methode und erklärte sich zu Verhandlungen bereit, allerdings nicht unter dem Druck der Regierung, sondern „(Staats-)Unternehmen für Unternehmen und Branche für Branche“. Real schickte sich die CGT allerdings bis vor kurzem nicht an, zu mobilisieren. Vielmehr hatte sie Furcht davor, ihre Basis in den Transportbetrieben (vor allem bei der SNCF) werde in gewissem Sinne mit ihr durchgehen, ohne dass der CGT-Apparat den Konflikt noch kanalisieren könne. Da in diesem Falle die öffentliche Meinung tatsächlich gegen die Gewerkschaften mobilisiert scheint, falls sie als pure Verteidiger von „Besitzständen“ erscheinen – laut einer Umfrage der letzten Sonntagsausgabe der Tageszeitung "Le Parisien" sollen angeblich 68 Prozent der Französinnen und Franzosen „für die Reform der Sonder-Rentenregelungen“ sein, wobei solche Befragungen aufgrund der benutzten Formulierungen oft manipulativ ausfallen – geht auch die CGT hier wie auf rohen Eiern. Denn nachdem die Abwehrkämpfe gegen die Angriffe auf die Rentenregelungen (1993/1995, 2003) in anderen Sektoren verloren worden sind und nur noch die „Régimes spéciaux“ bestimmter Gruppen von öffentlich Bediensteten übrig bleiben, lässt sich leicht ein Sozialneid-Diskurs gegen Letztere mobilisieren. („Warum sollen die es besser haben, als wir Privatbeschäftigten?“) Dennoch ließe sich prinzipiell auch daran denken, die „Renten-Sonderregelungen“ - im Falle einer erfolgreichen Verteidigung - eher als Ausgangsbasis für eine Rückeroberung verlorener sozialer Rechte anderswo zu benutzen. Also für eine Umkehrung des globalen Kräfteverhältnisses „zwischen den Klassen“ (was freilich kein Zuckerschlecken wäre). Aber die CGT verbaut sich selbst diese Möglichkeit, da sie allzu definitiv auftritt, um diesen Gedanken ernsthaft fassen zu können. Aus vergleichbaren Gründen hatte der CGT-Apparat bereits in den Tagen vom 13. bis 15. Mai 2003 den spontan ausbrechenden Streik der Transportarbeiter ihres Gewerkschaftsbundes abgewürgt. Man glaubte dadurch, sich nicht vom Rest der öffentlichen Meinung beim damaligen Streik gegen die Verschlechterung der allgemeinen Renten zu isolieren. In Wirklichkeit wurde dabei jedoch eine kämpferische Bewegung, die sich auf einen erfolgreichen Streik mit Paralysierung des Transportwesens hätte stützen könne, im Keim erstickt. Die Auseinandersetzung ging für die CGT insgesamt auch so verloren. Aber die Chancen, dass es vielleicht hätte anders kommen können, hatte sie selbst aktiv verbaut. Einzig die linken Basisgewerschaften des Zusammenschlusses „Solidaires“, wie die dazu gehörige Bahngewerkschaft SUD Rail (SUD Schienenverkehr), waren von Anfang an auf einer kompromisslosen Linie der Verteidigung des historisch Erungenen – durchaus nicht, um Privilegien zu wahren, sondern um nach erfolgreichem Abwehrkampf über gesamtgesellschaftliche Sozialstandards zu diskutieren. Aber seitdem Sarkozys zweite Rede von dieser Woche, die mittwöchliche Ansprache von Nantes, noch weit mehr Öl ins Feuer gekippt hat, könnten nun auch (insbesondere) Teile der CGT aufwachen und ein bisschen mehr Mut für eine eventuelle Kraftprobe fassen. Aber zuvor noch die Frage: Und was kündigte Nicolas Sarkozy in seiner Rede vom Dienstag sonst noch an? Dieses zum Beispiel: Kollektive Arbeitszeitregelungen sollen (auch nach der starken Lockerung des Überstundenregimes durch das Gesetz, das am 1. August verabschiedet wurde – Labournet berichtete) völlig durch individuelle Abreden zwischen Lohnabhängigem und Arbeitgeber abgelöst werden können. Das bedeutet, dass es gar keine Überstundenbegrenzung mehr gibt, sofern der/die abhängige Beschäftigte – der/die selbstverständlich nicht auf einer Stufe mit dem Arbeitgeber steht, sondern in einem Machtgefälle zu ihm – einer anderen Arbeitszeitregelung als der vom Kollektivvertrag vorgesehenen zustimmt. – „Betrüger beim Empfang von Sozialleistungen“ sollen eine Sperre von der Dauer eines vollen Jahres erhalten. Die durch die „Sozialpartner“ verwaltete Arbeitslosenkass UNEDIC und das staatliche Arbeitsamit ANPE sollen fusioniert werden. Der gesetzliche Mindestlohn SMIC, der bisher jährlich am 1. Juli durch die Regierung angehoben werden MUSS (so sieht es das Arbeitsgesetzbuch vor), soll politischen Druckmöglichkeiten teilweise entzogen werden, indem eine „unabhängige (Experten-)Kommission“ die Entscheidung der Regierung über die Höhe der jährlichen Anpassung vorwegnimmt. Und die über über 55jährigen sollen zwar nicht meh systematisch aus den Betrieben hinausgedrängt werden – hier spricht der Staat als ideeller Gesamtkapitalist ein Machtwort gegenüber den Interessen der Einzelkapitalisten. Aber sie sollen, vor diesem Hintergrund, auch nicht länger, wenn sie Erwerbslose sind, von der Pflicht zur (nachweisbaren) Jobsuche entbunden sein. Sarkozys zweite Ansprache in Nantes Am Mittwoch hielt Nicolas Sarkozy zusätzlich eine Präsidentenrede im westfranzösischen Nantes. Darin kündigte er eine „Kulturrevolution“ für die öffentlichen Dienste (das bedeutet den Staats-, Kommunal- sowie Krankenhaus-Dienst) an. In deren Mittelpunkt steht eine totale Individualisierung der Gehaltsfindungsmechanismen. Bislang wurden die Gehälter im öffentlichen Dienst nach den (unpersönlichen) Mechanismen bürokratischer Organisationen bestimmt. Das ist zwar nicht das Optimum unter dem Gesichtspunkt der Idee von Selbstverwaltung, die sich im Kern sowohl gegen kapitalistische Marktmechanismen als auch gegen staatsbürokratische Organisationsformen richtet. Gleichwohl war es im Konkreten ein Schutz gegen die Auslieferung an Marktmechanismen, und dieser Schutz machte oftmals gewerkschaftliche Betätigung (die im französischen Privatgewerbe heute wesentlich erschwert ist, aufgrund der permanenten Erpressung mit dem „drohenden Verlust der Arbeitsplätze“) und Selbstinitiative erst möglich bzw. erleichterte sie erheblich. Zudem droht bei den Gehaltsfestlegungsmechanismen im öffentlichen Dienst niemand als „Leistungsschwacher“ durch den Rost zu fallen. Diese Aufhebung sozialdarwinistischer Züge der „freien Marktwirtschaft“ ist heutzutage schon viel wert. Nicolas Sarkozy möchte dem nun ein Ende setzen. Zunächst möchte er den öffentlichen Dienst so stark ausdünnen wie nur irgend möglich. Nicht nur, dass jeder zweite altersbedingte Abgang nicht ersetzt werden soll (wie er es bereits vor der Wahl angekündigt, und seitdem mehrfach wiederholt hat) - um die eingesparten Gehaltssummen zum Teil den verbleibenden Beschäftigten in Form einer Erhöhung von Gehältern oder Prämien zukommen zu lassen. Hinzu kommen soll jedoch noch zusätzlich einen Anreiz zum Austritt aus dem öffentlichen Dienst, die Nicolas Sarkozy von einer Praxis im öffentlichen Dienst im (neoliberalen) Kanada der 1990er abgeschaut hat: Wer dem öffentlichen Dienst den Rucken kehrt oder sich anderswohin versetzen lässt, soll ein „Abgangs-Guthaben“ mitnehmen dürfen. Diese Ankündigung, zusammen mit der Ankündigung der Einführung privatrechtlicher Arbeitsverträge (und, auf Dauer explizit angekündigt, des Verschwindens des spezifischen Status im öffentlichen Dienst), der individuellen Aushandlung von Lohn und Gehalt und der bestätigten Nichtersetzung altersbedingter Abgänge hat das Fass nun zum Überlaufen gebracht. Aus diesem Grunde treffen sich nun die im öffentlichen Dienst vertretenen Gewerkschaften an diesem Freitag beim Dachverband linker Basisgewerkschaften „Solidaires“. Am Vorabend traten die Gewerkschaften beim Pariser Bus- und Métrolinien-Betreiber RATP zusammen. Gleichzeitig bestätigte sich, dass im Oktober ein Ausstand der Eisenbahner/innen stattfindet. Dieser wurde lediglich vom 17. auf den 18. Oktober verschoben, weil am erstgenannten Datum auch der „Weltaktionstag gegen Armut“ stattfindet, zu dem mehrere Initiativen mobilisieren – und dies nicht gestört werden sollte. Was bei all dem herauskommt, bleibt abzuwarten. In der Hoffnung, dass es nicht bei empörten Ankündigungen bleibt... B.Schmid, 21. September 2007 |