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Updated: 18.12.2012 15:51
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Der Front National als "soziale" Alternative?

Am 08. April, 01. Mai und 13. Mai stellte die rechtsextreme Partei stückweise die Ansätze ihres neuen sozial- & wirtschaftspolitischen Diskurses bzw. Programms vor. Das endgültige Programm soll bis im Oktober dieses Jahres vorgelegt werden. Aber schon zeichnet sich eine Kombination von dick aufgetragener Sozialdemagogie & "Volkskapitalismus" (thatcheristischer und/oder gaullistischer Inspiration) ab.

Umweltschutz auf bizarre Art: "Was haben die noch mal gegen Halogenlampen?" fragt sich ein Passant, der in einer kleinen Gruppe von Zuschauern steht, beim Vorlaufen der rechtsextremen Demonstranten. Könnte es am hohen Energieverbrauch der Halogenstrahler liegen? Aber nein, aber nein: Was die kurzgeschorenen jungen Männer da rufen, bezieht sich nicht auf die Halogenlampen. Vielmehr rufen sie: "Nein zu den Allogenen", also den Fremdstämmigen - unter Benutzung eines aus dem Altgriechischen rührenden Worts, das ein Gegensatzpaar mit dem Begriff "Autochtone" bildet. Beides, halogènes und allogènes , wird im Französischen nahezu gleich ausgesprochen.

Am diesjährigen 1. Mai-Aufmarsch des Front National (FN) waren sie offiziell unerwünscht, die Glatzen in Bomberjacken und andere an ihren Neonazis. So hatte es die neue Parteichefin Marine Le Pen verkündet, und in Rundschreiben an die Parteigliederungen war angeordnet worden, dass Teilnehmer in "folkloristischem Look" - mit extremen Kurzhaarschnitten und treillis-rangers , also Militärklamotten und Springerstiefeln - von der Anmeldung auszuschließen seien. In der Vergangenheit waren oft auch militante Neonazis mit den Reisebussen der Partei aus anderen Regionen Frankreichs am 1. Mai nach Paris getourt. Unter ihnen jene Schläger aus Reims, die an diesem Datum im Jahr 1995 den Marokkaner Brahim Bourram in die Seine warfen und ertränkten.

Doch die neue Parteilinie möchte ein solches Publikum gerne offiziell fernhalten. In Wirklichkeit war das angesprochene Milieu dann doch dabei, aber in etwas manierlichere Kleidung gesteckt. Zum Teil ging es in diesem Jahr auch im parteieigenen Ordnerdienst auf, anstatt hinter eigenen Transparenten herzulaufen. Nichtsdestotrotz wurde etwa Serge Ayoub, in den achtziger Jahren Chef der Skinheadgruppen des Pariser Umlands, der heute ein nationalrevolutionäres Veranstaltungslokal in der Hauptsstadt betreibt, persönlich gesichtet. Dass die Neonazi"folklore" in diesem Jahr nicht so stark auffiel, dafür sorgte allerdings die größere Zahl sonstiger Teilnehmer, aufgrund derer die besonders markanten rechtsradikalen Marschierer in einer Mehrheit "normal" aussehender Demonstranten optisch untergingen. Nach einem starken Abfall der Teilnehmerzahl im zurückliegenden Jahrzehnt ist die Beteiligung am 1. Mai-Aufmarsch des FN wieder gestiegen. Knapp 1.500 waren sie vor zwei Jahren, rund 2.000 im letzten Jahr. Am ersten Sonntag im Mai dieses Jahres dagegen überstieg ihre Anzahl die 3.000. Die Aussichten auf ein hohes Wahlergebnis für Marine Le Pen, die derzeit aus den Umfragen hervorgehen, scheint die Anhängerschaft des FN zu beflügeln.

77 mal "Freiheit", nur sechs mal "Jeanne d'Arc" zitiert

Jährlich demonstriert an diesem Datum, seit 1988, die rechtsextreme französische Partei "zu Ehren von Jeanne d'Arc". Also der so genannten Jungfrau von Orléans, die einer seit dem späten 19. Jahrhundert verbreiteten nationalgeschichtlichen Legende zufolge im 14. Jahrhundert "Frankreich befreite", indem sie im Hundertjährigen Krieg Truppen in den Krieg gegen die Engländer anführte. In Wirklichkeit gab es damals überhaupt keine Nationalstaaten, sondern einen Flickenteppich aus Feudalherrschaften, die über heutige Landesgrenzen hinweg in wechselnden Allianzen miteinander verbündet oder verfeindet waren. So hielt die heutige französische Region Burgund, ebenso wie die Bischöfe des Landes, damals zur englischen Krone und gegen den in Paris ansässigen Monarchen.

Seit 1988 war es üblich, dass der frühere Parteichef und jetzige Ehrenvorsitzende des FN, Jean-Marie Le Pen, seine Rede an diesem Tag mit Betrachtungen über diese Geschichtslegende vom nationalen Befreiungskrieg gegen die ausländische Besatzung eröffnete. In den folgenden Passagen kommentierte er dann das aktuelle soziale und politische Geschehen. Auch seine Tochter und Nachfolgerin im Parteivorsitz, Marine Le Pen, wich in diesem Jahr nicht von der Regel ab. Auch sie setzte mit Jeanne d'Arc ein. Und doch unterschied ihre Ansprache, die wie zu Zeiten ihres Vorgängers rund eine Stunde dauerte, erheblich von dessen traditionellem Redeprogramm ab.

So zitierte Marine Le Pen den Namen der "Nationalheiligen" zwar sechs mal, doch insgesamt 77 mal fiel das Wort "Freiheit" in ihrer Rede. Der Begriff liberté war zuvor auch von zahlreichen Teilnehmern der FN-Demonstration auf mitgeführten marineblauen Schildern vorneweg getragen worden. Es sollte ein Eindruck erweckt werden, der den beim FN gewohnten Hassdiskurs gegen die "Allogenen" - wie es die jungen Demonstranten aus dem Raum Lyon, einem besonders extremen Regionalverband der Partei, in diesem Jahr ausdrückten - überlagert. Die "Freiheit", die Marine Le Pen meinte, ist allerdings ganz vorwiegend eine nationale, die sich gegen die supranationalen Institutionen - besonders jene der Europäischen Union - oder die Einheitswährung Euro richtet.

Freiheit, national durchdekliniert

In diesem Zusammenhang zitierte die Rednerin dann auch die Devise der Französischen Revolution, die bis dahin eher ein Hassobjekt für Rechtsextreme bildet, und sprach von "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit". Gleichzeitig bemühte sie sogar den Kampf gegen die Sklaverei, in dem Sinne, dass Gleichheit und Brüderlichkeit zwar gute Dinge seien, aber auch unter Sklaven existieren könnten, falls ihnen nicht die Dimension der Freiheit hinzu trete. Ihr Vater hingegen hätte negative Äußerungen darüber, angesichts der Geschichte Frankreichs als einer der größten Sklavenhändlernationen im 17. und 18. Jahrhundert, als "olle Kamellen" und "nationalen Masochismus" abgetan.

Als Kronzeugen für ihre - national definierte - Freiheitsforderung zitierte Marine Le Pen dann Victor Schoelcher, jenen französischen Republikaner, der 1848 die Sklaverei gesetzlich abschaffen ließ, und Charles de Gaulle. Unübliche Referenzen für die extreme Rechte des Landes. Traditioneller wurde es, als sie gegen "Masseneinwanderung" agitierte, ganz wie zuvor der Herr Papa. Einige Beobachter behaupteten sogar, sie habe ein unausgewiesenes Zitat von Robespierre, dem 1794 (aufgrund von Machtkämpfen in der jungen Republik) hingerichteten bürgerlichen Revolutionär, in ihrem Redetext platziert.

"Freiheit" deklinierte sie ansonsten allerdings durchaus auch auf sozialem und wirtschaftlichem Gebiet durch. Als Freiheit vom Druck der etablierten Gewerkschaftsverbände, die sich derzeit durch Ausschlüsse gegen sich häufende Unterwanderungsversuche des FN zur Wehr setzen: Ihnen sollen zukünftig "freie" Gewerkschaften entgegen gesetzt werden, und den bestehenden Verbänden wird "Transparenz über ihre Finanzierungsquellen" angedroht. Der angekündigte Gewerkschafterblock bei der FN-Demonstration beschränkte sich dann jedoch auf ganze zwei Personen mit einem Transparent: "Für nationale Gewerkschaften". Abwesenheit von Freiheit, beklagt die Rednerin, treffe aber auch die durch "die Steuerlast" erdrückten Mittelständler und Kleinunternehmer, ebenso wie die Arbeitslosen. "Freiheit" steht bei Marine Le Pen ferner für die Ablehnung des "Einheitsdenkens" und der Politically Correctness in den Medien, wofür sie als Kronzeugen neokonservative Journalisten und "Islamkritiker" wie Robert Ménard und Elisabeth Lévy sowie den EU-Kritiker und Fernsehjournalisten Eric Zemmour anführt. Auch soll "Freiheit", so wie Marine Le Pen dieselbe versteht, gegen Kontrollen des Internet gerichtet sein.

Wirtschaftsprogramm in Ausarbeitung

Die sozial- und wirtschaftspolitische Programmatik der extremen Rechten wird auch in einem Programm-Vorentwurf, der auf einer Pressekonferenz am 08. April auszugsweise vorgestellt wurde, näher ausgebreitet. Ein stärker ausgearbeitetes Programm soll dann bis im Juni dieses Jahres fertig vorliegen.

Erstmals seit langen Jahren versuchte der FN dabei auch "Kompetenzen" aus der Wirtschaftswelt als Urheber ihres Gedankenguts zu präsentieren. Allerdings blieben der Bänker "François" - der mit seiner PowerPoint-Präsentation an der Pressekonferenz teilnahm, von dem die Medien allerdings nichts als den Vornamen erfuhren - und ein angeblich ebenfalls mitwirkender "hoher Beamter aus dem französischen Finanzministerium" dabei zum Missfallen der anwesenden Journalisten anonym. Aus Furcht vor Repressalien, wie verlautbarte. Ihre Identität enthüllten hingegen David Masclé, ein neuer Parteiintellektueller mit mehreren Eliteabschlüssen, und der 84jährige frühere Rechnungsprüfer Jean Roux, der allerdings nicht persönlich bei der Pressekonferenz auftrat. Roux war nach dem Zweiten Weltkrieg einstmals Kommunist gewesen und hatte damals ein 400seitiges Lehrbuch für Marxismus-Leninismus verfasst. Später hatte er der Partei den Rücken gekehrt und den sozialdemokratischen Präsidenten François Mitterrand unterstützt. Heute definiert er sich vor allem als Gegner der EU-Einbindung.

Roux und andere hinterließen ihre Handschrift in einem Programm, das stärker als früher die Rolle der staatlichen Rahmenplanung in der Wirtschaft unterstreicht und Staatsintervention gutheißt. Die ersten Wirtschaftsprogramme des FN in den achtziger Jahren hatten diese, im Gegenteil, verteufelt und vor allem gegen Steuerlast und Sozialstaat gewettert. Doch heute versucht die rechtsextreme Partei vor allem an den Widersprüchen anzusetzen, die sich aus den Veränderungen der internationalen Arbeitsteilung - etwa der weltweiten Konzentration vieler industrieller Produktionszweige in China - ergeben. So fordert die Partei protektionistische Maßnahmen und stellt die verschärfte internationale Exportkonkurrenz sowie die Auslagerung von industriellen Produktionswerken als Haupt-, ja quasi Alleinursache sozialer Probleme dar. Auch soll ein stärkeres staatliches Bank- und Kreditwesen aufgebaut werden.

Daneben ist das neue Wirtschaftsprogramm des FN stark um den "Ausstieg aus dem Euro" herum aufgebaut. Während beim Eintritt in die europäische Einheitswährung rund 6,5 französische Francs gegen einen Euro getauscht wurden, soll - so malt es der FN aus - beim Wiederaustritt nunmehr ein Euro je einem neuen Franc entsprechen. Ausgestattet mit der neuen Nationalwährung, soll Frankreich diese in der Folge dann allerdings schnell "um 20 Prozent abwerten", um seine Ausfuhren zu verbilligen und seine Exporte zu stimulieren. Auf Dauer soll Frankreich so also in einen verschärften Wettbewerb, ja Wirtschaftskrieg, nunmehr auch gegen andere europäische Staaten, eintreten.

"Klassisch" für eine rechtsextreme Partei wird das Programm dann dort, wo es um Einwanderung geht. Bei Arbeitsplätzen und Sozialleistungen soll - wie beim FN üblich - ein absoluter "Inländervorzug" eingerichtet werden. Unternehmen, die Einwanderer beschäftigen, sollen dafür zur Strafe um 35 % höhere Sozialabgaben pro Person abdrücken.

"Volkskapitalismus": eine uralte Idee à la Thatcher

Am 13. Mai d.J. (ausgerechnet!, aber wir möchten ja nicht abergläubisch sein) präsentierte Marine Le Pen der französischen Öffentlichkeit einen neuen Vorstoß zu sozial- & wirtschaftspolitischen Themen. Dieses Mal handelte es sich um ihre Vorschläge zum Thema "Kaufkraft", das einen Kernbestandteil ihres Wahlkampfs im kommenden Jahr bilden solle. Und dies, natürlich, im Kontext allgemein sinkender Reallöhne und abnehmender Kaufkraft der lohnabhängig Beschäftigten.

Zu den herausragenden Elementen dieses Bündels an Vorschlägen zählt vor allem die Forderung nach einem "Volkskapitalismus", in Gestalt einer Beteiligung der Lohnabhängigen (in Unternehmen mit mindestens 50 Mitarbeiter/inne/n) am Aktienkapital ihrer Unternehmen. Dies setzt übrigens voraus, dass ein Unternehmen als Aktiengesellschaft oder jedenfalls Kapitalgesellschaft und jedenfalls nicht als Personengesellschaft strukturiert ist; eine Reihe von Firmen blieben also von dem Vorschlag notwendig ausgeschlossen. Die Idee, über die Streuung von Aktienbesitz an eine bedeutende Zahl von (Klein-)Aktionären einen "Volkskapitalismus" einzuführen, ist übrigens zwar bereits ziemlich alt, aber natürlich mitnichten antikapitalistisch. Sie stammt von der früheren britischen Premierministerin Margaret Thatcher, die in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre die Devise ausgab, durch die Übernahme von Aktienbesitz durch vier Millionen britische Bürger/inne solle ein "Volkskapitalismus" entstehen. Unter den Erwerber/inne/n dieser Aktien sollten sich auch in den Vorstellungen Thatchers durchaus auch abhängig Beschäftigte befinden. Daran war ihr sogar besonders gelegen, denn in den Augen der wirtschaftsliberalen "Eisernen Dame" sollte deren Mentalität dadurch umgekrempelt werden: Statt als Lohnabhängige im Rahmen eines strukturellen Konflikts zwischen Kapital & Arbeit zu denken, sollten diese sich als "Miteigentümer" des Kapitals begreifen - und dessen Ziele deswegen (als "eigene Interessen", etwa an Kostensenkung und Gewinnmaximierung) möglichst übernehmen und verinnerlichen.

Konkret schlägt Marine Le Pen nun vor, insgesamt "bis zu zehn Prozent" des Aktienkapitals eines (in der entsprechenden Rechtsform strukturierten) Unternehmens unter der Bezeichnung "gesetzliche Aktienreserve" für die Beschäftigten zu reservieren. Doch, so lautet der Clou an dem Vorschlag - der durch Marine Le Pen als "Mechanismus eines Volkskapitalismus" vorgestellt wird -, diese Minderheits-Anteile am Unternehmen sollen zwar das Recht auf Beteiligung an der Dividendenausschüttung gewähren. Aber kein Stimmrecht. Also keinerlei Mitbestimmung über den Kurs und die Ziele des Unternehmens. Sprich, es handelt sich lediglich um die Vorstellung, einen Teil der den Lohnabhängigen zu gewährenden Krümel vom Tisch des Unternehmens als Kapitalanteil und nicht als Lohnerhöhung abzuwerfen.

Um den Vorschlag zu finanzieren, sollen Vorzugsaktien unter dem Titel Stock options, die bislang vor allem Managern und Vorstandsmitgliedern gewährt wurden (und besonders hohe Anteile an den Dividenden ohne Risiko versprechen), sowie golden parachutes - hohe Abfindungsgarantien für gescheiterte Unternehmensführer - abgeschafft werden. Bei der Finanzierung helfen soll aber auch die Abschaffung der angeblichen "Kosten der Einwanderung", die auf jährlich 60 Milliarden Euro beziffert werden, sowie Zölle auf ausländische Waren in Höhe von jährlich 40 Milliarden.

Ferner will der Front National, der erklärt, den Statistiken der Behörden bezüglich Inflation, Preisentwicklung und Kaufkraft zu misstrauen, bis zum Jahresende eine eigene "Beobachtungsstelle für die Kaufkraftentwicklung" einrichten.

Artikel von Bernard Schmid vom 31.05.2011


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