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Updated: 18.12.2012 15:51
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Sarkozys Ardennenoffensive

Französische Regierungs-Rechte und Rechtsextreme streiten sich um (Arbeiter- und andere) Wählerschaft. Soziale Ankündigungen, und - hauptsächlich - rassistische Aspekte...

Und so etwas muss man sich als Nazi gefallen lassen. Ausgerechnet am Vorabend des 20. April aus der Partei zu fliegen! Während andere Anhänger nationalsozialistischen Gedankenguts in Europa – in diesem Jahr eher diskret – Adolf Hitlers Geburtstag vorbereiteten, wurde Alexandre Gabriac aus seiner bisherigen Partei geworfen. Trösten konnte er sich damit, dass Prominente dieser Partei bis hin zu ihrem früheren Vizepräsidenten, Bruno Gollnisch, gegen den Ausschluss des 20jährigen protestierten. Ihm wurde vorgeworfen, auf Facebooks Aufnahmen veröffentlicht zu haben, auf denen er den Hitlergruß zeigt.

Eine Schiedskommission beim französischen Front National (FN) entschied am Dienstag vergangener Woche, Gabriac einen „Tadel“ zu erteilen. Dessen Vorsitzende, Marine Le Pen, verkündete daraufhin von ihrem Urlaubsort aus seine „Streichung“ aus den Mitgliederlisten. Gollnisch - der im Januar dieses Jahres gegen Marine Le Pen für den Parteivorsitz kandidiert hatte - zeigte sich umgehend „extrem erstaunt“ darüber, dass die neue Chefin „von Thailand aus“ den Ausschluss beschlossen und verkündete habe. Gabriac sitzt in Lyon, wo Bruno Gollnisch seine Hochburg hat, als Abgeordneter im Regionalparlament. Er selbst bestreitet, der Mann auf den Photos zu sein, und behauptet, es liege ein Fall „widerrechtlicher Aneignung seiner Identität“ vor.

Doch die neue Chefin erlaubt sich keine Scherze mit dem Image ihrer Partei. Und offene Nazinostalgie passt nicht in deren derzeitige Linie. Es steht auch Einiges auf dem Spiel: Umfragen, die am vorigen Donnerstag (= 21. Apr.) publik wurden, sagen Marine Le Pen erneut einen sicheren Einzug in die Stichwahl bei der Präsidentschaftswahl in genau einem Jahr voraus. Demnach werden ihr zwischen 21 und 23 Prozent der Stimmen und eine sichere Teilnahme an der zweiten Runde, an der ausschlie ßlich die beiden bestplatzierten Bewerber aus dem ersten Wahlgang teilnehmen können, prognostiziert. Dies bestätigt ähnliche Ergebnisse der Meinungsforscher von Anfang März. Unterdessen wurde am Donnerstag bekannt, dass ein weiterer FN-Kandidat bei den Bezirksparlamentswahlen im März – zu denen auch Gabriac antrat -, Jean-Baptiste Cordier, im Internet mit Hitlergruß zu sehen sei.

Beträchtliche Sorgen darüber, in zwölf Monaten überhaupt noch am zweiten Wahlgang teilnehmen zu können, muss sich unterdessen die regierende konservativ-wirtschaftsliberale Rechte machen. Auch und vielleicht gerade dann, wenn ihr führender Protagonist erneut für das höchste Staatsamt kandidiert: der derzeitige Präsident Nicolas Sarkozy.

Sarkozy weigert sich bislang, die Flinte ins Korn zu werfen, und liebäugelt offen mit einer neuen Kandidatur. Um eine solche überhaupt ins Auge fassen zu können, muss er sich anstrengen, besonders den sozial frustrierten Teilen der Wählerschaft irgend eine Botschaft bieten zu können. Und diese Teile sind gewaltig gewachsen: Neben einem Großteil der Arbeiterschaft und der sozialen Unterklassen sehen auch die Mittelschichten ihre Kaufkraft rapide erodieren. In einem Kontext stagnierender Löhne und Gehälter und verbreiteter Furcht vor Arbeitslosigkeit explodieren gleichzeitig die Preise - auch für öffentliche Dienstleistungen wie medizinische Grundversorgung, Strom, Erdgas oder öffentliche Verkehrsmittel. Dramatisch gesteigert hat sich aber vor allem das Problem, auch nur halbwegs bezahlbaren Wohnraum zu finden: Immobilien in Paris beispielsweise sind zur Kapitalanlage für Reiche aus der ganzen Welt geworden.

Durch einen dritten Auftritt innerhalb von vier Jahren in den Ardennen, einem früher industriell geprägten Krisenbezirk am Rande des französischen Staatsgebiets, versuchte Sarkozy sich vergangene Woche an die Arbeiterwählerschaft zu richten. In der Bezirkshauptstadt Charlesville-Méziers hielt er am letzten Dienstag (19. April) eine Rede vor Bürgermeistern der Region. Unterdessen boykottierte nicht nur das Stadtoberhaupt von Charlesville-Méziers, die Sozialistin Claudine Ledoux, seinen diesjährigen Auftritt.

An diesem Ort hatte Sarkozy bei einer Wahlkampfrede im Dezember 2006 den rechtsgerichteten Teil der Arbeiterwählerschaft in beträchtlichem Ausmaß gewonnen. Damals hatte er ein positives Arbeitsethos – unter dem Motto La valeur travail (ungefähr: Arbeit als Werthaltung) eingefordert, dies aber mit dem Versprechen verknüpft, dass davon am Monatsende auch etwas im Geldbeutel hängen bleiben werde. Die Zauberformel dafür lautete: „Mehr arbeiten, um mehr zu verdienen“. Dies verquickte Sarkozy mit der Ankündigung, Frankreich werde „seine nationale Identität“ verteidigen und sich in den Stürmen der Globalisierung durch die internationale Konkurrenz, besonders China, nicht unterbuttern lassen.

Zwar versprach Sarkozy keine Lohnerhöhungen. Aber durch das Ableisten möglichst vieler Überstunden – so stellte er in Aussicht – werde am Monatsende auch für die Lohnabhängigen etwas abfallen, falls sie denn tüchtig die Ärmel hochkrempelten. Das Rezept ist grandios gescheitert: Selbst wenn die Lohnabhängigen gern wollten, so hat das Kapitel seit drei Jahren nur in geringem AusmaßÜberstunden abgerufen. Seitdem die Wirtschafts- und Finanzkrise auch Frankreich erfasst hat, verzeichnete es weniger Aufträge. Bei seinem folgenden Auftritt in den Ardennen, Ende Oktober 2008, verkündete Sarkozy dann Krisenrezepte: Fortbildungsmaßnahmen, Flexibilisierung durch Erleichterung der Sonntagsarbeit. Im Rückblick hat auch dies den Lohnabhängigen keine Verbesserungen gebracht. Aufgrund mangelnder Nachfrage etwa im Handel hat ferner auch die Sonntagsarbeit nicht die von manchen erhofften und von anderen befürchtete Verbreitung gefunden. Aber auch schon damals zeichnete sich ab, dass Sarkozys Ansprache vor drei Jahren nur noch wenig sehr Begeisterung bei ihnen schuf.

Letzte Woche nun hatte Sarkozy ein neues Versprechen ausgegraben (/ gefunden): Unternehmen, die ihren Aktionären höhere Dividenden als im Vorjahr auszahlen, müssten ihren Lohnabhängigen ihrerseits eine Prämie ausschütten. Voraussetzung dafür wäre natürlich, dass das Unternehmen die Rechtsform einer Aktiengesellschaft hat, andere Firmen wären nicht betroffen. Angekündigt worden war im Vorfeld eine obligatorische, einmalige Sonderzahlung in Höhe von 1.000 Euro. Doch schon in den Tagen vor der Ansprache Sarkozys zerstritt sich das Regierungslager heftig darüber: Seine Wirtschaftsministerin Christine Lagarde hielt nicht viel davon, und von einem „Zwang“ zur Auszahlung der Summe wollte sie schon gar nichts hören. In heldenhafter Postur posaunte Präsident Sarkozy seinerseits in den Ardennen hinaus, er werde dem Druck von verschiedener Seite „nicht nachgeben“ und den Arbeitern zu ihrer Prämie verhelfen.

Heraus kam am Ende, dass die Einmalzahlung zwar – in Unternehmen mit über fünfzig Beschäftigten und mit Aktionären – im Falle einer Dividendenerhöhung verpflichtend sein soll, aber ihre Höhe in keiner Weise vorgeschrieben ist. Den Rest sollen Verhandlungen mit den Gewerkschaften klären. Über den Ausgang sind sowohl die Gewerkschaften unglücklich, die von einer „Mogelpackung“ oder einem Paket heißer Luft sprechen, als auch der Arbeitgeberverband MEDEF. Dessen Vorsitzende Laurence Parisot ist der Auffassung, diese Vorgabe sei schon zu viel „Diktat der Politik“, die sich in die Angelegenheiten der Betriebe einmische. Applaus für Sarkozys Ankündigung, deren genauere Auswirkungen bislang völlig unklar bleiben, kam von nirgendwo.

Der rechtsorientierte Teil der Arbeiterwählerschaft hat sich unterdessen längst Marine Le Pen, die den FN vordergründig rundum erneuert hat, angeschlossen. Doch das Regierungslager tut seinerseits in den letzten Wochen alles, um dieser rechtsextremen „Alternative“ noch zusätzlich Auftrieb zu verschaffen. Jene Vorstöße des Regierungslagers, die man als Signale an die rechtsextreme Wählerschaft oder als symbolische Aufwertung des FN und seiner Thesen verstehen kann, erfolgen seit anderthalb Monaten im Stakkatotempo.

Einen der Vorwände dafür liefert der Streit mit Italien um die Neueinwanderer aus Tunesien, von denen manche über den Grenzübergang zwischen Vintimille/Ventimiglia und Nizza nach Frankreich einzureisen versuchten. Unterdessen erntete Italien viele böse Worte aus Politik und Presse für seinen „Egoismus“, weil es den Zuwanderern sechsmonatige Aufenthaltstitel gebe und sie dann nicht an der Weiterreise in Richtung Frankreich hindere.

Konservative Medien und Politiker organisierten dazu eine Kampagne, in denen in melodramatischen Tönen eine massive Bedrohung beschworen wird. In der zweiten Aprilwoche sprach die konservative Tageszeitung Le Figaro von einem raz-de-marée, einer Sturmflut oder Springflut, welche an der italienisch-französischen Grenze bevor stehe. Dort hat Frankreich die Reisefreiheit an den Binnengrenzen der Europäischen Union, die durch das Schengen-Abkommen gewährleistet wird, seit Wochen ausgesetzt. Am (BEI ERSCHEINEN:) vorletzten Wochenende stoppte Frankreich sogar einen Sonntag lang sämtliche Züge, die von Ventimiglia aus in Richtung Südostfrankreich fahren, um die befürchtete Einreise von Tunesiern zu verhindern. Antirassistische Aktivisten protestierten heftig und organisierten einen „Zug der Würde“, der ebenfalls an der Grenze aufgehalten wurde. Grünenpolitiker Noël Mamère sprach von einem „skandalösen Verhalten“ Frankreichs, das auch durch EU-Institutionen gerügt wurde.

Kaum hatte Marine Le Pen Anfang März ihr Rezept im Umgang mit den Nordafrikanern verkündet – die Marine solle ihre Schiffe „in internationale Gewässer zurückschicken“ -, antwortete die Abgeordnete der Regierungspartei UMP Chantal Brunel ihr wie im Chor. „Auf Boote setzen und zurücksenden“, schlug sie vor. Ihre brutale Offenheit sorgte allerdings dafür, dass Premierminister François Fillon sich im Parlament von ihr distanzierte.

Regierungschef Fillon verkörperte in den letzten Wochen eher den moderaten Flügel des Regierungslagers, im Gegensatz zu Nicolas Sarkozy und seinem neuen Innenminister und Ex-Prâsidentenberater, Claude Guéant. Letzterer verkündete am 17. März, die Franzosen seien über eine angebliche „unkontrollierte Einwanderung“, zu Recht, „beunruhigt“. Vier Tage sprach er von einem excès d’immigration, einem „Zu viel an Zuwanderung“, aufgrund dessen viele Franzosen sich in ihrem Land „nicht mehr zu Hause“ fühlten. Vor laufenden Fernsehkameras kündigte Marine Le Pen an, ihm „den Ehren- Mitgliedsausweis des FN“ zu überreichen, und hielt einen bunten Plastikausweis dazu in die Kameras.

Seit Anfang April steigerten sich die Vorstöße erneut. Claude Guéant kündigte zwischenzeitlich an, „nicht nur die illegale, sondern auch die legale Einwanderung“ zu reduzieren. Mitte des Monats präzisierte er, vorläufig wolle er „als erstes Ziel“ die Anzahl der jährlich erteilten Aufenthaltstitel „von 200.000 auf 180.000“ um ein Fünftel reduzieren. Diese globale Zahl umfasst sämtliche Kategorien: Ehepartner von französischen Staatsbürgern, Angehörige von Zuwanderern mit legalem Status und Recht auf Familienzusammenführung, neu angeworbene Arbeitskräfte in „Mangelberufen“ oder mit seltenen Qualifikationen sowie politische Flüchtlinge.

In Brüssel, so berichtet das dortige Büro von Le Monde bei den EU-Institutionen, spreche man bereits von einem „Marine Le Pen-Effekt“. Wenn das offizielle Frankreich sich nunmehr ebenso gegen die „europäische Solidarität“ bei der Verteilung von über Italien einreisenden Zuwanderern wie gegen neue Gelder für die Bewältigung der EU-Ost- und Südosterweiterung wende, dann widerspiegele sich darin der wachsende Einfluss des FN.

Dessen Chefin Marine Le Pen, die durch die Regierungskampagnen mit neuer „Glaubwürdigkeit“ ausgestattet wurde, schrieb in der vergangenen Woche einen offenen Brief an alle Präfekten Frankreichs. Diese hohen Beamten repräsentieren den Zentralstaaten in allen 101 Verwaltungsbezirken in Polizei- und Rechtsangelegenheiten. Le Pen versicherten ihnen, auch bei einer Machtübernahme oder –beteiligung ihrer Partei hätten diese nichts zu befürchten. Als „Garanten des öffentlichen Interesses“ bräuchten sie sich nicht im Gegensatz zu ihrem „Projekt der Wiederaufrichtung unserer Nation“ zu fühlen. Innenminister Claude Guéant empörte sich: In seiner langen Karriere als hoher Beamter habe er „noch nie eine politische Partei sich an die Präfekten wenden sehen“. Diese unterlägen ohnehin „einer politischen Neutralitätspflicht“. Dies könnte der FN allerdings auch als Signal dahingehend verstanden wissen, dass der Staatsapparat auch mit seinen Vertretern gefälligst zusammenarbeiten müsse.

Artikel von Bernard Schmid vom 22.04.2011


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