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Updated: 18.12.2012 15:51
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Solidarnosc in St. Nazaire

Willi Hajek über widerständige »Fremdarbeiter« und ihren Kampf gegen Lohnraub durch Alstom-Zulieferer

St. Nazaire an der westlichen Atlantikküste: eine Stadt mit einer großen Tradition von Arbeitskämpfen, mit Generationen von kämpferischen Werftarbeitern, die auch heute noch das kommunale Leben prägen. Es ist Sommer 2005, und die »Chantiers de l'Atlantique «, die Werften am Atlantik, gehören heute zu »Alstom Marine«, einer Branche des Alstom-Konzerns.

Seit 1997 versucht sich die Leitung von Alstom an der Zergliederung des gesamten Werftenbereichs. Die Kernbelegschaften, die direkt bei Alstom angestellt sind, werden immer kleiner, und die Subfirmen ersten, zweiten und dritten Grades mit ihren befristet Beschäftigten immer zahlreicher. Beim Bau der Queen-Mary, dem modernen Kreuzfahrtschiff, kamen auf 4 000 Alstom-Beschäftigte fast 8 000 Beschäftigte bei einer un-überschaubaren Anzahl von Fremdfirmen, oder genauer gesagt Subunternehmen. Alstom bezeichnet dieses gesamte Auslagerungsprogramm als »montage exotique«: Weltweit werden Angebote von Alstom wie auch von den Subfirmen der verschiedenen Ebenen eingeholt und dann die Verträge geschlossen.

Seit Ende Juli sind diese Verhältnisse im Schiffbau Tagesgespräch in der Stadt, vor allem aber auch auf den Werften unter den dort Beschäftigten. Ausgelöst wurden sie durch 15 Arbeiter aus Polen, die für die Subfirma »Kliper« aus Polen Schlosserarbeiten durchführen. Diese Subfirma wiederum wurde via internet durch eine Subfirma ersten Grades aus St. Nazaire beauftragt.

Eine Woche lang demonstrieren die Arbeiter jeden Tag vor den Toren der Werft, der »Chantiers de l'Atlantique«, oder auch in der Stadt, unter den Zimmern des Bürgermeisters oder der Unterpräfektur. Sie demonstrieren im Blaumann, mit Ketten um den Hals - so können sie sich schnell an Gittern anketten, um eine Räumung zu verhindern, eine Kampftradition, die sie aus Polen mitgebracht haben - ohne Schreie und Parolen, sie sprechen kein Französisch, schließlich wurden sie nur zum Arbeiten hergeholt, mit großen Stöcken schlagen sie auf ihre Helme und machen einen Höllenlärm.

So fordern sie die Bezahlung der ausstehenden Monatslöhne für die auf der Werft geleistete Arbeit.

Begonnen hatte die ganze Geschichte Ende Mai 2005. Die Arbeiter kommen aus Gdansk und Stettin, ebenfalls Werftstädte, wo sie leben und arbeiten. Das polnische Unternehmen »Kliper« bietet ihnen befristete Arbeitsverträge für drei Monate an mit einer Option auf Verlängerung. Kliper selbst ist dabei nur ein Zulieferer zweiten Grades, der wiederum von einer anderen Subfirma angeheuert wird. Alstom als Generalunternehmer ist auf der Werft für den Bau des Schiffes verantwortlich, kümmert sich aber nicht um die Bedingungen bei den Sub-Unternehmen. Der Weg der Fremdvergabe der Arbeiten verläuft von Alstom über das Subunternehmen Gestal aus St. Nazaire, das wiederum dann die anderen Subunternehmen wie Kliper beschäftigt. Anfang des Jahres wurden mit Kliper die Verträge, zunächst für zwei Jahre, abgeschlossen, Beginn der Kooperation ist der März 2005.

In Polen verdienen die Arbeiter 400 bis 500 Euro monatlich, hier in St.Nazaire bekommen sie einen Lohn von 1 200 Euro monatlich, der ihnen nach Polen überwiesen wird, zuzüglich fünf Euro Ortszuschlag bar auf die Hand, ausgezahlt in St. Nazaire. Kliper bezahlt zudem die Unterkunft in Bungalows auf einem Camping-Platz.

Die Neuangekommenen erfahren aber schnell, dass die erste Gruppe Arbeiter aus Polen Probleme hatte mit der Lohnzahlung. Bei keinem von ihnen wurden die Löhne auch tatsächlich nach Polen überwiesen. Als die Arbeiter mit Streik drohten, wurde ihnen zwar ein Teil des Lohnes ausbezahlt, doch zugleich wurden sie nach Polen zurückgeholt.

Eine neue Mannschaft wird angeheuert und kommt nach St. Nazaire. Mehr als 50 Stunden arbeiten die Beschäftigten dieser Gruppe in der Woche an Bord des Frachters MSC. Ende Mai bekommen sie ihr Geld, danach gibt es nichts mehr. Am 21. Juli be schließen die Arbeiter zu handeln und ketten sich an die Gitter der Werft. Einige Stunden vor der Aktion haben sie die CGT benachrichtigt, die seit einigen Jahren einen Gewerkschafts-Bereich (l' union syndical multiprofessionnel CGT, USM) hat, der sich eigens um die prekären und befristet Beschäftigten kümmert. Der Kontakt stellte sich her über ein Flugblatt, das vor einigen Wochen auf der Werft verteilt wurde und auch auf polnisch übersetzt war.

Die polnischen Arbeiter stellen die größte Nationalitäten-Gruppe auf der Werft. Im Flugblatt wird darauf hingewiesen, dass die ausländischen Kollegen die selben Rechte haben wie die französischen Kollegen. Das Arbeitsgesetz gilt auch für sie, vor allem in Fragen des Lohnes, der Arbeitszeit und der Arbeitssicherheit.

Schon vor zwei Jahren - beim Bau der Queen Mary - waren ähnliche Konflikte ausgebrochen, damals zwischen den indischen, griechischen und rumänischen Arbeitern und den Subfirmen ersten und zweiten Grades. In diesem Konflikt hatte die neuaufgebaute USM-Sektion der CGT ihre ersten Erfahrungen sammeln können.

Auf die Aktionen der polnischen Arbeiter reagiert Kliper sofort: Das Unternehmen droht mit Schlägerkommandos, die Arbeitsverträge und die Stundenzettel der streikenden Arbeiter werden aus ihren Behausungen gestohlen, aus Polen erhalten die Beschäftigten Briefe mit Entlassungsschreiben wegen »Disziplinschwierigkeiten«. Zu diesem Zeitpunkt schuldet Kliper den Arbeitern 40 000 Euro, den Lohn für Juni.

Doch die Aktion zeitigt auch Erfolge: Am 22. Juli zahlt der Chef des Subunternehmens ersten Grades und unmittelbaren Auftragnehmers von Alstom, Allaire, den Arbeitern den ihnen zustehenden Lohn für Juli direkt aus. Eigentlich hätte er an Kliper zahlen müssen. Die noch ausstehende Lohnsumme für Juni ist unterdessen schon an Kliper ausbezahlt und bleibt damit weiter offen.

Die CGT zieht Gestal jedoch in die Pflicht und macht die Firma verantwortlich für die von ihr beauftragten Sub-Unternehmer, in diesem Fall Kliper. Gestal soll den Lohn an die Arbeiter ausbezahlen, die Arbeiten wurden schließlich ausgeführt.

Auch Alstom als Generalunternehmer steht in der Verantwortung, obwohl die Leitung des Konzerns sich weigert, irgendeine Verantwortung in diesem Konflikt zu übernehmen. Der Arbeitsdirektor von Alstom macht jedoch Druck auf Gestal, die Sache zu regeln.

Kliper fordert die Arbeiter auf, nach Polen zurückzukehren und lässt die Busse vorfahren. Zwei Arbeiter geben auf und fahren zurück, doch 13 Beschäftigte bleiben und streiken weiter. Sie haben Angst, dass sie in Polen nicht nur entlassen werden, sondern auch auf eine schwarze Liste kommen und vielleicht sogar behördlich verfolgt werden. »In Polen ist auch die Polizei oft auf der Seite der Unternehmer, aber hier ist es ganz anders. Wir sind genauso fähig zu arbeiten wie auch zu streiken«, meint ein polnischer Arbeiter zur Presse.

Die Arbeiter beschließen einen Hungerstreik auf dem Vorplatz des Rathauses. Der Unterpräfekt als Vertreter des Staates schaltet sich in die Verhandlungen ein. Die Bewohner von St. Nazaire, aber auch viele Sommergäste besuchen die streikenden Arbeiter. In der Belegschaft auf der Werft organisiert sich die Unterstützung.

Gestal erklärt sich schließlich bereit, die ausstehende Lohnsumme zu zahlen, wenn die Arbeitsverträge unterbrochen werden und die Arbeiter nach Polen zurückkehren. Damit ist zwar der Job weg, doch die Arbeiter haben sich immerhin durchsetzen können mit ihrer Forderung nach einer schriftlichen Bestätigung der staatlichen Behörden aus Polen, dass jede gerichtliche Verfolgung und jede andere repressive Maßnahme von Seiten des Unternehmens ausgeschlossen wird.

»Wir haben hier Gesetze in Frankreich, und die gelten für alle, die hier leben und arbeiten, egal welcher Nationalität«, sagt André Fadda von der CGT, der zusammen mit den polnischen Arbeitern die Verhandlungen geführt hat. In diesem Kampf wurde damit zugleich konkret praktiziert, wogegen sich das »Nein« zur europäischen Verfassung und zur Bolkestein-Richtlinie richtet. Überall entwickelten sich zwischen den Einwohnern, den Sommergästen und den Arbeitern auf der Werft Debatten über die Fremdfirmen. Auch die Medien berichteten von dem Streik. Jeder weiß nach dem Streik, was das ist: Bolkestein. Und die Ablehnung der Richtlinie ist genauso einheitlich wie die solidarische Unterstützung für die mutigen Nachfahren der Solidarnosc.

Die polnischen Arbeiter haben in den sechs Tagen Hungerstreik, davon drei Tage Durststreik, ihre Gesundheit aufs Spiel gesetzt »für die soziale Würde«, so das Fazit in der kritischen Gewerkschaftspresse von Sud bis zur CGT.

Am Abend nach dem Sieg gab es ein großes Fest in der Stadt, in dem das andere, solidarische Europa lebendig war: Vive Solidarnosc!

Erschienen im express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 8/05


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