Home > Internationales > Frankreich > Arbeitskämpfe > Pfingsten2
Updated: 18.12.2012 15:51
Aktuelle Meldungen im neuen LabourNet Germany

Regierung zieht Pfingstmontags-Bilanz: Lässt sie künftig die Finger davon?

Wie Labournet berichtete, endete der Versuch der französischen Regierung, den Pfingstmontag als gesetzlichen Feiertag abzuschaffen, mit einem halben Fiasko. Dass es kein totales Fiasko wurde, hängt besonders auch mit der Haltung der zentralen Gewerkschaftsapparate zusammen ­ die kein "soziales Durcheinander" 13 Tage vor dem französischen Referendum über den EU-Verfassungsvertrag wollten. Um dessen Ausgang nicht zu "gefährden"...

Dennoch sind einige Resultate an der "Streikfront" zu verzeichnen, die auch gegenüber gestern nachzutragen sind. Landesweit wurde eine Zahl von 22 Prozent der (an diesem Tag an ihrem Arbeitsplatz erwarteten) Beschäftigten im Streik verzeichnet. In den Schulen kam es etwa zu massiven Unterrichtsausfällen: 50 % der SchülerInnen in der Grundschule, wo die Eltern die Kinder zum Unterricht schicken, aber nur maximal 10 % der OberschülerInnen erschienen am Montag in ihrer Klasse.

Bei der Pariser RATP (dem Métro- und Bus-Betreiber: Régie autonome parisienne des transports) war, wie gestern berichtet, der Streik weitgehend ausgeblieben. Dies im Gegensatz zu den Verkehrsbetrieben in 100 anderen französischen Städten. Den genauen Grund können wir hiermit aber auch angeben: An jeden Beschäftigten der Pariser RATP, der am Montag zur Arbeit kam, wurden 100 Euro Sonderprämie ausbezahlt, als so genannte "Zwangslagen-Prämie" (prime de contrainte). Wenn man die Arbeitskräfte auf diese Weise zur Arbeit locken muss, kann man zwar dadurch sicherlich einen Streik eindämmen, der genau den betreffenden Arbeitstag zum Thema hätte. Es zeigt aber gleichzeitig auch, dass der Pfingstmontag als alles andere denn ein "völlig normaler Arbeitstag" wahrgenommen worden ist!

Ein TV-Langweiler: Die Sendung mit Raffarin

Ankündigungsgemäß hatte Premierminister Jean-Pierre Raffarin gestern abend seinen Auftritt im französischen Fernsehen. Dabei versuchte er, die Ergebnisse des Pfingstmontags herunter zu spielen. "Die ersten konkreten Ergebnisse sind da", behauptete Raffarin: Der so genannte "Solidaritätstag" habe erlaubt, "zwei Milliarden Euro zusätzlich für die Alten und Behinderten aufzubringen". Diese Summe werden die Unternehmen als geschätzte Entsprechung zu den Lohnnebenkosten an diesem (nunmehrigen) Arbeitstag in die Sozialkassen einbezahlen. "Geschätzte", denn de facto erhalten die abhängig Beschäftigten für diesen neuen Arbeitstag keinen Lohn: Die bisherige Höhe des Monatslohns bleibt bestehen.

Die Gewerkschaften sprachen von der Wiedereinführung von "Pflichtarbeit" (corvée), wie sie vor 1789 bestand (als kostenlose Arbeitstage auf den Feldern des Grundherrn). Zuletzt waren abhängig Beschäftigte unter der deutschen Besatzung von 1940 ­ 44 unter Zwang zur Arbeit am Pfingstmontag verpflichtet worden, damals freilich, um die Rüstungsindustrie laufen zu lassen. Statt der "kostenlosen Pflichtarbeit" schlugen Gewerkschaften und Linke im Vorfeld eine allgemeine Debatte über die Bedürfnisse der gesetzlichen Sozialversicherung vor, damit diese ihren solidarischen Aufgaben weiterhin nachkommen könne.

Finger verbrannt?

Aber wie sieht die Regierung nun die Zukunft des "Solidaritätstags" bzw. mit Arbeitspflicht belegten Pfingstmontag? "Ich bin entschlossen, am Solidaritätsprinzip festzuhalten, und offen für die Anwendungsmodalitäten im kommenden Jahr" erklärte Raffarin gestern abend. Diese schwammige Formulierung könnte indirekt ausdrücken, dass die Regierung künftig die Finger vom Pfingstmontag lassen wird, um allerdings andere Maßnahmen an die Stelle des « Solidaritätstages » in seiner jetzigen Form zu setzen.

Bereits im Vorfeld hatten Abgeordnete des Regierungslagers ­ die aus ihren Wahlkreisen von der enormen Unpopularität der Streichung des Feiertags berichtet ­ angeregt, auf anderem Wege vorzugehen. Etwa durch Streichung eines Freizeitausgleich-Tages im Rahmen der (seit 2000, oft durch Freizeitausgleich, verkürzten) gesetzlichen Regelarbeitszeit, die ohnehin seit mehreren Monaten "flexibilisiert" worden ist und durch eine Art betrieblicher Öffnungsklauseln verlängert werden kann.

Im Vorfeld des diesjährigen Pfingstmontags hatten Umfragen ergeben, dass rund 65 Prozent der Franzosen und Französinnen seine Streichung durch die Regierung kritisierten bzw. ablehnten. (Im Jahr 2003, als die Idee erstmals aufgebracht wurde, erklärten sich noch vier Fünftel der Befragten mit dem Prinzip eines solchen "Solidaritätstages" einverstanden. Das bedeutet, dass ein Großteil der öffentlichen Meinung im Prinzip mit den Pflegebedürftigen solidarisch sein will und selbst die Konzeption eines ­ sehr christlich eingefärbten ­ "Opfers" in Kauf nehmen würde. Aber eben "so nicht" vorgehen will, also in Gestalt eines einseitigen Opfers, das allein durch die Lohnabhängigen, stellvertretend für die gesamte Gesellschaft erbracht wird.)

Laut einer Umfrage für "L`Humanité" erklärten sich im Vorfeld im Übrigen 56 Prozent "mit den Gewerkschaftsorganistionen in ihrem Protest einverstanden". Damit war vermutlich gemeint, dass sie Sympathien für die Ideen von Streiks und Arbeitsniederlegungen hätten. Dass das dann so nicht flächendeckend gemacht wurde, liegt wohl mit an den zentralen Gewerkschaftsapparaten ­ siehe oben...

Bernhard Schmid (Paris)


Home | Impressum | Über uns | Kontakt | Fördermitgliedschaft | Newsletter | Volltextsuche
Branchennachrichten | Diskussion | Internationales | Solidarität gefragt!
Termine und Veranstaltungen | Kriege | Galerie | Kooperationspartner
AK Internationalismus IG Metall Berlin | express | Initiative zur Vernetzung der Gewerkschaftslinken
zum Seitenanfang