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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Abschaffung des Pfingstmontag-Feiertags (Halbes) Fiasko für die Regierung An ihren Füßen sollt Ihr sie erkennen: Wer an diesem (Pfingst-)Wochenende von der jährlichen "Fête de LO" in den Pariser Großraum zurückkehrte, fiel in der Regel mit seinen Latschen auf. Das Fest der trotzkistischen Partei Lutte Ouvrière, LO (Arbeiterkampf) zieht seit einer Reihe von Jahren mehrere zehntausend BesucherInnen und Neugierige aus verschiedenen Teilen der politischen und gewerkschaftlichen Linken an. Aufgrund der Wetterbedingungen stand es am Samstag, nicht ganz knöcheltief, im Schlamm. Erst am Sonntag nachmittag entschädigte die Sonne die Zuhörer, die der traditionellen Rede von LO-Sprecherin Arlette Laguiller lauschten. Die "Fête de LO" war nicht die einzige Veranstaltung, die trotzig über alle drei Tage des klassischen Pfingtswochenendes hinweg aufrecht erhalten wurde. Und das nicht nur trotz widrigen Wetters, sondern auch trotz der in diesem Jahr erstmals erfolgten Abschaffung des Pfingstmontags als gesetzlicher Feiertag. Auch Stierkämpfe in Südfrankreich und ähnliche Vergnügungen (was immer mensch davon halten mag) fanden an ihrem traditionellen Datum stand, als ob keine Veränderung im Feiertagskalender eingetreten wäre. In der südfranzösischen Stadt Nimes hatten die Kommunalbehörden vorsorglich den gestrichenen Feiertag vom Pfingst- auf den Ostermontag vorverlegt, mit Zustimmung der Regierung. Doch bereits damals, Ende März, hätte das Fiasko des ersten "durchgearbeiteten" Ostermontags in Nimes der Pariser Regierung eine Warnung sein können: SchülerInnen (wie LehrerInnen) blieben den Schulgebäuden trotz theoretisch bestehenden Unterrichtszwangs in Scharen fern, kommunale Dienste funktionierten im Schneckentempo. Auch die Reservierungsdienste der französischen Eisenbahngesellschaft SNCF zeigten im Vorfeld an, dass die Aufforderung zur Arbeit am Pfingstmontag nicht wirklich massenhaft befolgt werden würde: Die Mehrheit der Kurzurlauber und Fahrgäste, die einen Sitzplatz im Zug reserviert hatten, wollten nämlich erst am Montag abend an ihren Ausgangsort zurück fahren. Auch das Straßen-Verkehrswarnsystem "Bison futé" sah einen "großen Rückreiseverkehr zum (Kurz-)Urlaubsende" am Sonntag abend, aber auch am Abend des Pfingstmontags vor. "Solidarität" als Erpressung Die Streichung eines gesetzlichen Feiertags, der "bei Ausbleiben einer abweichenden (Betriebs- oder Dienst-)Vereinbarung" auf den Pfingstmontag fällt, wird durch das Gesetz vom 30. Juni 2004 angeordnet. Mit ihm wird, so behauptet die Regierung, die Lehre aus der Katastrophe während des Hitzesommers von 2003 gezogen. Damals starben in Frankreich nach offiziellen Zahlen 14.400, vorwiegend ältere Menschen ("oberhalb der normalen statistischen Sterberate") an den Folgen der Hitze oder von Flüssigkeitsverlust des Körpers. Alle führenden Köpfe der Regierung, vom Gesundheits- über den Premierminister bis zum Präsidenten Chirac im kühlen Kanada, hatten die Katastrophe buchstäblich an ihrem Urlaubsort verpennt. Dass es zu einer Katastrophe solchen Ausmaßes kommen konnte, war nur ein Abbild der katastrophalen Zustände, die im Urlaubsmonat August alljährlich im öffentlichen Gesundheitsdienst einkehren, vor allem wegen schreienden Personalmangels. Denn 80 Prozent der betroffenen Alten starben nicht isoliert zu Hause, sondern ihr Tod erfolgte in Krankenhäusern oder in Alters- und Pflegeheimen. Vor allem die Notaufnahmen der Kliniken waren über Tage hinaus hoffnungslos "verstopft". Anstatt aber nun Reue über eigene Fehler oder eine völlig verfehlte Politik gegenüber den öffentlichen Diensten oder dem Gesundheitssektors zu zeigen, schlug die Regierung eine moralisierende Tonlage an: Sind nicht "wir alle" schuldig, ein bisschen wenigstens? Klopfen wir also "uns allen" ein bisschen an die Brust, und spielen wir dann ein bisschen Nächstenliebe. Und wie das? Durch einen großzügigen Verzicht, ein wahrhaft christlich motiviertes Opfer: Die Streichung eines gesetzlichen Feiertags soll eine spezifische Pflegeversicherung finanzieren. Zu den kleinen Schönheitsfehlern des Regierungsbeschlusses gehört, dass allein die (aktiven) lohnabhängig Beschäftigten für die Finanzierung aufkommen sollen. Sie sollen nunmehr de facto einen Tag kostenlos arbeiten, da die Bezieher von Monatslöhnen keinen Centime zusätzlichen Lohns erhalten sollen. Dagegen bleibt es für die selbständigen Landwirte oder Geschäftsinhaber bspw. bei einem gesetzlichen Feiertag. Die Unternehmen ihrerseits sollen einen festen Prozentsatz, der ungefähr den täglichen Lohnnebenkosten entsprechen soll, der aufgrund der kostenlosen Arbeit erwarteten Mehreinnahmen an die gesetzliche Sozialversicherung (Sécurité sociale) abführen. Damit waren nicht einmal die Unternehmen so richtig zufrieden, da gar nicht sicher ist, ob wirklich im Monat Mai (oder Juni) insgesamt mehr Produkte abgesetzt werden, nur weil am Pfingstmontag auch noch gearbeitet wird. Diese Vorstellung scheint ein bisschen was von « Voodoo Economics » zu haben... In den 14 Tagen vor dem Pfingstmontag schaltete die Regierung eine Serie von Anzeigen, in denen sie Botschaften zu vermitteln suchten, die den Betrachter rühren sollten. « Weil diese Frau am Pfingstmontag arbeitet, kann eine behinderte Person sich in ihrer Universität fortbewegen » hieß es dabei etwa. Die Message war klar: Wer sich nicht dem Regierungsvorhaben beugt, ist persönlich für das Leid von alten Menschen oder Behinderten verantwortlich. Und wer will schon ein Unmensch sein ? Und die Gewerkschaften ? Die Gewerkschaften sprechen überwiegend von « Wiederherstellung der Pflichtarbeit », wie sie vor 1789 an bestimmten Tagen (in Gestalt kostenloser Arbeit auf den Feldern des Grundherren) bestand und durch die Französische Revolution abgeschafft wurde. Dennoch vermochten sie es nicht, sich auf einen einheitlichen Streikaufruf zu einigen. Das hat einen konkreten Grund: Die Führung der (sozialdemokratisch-neoliberalen) CFDT, aber auch eine einflussreiche Fraktion in der Spitze der (« postkommunistischen ») CGT wollten auf keinen Fall für « soziales Durcheinander » an diesem Datum sorgen. Denn ihre Befürchtung war, dass ein Ansteigen des Pegels der sichtbaren sozialen Unzufriedenheit den Ausgang des Referendums über die EU-Verfassung « gefährden » könnte. Die Franzosen und Französinnen stimmen am 29. Mai ab... Der einzige Gewerkschaftsbund, der wirklich landesweit (und halbwegs konsequent) streiken wollte, war der kleinere katholische Gewerkschaftsbund CFTC. Der wollte nämlich keinen christlichen Feiertag gestrichen wissen. Und so blieb es den Beschäftigten und Gewerkschaftssektionen in den einzelnen Diensten und Betrieben überlassen, zu entscheiden, wie sie verfahren wollten. Vor allem in mittelständischen Betrieben ist es natürlich äußerst schwierig, sich unter diesen Bedingungen zu rühren, wenn man nicht seinen Job gefährden möchte. Und dennoch ! Dennoch fällt die Bilanz aus Sicht der Regierung eher fatal aus. Premierminister Jean-Pierre Raffarin hatte eigens anordnen lassen, dass der Elektrizitätsversorger EDF den genauen Stromverbrauch im Laufe des Montags registrieren und veröffentlichen solle. Diese Statistik gilt als ziemlich verlässlicher Ausweis dafür, wie die wirtschaftliche Aktivität an einem Tag verlief. Am Montag abend verkündete der öffentliche Radiosender France Info das Ergebnis : Nach Angaben von Premierminister Raffarin selbst sei der Energieverbrauch « wie an einem Himmelfahrts-Donnerstag » ausgefallen. Sprich: Wie am jüngsten Feiertag, wo (zumal mit Blick auf ein verlängertes Wochenende vom Donnerstag bis Sonntag, wenn man nur den Freitag auch frei nahm) nun wirklich fast niemand arbeitete. Allerdings « blieb das angekündigte Chaos aus », trotz vieleorts beobachteten Verkehrsstreiks, wie das öffentliche Radio resümiert; aber wohl auch (nicht nur!) deswegen, weil viele Betroffene gar nicht erst versuchten, zur Arbeit zu gehen. Zumindest in den öffentlichen Diensten fanden « trotz allem » erfolgreiche Streiks statt. In Paris blieben zumindest im Norden und Osten der Hauptstadt, soweit vom Domizil des Autors dieser Zeilen einsehbar, die Postämter vollkommen geschlossen. (Das war während der Massenstreiks gegen die « Rentenreform » von 2003 nicht einmal der Fall gewesen.) In den öffentlichen Transportbetrieben fanden vor allem außerhalb des Pariser Raums effiziente Streiks statt. Aus der nordfranzösischen Regionalmetropole Lille hieß es zunächst, dass keine Métro-Linie verkehre, später war es eine einzige Linie. Aus Marseille verlaubtbarte, dass nur 4 Prozent der Busse verkehrten. In rund 100 Städten fiel auf ähnliche Weise der öffentliche Nahkverkehr aus. Dagegen verkehrten in Paris fast alle Métro-Linien, mit Ausnahme der 3 b, während der Vorort-Schnellzug RER seinerseits von Arbeitsniederlegungen beeinträchtigt war. Das könnte mit der Präsenz der nationalen Gewerkschaftsapparate, aber auch mit vorherigen Zugeständnissen der Direktion der Pariser Verkehrsbetriebe RATP an die Beschäftigten zusammen hängen. Bei der Eisenbahngesellschaft SNCF war kein Streik nötig, da die Direktion im Vorfeld nachgegeben hatte. Die Arbeit am Montag blieb als Feiertagsarbeit, mit entsprechend zu bezahlenden Zuschlägen, deklariert. Im Gegenzug verpflichteten sich die Beschäftigten, über das Jahr verteilt eine Minute pro Arbeitstag zusätzlich abzuleisten. Da es seit 1968 bei der SNCF keine Stechuhren mehr gibt, bleibt es bei einem wirklich rein symbolischen Maß an Zusatzarbeit. In den Schulen kam es zu zahllosen Unterrichtsausfällen, da besonders wenig einzusehen war, warum auch LehrerInnen und SchülerInnen an diesem Tag antanzen sollten. Denn sie produzieren ja keinen unmittelbaren Mehrwert, der in die Sozialversicherung einfließen könnte. In einer Radioreportage aus Nordfrankreich wurde über eine Frau berichtet, die ihr Kind trotzdem zur Schule schickte, das sich dort aber allein wiederfand. Zahlreiche Rathäuser, auch konservativ regierte (wie in Reims), hatten ihren Beschäftigten gegen den Willen der Pariser Regierung frei gegeben. Dabei handelte es sich teilweise um das Bemühen, halbwegs populär zu bleiben - und teils um das Ansinnen der Anhänger des Nicolas Sarkozy (alias Iznogud : « Ich will Kalif am Platz des Harun al-Chirac werden »...) im konservativen Lager, der Regierung noch zusätzlich eins auszuwischen. Im Privatsektor hatten viele abhängig Beschäftigte sich einen Urlaubstag oder einen « RTT-Tag » (so heißt der Freizeitausgleich, der mit der Verkürzung der gesetzlichen Arbeits réduction du temps de travail von 2000 einhergeht) genommen. Nur wer gar nicht anders konnte, erschien zur Arbeit. In einer Reportage des Radiosenders France Info aus der Pariser Geschäfts-Vorstadt La Défense hieß es : « Es geht eher ruhig zu ; das Ameisenheer der Angestellten, das sich sonst täglich die Rolltreppen hochwälzt, bleibt aus. » An anderer Stelle sagte eine interviewte Angestellte auf dem Sender : « Und die, die heute arbeiten gehen, tun es nicht aus gewollter Solidarität, sondern allein um ihren Job nicht aufs Spiel zu setzen. » Im Vorfeld hatten nur 45 Prozent der Franzosen und Französinnen erklärt, am gestrigen Montag arbeiten zu wollen. 15 Prozent sahen voraus, sich im Streik zu befinden. Der Rest verteilte sich zu jeweils rund 20 Prozent auf (1) die Urlaubstags- oder Freizeitausgleich-Nehmer, (2) diejenigen, deren Unternehmen ihnen den freien Tag « großzügiger Weise » gewährten, da sie ansonsten ohnehin nur Chaos und Produktionsausfall befürchteten, und (3) jene Beschäftigten, deren Unternehmen am Montag dicht machten, ihnen dafür aber einen Tag Freizeit oder Urlaub abzogen. Premierminister Raffarin musste am Montag, wenngleich auf diffuse Weise, eine Niederlage anerkennen. Zugleich verkündete er in nebulösen Worten, « ein einziger Solidaritäts-Arbeitstag genüge wohl nicht », um für die Bedürfnisse der Pflegeversicherung aufzukommen. Bedeutet dies, dass er einsehen musste, dass es sich um eine gesamtgesellschaftliche Verteilungsfrage handelt, die nicht durch einen moralisch aufgeladenen einseitigen « Verzicht » der Lohnabhängigen zu lösen ist (sondern die ganze Frage der Zukunft der « nicht rentablen » öffentlichen Dienste aufwirft) ? Oder will er auch noch anderen Feiertagen zu Leibe rücken ? Hätte er an zweitere Option gedacht, so hat er sich aber wohl bereits die Finger verbrannt. Am Dienstag abend will Raffarin im französischen Fernsehen auftreten und « die Lehren aus dem Solidaritätstag am Pfingstmontag » verkünden. Dann mal gut gebrüllt, Löwe ! Bernhard Schmid, Paris, 17. Mai 2005 |