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Updated: 18.12.2012 15:51
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Personalratswahlen bei der französischen Eisenbahn: Neukonfiguration der Gewerkschaftslandschaft

Nur noch vier "tariffähige" Gewerkschaften bei der SNCF übrig. Linke Basisgewerkschaft SUD Rail bestätigt, CFDT geschwächt, kleinere rechte Gewerkschaften von der Bildfläche verschwunden; "moderate" UNSA zählt zu den Hauptgewinnern

Am vergangenen Donnerstag fanden die Personalratswahlen bei der französischen Eisenbahngesellschaft SNCF statt. An ihnen nahmen rund 121.600 Eisenbahner/innen teil, bei einer Beteiligungsquote von rund 73 % (die damit sinkt, gegenüber 80 % und dann 77 % bei den letzten Wahlgängen, 2004 und im März 2006). Ein wichtiger Kräftetest für die französischen Gewerkschaften.

Die Personalvertretungswahlen bei der SNCF und die Tariffähigkeit der Gewerkschaften

Es war das erste größere Kräftemessen für diese Beschäftigtenorganisationen, seitdem das Gesetz vom 20. August 2008 in Kraft trat, das die Bedingungen für die "Repräsentativität" (ungefähr: Tariffähigkeit) von Gewerkschaften und Gewerkschaftsverbänden neu regelt. Seit diesem Gesetz fällt die alte Regelung, wonach automatisch jede Gewerkschaft, die einem der offiziell anerkannten Dachverbände (CGT, CFDT, FO, CFTC = Christenheinis und CGC = Angestelltengewerkschaften) angehört, zwingend als "repräsentativ" gelten muss. Seit dem Gesetz vom August vergangenen Jahres gilt vielmehr, dass jede Gewerkschaft ihre reale ,représentativité' durch Wahlergebnisse in den Betrieben oder in ihrer Branche unter Beweis stellen muss.

Dadurch entfällt vor allem für Mitgliedsgewerkschaften der "kleineren", und i.d.R. rechteren, Dachverbände wie CFTC, CGC oder mitunter auch FO (nach außen hin "unpolitisch", nach innen hin schillernd mit manchmal kämpferischen und manchmal mafiösen Zügen) vielerorts die "Tariffähigkeit". Jedenfalls sind sie ernsthaft von ihrem Verlust bedroht, auf dem Hintergrund der Betriebsrats- und Personalratswahlen, die von jetzt ab in den kommenden vier Jahren allerorts stattfinden werden.

Dieses Gesetz vom 20. August 2008 war ein "Geschenk" der Regierung (und des Kapitals) an die CFDT und auch an die CGT, die dadurch begünstigt werden. Unter anderem besteht das Ziel darin, die CGT längerfristig in eine "sozialpartnerschaftliche" Politik mit einzubeziehen - der Dachverband verhält sich bereits entsprechend. Zuvor hatte im Herbst 2007 und Winter 2007/08 innerhalb der Kapitalverbände eine Art Putsch stattgefunden, genauer: ein Durchmarsch des Dienstleistungskapitals gegen andere Kapitalfraktionen, aber insbesondere die Metall-Arbeitgeberschaft. Letztere in Gestalt des Metallindustrieverbands UIMM, für den die CGT noch immer quasi eine ,rote Bande' darstellt, hielt daran fest, auch kleinere rechte Gewerkschaftsverbände wie die CFTC künstlich "tariffähig" zu halten. Hingegen gingen das Dienstleistungskapitals und Nicolas Sarkozys Chefberater in sozialen Angelegenheiten, Raymond Soubie, davon aus, dass es nun an der Zeit sei, die CGT einzubinden. Ihre Kampagne begann am o4. September 2007, als die konservative Tageszeitung ,Le Figaro' mit Enthüllungen über ein finsteres Finanzgebaren der UIMM (20 Millionen Euro in bar abgehoben und verteilt, Geldfluss in der Vergangenheit - im Wahlkampf 1974 - an Rechtsradikale) aufwartete. Die zweitgenannte Option konnte sich daraufhin durchsetzen.

Nunmehr drohen Verbände wie die Christenheinis von der CFTC längerfristig aus vielen Sektoren als "tariffähige" Gewerkschaft zu verschwinden, oder aber mit anderen Gewerkschaftsorganisationen fusionieren zu müssen. Dieser Prozess hat bereits begonnen. Und die Pariser Abendzeitung ,Le Monde' gab in ihrer Samstags-Ausgabe (28. März) Beispiele für Unternehmen, in denen bspw. die CFTC nun unter die 10-Prozent-Hürde bei Betriebsratswahlen gerutscht ist und damit ihre "Repräsentativität" verlieren wird. Das bedeutet: Verlust der Befähigung, ein Abkommen mit den Arbeitgebern rechtswirksam unterzeichnen zu können; Verlust von freigestellten Gewerkschaftsfunktionären im Betrieb u.a. So rutschte die CFTC bei der Bank BNP-Paribas mit 9,8 % der Stimmen knapp unter die Hürde. Beim Reifenhersteller Dunlop in Amiens, in der Autoindustrie, rutschten bei einer Betriebsratswahl im Februar 2009 hingegen alle "klassischen" Gewerkschaften (d.h. Mitgliedsgewerkschaften der größten Dachverbände) aufgrund der Aufsplitterung ihrer Stimmen unter die Zehn-Prozent-Hürde: CGT, CFDT, FO und CGC. Hier bleibt nur noch die UNSA als tariffähige Gewerkschaft übrig. Vielerorts treibt diese Drohung mit dem Verlust des Status als tariffähige Gewerkschaft die Verbände zu Fusionen oder Annäherungen. So bei der französischen Telekom zwischen der UNSA und der Angestelltengewerkschaft CGC, oder bei den Sparkassen in Südwestfrankreich zwischen der CGC, dem christlichen Gewerkschaftsbund CFTC und der UNSA. Auf die Dauer dürften überall vor allem die bisherigen kleineren rechten Gewerkschaftsverbände, eventuell erweitert um die UNSA, zusammenrücken.

Nur noch vier "tariffähige" Gewerkschaften bei der SNCF

Im Vorfeld der Personalratswahlen bei der SNCF hatte sich aus diesem Grunde die CFDT, die sich dort einige Sorgen machen musste (sie "wiegt" dort in den letzten Jahren nur zwischen 10 und 15 Prozent der Stimmen, nach Abgängen in den Streikjahren von 1995 und 2003 zugunsten von SUD), bereits mit einer anderen Gewerkschaft zusammengeschlossen. Es handelte sich um die bis dahin "autonome" (d.h. nicht in einem berufsgruppenübergreifenden Verband mit anderen zusammengeschlossene) Lokführergewerkschaft FGAAC. Letztere hatte sich in der Vergangenheit zwar in einigen Konfliktfällen als streikfreudig erwiesen, aber vertrat zugleich ein relativ enges korporatistisches (= berufsgruppenbezogenes, gruppenegoistisches) Profil. Hingegen bot die CFDT ein Berufsgruppen übergreifendes Profil, aber auch eine Vergangenheit, in der ihre Führung wichtigen Streikbewegungen der letzten Jahre "in den Rücken fiel". (Jedenfalls die Führung des Dachverbands CFDT, während jene der Transport-Branchengewerkschaft FGTE-CFDT oft links von der Erstgenannten stand und steht.) Es handelte sich also durchaus um ein widerspruchsreiches Gespann.

Allein, geholfen hat es ihnen nicht so viel: Die gemeinsame Liste von CFDT und FGAAC überspringt zwar die Zehn-Prozent-Hürde - was erforderlich ist, um künftig noch als "repräsentativ" zu gelten (also einen Kollektivvertrag oder ein Abkommen rechtswirksam unterzeichnen zu können). Aber sie erhält dennoch nur 11,59 % der Stimmen, das bedeutet - für beide zusammengenommen - rund 3 Prozent weniger als bei der Wahl 2006. Damals erhielt die CFDT noch allein 11,58 % und die FGAAC ihrerseits 3 % der Stimmen. (Und damals hatte die CFDT noch von einem speziellen Klima profitiert. Denn die eher "moderaten" Gewerkschaften CFDT und CFTC waren damals durch die Debatte um ein Abkommen zur Gewinnbeteiligung - das die anderen Gewerkschaften ausgeschlagen hatten, von ihnen aber als vorteilhaft präsentiert wurde - "konjunkturell" begünstigt worden; vgl. ttp://www.lemonde.fr/cgi-bin/ACHATS/938840.html - Im Jahr 2006 die CFDT, die zuvor massiv verloren hatte und im März 2008 von zuvor 18 % auf nur noch 9 % gepurzelt war, doch noch 3,5 Prozent zurück gewonnen. Nunmehr, in 2009, stagniert sie aber auf demselben Niveau; und dies obwohl die 3 % der FGAAC ihrem damaligen Gewicht noch hinzugefügt worden sind. Auf die Dauer bleibt die CFDT gegenüber "alten Zeiten", bevor ihre Verbandsspitze der Bewegung gegen die "Rentenreform" 2003 in den Rücken fiel, also erheblich geschwächt.)

Nur noch vier Gewerkschaften "tariffähig"

Drei weitere Gewerkschaften sind bzw. bleiben demnach "tariffähig". Erstens, und das wundert nicht, die CGT. Die Gewerkschaft, die früher allein die Mehrheit unter den Eisenbahner/inne/n innehatte, erhält bei diesem Mal 39,3 % der Stimmen. Das ist etwas weniger als beim letzten Mal (ein Stimmenverlust von 0,8 Prozent gegenüber 2006 mit 40,14 %; damals allerdings hatte sie bereits einen Verlust von 3,9 % gegenüber dem Wahlgang zuvor verzeichnet). Noch immer bleibt die CGT damit aber die stärkste Gewerkschaftsorganisation bei der Bahngesellschaft SNCF.

Auf die zweite Stelle rückt nun, relativ überraschend, die UNSA mit 18,06 % (und einem Zugewinn von plus 3,58 % gegenüber März 2006 und ihren damaligen 14,48 %). Die UNSA, die sich für "unpolitisch" und "moderat" erklärt und vor allem viele Angestelltenvoten anzieht, gilt auf nationaler Ebene nicht als anerkannter Dachverband und musste deshalb überall um ihre Tariffähigkeit rechtlich kämpfen. Nunmehr liegt sie, als zweitstärkste Gewerkschaft bei Eisenbahnern, ziemlich weit vorne. Die "moderat" auftretende UNSA legt ein ähnliches gewerkschaftspolitisches Profil wie die CFDT - oder früher FO, bevor die ehemals deutlich rechtslastige Gewerkschaft ab circa 1995 einen verbalradikalen Diskurs annahm -, gilt dabei aber gleichzeitig als wesentlich "sauberer". Die UNSA blickt so nicht auf eine jüngere Geschichte von "Verrats"vorfällen gegenüber massiven Streikbewegungen, wie die CFDT-Spitze, zurück. Dadurch kann sie zugleich als "gemäßigt" und als relativ "sauber" auftreten. Dies haben die Wählenden offenkundig honoriert.

An dritter Stelle, vor der gemeinsamen Liste von CFDT und Lokführern, behauptet sich auch die linksalternative Basisgewerkschaft SUD Rail (SUD Schienenverkehr) ziemlich gut. Bei einem Ergebnis von im Durchschnitt 17,67 % legt sie um rund 2,7 Prozent gegenüber den Personalratswahlen von 2006 - damals erhielt sie 14,97 % - zu. Allerdings hatte sie ihr jetziges Ergebnis bei den Wahlen der Beschäftigtenvertreter im Aufsichtsrat der SNCF, im März 2008, mit damals 18,65 % noch übertroffen.

Während die Direktion der Bahngesellschaft in ihren Presseverlautbarungen triumphiert, dass SUD Rail "stagniert" (und "der reformistische Pol", zu dem die Direktion v.a. CFDT und UNSA rechnet, "30 Prozent statt erwarteter 27 oder 28 %" erzielt habe), entspricht dies also nicht ganz der Realität. SUD Rail konnte sowohl Zugewinne verzeichnen als auch sich landesweit behaupten. Ihr stärkstes regionales Einzelergebnis liegt in der Auvergne, wo früher die CFDT deutlich links war (aber aufgrund ihrer Positionen, oder der ihres Dachverbands, sehr viel Sympathien verloren hat), mit genau 30 Prozent.

Am Pariser Bahnhof Saint-Lazare (wo SUD-Rail im Dezember 2008 und Januar 2009 einen spektakulären Ausstand mit angeführt hat - was ihr einen öffentlichen Bannfluch von Präsident Sarkozy eintrug, vgl. www.labournet.de/internationales/fr/sud_vs_sarkozy.html) konnte SUD Rail kräftig "absahnen". Dort erhielt sie stattliche 53 % der Stimmen, gegenüber 30 Prozent beim Mal davor. Die Wählenden haben dort, auf dem Netz der Vorortzüge in die westlich an Paris angrenzenden Vorstädte, offenkundig die Positionen von SUD Rail honoriert.

Nicht mehr "tariffähig" bei der Bahn sind nunmehr die CFTC (Christenheinis) mit 5,36 % (minus 2,78 Prozent, im März 2004 erhielt sie noch 8,14 %) und FO sowie die Angestelltengewerkschaft CGC. Letztere beiden hatten, das Absinken unter die Zehn-Prozent-Hürde befürchtend, eine gemeinsame Liste aufgestellt. Doch letztere erhielt, je nach den (in diesem Fall variierenden) Angaben, 7,98 % oder und 8,02 %, und scheitert damit an der neu eingerichteten Prozenthürde. Im März 2006 hatte FOP allein noch 6,62 %, und die Angestelltengewerkschaft CGC hatte SNCF-weit ein Prozent erzielt. Ihr Ergebnis bleibt damit also in derselben Größenordnung, kostet die beiden nun aber die Existenz als "tariffähige" Gewerkschaft. - Auch die Lokführergewerkschaft FGAAC ist ansonsten als solche (jedenfalls auf nationaler Ebene) nicht mehr "tariffähig", da ihr Anteil an der gemeinsamen Liste mit der CFDT prozentual nach dem Ausmaß ihrer Beteiligung angerechnet wird.

Bernard Schmid, Paris, 01.04.2009


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