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Updated: 18.12.2012 15:51
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Convention identitaire in Südfrankreich: Französische und europäische Neofaschisten versammelten sich in Orange

Stell Dir vor, es ist Faschistengeburtstag, und nicht alle gehen hin! Am vergangenen Wochenende hielt die rechtsextreme, außerparlamentarische französische Vereinigung in Gestalt des Bloc identitaire eine Tagung im südfranzösischen Orange an. Den Anlass zu dem Treffen, das unter der Bezeichnung Convention identitaire im „Prinzenpalast“ von Orange stattfand, wie das Treffen offiziell hieß, lieferte ihr zehnjähriges Bestehen.

Rund 800 Personen meldeten sich an oder wurden eingeladen; knapp 500 erschienen. Aber vor allem nicht alle internationalen Gäste, die geladen waren, erschienen. So blieb die österreichische FPÖ dem Treffen fern, und für den belgisch-flämischen Vlaams Belang sandte die Vertreterin Hilde de Lobel ein Grußwort, tauchte aber nicht persönlich auf. Darin führte sie aus: „Die Bedrohung durch die Islamisierung durch die Islamisierung unseres Kontinents ist unsere drängendste Sorge.“ Und auch: „Unsere Identität ist kulturell durch das Erbe der westlichen Zivilisation geformt worden.“

Eine Ausnahme unter den, sonst vermeintlich zaghaften, internationalen Gästen bildeten in diesem Jahr die italienischen Abgesandten. Zu ihnen zählten Vertreter der Zeitung Secolo d’Italia (wie ihr Journalist Antonio Rapisarda) aber auch der Europaparlaments-Abgeordnete der italienischen Lega Nord, Mario Borghezio. Dieser ultraradikale Vertreter der norditalienischen rassistischen Regionalpartei und Fanatiker ist bei beinahe jeder grenzüberschreitenden rechten Veranstaltung dabei, wenn sie nur extrem genug ist, und wurde in Italien vor einem Jahrzehnt strafrechtlich durch alle Instanzen zu einer Geldstrafe verurteilt. Der Grund dafür, dass er im Jahr 2000 eigenhändig ein Zelt, unter dem Asylbewerber lebten, angezündet hatte. Am Wochenende tönte er in Orange durch den Saal: „Man muss das Buch, die Ideen einsetzen, aber auch den Stock. Man muss knüppeln, wenn es notwendig ist!“ Ferner rief er aus: „Ein Volk, das ist das Blut, die Ethnie, die Traditionen und unsere Vorfahren! Es leben die Weißen in Europa! Es lebe unsere Rasse!“

Dadurch brachte Borghezio – an dessen Geisteszustand man zweifeln kann, nicht jedoch an seiner ideologischen Kohärenz – sehr gut auf den Punkt, was der Bloc identitaire meint, wenn er von solidarités charnelles spricht, also wörtlich von „fleischlichen Solidaritäten“. Gar so genau wollten die Veranstalter es allerdings anscheinend vor versammelter Presse nicht benannt wissen. Dem Vertreter der französischen Nachrichtenagentur AFP vor Ort, Andrea Bambino, verboten sie am Sonntag früh den Zutritt, wegen „unausgewogener Berichterstattung“, weil er in seiner Depesche vom Vortag wohl zu ausführlich die Originaltöne von Mario Borghezio zitiert hatte. Aus Solidarität mit dem AFP-Reporter boykottierten auch andere Journalisten (von Le Monde, L’Humanité oder dem linkskatholischen Magazin Golias) am Sonntag die Tagung.

Der Bloc identitaire entstand de facto im Herbst 2002, formell freilich trat er erst im Frühjahr 2003 unter diesem Organisationsnamen auf. Als erstes war im September des Vorjahres die Jugendorganisation Jeunesses identitaires offiziell gegründet worden. Ein vorsichtiges Auftreten ebenso wie die Übernahme eines neuen Namens waren erforderlich geworden, weil die Vorgängerorganisation Unité radicale (UR) am 06. August 2002 verboten worden war. Eines ihrer Mitglieder, der 25jährige Maxime Brunerie, hatte am 14. Juli desselben Jahres – dem französischen Nationalfeiertag – im Alleingang ein Attentat auf Präsident Jacques Chirac zu verüben versucht. Dies war nicht nur dem Ansehen der Organisation wenig förderlich, sondern führte auch zu ihrem Verbot per Kabinettsbeschluss als staatsgefährdende Vereinigung.

Schon einmal, Mitte Oktober 2009, hatten die Identitaires – wie sie sich gerne im Plural nennen, um den Eindruck einer dynamischen und vielschichtigen „Bewegung“ zu erwecken – sich ebenfalls in Orange zu einem „Konvent“ getroffen. Damals meldeten sich rund 650 Teilnehmer an. Jedoch fiel die internationale Beteiligung damals stärker auf. Neben dem Vlaams Belang nahm damals etwa auch ein Abgeordneter der Schweizerischen Volkspartei (SVP), Dominique Baettig, an dem zweitägigen Treffen teil. Nicht jedoch dieses Mal. Den Grund dafür liefern die sich zuspitzenden Hegemoniekämpfe im rechtsextremen Lager. Denn der Front National (FN) unter Marine Le Pen, die unangefochtene Hauptpartei der „nationalen Rechten“ in Frankreich, hatte sein ganzes Gewicht in die Waagschale geworfen. Und er hatte darauf insistiert, Parteien wie die FPÖ dürften nur zu einem Partner im Land organisatorischen Kontakt halten. Nämlich zu ihm.

Auch Jacques Bompard, als Bürgermeister von Orange auch Gastgeber der Tagung, tauchte in diesem Jahr nicht persönlich auf, sondern sandte einen Vertreter. Da er – nachdem er 2005 aus der Partei austrat – sich heute wieder an die Partei annähert, neben deren zwei Abgeordneten er aktuell den dritten rechtsextremen Parlamentarier in der Pariser Nationalversammlung darstellt, nahm er möglicherweise ebenfalls auf den FN Rücksicht.

Die Ausgangssituation war vor drei Jahren insofern noch eine andere, als der FN damals in einer schweren Krise steckte. Geschüttelt durch die schwere Niederlage gegen die damals noch aufstrebende konservative Rechte unter Nicolas Sarkozy, finanziell am Rande des  Bankrotts – das sehr schlechte Ergebnis bei der Parlamentswahl 2007 verringerte die staatliche Parteienfinanzierung für den FN bis 2012 um zwei Drittel -, und unfähig, die Frage der Nachfolge des alternden Jean-Marie Le Pen zu lösen. Alle diese Krisenfaktoren hat der FN heute definitiv überwunden. Auch strategisch wurde seine Ausrichtung damals kritisierte: Jean-Marie Le Pen setzte abwechselnd Signale im Sinne eines antimuslimischen Rassismus und de Antisemitismus, schwang sich zum Verteidiger des Abendlands auf, lobte aber auch – wie zuletzt im Herbst 2009 in einem Interview für das nationalrevolutionäre Organ VoxNR – hin und wieder das iranische Regime. Andere, erfolgreiche rechtsextreme Parteien in Westeuropa erhoben ihm dies zum Vorwurf: Der französische FN sei strategisch blind bei der Frage der Bestimmung des Hauptfeinds. Inzwischen hat Jean-Marie Le Pens Tochter und Nachfolgerin, Marine, den Kurs weitgehend korrigiert. Sie hat die strategische Entscheidung übernommen, dass die muslimische Einwanderung der Hauptfeind sei, gegen den man Verteidiger des Christentums ebenso wie laizistische Kräfte – und auch Unterstützer Israels – für taktische Bündnisse ansprechen könne. Vor drei Jahren war dies noch nicht klar entschieden, und Parteien wie der Vlaams Belang nahmen deshalb auch Tuchfühlung zu Konkurrenten des FN wie den „Identitären“ auf.

Ungeklärt bleibt dabei bislang das Verhältnis zwischen ihnen und der dominierenden rechtsextremen Partei. Denn die Identitaires selbst sind über ihre eigene Strategie uneins. Eine Richtung möchte besonders als außerparlamentarische Bewegung und pressure group auftreten, mit PR-Aktionen die Aufmerksamkeit der Medien erwecken und dabei für eine Hegemonie ihrer „Ideen“ ringen. Im Vordergrund steht dabei der „Abwehrkampf“ gegen die Präsenz von Muslimen in Europa.  Ganz in diesem Sinne fiel auch die spektakuläre Aktion am Sonnabend, den 20. Oktober d.J. aus, an dem junge Aktivisten der Jugendorganisation des Bloc – unter dem Namen Génération identitaire – die Baustelle einer Moschee in Poitiers besetzen. Ort und Datum sollten dabei bewusst auf die von zahlreichen Geschichtslegenden umwobene Schlacht von Karl Martel gegen arabische Reiter anspielen, welche am 25. Oktober des Jahres 732 chr.Zt.rechnung auf einer Wiese bei Poitiers stattfand.

Der Jahrestag fiel in die Woche nach der aufsehenerregenden Aktion. So wie Karl Martel damals die „Sarazenen“ aus dem Land gefegt habe, so müsse man es wieder tun, lautet die Botschaft. Génération identitaire drohte aufgrund dieses Vorgangs ein paar Tage lang das Verbot, doch die Regierung entschied sich dann „aufgrund juristischer Probleme“ dagegen, es zu beantragen. Aktionen wie diese sind typisch für die Identitaires, die auch gerne subkulturelle Codes ansprechen, um mit Hilfe von Agitprop und vermeintlich modern aufbereiteten Mythen sowie unter Zuhilfenahme von Musik und Videos besonders junge Leute anzusprechen. Ein Video, auf dem die beschworene „Generation“ sich selbst in Sprecheinlagen vorstellt – ein Generation, die Opfer von Multikulturalismus, Ideallosigkeit ihrer Umwelt und der Verantwortungslosigkeit der ihr vorausgehenden 68er sei – sorgte im In- und Ausland für viel Aufsehen. Es existiert auch in deutscher Übersetzung und wurde bei Politically Incorrect ausführlich vorgestellt. Beliebt bei den „Identitären“, die inzwischen auch Ableger etwa in Wien und Frankfurt gründeten, sind aber auch Happenings mit Schweinemasken – etwa gegen muslimische Restaurants, die kein Schweinefleisch anbieten – oder Filme und Comics über die „Thermophylen-Schlacht“. Bei jenem Ereignis in der Antike opferte sich eine Truppe von 300 Soldaten aus Sparta gegen die Invasoren, eine riesige Übermacht von Persern, um deren Vormarsch auf das alte Griechenland aufzuhalten. Bei den jungen Rechtsextremen finden sich von der Form her moderne Erzählungen rund um diesen Mythos.

Doch eine andere Richtung bei den Identitaires möchte lieber parteiähnliche Arbeit betreiben, besonders auf lokaler Ebene, und dabei auch dem teils bewunderten und teils verhassten FN Konkurrenz bereiten. Eine dritte Richtung wiederum sähe sich lieber als reinen „Denkclub“, der Veranstaltungen ausrichtet, um pseudo-wissenschaftliche Debatte mit Gastrednern auszurichten und um „den Kampf um das Besetzen der Begriffe“ zu führen. (Eine weitgehend pseudo-wissenschaftliche Tagung zum Thema „Nation und Staatsbürgerschaft“ fand im Umfeld des Bloc identitaire am 10. März 2012 in Paris statt, erweckte/hinterließ jedoch einen eher drögen Eindruck.) Ähnlich wie die Denkfabrik der intellektuellen „Neuen Rechten“ in den siebziger Jahren, das GRECE. Aber mit einer anderen ideologischen Ausrichtung – weniger antisemitisch, und im Unterschied zum GRECE zu Anfang der 1980er Jahre begrüßen die Identitaires nicht den Islamismus als Ausdruck „des allen Völkern und Kulturen innewohnenden Identitätsstreben“ , sondern wettern bei jeder Gelegenheit gegen die „islamische Bedrohung“. Dem Antisemitismus, welcher bei Unité Radicale noch eine zentrale Rolle spielte, haben die Identitaires seit ihrer Tagung 2009 formell definitiv abgeschworen. Auch wenn der Redner Mario Borghezio am Samstag auch den antisemitischen französischen Poeten Robert Brasillach, der im Februar 1945 nach der Befreiung erschossen wurde, beschwor.

Auf ihrem Treffen am Wochenende versuchten die „Identitätsliebhaber“, sich auf einen strategischen Kompromiss zu einigen. Auf den Versuch, formell als politische Partei aufzutreten, wollen sie verzichten – um stärker ihren Bewegungscharakter oder, aus ihrer eigenen Sicht, ihre Natur als Ausdruck einer „Gegenkultur“ zu betonen. Gleichzeitig wollen sie sich zumindest in der Kommunalpolitik auch bei institutioneller Arbeit engagieren. Philippe Vardon von dem Bloc-Ableger „Rebellisches Nizza“, der am stärksten auf dieser Ebene vorgearbeitet hat, sprach am Sonntag „Wahlbündnissen und, warum nicht, der Teilnahme an Kommunalregierungen“ in enger Zusammenarbeit mit dem FN – respektive seiner Bündnisorganisation für Wahlbeteiligungen, Rassemblement Bleu Marine – das Wort. Allerdings schlug Marine Le Pen das Angebot am selben Tag aus. Beim Fernsehsender BFM TV erklärte, der Bloc sei nach ihren Kenntnissen „eine Agitprop- und Aktivisten-Partei“, also nicht eine seriöse Erscheinung wie die von ihr geführte Partei. Ferner gebe es zu wichtige ideologische Differenzen: die Identitaires seien „Europäisten und Regionalisten“. Tatsächlich setzt der Bloc auf eine Art Dreiklang der zu verteidigenden „Identitäten“ – regionale, nationale und europäische -, die wie eine Art russischer Puppen ineinander greifen sollen. Dies ist aus seiner Sicht erforderlich, weil nur so eine „eingewurzelte echte Identität“ definiert werden könne; denn ein Einwanderer könne nur durch Einbürgerung Franzose werden, aber eben unmöglich „Baske, Bretone oder Elsässer“. Aus Sicht des FN dagegen muss allein die Nation im Mittelpunkt stehen.

Sein relativ parteiferner Charakter verschafft dem Bloc jedoch insofern einen Vorteil, als er auch parteiübergreifend nach Bündnispartnern suchen kann. Neben dem FN, zu welchem es zumindest auf lokaler Ebene gute Kontakte gibt, zählen dazu auch Konservative. Derzeit unterschrieben zwischen 15 und 20 Abgeordnete der konservativ-wirtschaftsliberalen Oppositionspartei UMP eine Petition gegen das kommunale Ausländerwahlrecht, die vom Bloc initiiert wurde. Und der aufgrund notorischer homophober Sprüche aus der UMP-Fraktion ausgeschlossene frühere Parlamentarier Christian Vanneste nahm an der Tagung in Orange teil. Und ein Vertreter der UMP-nahen rechten Studierendengewerkschaft UNI – Edgar Saint-Jean - sandte ein Grußwort und sprach darin von „gemeinsamen Sorgen“.

Artikel von Bernard Schmid vom 6.11.2012


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