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Updated: 18.12.2012 15:51
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Liberté, Egalité, Diversité...?

Auch Nicolas Sarkozy und seine Umgebung versuchen auf der "Obama-Welle" zu surfen - und sprechen einer stärkeren politischen Partizipation von Angehörigen "ethnischer Minderheiten" das Wort. Nur politischer Werbetrick, oder Ausdruck einer tiefer reichenden politischen Entwicklung ?

"Yes, we can" hört sich auf jeden Fall "griffiger" an als die französische Übersetzung: "Oui, nous pouvons". Dennoch scheint der Slogan inzwischen auch in seiner französischen Variante zum durchsetzungsfähigen politischen Schlagwort geworden zu sein. (Es gibt übrigens noch eine Variante: "Yes, week-end!" war im Dezember der Appell einer Reihe von Oppositionsabgeordneten gegen den damaligen Regierungsplan zur Ausweitung der Sonntagsarbeit in allen Verkaufsberufen - der inzwischen auf Eis gelegt wurde - übertitelt..)

"Oui, nous pouvons" war das "Manifest für reale Gleichheit" überschrieben, das am 9. November 2008 in der französischen Sonntagszeitung JDD erschien und von einer Reihe von Prominenten unterzeichnet worden ist. Ihnen geht es um die "Förderung der Diversität", also darum, mehr farbige Franzosen und mehr Franzosen mit Migrationshintergrund auch an einflussreiche oder sichtbare Positionen gelangen zu lassen. Beispielsweise in politische Ämter. Dort sind sie bislang unterrepräsentiert: Die Sonntagszeitung ,JDD' spricht in ihrer (schon weitgehend der Amtseinführung von US-Präsident Obama am übernächsten Tag gewidmeten) Ausgabe vom 18. Januar 09 davon, bislang stellten die Angehörigen "ethnischer Minderheiten" auf der untersten Ebene der politischen Repräsentation - in den Kommunalparlamenten - rund 6,7 Prozent der Mandatsträger/innen. Damit wären sie, gemessen mit dem Anteil der entsprechenden Bevölkerungsgruppen an der französischen Wohnbevölkerung (auch jener mit französischer Staatsbürgerschaft), klar unterrepräsentiert. Dies sei allerdings bereits ein bedeutender Fortschritt, denn noch 2001 seien es nur gut 3 Prozent gewesen - und noch bis in die 1990er Jahre war an eine Öffnung in dieser Richtung nur schwer zu denken. Auf den höheren Stufen der politischen Repräsentation nimmt der Anteil von Angehörigen der "ethnischen Minderheiten" dann noch deutlich weiter ab. Unter den Abgeordneten des französischen Parlaments finden sich etwa nur zwei Schwarze, eine davon (Christiana Taubira) vertritt ein Überseegebiet - Französisch-Guyana - und die Karibikfranzösin George Pau-Langevin repräsentiert einen Pariser Wahlkreis. Auch die linksliberale Pariser Tageszeitung ,Libération' spricht in ihrer Dienstags-Ausgabe, die ganz im Zeichen Obamas stand aus: "Bis zur Diversität ist es noch weit." Aber die Anfänge des Weges, zumindest, scheinen nun beschritten zu werden.

Auch Präsident Nicolas Sarkozy scheint sich den Unterzeichnern nun angeschlossen und ihr Anliegen aufgegriffen zu haben: Eine Woche vor der Weihnachtspause verkündete Sarkozy in seiner letzten größeren Programmrede für das abgelaufene Jahr 2008 ein Maßnahmenbündel "zur Förderung der realen Chancengleichheit", ebenfalls im Namen der "Diversität". Surft die französische Politik nun "farbenfroh" auf der Obama-Welle? Hat sich das ganze Land zum Antirassismus bekehrt? Und ist der Rassismus, der in den letzten 20 Jahren - lange verkörpert durch Jean-Marie Le Pen - eine feste Größ e in Frankreichs politischer Landschaft war, überwunden? Hat also des Erbe des "Marschs für die Gleichheit", der vor genau einem Vierteljahrhundert stattfand und im Dezember 1983 in Paris zu Ende ging, Früchte getragen?

Um einer Antwort auf diese Fragen näher zu kommen, sei zunächst ein kurzer historischer Rückblick geworfen, bevor im Anschluss ein Ausblick auf die nähere Zukunft zu wagen ist.

Rückblick auf 30 Jahre rassistische Kampagnen

Lange Jahre hindurch schien ein Gutteil der französischen Gesellschaft sich verbarrikadieren zu wollen. Spätestens, seitdem in den 1980er Jahren "la crise" und der Anstieg der Massenarbeitslosigkeit die sozialen Perspektiven verdüsterten, reagiert ein Teil der Franzosen mit Abgleiten in den Rassismus. Trugen die Söhne und Töchter von in Frankreich lebenden Einwanderern ihre Anliegen - auf gesellschaftliche Teilhabe und Gleichberechtigung - vor, antwortete ein Teil der Gesellschaft mit Erinnerungen an Karl Martell, der im Jahr 732 "die Araber bei Poitiers stoppte". Ab 1983 gelang dem Rechtsradikalen Jean-Marie Le Pen der Durchbruch auf der politischen Bühne. Er weckte Erinnerungen an den französischen Kolonialkrieg in Algerien, wo er, als freiwillig dienender Offizier, eine aktive Rolle gespielt hatte: Inzwischen ist gerichtsnotorisch, dass er dort auch eigenhändig gefoltert hatte, seitdem eine Klage Le Pens gegen einen expliziten Artikel der Pariser Abendzeitung Le Monde abgeschmettert wurde. Le Monde hatte im April 2002 unter Berufung auf algerische Zeitzeugen enthüllt, dass Le Pen bei einem Folterverhör seinen Armeedolch vergessen habe. Ihn diesen ist sein Name eingraviert, und der Sohn eines damals gefolterten Algeriers ist heute im Besitz des Dolchs, den sein Besitzer liegen gelassen hatte.

Zwar vertrat Le Pen nie eine Mehrheit, sondern stets nur eine lautstarke Minderheit von Franzosen. Und es gab auch immer starke Gegenbewegungen. Im ersten Jahr, in dessen Verlauf der polternde und folternde Rechtsradikale in der "gro b en Politik" von sich reden machte - 1983, dem Jahr seiner ersten bedeutenden Wahlergebnisse - fand der spektakuläre "Marsch für die Gleichheit" statt. Es handelte sich um einen mehrwöchigen Fu b marsch, der die (in Frankreich geborenen) jungen Nachfahren überwiegend nordafrikanischer Einwanderer von Marseille über Lyon bis nach Paris führte. Bei ihrer Ankunft in der Hauptstadt standen die Marschierer plötzlich an der Spitze einer Demonstration von annähernd 100.000 Menschen. Die Mobilisierung war auch eine Reaktion auf den damals explodierenden Rassismus, denn die ersten Wahlerfolge Le Pens hatten Hemmschwellen abgebaut. Frustrierte französische Chauvinisten oder innerlich nie zur Ruhe gekommene, frühere Algerienkrieger griffen in jenen Jahren des öfteren zur Waffe. Im September 1983 wurde ein Algerier in Südfrankreich aus einem fahrenden Zug geworfen - einer der unmittelbaren Auslöser für die "marche pour l'égalité".

Aber der Bewegung wurde schnell die Spitze abgebrochen. Schon die Ankunft der Marschierer in Paris wurde zum Teil durch das sozialdemokratische Establishment - das seinerzeit in Paris regierte - mit organisiert. Es war damals durch drei Prominente im zwanzigköpfigen Vorbereitungskomitee der Pariser Demonstration vertreten. Vor allem die sozialistische Politikerin Françoise Gaspard und die damalige Sozialministerin François Mitterrands, Georgina Dufoix, versuchten sich zu einer Art Schutzpatroninnen der "Beurs" - wie man die jungen arabischstämmigen Einwanderer damals nannte, der Begriff nahm alsbald einen paternalistischen Tonfall an und wird durch die Betroffenen selbst längst nicht mehr benutzt - aufzuschwingen. Im Jahr darauf, 1984, wurde mit viel Mediengetöse und mit viel Geld aus dem Elysée-Palast eine neue Bewegung gegründet, unter dem Namen "SOS Racisme". Diese diente aber letztendlich nur dazu, die in der Mobilisierung entfachten Energien aufzugreifen und einige ihrer Repräsentanten ins politische Establishment zu integrieren. Die ganze Dynamik wurde dabei aber zerstört.

SOS Racisme bot in den folgenden Jahren einige spektakuläre Showveranstaltungen an - etwa das Riesenkonzert auf der Pariser Place de la Concorde 1985 -, trug aber wenig Konkretes zur Überwindung von gesellschaftlicher Diskriminierung und Rassismus im Alltag bei. Zumal sie die sozialen Fragen, die eng mit der benachteiligten Situation vieler Einwanderer verbunden sind, nicht aufgriff, sondern vor allem an ihrem schicken multikulturellen Image herumpolierte. Schlimmer: Gerade das Wirken von SOS Racisme hat dazu beigetragen, den wahren Impuls, der der Bewegung für gleiche Rechte ursprünglich zugrunde gelegen hatte, zu verschütten. Aus der "Marche pour l'égalité", wie die Mobilisierung von 1983 in Wirklichkeit hieß - was also die Forderung nach "Gleichheit" in den Vordergrund rückte - wurde im Nachhinein in der öffentlichen Darstellung "la Marche des beurs". Das Anliegen wurde dadurch entpolitisiert und zur "kulturellen Forderung einer Minderheit" umgebogen, was der paternalistischen Note bei der Verwendung des Begriffs "Beurs" keinen Abbruch tat - im Gegenteil. Man tat im Allgemeinen so, als habe die Bewegung sich für mehr Bauchtanzvorführungen eingesetzt. In Wirklichkeit hatte sie gleiche soziale und politische Rechte eingefordert. Tauchte diese Forderung aber wieder auf, so reagierte auch das sozialdemokratische Lager mit harschen Abwehrreaktionen, die mitunter eine offen rassistische Komponente hatten.

Als im Jahr 1984 ein harter Arbeitskampf beim damaligen Automobilhersteller TALBOT in Poissy (im weiteren Pariser Umland) stattfand, denunzierte der damalige sozialistische Premierminister Pierre Mauroy - einen angeblich "fundamentalistisch ausgerichteten Streik", der von Khomeini inspiriert sei. Allerdings sprach man damals zwar viel von Khomeinis Wirken im Iran, aber die Arbeiter bei Talbot waren weder Anhänger einer Islamischen Republik noch Schiiten, sondern setzen sich schlicht für ihre sozialen und wirtschaftlichen Forderungen ein. Dass der Streik in der öffentlichen Darstellung so sehr konfessionalisiert oder "ethnisiert" werden konnte, hing damit zusammen, dass es in den Werkstätten zu heftigen Zusammenstö b en zwischen "wei b en" Vorarbeitern und maghrebinischen Fließbandbeschäftigten gekommen war. Daraufhin konnte nach außen hin durch die Medienberichterstattung der Eindruck erweckt werden, es handele sich um einen "Rassenkonflikt".

Die öffentliche Wahrnehmung der sozialen Situation von Einwanderern wurde damals durch den Aufstieg Le Pens ma b geblich mit beeinflusst. Er trieb auch die anderen, etablierten Parteien immer wieder vor sich her. Letztere schreckten in der Öffentlichkeit davor zurück, sich "zu lautstark" für gleiche Rechte für Einwanderer einzusetzen. Und ihren eigenen Anhängern machten sie das Zurückstecken an Programmpunkten, die zumindest die Linksparteien zuvor selbst vertreten hatten, damit verkauft, dass man "das Phänomen Le Pen nicht noch ernähren" dürfe. So strich die französische Sozialdemokratie 1990 die Forderung nach dem Wahlrecht für dauerhaft im Lande lebende Ausländer aus ihrem Programm. Die bürgerliche Rechte war für den Druck von rechtsaußen noch weitaus anfälliger. Zumal die Konservativ-Liberalen zeitweise, vor allem in den Jahren 1986 bis 1992, in mehreren Regionalparlamenten (wie denen in Marseille und Montpellier) faktisch mit Unterstützung von Le Pens Parteifreunden vom Front National regierten. Als im Juni 1991 in der Pariser Vorstadt Mantes-la-Jolie ein Jugendlicher an den Folgen von Polizeigewalt starb, kam es dort zu Unruhen. Der Front National nahm in den 14 Tagen darauf einen Aufschwung in den Umfragen. Der damalige politische Chef des konservativ-liberalen Lagers, Jacques Chirac, hielt daraufhin im selben Monat seine berüchtigte Rede über "Le bruit et l'odeur" - "den Lärm und den Gestank" der (afrikanischen und arabischen) Immigranten in ihren Sozialwohnungen, der ihre Nachbarn und "den französischen Arbeiter" belästige.

Heute ist ein Vierteljahrhundert vergangen, einerseits seitdem Le Pen der politische Durchbruch gelang, andererseits nach der Ankunft des "Marschs für die Gleichheit" in den Straßen von Paris. Und wie sieht es heute aus?

Rassistische Sprüche gerügt: Carla Bruni-Sarkozy legt sich mit Berlusconi an

"Er ist jung, schön und immer dunkel (sonnen)gebrannt": Es klingt vielleicht auf den ersten Blick wie ein Kompliment. Aber spätestens auf den zweiten Blick handelt es sich um einen rassistischen "Witz". Nun ist man von dem, der ihn riss, ja Einiges in Sachen "Herrenwitze" und anderer geschmackloser Sprüche gewöhnt. Denn der ihn aussprach, ist der amtierende italienische Premierminister Silvio Berlusconi - und der solchermaßen "Beglückte" ist der frisch gewählte, ab dem 20. Januar 2009 amtierende US-Präsident Barack Obama.

Die französische Präsidentengattin Carla Bruni-Sarkozy, die selbst italienischer Herkunft ist, wollte diesen jüngsten Ausspruch des Premierministers ihres früheren Landes so nicht auf sich sitzen lassen. Sie erwiderte öffentlich auf den Schenkelklopfer Berlusconis, sie sei "vor allem glücklich, nunmehr Französin zu sein". Das bedeutete so viel wie, sie sei sich's ganz zufrieden damit, nicht länger italienische Staatsbürgerin zu sein. (Infolge ihrer Einbürgerung in Frankreich verlor sie ihre italienische Staatsbürgerschaft: Das "Abkommen von Strasbourg" zwischen den Ländern des Europarats von 1963 sieht vor, dass seine ursprüngliche Staatsbürgerschaft verliert, wer freiwillig die eines anderen Mitgliedslandes annimmt. In der Bundesrepublik gilt dieses ursprünglich zwölf europäischen Staaten geschlossene Abkommen nicht mehr, da Berlin es 2001/02 aufgekündigt hat.)

Der italienische frühere Staatspräsident Francesco Cossiga, der für seine ausgesprochen rechtslastigen Auffassungen bekannt ist, kofferte seinerseits unverzüglich zurück: "Wir sind auch froh, dass Frau Bruni nicht mehr Italienerin ist. Aber bei ihrem bewegten Leben weiß man ja nie, ob sie nicht froh sein wird, eines Tages ihre italienische Staatsbürgerschaft zurück zu (v)erlangen."

Im Hintergrund steht, dass Carla Bruni sich - im Zuge der aktuellen Euphorie innerhalb der "ethnischen Minderheiten" über die erste Wahl eines "schwarzen" US-Präsidenten - für bessere Antidiskriminierungsregeln in der französischen Politik ausspricht. In einem Interview, das am 9. November 2008 in der französischen Sonntagszeitung JDD erschien, sprach sie sich entsprechend für das - bereits oben zitierte - "Manifest für reale Gleichheit" aus, das von etablierten Persönlichkeiten auf der politischen Linken (Arnaud Montebourg) wie auf der bürgerlichen Rechten (Jean-François Copé, Fraktionsvorsitzender der Regierungspartei UMP in der französischen Nationalversammlung) unterzeichnet worden ist. Initiiert worden war das Manifest von Yazid Sabeg, einem Franzosen aus einer algerischen berberstämmigen Familie, der als Unternehmer aktiv ist und zunächst dem früheren Pr Präsident Jacques Chirac nahe stand. Just ihn hat Sarkozy nun kurz vor der Weihnachtspause, am 17. Dezember 2008, zum "nationalen Beauftragten für die Förderung der Diversität" ernannt.

Das Manifest spricht sich dafür aus, die Wahl Obamas zum Anlass zu nehmen, endlich auch eine bessere - oder selbstverständlichere - politische Repräsentation so genannt "farbiger" und anderer Menschen in Frankreich zu fordern. Ihr Status als Präsidentengattin verbiete es ihr, so Carla Bruni-Sarkozy, das Manifest zu unterzeichnen. Aber sie unterstütze es voll und ganz.

Offenkundig möchte auch Carla Bruni-Sarkozy mit auf der aktuellen Obama-Welle surfen. Dies mag durchaus auch ihren persönlichen Überzeugungen entsprechen, denn vor ihrer Heirat mit Nicolas Sarkozy stand die Sängerin Carla Bruni eher der (moderaten) Linken nahe und sprach sich gegen die Einführung von Gentests - als Voraussetzung für die Familienzusammenführung - im französischen Ausländerrecht im Herbst 2007 aus. In der vergangenen Woche wurde sie auf dem Titel eines französischen Wochenmagazins deswegen auch als "Linkes Gewissen von Präsident Sarkozy" präsentiert.

Allerdings steht dahinter sicherlich auch eine Kommunikationsstrategie ihres Präsidenten-Ehemanns. Sarkozy beweist nämlich nicht nur nach Rechts hin Integrationskraft. Etwa durch die mehrfache Verschärfung der Ausländergesetze, und dadurch, dass er im vergangenen Jahr rund eine Million früherer Wähler/innen Jean-Marie Le Pens anzuziehen und, erstmals, dessen Stimmenanteil abzusenken vermochte.

Integrationskraft nach Rechts

Noch in jüngerer Vergangenheit war auch Nicolas Sarkozy nicht zimperlich, wo es darum ging, ein rechtes bis rechtsextremes Wählerpotenzial anzusprechen und seinen autoritären respektive rassistischen Gefühlslagen zu schmeicheln.

Am 22. April 2006 - auf den Tag genau ein Jahr vor der letzten französischen Präsidentschaftswahl, bzw. ihrem ersten Durchgang - machte der damalige Innenminister und sich warm laufende Kandidat Sarkozy mit einem "vorbelasteten" Spruch öffentlich Furor. Vor neu beigetreten Mitgliedern der Regierungspartei UMP - deren Vorsitz er damals innehatte - in Paris rief er aus: "Wenn bestimmte Leute Frankreich nicht lieben, dann sollen sie sich nicht davon abhalten lassen, es zu verlassen." Ein Slogan, den zuvor rechtsradikale Politiker ebenfalls, aber griffiger formuliert, benutzt hatten .

In den 80er Jahren hatte zunächst Le Pen, während der Reagan-Ära, einen ursprünglich seit dem Vietnamkrieg durch die US-amerikanische konservative Rechte benutzten Slogan (America, love it oder leave it!) übernommen und auf französische Verhältnisse adaptiert. Das Ergebnis der "Übersetzung" lautete dann: "La France, aime-la ou quitte-la! " Aber während der US-amerikanische Slogan weniger der Propagierung des Rassismus als vielmehr der Einschüchterung der innenpolitischen Opposition während des Vietnamkriegs diente (nach dem Motto: "Wenn es Euch hier nicht passt, dann geht doch nach drüben...!"), hatte die vom FN übernommene Parole von Anfang an eine klar rassistische Komponente. Sie sollte die Einwanderer und ihre Nachfahren darauf hinweisen, dass sie nicht ihren Platz in Frankreich hätten, falls sie dort nicht ruhig und angepasst blieben, und gar eigene Forderungen stellten.

Im Winter 2005/06 - kurz nach den Unruhen in den französischen Trabantenstädten - war es dann der nationalkonservative Rechtskatholik Philippe de Villiers, der die ältere FN-Parole (La France, aime-la ou quitte-la) fast wortidentisch übernahm und plakatieren ließ: "La France, tu l'aimes ou te la quittes". Beides bedeutet: "Entweder Du liebst Frankreich, oder Du verlässt es". Man könnte von einer Art "affektiver Erpressung" sprechen. Auch an dieser Stelle geht es der (extremen) Rechten darum, die Gesellschaft auf eine Vorstellung von der Nation als fest zusammengeschweißter Schicksals-, wenn nicht gar Blutsgemeinschaft einzuschwören: Eine Nation ist wie eine Familie, also eine (möglichst biologisch begründete) Affinitätsgemeinschaft, aus der man sich nicht ausklinken kann - nicht ohne "Verrat an den Seinen" zu gehen, infolge dessen man sich dort nicht mehr länger blicken lassen kann. Für die Idee einer rational, und freiwillig begründeten Zugehörigkeit zu einer Gesellschaft, in der es auch legitime abweichende Interessen geben kann, bleibt da kein Platz.

Sarkozys Antidiskriminierungspläne: Zweischneidiges Schwert

Aber ein erfolgreicher Politiker darf eben nicht nur nach einer Seite hin Integrationskraft beweisen. Nicolas Sarkozy stellte eine solche schon frühzeitig auch gegenüber Einwandererkindern, vor allem den sozialer besser gestellten und höher gebildeten unter ihnen, unter Beweis.

Tatsächlich förderte Sarkozy in seiner Partei (UMP), und dann bei der Regierungsbildung 2007, auch Persönlichkeiten mit Migrationshintergrund. Erstmals erhielten solche Politikerinnen und Politiker so genannte Schlüsselministerien, beispielsweise wurde das Justizministerium mit Rachida Dati besetzt - die nun wahrscheinlich in naher Zukunft aus dem Kabinett ausscheiden wird, da sie bei Präsident Sarkozy in Ungnade gefallen zu sein scheint, und derzeit hochschwanger ist. Zwar hatte die französische Sozialdemokratie in den 80er Jahren mehr von der "Integration" von Einwandererkindern gesprochen als die Rechte (in ihrer bürgerlichen wie, natürlich, ihrer extremen Spielart). Aber in der damaligen Ära Mitterrand konnte ein schwarzer Franzose es bestenfalls - einem klassischen Cliché (Klischee) entsprechend, wonach Menschen mit schwarzer Hautfarbe Fähigkeiten in Sport und Musik, aber nicht im intellektuellen Bereich zugestanden werden - zum Sportminister bringen wie seinerzeit Roger Bambuck. Oder ein Einwanderersohn konnte auf dem für einige Anführer von SOS Racisme reservierten Karriereticket ins Europaparlament einziehen wie der damalige SOS-Sprecher und heutige sozialliberale Europaabgeordnete Harlem Désir. Aber Justiz- oder Innenminister? Gott bewahre! Das würden die Wähler uns doch nicht verzeihen...

"Die Sozialdemokratie hat vielleicht davon geträumt, Sarkozy hat es getan", um einen französischen Ausdruck abzuwandeln. Dass es dem rechten Politiker Sarkozy heute leichter fällt, Einwanderersöhne und -töchter in aussichtsreiche politische Positionen zu befördern, als die Sozialdemokraten es damals vermochten, hat freilich seine Gründe. Denn bei den Linksparteien (der Sozialistischen und der, zur Zeit Mitterrands noch einflussreichen, Kommunistischen Partei) schwang bei der Forderung nach Gleichberechtigung von Einwanderern immer auch die "soziale Frage" mit. Denn Zuwanderer wurden, vor allem während der Jahre des Wirtschaftsbooms - den in Frankreich so genannten "Trente Glorieuses" oder "Glorreichen 30 Jahren" nach dem Zweiten Weltkrieg und bis zur ersten Ölkrise 1973/74 -, vor allem auf den unteren Rängen in die gesellschaftliche Arbeitsteilung eingegliedert. Sie verrichteten (manuelle) Arbeiten, die den Franzosen oft nicht mehr zuzumuten waren, und erlaubten so auch manchen französischen Arbeiterkindern den Aufstieg in Facharbeiterpositionen oder den Weg an die Hochschule. Daraus resultierte eine soziale Position, aufgrund derer Einwanderer - wenn sie ihre Benachteiligung thematisierten - in aller Regel auch soziale Forderungen erhoben.

Nicht so jedoch bei der politischen Rechten. Denn dort wird die Integration von Einwandererkindern als Frucht individueller Leistungen, als Lob für besonders "verdienstvolle" Individuen aufgefasst. Das typische Beispiel für Sarkozys "Integrations-" und "Diversitätspolitik" in den vergangenen Jahren ist sein Spiel mit der Ernennung von Präfekten - hohen Beamten, die jeweils den Zentralstaat in einem französischen Département (Verwaltungsbezirk) vertreten - aus jeweils einer bestimmten Minderheit. Im Jahr 2004 tobte die Debatte um das Kopftuchverbot für moslemische Schülerinnen in öffentlichen Lernanstalten? Sarkozy (der die Verbotsdebatte nicht angesto b en hatte, sondern Chiracs Verbotsinitiative eher kritisch bis reserviert gegenüberstand) machte "der moslemischen Community" ein Angebot, indem er im März 2004 einen von ihm so genannten "moslemischen Präfekten" ernannte, bzw. als Innenminister seine Ernennung dem damaligen Präsidenten Chirac vorschlug. Es handelte sich um Aïssa Dermouche, einen Sohn kabylischer - also berberisch-algerischer - Einwanderer, der bis dahin eine höhere Handelsschule in Nantes leitete und nun von Sarkozy zum Präfekten im französischen Jura ernannt wurde. Der Mann war freilich nicht aufgrund seiner unterstellten Religionszugehörigkeit, die er selbst nie in den Vordergrund rückte, für die höhere Beamtenlaufbahn ernannt worden. Sondern schlicht, weil er die Fähigkeiten dazu aufwies. Nach der von Sarkozy ausgelösten Debatte über den "moslemischen Präfekten" musste Dermouche im Frühjahr 2004 drei mutmaßlich rassistisch motivierte Brandanschläge auf sein Wohnhaus über sich ergehen lassen.

In jüngster Zeit nun hat Sarkozy sein Spiel wiederholt: Kaum war Barack Obama am 5. November 2008 von der US-Stimmbevölkerung ins Amt gewählt worden, kündigte Sarkozy - nun als Präsident - in den ersten 48 Stunden die Ernennung seines ersten "schwarzen Präfekten" an. Am 12. November setzte er dann Pierre N'Gahane, der vor rund 20 Jahren als junger Student aus Kamerun nach Frankreich kam, dort dauerhaft blieb und die französische Staatsbürgerschaft erwarb, als Prâfekten in den Hochalpen ein. (Vgl. http://tf1.lci.fr/infos/france/politique/0,,4154608,00-nouveau-prefet-.html externer Link) Ihm folgte nun, im Dezember 2008, die Ernennung des ersten Präfekten "mit Migrationshintergrund" im Département Seine-Saint-Denis - das ist dort, wo ein Gutteil der nord- und schwarzafrikanischen Einwanderer des Gro b raums Paris "unter proletarischen Verhältnissen" lebt. Neuer Präfekt in der Bezirkshauptstadt Bobigny wurde nun, am 10. Dezember, der aus einer algerischen Immigrantenfamilie stammende Nacer Meddah (vgl. http://www.leparisien.fr/seine-saint-denis-93/un-prefet-issu-de-l-immigration-en-seine-saint-denis-10-12-2008-338095.php externer Link).

Die große Frage ist nun freilich, ob eine solche Ernennung an der Lebenssituation der - überwiegend den sozialen Unterklassen angehörenden - Einwandererfamilien und sonstigen Bewohner in dem Trabantenstadtbezirk real sehr viel ändern wird. Man darf es bezweifeln. Denn dass das konservative Lager ohne sichtbaren Widerwillen Sarkozys "farbenfrohe" Ernennungspolitik hinnimmt, hängt auch damit zusammen, dass selbige vom Aufwerfen der "sozialen Frage" weitgehend entkoppelt ist.

Vielleicht (!) gut gemeint, aber voller Fallstricke: Die Debatte um "ethnische Statistiken"

Lange Zeit ging diese Strategie bei Sarkozy mit einem Plädoyer für die Einführung "ethnischer Statistiken" (statistiques ethniques) einher. Dies bedeutet, dass man mit den Mitteln der Statistik messen soll, wie viele Schwarze, wie viele Arabischstämmige, wie viele "Asiaten" in welchen Sektoren der französischen Gesellschaft arbeiten oder auf Posten rekrutiert werden. Bislang verbietet das französische Recht, das auf dem Anspruch der universalistischen Geltung der "Werte der Republik" - ohne Unterscheidung nach Herkunft - beruht, solche spezifischen Erfassungen.

Zwar ist dieser "republikanische Universalismus" tatsächlich in der Realität weitgehend zur puren Theorie, ja zur Heuchelei geworden - da er vorhandene Ungleichheiten und Diskriminierungen mit dem Anspruch, dass doch alle vor dem Gesetz gleich seien, überdeckt. Allerdings ist auch das Instrument der "ethnischen Statistiken", das angeboten wird, um Abhilfe zu schaffen, mindestens ein ausgesprochen zweischneidiges Schwert. Denn die Erfassung herkunftsbezogener oder gar "rassischer" Merkmale durch die amtlichen oder von Unternehmen erstellten Statistiken kann - je nach Fragestellung, die an die statistischen Messinstrumente oder die von ihnen gelieferten Daten gerichtet wird - sehr unterschiedlichen Zwecken dienen.

Auch Lobbyorganisationen einzelner Bevölkerungsgruppen, etwa die Schwarzenorganisation CRAN (eine Art Zentralrat der Schwarzen-Verbände), erheben ihrerseits explizit die Forderung nach solchen herkunftsbezogenen statistischen Erfassungen. Denn dem CRAN geht es darum, die Herausbildung einer schwarzen Elite zu fördern, und zeigt sich daher darum besorgt, zu wissen, wie viele Menschen schwarzer Hautfarbe sich unter den Psychiatern, den Direktoren von Firmen oder den leitenden Angestellten eines Medienunternehmens befinden. Aber wie brisant das Vorhaben unter anderen Aspekten ist, wird dadurch deutlich, dass Sarkozy sich im Februar 2006 dafür ausgesprochen hat, eine Erfassung nach "ethnischer Herkunft" auch unter Strafgefangenen in französischen Haftanstalten zu erheben. Würde dies erfolgen, so bestünden nur geringe Zweifel daran, dass ein überproportional hoher Anteil an Insassen, die aus Einwandererfamilien stammen, festgestellt würde. Nur stellt sich die Frage, woran dies liegt - ob es mit einer stärkeren "natürlichen Kriminalitätsneigung" bestimmter Gruppen zusammenhängt oder aber mit der sozialen Situation dieser Gruppen, der Position vieler ihrer Mitglieder am unteren Rand der französischen Gesellschaft, respektive einem "strukturell angespannten" Verhältnis zur französischen Polizei. Die "ethnische Statistik" vermag nur eine Momentaufnahme "in Farbe" zu liefern, also die nach "ethnischer Zugehörigkeit" aufgeschlüsselte Verteilung von Positionen zu beschreiben. Aber sie vermag keine Erklärung für gesellschaftlich bedingte Ungleichheiten zu liefern. Insofern droht sie unter Umständen sogar eher noch, bestehende Clichés (Klischees) zu befördern, statt zu helfen, sie aufzubrechen. Aus diesen Gründen sind antirassistische Organisationen ausgesprochen skeptisch gegenüber dem Instrument, dem Nicolas Sarkozy seit Jahren zum Durchbruch verhelfen möchte und das zu fördern er bestrebt ist. (Vgl. www. mrap .fr/juiridique/au%20sujet%20des%20 statistiques %20 ethniques.rtf externer Link)

Das französische Verfassungsgericht hat in einer Grundsatzentscheidung vom 15. November 2007 die Durchführung "ethnisch" ausgerichteter Datenerhebungen, als Versto b gegen den Gleichheitsgrundsatz der französischen Verfassung, verboten. Was freilich das Problem, dass die gesellschaftliche Wirklichkeit eher von Ungleichheiten geprägt ist, auch noch nicht löst. Nicolas Sarkozy seinerseits hat erklärt, er wolle sich nicht an dieses Verbot halten, im Namen einer Politik "aktiver positiver Diskriminierung" zugunsten von Minderheiten. Auch wenn Letztere weitaus eher den Versuch beinhaltet, innerhalb jeder herkunftsbezogenen "Minderheit" eine eigene Elite herauszukristallisieren, die dann ihre je eigene Lobby bilden soll - und die "soziale Frage" tunlichst dahinter verschwinden zu lassen. - Am gestrigen Donnerstag (22. Januar 09) hat der seit Dezember 2008 amtierende, durch Sarkozy frisch ernannte "Diversitäts-Beauftragte" Yazid Sabeg sich nunmehr seinerseits explizit für die Einführung "ethnischer Statistiken" ausgesprochen. Diese seien ein notwendiges Instrument bei der Diskriminierungsbekämpfung: "Wir wissen nicht, wovon wir sprechen. Die öffentliche Debatte wird nicht genügend (Anm.: gemeint ist: mit Fakten) gespeist." Yazid Sebag präzisierte, "negative Statistiken mit ethnisch-rassischem Hintergrund", er meinte wohl etwa polizeiliche Kriminalitätsstatistiken, gebe es ohnehin, er aber wolle "positive Statistiken" erstellen. Er stellte fest, "in dieser seit Jahren eröffneten Debatte" habe man "es bisher nicht geschafft, konsensfähige Wege zu beschreiten/finden." Und er fügte hinzu: "Ich werde versuchen, mich persönlich diesbezüglich an die Arbeit zu machen." (Vgl. http://fr.news.yahoo.com/2/20090121/tpl-population-et-diversite-yazid-sabeg-ee974b3.html externer Link) Diese Debatte, rund um die "ethnischen Statistiken", wird also wohl früher oder später erneut aufflammen.

Vor einem solchen Herangehen hatten unterdessen Beobachter des Öfteren tunlichst gewarnt - und nicht nur die blinden Verteidiger eines vermeintlich universalistischen, aber reale Diskriminierungen ausblenden, "republikanischen Staatsgedankens" wie die Anhänger des Linksnationalisten Jean-Pierre Chevènement. So untersuchte Philippe Bernard, Außenpolitik-Redakteuer der liberalen Pariser Abendzeitung ,Le Monde' und Kenner vergangener französischen Debatten zur Einwanderungspolitik, in der Ausgabe vom 20. November 2008 ,Die Fallstricke der französischen Obamia'. Darin spitzt er seine Aussage leicht darauf zu, dass er einen Unterschied in der symbolischen Repräsentation Barack Obamas diesseits und jenseits des Atlantiks herausstreicht: "Diese Hinweise (Anm.: durch Yazid Sabeg auf die <ungarische> Herkunft des französischen Präsidenten Sarkozy, um auch ihn als <Sohn der Einwanderung> zu präsentieren) stellen nicht nur eine wenig republikanische Manipulation des Begriffs ,Minderheit' dar und stellen plötzlich irgendeine ,Abstammung' zur Schau. Sie beziehen sich auch auf eine amerikanische Realität, die längst überholt ist. Die Amerikaner haben den talentreichsten und den glaubwürdigsten Kandidaten gewählt, trotz, und nicht aufgrund, seiner Hautfarbe. (...) Abgesehen davon, dass die Familiengeschichte Obamas sich nicht auf den Sklavenhandel und auch nicht auf den Kolonialismus bezieht, sondern auf die moderne afrikanische Einwanderung".

Diese Einteilung ist zwar ziemlich holzschnittartig und auch nicht völlig zutreffend. Zwar stimmt es, dass der aus Kenya kommende Vater Obamas nicht die Geschichte des Großteils der US-amerikanischen Schwarzen - über Sklaverei und Jahrhundert lange Segregation in den Südstaaten - repräsentiert, sondern eher eine moderne, individuelle und freiwillige Migration im Zeichen eines ,American Dream' (oder einer modernen Abwandlung davon). Dennoch steht Obamas familiärer Hintergrund natürlich AUCH für die Geschichte der typischen US-amerikanischen Black minority, da seine Ehefrau Michelle Obama aus einer genuin afro-amerikanischen Familientradition kommt. Und die Wünsche seiner Wähler/innen, jedenfalls der Schwarzen und der Minderheiten-Angehörigen unter ihnen, hängen und hingen selbstverständlich AUCH mit Obamas Hautfarbe zusammen: Nicht in dem Sinne, dass sie selbst ein "rassistisches" Votum abgegeben hätten (wie nun Rechte und wei b e Rassisten unablässig jammern). Wohl aber in dem Sinne, dass durch Obamas Wahl die uralte "Rassenschranke" endlich eingerissen werden sollte. Um dafür zu sorgen, dass es in Zukunft - in der Ära Obama - endlich wirklich egal sein wird, welche Hautfarbe ein Kandidat hat, um ihn nach seinen Taten beurteilen zu lassen.

Diesen Anlauf benutzt Philippe Bernard nun aber, um zu einer richtigen Schlussfolgerung zu kommen: "Es erscheint zumindest paradox, dass Frankreich die Debatte um den Zugang von Personen mit Immigrationshintergrund zu verantwortlichen Positionen just in dem Moment wieder eröffnet, wo der neue amerikanische Präsident - in seiner Analyse der Brüche, die durch die US-Gesellschaft gehen - die sozialen Faktoren über die ,rassischen' Variabeln stellt."

Tatsächlich wurde Obama (trotz des oben Ausgeführten über die Bedeutung des Versprechens, endlich die "Rassenschranke" zu überwinden) an vorderster Stelle aufgrund eines "Change"-Versprechens auf ökonomischem und sozialem Gebiet gewählt. Und selbstverständlich stimmte niemand aufgrund des Versprechens einer "rassen"orientierten Politik, das Obama nicht abgab, für ihn. Insofern wäre es tatsächlich paradox gewesen, hätte Frankreich gerade daraufhin den Weg einer stärker ethnisierenden Politik eingeschlagen - anstatt die drängenden sozialen Faktoren, die für eine massive Diskriminierung (auch, aber nicht allein) von Franzosen mit Migrationshintergrund sorgen, anzupacken.

Letzteres fordert auch Philippe Bernard, wenn er darauf hinweist, gerade bestimmte soziale und gesellschaftspolitische Weichenstellungen - die Aufhebung der Wohnortbindung bei den Schulen (carte scolaire), die für eine stärkere Mobilität vor allem der Söhne und Töchter aus begüterten Häusern zu Lasten der ohnehin benachteiligten Schulbezirke sorgen wird, oder die soziale Ghettoisierung mittels der Zuteilung von Wohnraum - hätten massiv diskriminatorische Auswirkungen. Und wenn er fordert, statt einer Politik der "positiven Diskriminierung" auf sog. ethnischer Basis doch lieber "gezielte Maßnahmen zur Förderung von Einwohnern benachteiligter Wohngegenden" (dazu zählen, neben anderen, auch weiße Banlieuebewohner!) zu betreiben.

Als diese Zeilen in der zweiten Novemberhälfte 2008 in ,Le Monde' erschienen, sah es noch stark danach aus, als ob - gemä b dem Willen Nicolas Sarkozys - im Namen der Diskriminierungsbekämpfung in naher Zukunft eine verstärkt "ethnisierende" Politik verfolgt werden würde. Doch dann erfolgte rund vier Wochen später eine wichtige Wende: Ausgebremst durch die Kommission, welche er mit der Erarbeitung von Maßnahmen in seinem Sinne beauftragt hatte, musste Sarkozy die am stärksten "ethnisierenden" Ambitionen ( vorläufig?) ad acta legen. Auch die von ihm nun, kurz vor der Weihnachtspause, konkret vorgelegten Maßnahmen weisen eher in die Richtung einer Bekämpfung von Diskriminierung aufgrund sozialer Faktoren. Yes, we (he) must!

Abschlussbericht der ,Comission Veil': Sarkozys "ethnisierende" Ambitionen abgebremst - oder: Die Rückkehr der sozialen Frage!

Im April 2008 hatte Sarkozy eine Kommission unter dem Vorsitz der früheren Gesundheitsministerin Simone Veil - einer gro b en alten Dame des französischen Liberalismus, die selbst dereinst im Alter von 17 Jahren nach Auschwitz deportiert worden war - eingesetzt. Diese sollte ihm konkrete Vorschläge für die Umsetzung der "positiven Diskriminierung" erarbeiten. Kurz vor der Programmrede des Präsidenten vom 17. Dezember 2008 zur "Diversitätspolitik", die Sarkozy in der Elitehochschule Ecole Polytechnique hielt, wurde ihm nun der Abschlussbericht der Kommission vorgelegt.

Dieser Abschlussbericht entspricht, so stellte die Pariser Abendzeitung Le Monde fest, nicht völlig - oder nicht wirklich - den Erwartungen des Präsidenten. Denn die Kommission war darum bemüht, die Tür für eine spezifische Politik für einzelne "ethnische Gruppen" - die völlig von sozialen Faktoren losgelöst bliebe, und sich vor allem auf die Datenerfassung herkunftsbezogener Elemente stützen würde - zu schließen, und nicht zu öffnen. So wird zwar der Herausbildung einer Bildungselite innerhalb bislang benachteiligter Bevölkerungsgruppen deutlich das Wort gesprochen. Allerdings nicht im Sinne einer Privilegierung eines einzelnen, auf Herkunft ("schwarzer Präfekt") oder gar religiöser Konfessionszugehörigkeit ("moslemischer Präfekt") beruhenden Kriteriums. Vielmehr sollen soziale und wohnortbezogene Kriterien eine Rolle spielen. Es soll also eine Abhilfe für die Diskriminierung aufgrund der Zugehörigkeit zur Einwohnerschaft einer besonders stark sozial benachteiligten und von Bildungsmöglichkeiten abgeschnittenen Zone - etwa in bestimmten Banlieues französischer Ballungszentren - geschaffen werden. "Davon", so Le Monde, "würden nicht nur Hakim und Rachida profitieren", sondern "auch Eric und Isabelle würden nicht vergessen", also die Angehörigen und die Kinder der weißen Unterschicht. Diese lebt tatsächlich in den Banlieues mit den Einwandererkindern sehr vermischt, da es in Frankreich keine reinen "ethnischen" Wohnviertel - wie in den "Ghettos" US-amerikanischer Großstädte - gibt. Soziale Lage und nicht Hautfarbe entscheidet in Frankreich darüber, wer in einem Armutsviertel oder aber an einem schlecht beleumundeten Wohnort, einem "sozialen Brennpunkt" lebt.

Allerdings steckt der Teufel oftmals im Detail. Um eine Elitebildung zu fördern, spricht der Kommissionsbericht - und Sarkozy in seiner Rede an der Ecole Polytechnique - sich für eine Erhöhung des Anteils von Schülerinnen und Schülern mit Stipendien in den "Vorbereitungsklassen", die nach dem Abitur für Elitehochschulen wie Polytechnique und ENA qualifizieren, aus. Dadurch, dass künftig mindestens 30 Prozent der Absolventen dieser qualifizierenden ,Classes préparatoires' mit Stipendien ausgestattet sein sollen, soll auch den Sprösslingen von finanziell weniger begüterten Elternhäusern die Tür offen gehalten werden. Und spezielle "Förderinternate" sollen es Schülern aus weit vom Stadtzentrum entfernten Banlieues ermöglichen, in den Kernstädten über eine Unterkunft zu verfügen und an den dortigen Bildungseinrichtungen zu studieren.

Es ist im positiven Sinne bemerkenswert, dass das zuvor dominierende "ethnische" Kriterium nun zugunsten einer Berücksichtigung der sozialen Benachteiligung - die Kinder aus Einwandererfamilien, aber auch aus französischen Unterklassenfamilien in den Banlieues trifft - aufgebrochen worden ist.

Dennoch ist auch der Prozess, der dadurch angefacht würde, nicht ohne Risiken. Der Politologe Patrick Weil etwa ist (in einem Interview mit der Pariser Abendzeitung ,Le Monde', die den Migrationsexperten in jüngerer Zeit des Öfteren zu Wort kommen lässt) der Auffassung, auch wenn das Vorhaben grundsätzlich begrüßenswert sei - so bestünde doch die Gefahr, dass durch die geplante Entfernung der "besten schulischen Elemente" aus den Banlieues die dort vorhandenen Bildungseinrichtungen mit ihren verbleibenden Schülern erst recht abgeschrieben würden. Dieser Hinweis auf eine real drohende Gefahr ist sicherlich richtig; er weist auf ein Risiko hin, das sicherlich mit jeder Form von Elitebildung (ohne Rückbindung an eine Verbesserung der Situation auch jener, die im "Sozialghetto" verbleiben - müssen) einhergeht.

Auf Dauer wird es sicherlich keine wirksame Diskriminierungsbekämpfung geben, wenn die "soziale Frage" als solche nicht aufgeworfen werden soll.

Artikel von Bernard Schmid vom 23.1.09


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