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Updated: 18.12.2012 15:51 |
"Mittelmeergipfel" in Paris, Nicolas Sarkozys "Eur-Afrique" und der französische Neokolonialismus in Afrika: Den Zusammenhang herstellen und über das Tagesgeschehen hinaus denken. Der Pate ging, die Diktatoren und Monarchen kamen: In Paris drückten sich die als "nicht unbedingt empfehlungswürdig", ja als anrüchig geltenden Staatsoberhäupter in den letzten Tagen vor dem französischen Nationalfeiertag - an diesem Montag - beinahe die Klinke in die Hand. Und wenn der 14. Juli auch, als Jahrestag des Sturms auf die Bastille, für eine gelungene (bürgerliche) Revolution steht, so glich die französische Hauptstadt in den letzten Stunden doch eher einem Jahrmarkt der Autokraten. Zu ihrer genaueren Identität, siehe unten Ausführlicheres... Obwohl Frankreich seinen traditionellen Großmachtstatus - der eng mit seiner Position als Kolonialmacht zusammen hing - längst eingebüßt hat, hält seine Regierung an Ambitionen auf ein imperial wirkendes Auftreten fest. Eine wichtige Stütze sind ihm dabei, neben der Verfügung über das Statussymbol Atomwaffe, seine privilegierten Sonderbeziehungen zu "befreundeten" Regimes insbesondere auf dem afrikanischen Kontinent. Bei wichtigen Abstimmungen in der UN-Vollversammlung kann Paris noch immer darauf bauen, dass sich zwei Dutzend Hände afrikanischer Botschafter zeitgleich mit jener seines eigenen UN-Vertreters heben. Diese Connections hätte man früher einmal als "Exklusivbeziehungen" bezeichnen können, doch sind diese Zeiten mittlerweile vorüber: Die "Volksrepublik" China bricht, in ihrem Heißhunger nach Rohstoffen für ihre rasch wachsenden Industrien, zunehmend in diesen (post)kolonialen Hinterhof ein. "Rasend schnell", wie französische Kommentaren manchmal fasziniert, oft aber voller Befürchtung raunen. Vor kurzem (Mitte Mai 2008) widmeten zwei Autoren - Michel Beuret und Serge Michel - sogar ein eigenes Buch, erschienen unter dem Titel La Chinafrique , dem Auftreten der Chinesen in Afrika. Der Titel ist eine Anspielung auf La Françafrique , wie man - in den letzte Jahren zunehmend - die halbmafiösen Netzwerke bezeichnet, mit denen Paris seinen politischen und ökonomischen Einfluss auf dem Kontinent zu wahren sucht. Konkurrent China. Oder: Vom neuen Kalten (Wirtschafts-)Krieg in Afrika China bietet nicht nur den dortigen Konsumenten billigere Waren als jene, die aus den europäischen Werkstätten kommen - und sorgt so dafür, dass sich etwa die Bewohner von Mali erstmals en masse kleine Motorräder leisten können, weil nämlich jene chinesischer Bauart nur rund ein Viertel so viel kosten wie die anderen, unerschwinglich bleibenden, aus europäischer Fabrikation. Die Chinesen bieten auch den einheimischen Potentaten günstigere Konditionen, um ihre Prestigebauten zu errichten oder auch Straßen zu bauen bzw. zu reparieren. Dadurch wiederum machen die Regimes sich bei ihren Bevölkerungen wieder etwas beliebter, denn in Großstädten wie dem kamerunischen Douala ist man doch sehr erleichtert, wenn der Verkehr endlich normalflüssig rollt. Bis dahin war die Ausbesserung des dortigen Straßennetzes den Einwohnern tausend mal versprochen worden - und tausend mal war nichts passiert, weil die dafür eingeplanten Gelder in den tiefen, tiefen Netzen der Korruption versanken. Die chinesischen Firmen rücken auch gleich mit ihren eigenen Arbeitskräften an, um die notwendigen Tätigkeiten zu verrichten, von Algier bis ins angolanische Luanda. Deren irrsinniger Arbeitsrhythmus - zehnstündige Schichten im ständigen Wechsel, mit Schlafen in Containern auf der Baustelle - verängstigt die Einheimischen, fasziniert sie aber zugleich ob der ungekannten "Effizienz". Angesichts dieser Offensive, die selbstverständlich nicht aus Menschenfreundlichkeit, sondern aus Geschäftsinteresse resultiert, müssen die Franzosen sich in ihrem langjährigen "Hinterhof" tatsächlich ernsthafte Sorgen machen. Erstmals scheint ihre Rolle dort ernsthaft gefährdet, zumal auch die US-Amerikaner seit den neunziger Jahren dort wachsende Ambitionen geltend machen. Daher resultiert die Versuchung, bestimmte Formen traditioneller Kontrolle über Afrika aufzugeben, um zu subtileren Mitteln und Methoden zu greifen. Zu den Erstgenannten gehören, klassischer Weise, die Unterstützung einheimischer Autokraten - sofern sie nur bewiesen haben, dass sie über genügend Sitzfleisch verfügen und ein offenes Ohr für die Anliegen "der Metropole" haben - plus, wenn einmal etwas anbrennt, die Entsendung der französischen Armee. Ähnlich wie auf anderen Gebieten, proklamierte der im Mai 2007 zum Präsidenten gewählte Nicolas Sarkozy auch in diesem Bereich, er verkörpere la rupture ("den Bruch", mit früheren Praktiken). Obwohl jedoch tatsächlich ein paar Veränderungen erfolgten, sollte man diesen Anspruch jedoch auf keinen Fall zu wörtlich nehmen. Was den Einsatz der französischen Armee - um "Unruheherde" auszutreten oder bedrohte "nationale Interessen" zu verteidigen - betrifft, so kann von einem Verzicht auf ihn ernsthaft keine Rede sein. Zuletzt feuerte die französische Luftwaffe Ende Juni dieses Jahres mit Drohnen, unbemannten Flugzeugen, auf Rebellentrupps im Osten des Tschad. Und Mitte Mai hatte Sarkozy am Pariser Invalidendom eine offizielle Feier veranstaltet, um in einer triumphalen Ansprache "das" Symbol des französischen neokolonialen Militarismus zu grüßen: Es war der 30. Jahrestag des berüchtigten Einsatzes von Fallschirmjägern der französischen Fremdenlegion gegen Rebellen in Kolwezi, im damaligen Zaire, heute im Süden der Demokratischen Republik Kongo gelegen. Und das ist noch nicht alles. Denn am heutigen 14. Juli gibt es eine Premiere: Erstmals kommen Fallschirmjäger mitten in Paris zum Einsatz, und sieben von ihnen werden auf den Champs-Elysées zu Füßen der Präsidententribüne landen. Organisator des Spektakels ist der General Bruno Dary. Er war "damals", in Kolwezi, dabei. Und die Ankündigung präzisiert, der Absprung solle "unter denselben Bedingungen" - technischer Art - erfolgen. Der französische Neokolonialismus inszeniert und feiert sich selbst. Nur die Beflaggung hat sich verändert. Denn dieses Mal sollen die Fallschirmspringer drei Fahnen mit sich führen: die französische, die der EU und jene der UN. Dennoch gilt es, bestimmte Veränderungen festzustellen - und ein Teil der französischen Militärs werden sie Präsident Sarkozy nicht so schnell verzeihen. Denn das neue "Weißbuch der Verteidigung", das der Staatschef am 17. Juni vor dreitausend Offizieren präsentierte, sieht unter anderem die Schließung einer französischen Militärbasis in Afrika vor. Das Land unterhält derzeit ein halbes Dutzend Militärstützpunkte auf dem Kontinent, darunter drei große Basen: in Dakar (Senegal), Libreville (Gabun) und Djibouti. Insgesamt stehen 9.000 französische Soldaten in Afrika, von 11.000 weltweit entsandten. Die neue nationale Militärdoktrin sieht nun nicht etwa vor, abzurüsten und eine defensivere Strategie zu fahren, wohl aber eine Umschichtung der aufgewendeten Mittel. Der Rüstungshaushalt soll nicht verkleinert, sondern umgeschichtet werden: Insgesamt soll die Truppenstärke um 16 Prozent, das entspricht 54.000 Mann, abgebaut werden. Aber die dadurch wegfallenden Soldzahlungen sollen eingespart, sondern in die Materialbeschaffung investiert werden, denn die Rüstungsausgaben sollen bei einer Gesamthöhe von 377 Milliarden Euro gleich bleiben. Das Ganze geht also in Richtung einer hochtechnisierten, aus Spezialisten bestehenden Interventionsarmee. Die Zahl der innerhalb von sechs Monaten zu Auslandseinsätzen abstellbarer Soldaten soll auf 30.000 hochgeschraubt werden. So werden Interventionen vom eigenen Staatsgebiet aus favorisiert. Denn gleichzeitig möchte die politische Führung Frankreichs nicht länger, dass ihre Armee dafür herhält, "die Leibgarde für bedrohte Autokraten abzugeben". Mit ihren Interessen möchte Frankreich sich nur noch bedingt, und nicht mehr unter allen Umständen, identifizieren lassen. Auch an diesem zweiten Standbein der bisherigen französischen Afrikapolitik wird also herumreformiert, ohne aber wirklich tiefe Einschnitte vornehmen zu wollen - Operieren und Herumflicken ist in Ordnung, aber von Amputation war keine Rede! Neoliberale Anforderungen bezüglich ,Good governance' versus Stützen auf vertraute Gorillaregimes Ein Hauptgrund für den - begrenzten - Veränderungsdrang ist, dass man in offiziellen Kreisen zu der Auffassung kam, die von altansässigen Potentaten und ihrer Klientel durch Korruption und Misswirtschaft abgezweigten Gelder seien "verlorenes Geld". Sofern man neoliberale Kriterien der Good governance , also auch der effizienten Verwendung aller eingesetzten finanziellen Mittel, zugrunde legt, tun sich da tatsächlich gigantische Einsparpotenziale auf. Unter einer Bedingung freilich: Dass man über eine Alternative verfügt, die die von den Rohstoffen der betroffenen Länder profitierenden Staaten auch nicht "teurer" zu stehen kommt. Die Kehrseite der Medaille ultra-korrupter Regime besteht bekanntlich darin, dass eine Reihe sozialer Bedürfnisse unbefriedigt und Teile der Bevölkerung, die sich nicht Zutritt zum Kreis der Begünstigten verschaffen können, unterversorgt bleiben. Aber falls nun eine Oppositionskraft einen Machtwechsel herbeiführen und dabei nicht nur die Netzwerke kappen, sondern zugleich auch eine volle Bedürfnisbefriedigung für die Bevölkerungen auf ihre Fahnen schreiben würde, käme die Operation am Ende für die Großmächte "teurer". Müssten sie doch in einem solchen Falle, aller Wahrscheinlichkeit nach, höhere - und das heißt oft: nicht ganz so unanständige - Preise für die Rohstoffe oder Agrarprodukte vieler afrikanischer Länder zahlen. Einer, der die Dinge zu wörtlich nahm und dabei nur eine Seite der Medaille sehen wollte, war der frühere französische "Kooperationsminister" - der Job hieß einstmals "Kolonialminister" - Jean-Marie Bockel. Bockel, Bürgermeister im elsässischen Mulhouse, ist ein ehemaliger rechter Sozialdemokrat, der im vergangenen Jahr zu Sarkozys Konservativen überlief. Im Januar hatte er bei der Verkündung seiner Neujahrsgrüße an die Presse etwas großspurig verkündet, er sei dabei, "die Sterbeurkunde der Françafrique " zu unterzeichnen, und er werde dem korrupten Treiben ein Ende bereiten. Konkret zitierte er die Präsidenten bestimmter "Ölstaaten", die es trotz sprudelnder Petrodollar "nicht schaffen, sich zu entwickeln". Die hauptsächlich Angesprochenen verstanden den Wink sehr wohl. Die drei Präsidenten, denen Bockels Kritik galt, sitzen in Yaoundé (Kamerun), Libreville (Gabun) und in Kongos Hauptstadt Brazzaville. Nun zur Auflösung unseres Rätsels: Wer ist der "Pate"? Und hier kommt er nun ins Spiel: der "Pate". Der Pate der Françafrique , das ist Gabuns Präsident Omar Bongo Ondimba, der seit Januar 1967 und damit seit schlappen 41 Jährchen die Geschicke der bevölkerungsarmen Erdölrepublik lenkt. Das dienstälteste Staatsoberhaupt ganz Afrikas, gegen den der - im Westen, aus anderen Gründen, verhasste - Robert Mugabe ein wahrer Waisenknabe ist. Omar Bongo forderte Bockels Rauswurf aus dem Amt - und erhielt ihn. Bei der Regierungsumbildung im März, nach den französischen Kommunal- und Bezirksparlamentswahlen, verlor Jean-Marie Bockel sein Ministerium und wurde zum Staatssekretärin für die Veteranen der beiden Weltkriege zurückgestuft. Bongo und sein kongolesischer Staatspräsident Denis Sassou-Ngessou triumphierten offen. Nachfolger des französischen Ministers wurde Alain Joyandet, ein Presseunternehmer aus dem ostfranzösischen Besançon. Und dieser absolvierte seinen allerersten Staatsbesuch am 10. April - im Präsidentenpalast von Omar Bongo, in Libreville. Von der Visite gibt es ein frappierendes Video, das von Journalisten des Senders Canal+ gedreht und auf Youtube veröffentlicht wurde; Vom 1. bis 11. Juli weilte der alternde Potentat nun in Paris, "um die europäische Ratspräsidentschaft meines Freundes Nicolas Sarkozy gebührend zu feiern". Und wohl auch, weil Omar Bongo in der französischen Hauptstadt nicht weniger als 33 Villen besitzt. Im Februar und März hatte es darum vorübergehenden Ärger gegeben, weil eine für Finanzdelikte wie etwa Geldwäsche zuständige französische Polizeieinheit über die Hintergründe ihres Kaufs ermittelte. Anfang März strahlte ein öffentlich-rechtlicher Sender eine ausführliche Reportage darüber aus. Die Pariser Regierung hatte offensichtlich grünes Licht gegeben, oder jedenfalls die Zügel locker gelassen. Damals war einerseits Bockel noch im Amt. Andererseits gab es kurzzeitig einen Konflikt zwischen den beiden Hauptstädten, weil - so suggeriert das Magazin Jeune Afrique - die gabunesische Staatsspitze damals den Chinesen neue Förderkonzessionen für eine Eisenerzmine in Belinga gewähren wollte. In einer Einflusszone, die bis dahin die Franzosen für sich reserviert glaubte. Nun haben sich die Wogen anscheinend geglättet, und Anfang Juli hielt der Pate Hof in Paris. Und dennoch spielt Omar Bongo auch dort eine Rolle, wo es einen Formwandel der französischen Afrikapolitik zu konstatieren gibt. Frankreichs Spiel im Tschad: Pokern mit der Regierungs- und mit der Oppositionskarte Nehmen wir ihre Einflussnahme im Tschad: Dort hat Präsident Idriss Déby seit Monaten immer wieder mit von der sudanesischen Grenze her vorrückenden, und durch dieses Nachbarland unterstützen, Rebellen und ihren Angriffen auf die Hauptstadt N'Djamena zu kämpfen. Anfang Februar, als er kurz davor stand, gestürzt zu werden, rettete Paris ihm noch einmal den Kopf. Zwar mochte die französische Armee dieses Mal nicht offen eingreifen - aber sie transportierte mehrere Tonnen Munition aus Beständen Libyens, unter dem neuen Freund Muammar al-Gaddafi, an die tschadische Armee. Dies ist inzwischen, nach Enthüllungen durch die französische Presse, auch offiziell eingeräumt worden. Das tschadische Regime nutzte die Gelegenheit, um Anfang Februar einige Oppositionspolitiker "verschwinden" zu lassen. Unter ihnen Ibni Oumar Mahamat Saleh, der mutmaßlich tot ist, und Ngarley Yorongar. Letzterer aber tauchte nach drei Wochen wieder auf. Die französische Armee hatte ihm das Leben gerettet - eine Patrouille hatte ihn auf einem Friedhof in N'Djamena aufgegriffen, wohin ihn tschadische Präsidententruppen für eine Hinrichtung oder Scheinrichtung verschleppt hatten. Was in den darauffolgenden Wochen passierte, war folgendes: Yorongar rief niemanden anderen als den gabunesischen Präsidenten Omar Bongo an, um Asyl von ihm zu erbitten - so hat er es später Jeune Afrique erzählt. Er wiederum rief Nicolas Sarkozy auf einer Direktleitung an und traf eine telefonische Vereinbarung mit ihm. Yorongar traf Anfang März in Paris und wurde durch die französische Regierung unter ihren Schutz gestellt. In ersten Interviews und Äußerungen gegenüber der Presse verteidigte Yoronger im Prinzip die Präsenz französischer Truppen im Tschad, forderte allerdings Frankreich zu einer "sauberen militärischen Präsenz in Afrika" auf, die auch in seinem eigenen Interesse liege und seine Glaubwürdigkeit erhöhe. Frankreich solle lieber als überparteiliche Macht in Erscheinung treten, denn als offen parteiliche Unterstützung des gerade amtierenden Diktators auftreten. An diesem Punkt treffen sich also die unterschiedlichen Interessen. Und ein Diktator der "alten Schule" wie Omar Bongo, dem es erlaubt wird, als Satrap Frankreichs auch über manche Vorgänge in den Nachbarländern zu wachen, kann sich aus taktischen Gründen mit einem solchen Opponenten anfreunden. Ebenso wie Frankreich damit leben kann, sollte eines Tages eine solche Opposition - die eine Wahrung seines Einflusses im Falle eines Führungswechsels gewährleisten würde - einen Zipfel der politischen Macht erlangen. Yorongar seinerseits hat die Zeichen erkannt: Er begrüßte schon im Mai 2007 auf seinem Blog die Wahl Nicolas Sarkozys. "Mittelmeerunion" als Sprungbrett für Europa nach Afrika. Aber bitte nicht umgekehrt, liebe Auswanderungskandidaten...! Eine Reihe anderer diktatorisch regierter oder aber gekrönter Staatsoberhäupter trafen, kaum war Omar Bongo aus Paris abgereist, zum Gipfel der am Sonntag neu gegründeten "Mittelmeerunion" ein. Der kleinwüchsige französische Präsident träumte seit längerem davon, durch die Gründung einer solchen Regionalstruktur, deren politisches Gravitationszentrum Paris bilden sollte, an vergangene Größe und Ausstrahlungskraft Frankreichs wieder anknüpfen zu können. Neben der Ost-Orientierung, in Richtung auf die Rohstoffe Russlands und der Ukraine, die vor allem den deutschen Interessen entgegenkommt, sollte in der EU ein zweiter größerer Pol - mit Ausrichtung gen Süden - eingerichtet werden. Dies hat nun der Einspruch rivalisierender Mächte, insbesondere Deutschlands und Spaniens, zum Teil verhindert. Nicolas Sarkozys wurde stark verwässert, und statt um Frankreich - als ökonomisch und politisch stärkstes EU-Land, das eine eigene Mittelmeerküste aufweist - wird das Projekt rund um die Europäische Union als solche aufgebaut sein. Dadurch wird der räumliche Umfang der neuen "Mittelmeerunion" gewaltig vergrößert, bis an die nördlichen Grenzen EU-Europas, aber zugleich nimmt ihre Integrationstiefe erheblich ab. Und sollte die "Mittelmeerunion" ursprünglich ein Ausdruck des politischen "Voluntarismus" nach Gusto Nicolas Sarkozys sein, so wird sie nunmehr nach bürokratischen Brüsseler Regeln funktionieren. Da sie zudem bislang keinen eigenen Haushalt aufweist, dürfte das Ganze also nur äußerst allmählich ins Rollen kommen, und jedenfalls in einer ersten Zeit nur wenige Ergebnisse zeitigen. Trotzdem wird die "Mittelmeerunion" einige wichtige Funktionen erfüllen, und zwar nicht nur für Frankreich, sondern in den Augen der Regierenden auch anderer EU-Staaten. Eine ihrer Hauptaufgaben wird nämlich darin bestehen, gemeinsame Regeln im Mittelmeerraum zum Thema Migration zu entwickeln - die im Wesentlichen darin bestehen werden, einer Elite im Mittelmeerbecken Freizügigkeit zu gewähren, aber für die "Masse" der (unerwünschten) Einwanderer so genannte Rücknahmeregelungen mit den Staaten am Südufer zu vereinbaren. Marokko, Tunesien oder Libyen haben, ganz in diesem Sinne schon in der Vergangenheit bereitwillig den Gendarmen für EU-Europa gespielt - in Libyen etwa wurden schon 1999 acht große Lager mit Zehntausenden darin gefangenen Migranten, die in Europa als unerwünscht galten, identifiziert. Sarkozy hatte seine Idee einer "Mittelmeerunion" in einer Rede am 7. Februar 2007 - die starke koloniale Akzente hatte und zum Gutteil einer Rechtfertigung der französischen Kolonialvergangenheit gewidmet war - in Toulon angekündigt. Dort hatte er sie auch als Kern einer künftigen "EurAfrique" bezeichnet. Offenkundig ist damit aber nicht eine Brücke für die Bevölkerungen beider Kontinente gemeint, sondern eine neue Barriere, die gegen die Menschen im Süden errichtet wird. Die Staaten im Norden hingegen werden auch weiterhin, auf dem afrikanischen Kontinent wie anderswo, schonungslos ihre Interesse verfolgen. Artikel von Bernard Schmid, Paris, vom 14.07.2008 |