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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Armeepersonal wird spürbar reduziert, Arbeitsplätze fallen weg. Eine (ur)alte Frage neu aufgeworfen: Soll man Arbeitsplätze bei Armee und Rüstung gegen ihren drohenden Abbau verteidigen? Die CGT meint anscheinend "Ja"... Vorbemerkung: Eine vom Autor stark gekürzte Fassung des ursprünglichen Manuskripts über die neue französische Militärdoktrin erschien Ende Juni in der ,Jungle World'. Aus aktuellem Anlass hat der Verfasser jedoch die ausführliche Fassung nochmals gründlich überarbeitet Es herrscht Stunk unter den Uniformen. Nicht, weil Frankreichs Soldaten sich nicht oft genug waschen würden (oder nicht vorwiegend aus diesem Grund), sondern weil ihre Gesamtzahl in den nächsten Jahren absehbar sinken wird. Anlässlich der Militärparade am Nationalfeiertag, dem 14. Juli, verliehen manche Militärs ihrem "stillen Protest" durch Schmollen oder durch Buttontragen Ausdruck. Seit gestern darf das Schmollen nun in eine neue Runde gehen. An diesem Donnerstag - 24. Juli - veröffentlichte Premierminister François Fillon nämlich die neue ,Carte militaire'. Das bedeutet: Die neue Landkarte der Kasernen-, Manöver- , Depot- und übrigen Standorte der französischen Armee. Allen Erwartungen in der Sache entsprechend, hat er dabei den Abbau einer Reihe von Standorten und die Schließung mehrer Kasernen verkündete, was insbesondere im (mit Ausnahme des Elsass) ohnehin krisengeschüttelten Ostfrankreich zum Verlust zahlreicher zusätzlicher Arbeitsplätze führen wird. Aber in Zeiten eines auf Spezialistentum basierenden, auf High-Tech gedrillten "modernen Armeewesens", das zu weltweiten "Kriseneinsätzen" zur Verfügung stehen soll, benötigt man einfach nicht mehr so viel Mann wie dereinst - als die europäischen Armeen noch überwiegend auf einem stehenden Heer basierend und Ostfrankreich aufgrund der Nähe zur deutschen Grenze strategisch wichtig war. Pech für die Verlierer bei dieser "Modernisierungs"operation. (Erinnern wir daran, dass die große Umgestaltung der französischen Armee schon vor längerem begonnen hat: Zu Ende des Jahres 1995/Anfang 1996 verkündete der damalige Präsident Jacques Chirac, parallel zur Wieder-Annäherung Frankreichs an die NATO - dazu am Schluss dieses Artikels Ausführlicheres -, die Umwandlung der französischen Truppe in eine Berufsarmee. Seitdem der letzte Jahrgang von Wehrpflichtigen 2001 den Dienst quittierte, besteht diese Armee tatsächlich nur noch aus Berufssoldaten, die sich für eine mehrjährige Laufbahn verpflichtet. Dieses war der erste Streich, und der zweite folgt - jetzt...) Reaktionen der CGT. Oder: Soll man wirklich um jeden Arbeitsplatz - inklusive den aktuellen Zielen der Arbeit - kämpfen? Auch die CGT bemängelt in einer ersten Reaktion, Frankreichs "nationales Verteidigungsinstrument" werde durch die neuen Pläne "zerstört". Zwar kritisiert der Gewerkschaftsbund auch die Tendenzen hin zur verstärkt weltweit aktiven Interventionsarmee. Gleichzeitig macht sie sich aber auch für den Erhalt "bedrohter" Truppenstandorte sowie der Armee zuarbeitender Versorgungs- und anderer Betriebe stark. Dahinter steht vor allem die sehr materielle Sorge um den Verlust von Arbeitsplätzen. Gleichzeitig aber enthält die Kritik eine ausgesprochen unangenehme ideologische Begleitmusik: "Landesverteidigung" müsse vor der Anpassung an NATO-, vulgo ausländische, Interessen gehen. Letzterer Vorwurf ist sehr real (dazu unten mehr), aber die positive Affirmation der "Landesverteidigung" als Alternative dazu - muss das wirklich sein? Anders sehen dies unterdessen, zum Glück, manche französische Linke. Ein Artikel in ,Rouge' (der Zeitung der undogmatisch-trotzkistischen LCR) zu Sarkozys Militärplänen schlug Ende Juni etwa vor, man müsse sehr wohl die Dimension "Vernichtung von Arbeitsplätzen", besonders in bereits von Desindustrialisierung betroffenen und krisengeschüttelten Regionen, im Zuge der Kasernen-Stilllegungen berücksichtigen und in den eigenen Kampf einbeziehen. ABER nicht durch blinde Verteidigung der bisherigen Militärstandort als solche, sondern viel eher - alternativ dazu - durch ein Eintreten für den Aufbau und Ausbau öffentlicher und sozialer Dienste an den betroffenen Orten, für ein Reinvestitionsprogramm zugunsten von Schulen, Kindergärten, zur Wiedereröffnung von geschlossenen (weil angeblich "nicht rentablen") Postämtern... So ginge es also auch, liebe CGT... "Surcouf" mosert an der neuen Militärpolitik herum Und Solches passiert auch nicht alle Tage: Ein Kollektiv anonym bleibender Generäle meutert gegen die Regierung, und publiziert ihre Kritik an deren Militärpolitik unter einem Gruppennamen in einer großen Tageszeitung. Am Donnerstag, den 19. Juni erschien im Pariser Figaro eine Abrechnung mit der neuen rüstungspolitischen Doktrin, die Präsident Nicolas Sarkozy zwei Tage zuvor mit der Veröffentlichung des neuen "Weißbuchs der Verteidigung" ( Livre blanc de la défense ) vor 3.000 Militärs in den Pariser Messehallen offiziell verkündet hatte. Die Autoren der ausführlichen Kritik ( vgl. dazu Le Figaro ) sind hochrangige Offiziere der Landstreitkräfte sowie Drei-Sterne-Generäle der französischen Armee. Ihre Namen sind nicht bekannt. Der militärische Abschirmdienst DPSD, ein armeeeigener Nachrichtendienst, versucht nunmehr, die Urheber des Artikels in der konservativen Tageszeitung zu identifizieren. Ihnen wird vorgeworfen, ihre "Neutralitätspflicht" und "Pflicht zur Zurückhaltung" mit politischen Äußerungen, die mit ihrer Funktion verbunden sei, verletzt zu haben. In diesem Sinne hatten sich zuvor bereits Verteidigungsminister Hervé Morin und Präsident Sarkozy geäußert. Mutmaßlich müssen die Militärs, sofern ihre Identität denn festgestellt werden kann, mit dienstrechtlichen Konsequenzen und Sanktionen rechnen. Ihren Gastbeitrag für Le Figaro hatten sie unter dem Kollektivpseudonym "Surcouf" veröffentlicht - einen Namen, den vor 200 Jahren der berühmte französische Freibeuter Robert Surcouf trug (und der später, by the way, auch einem bekannten Informatiksupermarkt in Paris gegeben wurde). Aufhänger ihrer Kritik ist unter anderem die geplante Verkleinerung der französischen Armee, die mit ihrer Ausrichtung auf eine hocheffiziente, durchtechnisierte, aus Spezialisten bestehende Interventionstruppe einher geht. Innerhalb von sechs bis sieben Jahren soll sie 54.000 Soldaten weniger aufweisen, das bedeutet einen Abbau um 16 Prozent der Gesamtstärke. Die Marine wäre, mit elf Prozent Rückgang ihrer Truppenstärke, weniger betroffen als die Landstreitkräfte mit 17 Prozent Rückgang und die Luftwaffe mit 24 Prozent. Dadurch spart die Armee an Soldzahlungen. Aber gleichzeitig sollen die Rüstungsausgaben von 377 Milliarden Euro auf mindestens gleicher Höhe beibehalten oder gar erhöht, und die (durch Personaleinsparung) freiwerdenden Mittel für zusätzliche Materialausgaben bei Rüstungsgütern aufgewendet werden. Ein Umbau, der nicht vorrangig durch Sparpolitik zu erklären ist Die geplante Truppenverringerung findet zwar im Rahmen der so genannten "Allgemeinen Revision der Politik der öffentlichen Hand" (RGPP) statt, die Bestandteil von Sarkozys Programm ist und alle Abteilungen des Staates nach betriebswirtschaftlichen Kriterien durchorganisieren soll. Ihr Ziel ist eine Verringerung der Staatsausgaben bei gleichzeitigem effizienterem Einsatz aller aufgewendeten Mittel, wobei oftmals verschiedene Gliederungen des Staates untereinander oder mit privatwirtschaftlichen Strukturen in Konkurrenz gesetzt werden sollen. Dennoch steht der Umbau der französischen Armee nicht im Zeichen einer generellen Reduzierung der Rüstungsausgaben, denn die Beschaffungskosten sollen vielmehr anwachsen. Es handelt sich also vor allem darum, die Fußtruppen - die in modernen Kriegen und bei Interventionen unnütz sind - un manche überdimensionierten Transportkapazitäten abzubauen und über eine Armee von High-Tech-Spezialisten zu verfügen. 30.000 Mann sollen künftig innerhalb von sechs Monaten für Operationen auf "äußeren Schauplätzen" entsandt werden können. Derzeit sind es weltweit 11.000, größtenteils in Afrika. Auf dem afrikanischen Kontinent möchte das neue "Weißbuch" zukünftig ebenfalls an Truppen sparen, indem eine französische Militärbasis dort geschlossen werden soll. Derzeit verfügt Frankreich dort über drei große Basen, in Dakar, Libreville und Djibouti, sowie ein paar kleinere Standorte. Seit mehreren Jahren wird aber in der französischen Politik darüber debattiert, den dort eingesetzten Aufwand zu verringern, weil dieser sich inzwischen als zum Teil kontraproduktiv erwiesen hat. Out of Africa? Nicht völlig jedenfalls.... Denn im Laufe der Zeit stellte sich heraus, dass französische Truppen zum Teil im Dienste von Interessen eingesetzt wurden, welche die Pariser Regierung nicht oder nicht hauptsächlich als die eigenen betrachtet. Ihre Interventionen dienten nämlich oftmals dazu, bedrohten Diktatoren gegenüber einheimischen Rebellenbewegungen oder Aufständen ihren Kopf zu retten. Dabei hätte Frankreich aber oftmals mit den Rebellen genauso gut ins Geschäft kommen können wie mit den amtierenden Regimes - wie sich in der Praxis etwa 1990 im Tschad erwies, als Paris den bis dahin amtierenden Diktator Hissein Habré fallen und den Rebellenchef Idriss Déby, also den jetzigen Präsidenten, auf die Hauptstadt N'Djamena marschieren ließ. Seit längerem erklärt man in Paris, man sei es also leid, dass die französische Armee die "Leibgarde für bedrohte Potentaten" abgebe. Zumal inzwischen - in Zeiten neoliberaler Effizienzerfordernisse - die Unterhaltung korrupter, aber unfähiger Präsidenten mitsamt ihrer klientelistischen Netzwerke als "zu kostspielig" und "Geldverschwendung" gilt. Wollen doch Letztere nichts von Kriterien der good governance und dem sparsamen Umgang mit Geldern nichts wissen, sondern bezahlen ihre Anhänger im Staatsdienst für Loyalität statt für geleistete Arbeit. Nachdem nun auch traditionell mit Frankreich verbündete Autokraten wie Omar Bongo in Gabun und Denis Sassou-Ngessou in Congo-Brazzaville zunehmend mit chinesischen Unternehmen - die massiv in Afrika tätig werden - ins Geschäft kommen, kühlt die Liebe zu den alternden Diktatoren dann doch bisweilen ab. Das bedeutet keineswegs, dass die neue Pariser Politik sich von ihrem traditionellen post- und neokolonialen "Hinterhof" abwendet. Vielmehr definiert auch das "Weißbuch" ausdrücklich etwa "die afrikanische Westflanke" als Zentrum strategischer Interessen des eigenen Landes. Ansonsten definiert die neue "verteidigungspolitische" Doktrin so genannte "neue Kriegsszenarien". Einige davon wirken auf den ersten Blick überraschend. Dazu gehören terroristische Angriffe, aber auch "massive Informatikattacken", also Spamfluten, die - im Namen des internationalen Wirtschaftskrieges - von ausländischen Mächten unterstützt werden könnte. Auch "große Epidemien", deren Ausbruch "innerhalb von 15 Jahren" durch die Autoren der Doktrin als unvermeidbar deklariert wird, gehören dazu. Nicht zuletzt aber auch "Migrantenströme", die als potenzielle militärische Bedrohung betrachtet werden - und dies insbesondere im Hinblick auf "Überseegebiete" wie Französisch-Guyana, die Antilleninsel Guadeloupe und die zu den Komoren gehörende französische Insel Mayotte. Ihre "Überflutung" mit Zuwanderern aus den benachbarten Ländern und Armutsregionen wird befürchtet. Diese Neuausrichtung der rüstungspolitischen Doktrin entspricht auch den Veränderungen im Inneren des französischen Staatsapparats. Denn dort werden soeben die beiden Inlandsnachrichtendienst, die polizeieigenen "Renseignements Généraux" (RG, die ähnliche Aufgaben erfüllen wie in Deutschland die Verfassungsschutzämter) einerseits und der Spionageabwehrdienst DST andererseits, zu einem neuen Inlandsgeheimdienst miteinander fusioniert. Dies bedeutet aber, eine polizeiliche Logik einerseits - die RG beobachten hauptsächlich Demonstrationen und gesellschaftliche Bewegungen - mit einer militärischen Logik, die auf von fremden Mächten ausgehende "Bedrohungen" ausgerichtet ist, andererseits zu verquicken. Die neue Doktrin schmeckt aber den anonymen Generälen, die nun gegen das "Weißbuch" stänkern, nicht. Denn sie bemängeln, durch den geplanten Truppenabbau werde die Armee kaputt gespart. Während die Rüstungsausgaben weltweit in den letzten Jahren um 45 Prozent angewachsen seien, dürfe Frankreich nicht seinerseits die Zahl der Soldaten reduzieren. Zum Anderen bemängeln die hochrangigen Militärs einen, von ihnen befürchteten, Rückgang aus dem "Hinterhof" Frankreichs in Afrika - und sprechen sich dafür aus, statt seine "militärischen Leistungen" dort zu reduzieren, müsse Frankreich "zwanzig mal stärkere Anstrengungen" auf dem Kontinent unternehmen. Jetzt, wo die USA und vor allem China in die bisherige französische Interessensphären einzubrechen drohten. Annäherung an die NATO Eine verstärkte Annäherung an die NATO findet gleichzeitig ebenfalls statt. Die neue rüstungspolitische Doktrin sieht eine definitive Rückkehr Frankreichs in das militärische Oberkommando des Nordatlantikpakts, das Frankreich 1966 unter Präsident Charles de Gaulle verlassen hatte, für den kommenden NATO-Gipfel vor. Letzterer wird im April 2009 in den deutsch-französischen Grenzstädten Strasbourg und Kehl stattfinden, Gegendemonstrationen sind ebenfalls bereits geplant. (SCHON JETZT FEST IM KALENDER VORMERKEN, GELLE!) Zugleich möchte Frankreich aber seine "autonome" Nuklearstreitmacht behalten, weshalb eine gleichzeitige Einbindung in die Nukleare Planungsgruppe der NATO abgelehnt wird, und drängt auf eine "bessere Aufgabenverteilung zwischen Amerikanern und Europäern" innerhalb des Militärbündnisses. Bernard Schmid, Paris, 25.07.2008 |