letzte Änderung am 11. November 2003

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Parallel zum ESF: Kulturstreik vor Entscheidungspunkt ?

ESF-TeilnehmerInnen aufgepasst: Wer sich in den kommenden Tagen nach Paris, Saint-Denis und Bobigny begibt, wird zufällig auch Zeitzeuge der nächsten Phase des französischen Kulturstreiks. Diese kündigt sich als entscheidende Phase an. An spektakulären Aktionen, bis hin zur Unterbrechung der Abendnachrichten des öffentlichen Fernsehkanals France 2 durch Kulturschaffende am Montag abend, besteht derzeit kein Mangel.

 

Neueröffnung der Verhandlungen - ein abgekartetes Spiel?

Am Donnerstag, 13. November sollen die so genannten Sozialpartner erneut ein Abkommen zur Neuregelung der Sozialansprüche prekär beschäftigter Kulturschaffender (intermittents du spectacle) abschließen. Zwar existierte seit dem 26. Juni dieses Jahres ein neues, sehr regressives Abkommen, das in den Jahren 2004 und 2005 schrittweise in Kraft treten sollte. Aufgrund technisch falscher Passagen, die illegalerweise nachträglich ausgebessert wurden - um ja nur den Deckel auf dem Topfel zu halten und nicht in neue Verhandlungen zu treten - wurde jedoch stark mit einer gerichtlichen Annullierung des Texts gerechnet. Deswegen kam der Kapitalverband MEDEF einem solchen Gerichtsbeschluss, der die Protagonisten des sozialen Rollbacks gegen die intermittents in die Defensive gebracht hätte, durch Neueröffnung der Verhandlungen zuvor.

Allerdings verlautbarte aus Kreisen, die den Rechtsstreit aus nächster Nähe verfolgen, dass die strategische Achse MEDEF -  CFDT sich bereits auf das Vorgehen am Donnerstag geeinigt habe. (Die CFDT, der Gewerkschafts-Dachverband sozialliberaler bis neoliberaler Ausrichtung, ist der entscheidende Partner des MEDEF bei dieser "Reform".) Beide Organisationen wollten auf keinen Fall eine Neueröffnung der Verhandlungen in der Sache selbst zulassen, sondern darauf drängen, einfach das bisher bestehende Abkommen in seiner nachträglich korrigierten Form zur Grundlage zu nehmen. Dadurch sollen die illegal eingeflickten Korrekturen nachträglich doch noch abgesegnet, und der aus ihrer heimlichen Einfügung bestehende Rechtsmangel geheilt werden.

Fraglich ist allerdings, ob die anderen Gewerkschaftsorganisationen, die nach geltendem Recht bei einer Neueröffnung der Verhandlungen ebenfalls geladen werden müssen, dabei mitspielen. Da die Verhandlungen sich im Rahmen der Arbeitslosen-Versicherung UNEDIC abspielen und die CFDT seit langen Jahren die Verwaltung der Arbeitslosenkase führt (die paritätisch besetzten Aufsichtsräte der Sozialkassen werden jeweils durch eine Organisation, mit Zustimmung einer Mehrheit der vertetenen Kapital- und Gewerkschafts-Repräsentanten, verwaltet) wird die Debatte durch die CFDT organisiert. Diese hat, neben dem MEDEF (der weniger Sozialbeiträge für die Unternehmen erreichen will) ein ureigenes Interesse am Abbau der sozialen Rechte der intermittents: "Ihre" Kasse soll betriebswirtschaftlich besser dastehen. Daher ist damit zu rechnen, dass versucht werden wird, die Debatte eilig zu kanalisieren.

Reality TV mal ganz anders

Den Konflikt nicht kanalisiert sehen wollen unterdessen die Hauptbetroffenen selbst, deren Mobilisierung in den letzten Tagen noch mal richtig in Schwung gekommen ist. Für besagten Donnerstag, 13. November rufen die intermittents zu einem Generalstreik des gesamten Kulturbetriebs - Kinos, Theater... - auf. Ferner organisieren sie jetzt auch eine Demonstration, die am Donnerstag um 14 Uhr vor dem UNEDIC-Sitz (bei der Metro-Station Montgallet) beginnen soll.

Der Demotermin steht zwar erst seit kurzem fest, aber mittlerweile ist er in ganz Frankreich bekannt. Dafür sorgte eine spektakuläre Aktion: Am Montagabend gelang es mehrere Dutzend intermittents, in das Fernsehstudios des öffentlichen Kanals France 2 einzudringen und die Abendnachrichten gegen 20.20 Uhr zu unterbrechen (die Tagesschau dauert in Frankreich rund 40 Minuten). Im Gegensatz zum Privatsender TF 1, dessen Sicherheitsdienst am 18. Oktober mit brutaler Gewalt auf "störende" intermittents reagierte, suchte man bei France 2 nach einem Kompromiss. Man stellte den Kulturschaffenden das Sendestudio während der Hauptnachrichten zur Verfügung - "für eine Minute", wie präzisiert wurde, aus der dann in Realität rund zwei Minuten wurden. Tatsächlich räumte Nachrichten-Moderator David Pujadas seinen Platz.

Die intermittents durften ein Kommuniqué verlesen, das von einer sehr ergriffenen jungen Frau vorgetragen wurde - improvisiert genug, um bewegend zu wirken, aber trotzdem sicher genug, um überzeugend zu erscheinen. Am Ende akzeptierten die "Eindringlinge", nach dem vorher mit France 2 vereinbarten Kompromiss, einen friedlichen Abzug nach dem Vorlesen des Papiers - aber nicht ohne, nunmehr frei sprechend, zur Demonstration aufgerufen zu haben.

Vielleicht lässt sich ja ein Vorbeigucken seitens der ESF-TeilnehmerInnen organisieren - nur ein bescheidener Vorschlag....

Bernard Schmid

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