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Updated: 18.12.2012 15:51 |
ABC der Krise "Zuerst war es nur ein Versehen, jetzt wird es allmählich ernst. Anfang November 11 hatte die Kreditrating-Agentur Standard and Poor’s, welche die „Bonität“ - also Kreditwürdigkeit - von Staaten bewertet, Frankreich die berühmte „Bestnote“ Triple AAA in ihren Veröffentlichungen irrtümlich entzogen. Bei bürgerlichen Politikern, für die das „Dreifach-A“ inzwischen zu einem der höchsten Staatsziele geworden zu sein scheint, rief dieser Fehler helle Empörung hervor. Damals ging es noch um einen Ausrutscher im Spiel mit Zahlen und Noten. Doch nun gilt es ernst" - so beginnt der Beitrag "(Auch) Frankreich bekommt die Krise" von Bernard Schmid vom 24. November 2011. (Auch) Frankreich bekommt die Krise Wie reagieren politisches Etablishment und bürgerliche Politikerfratzen auf die Zuspitzung der Kreditprobleme? Zuerst war es nur ein Versehen, jetzt wird es allmählich ernst. Anfang November 11 hatte die Kreditrating-Agentur Standard and Poor's, welche die "Bonität" - also Kreditwürdigkeit - von Staaten bewertet, Frankreich die berühmte "Bestnote" Triple AAA in ihren Veröffentlichungen irrtümlich entzogen. Bei bürgerlichen Politikern, für die das "Dreifach-A" inzwischen zu einem der höchsten Staatsziele geworden zu sein scheint, rief dieser Fehler helle Empörung hervor. Damals ging es noch um einen Ausrutscher im Spiel mit Zahlen und Noten. Doch nun gilt es ernst. Am Montag dieser Woche, den 21. November 11, legte Moody's, eine andere der drei großen internationalen Ratingagenturen, ihrerseits den Finger in die Wunde. Am 18. Oktober 11 schon, also vor circa vier Wochen, hatte sie die Notierung Frankreichs erklärtermaßen "unter Aufsicht" gestellt. An diesem Montag nun machte die Agentur Anstalten, den kalten Liebesentzug wahr zu machen. Unter Hinweis auf die abflauende wirtschaftliche Konjunktur und die zu beobachtende Verteuerung der Kreditaufnahme Frankreichs auf den "Finanzmärkten" ließ Moody's verlautbaren: "Das französische Sozialmodell wird nicht mehr finanzierbar sein", wenn das Wachstum nachlässt. Dies soll bedeuten, dass Renten und Sozialausgaben "zu teuer" seien und nach unten hin angepasst werden müssten, wie in anderen Staaten gleichzeitig auch, um im großen internationalen Konkurrenzkampf weiterhin bestehen zu können. - Inzwischen wurde am gestrigen Mittwoch bekannt, dass die Agenturen Moody's und Fitch Ratings, aber auch die französische Geschäftsbank Natixis nun konkret mit einer Verschlechterung der französischen Note rechnen; vgl. http://fr.reuters.com/article/businessNews/idFRPAE7AM0EJ20111123 Besonders im Vordergrund steht der so genannte Spread, also die Spreizung der Zinsrate bei der Aufnahme von Staatsanleihen, zwischen Frankreich und Deutschland. Denn während man es in Paris ablehnt, sich mit den armen Schluckern in Südeuropa zu vergleichen, möchte die politische Elite sich gar zu gern an Deutschland messen - wobei die Wirtschaftsleistung beider Länder kaum vergleichbar ist. So beträgt der Anteil der Industrie am Bruttoinlandsprodukt nur noch 18 Prozent und liegt damit knapp vor jenem in Großbritannien, wo die Desindustialisierung schon früh unter Margaret Thatcher einsetzt und dieser Anteil heute bei 16 Prozent liegt. In Deutschland als mit Abstand stärkster Exportnation des Kontinents erreicht er noch 31 Prozent. Doch in seiner Fernsehansprache an die Nation vom 27. Oktober 11 himmelte Präsident Nicolas Sarkozy die Leistungen des Klassenbesten - Deutschlands - in penetrantem Tonfall als anspornendes und nachahmenswertes Vorbild an. So sehr, dass die Satiresendung Les Guignols de l'info des Fernsehsenders Canal + sich kurz darauf einen neuen deutschen Einmarsch in Frankreich bildlich ausmalte. Vor dem Hintergrund vergilbter Fotos von Nazisoldaten unter dem Eiffelturm sah man Sarkozy und seinen Premierminister François Fillon, wie sie an der Grenze standen und deutschen Panzern zuwinkten: "Willkommen in Fronkreisch!" Nicht nur in Griechenland erinnern sich Teile der öffentlichen Meinung derzeit intensiv an frühere Stationen deutscher Hegemoniepolitik in Europa. Die regierungsoffizielle Begeisterung für eine Anlehnung an das vermeintliche Erfolgsmodell Deutschland hilft den Eliten jedoch nicht darüber hinweg, dass Frankreich wirtschaftlich und in den Augen der "Finanzmärkte" hinterherhinkt und irgendwo zwischen den europäischen Mittelmeerländern und Deutschland liegt. Für Staatsanleihen mit zehnjähriger Dauer musste Deutschland den Anlegern am Montag 1,9 Prozent Rendite garantieren, Frankreich hingegen 3,4 Prozent. Am vergangenen Donnerstag (17. November 11) hatte der Spread zwischenzeitlich die Zwei-Prozent-Marke überschritten, während die "Spreizung" im August dieses Jahres noch bei 0,4 Prozent gelegen hatte. Und in den kommenden Wochen und Monaten dürfte es Frankreich eher schwerer als leichter fallen, seine "Kreditwürdigkeit" zu behaupten. Bei Schuldenausfällen aus Spanien oder Italien wären etwa französische Banken schwer betroffen, die bereits in der vergangenen Wochen an den Aktienmärkten zum Teil spürbare Einbußen verzeichneten. Und nun steht dasselbe auch französischen Versicherungskonzernen bevor, die ebenfalls auf faulen oder "toxischen" Finanzprodukten sitzen, von denen zumindest ein Teil in naher Zukunft abgeschrieben werden könnte. Dabei sind "Bonität" und Triple A für zahlreiche führende Politiker und Staatsrepräsentanten längst zur Ersatzreligion geworden. Ende September 2011 war der französische Senat - das "Oberhaus" des Parlaments, das durch Wahlmänner und -frauen indirekt gewählt wird und vorwiegend die Kommunen repräsentiert, vor allem die große Zahl ländlicher Gemeinden - zum ersten Mal in der Geschichte der Fünften Republik, die 1958 begründet wurde, mehrheitlich an die Linksparteien gefallen. Daraufhin verkündete der konservative Abgeordnete Christian Estrosi, er amtierte im letzten Jahr noch als Industrieminister, pathetisch: "Wir hatten die Wahl zwischen dem triple A und dem Senat." Dies sollte ungefähr so viel bedeuten wie, man habe vor einer Entscheidung zwischen verantwortungslosen sozialen Versprechungen zur Erhaltung der Wählergunst oder einer vernünftigen Wirtschaftspolitik im Namen des Sachverstands gestanden. Nur hätten die dummen Wähler das nicht verstanden und nicht honoriert. Man müsse aber mit der vorgeblich vernünftigen Politik, die durch "Finanzmärkte" statt Bevölkerungswillen diktiert wird, fortfahren; irgendwann würde dies auch durch die Wahlbevölkerung anerkannt werden. Auch die Sozialdemokratie als stärkste Oppositionspartei bekam den Druck zu spüren. Ihr Präsidentschaftskandidat François Hollande hatte am 9. September 11 versprochen, die durch die aktuelle Regierung zerstörten Teile des öffentlichen Schulwesens zu reparieren und 60.000 abgebaute Lehrerposten - von über 80.000 während der laufenden Legislaturperiode - wiederherzustellen. Daraufhin wuchs der Druck auf ihn derartig, dass Hollande die Ankündigung Ende Oktober sehr weitgehend relativierten ließ. Seine Umgebung erklärte, zwar werde man die 60.000 Stellen im Schuldienst wiederherstellen, dafür werde man an anderer Stelle genau so viele abbauen, um bei den Kosten auf ein Null-Summen-Spiel hinauszukommen. Ob es künftig konkret nunmehr entsprechend weniger Krankenschwester und pfleger, Transportbedienstete oder aber - was erstaunlich wäre - weniger Polizisten geben soll, blieb bislang offen. Unterdessen legte die Regierung seit Ende August dieses Jahres zwei "Sparpakete" auf. Durch jenes vom August wurden vor allem zusätzliche Steuern eingeführt - ein Paket von zwölf Milliarden Euro, das überwiegend durch die Konsumenten von Alkohol, Tabak und Limonadengetränken über neue Verbrauchssteuern - also einkommensunabhängige, nicht mit dem Einkommensniveau steigende Steuern - bezahlt wird. Auch die Schwerreichen werden zur Kasse gebeten, ab einem versteuerbaren Jahreskommen über 500.000 Euro: Besteuert werden sie für eine Gesamtsumme von 0,2 Milliarden Euro im kommenden Jahr 2012, d.h. auf nicht einmal symbolisch signifikante Weise. Ihr Anteil am "Austeritätspaket" beträgt damit im laufenden Jahr stolze anderthalb Prozent. Den Rest teilen sich einkommensschwächere Haushalte. Am 07. November 11 verkündete die Regierung ihr zweites "Sparpaket" in diesem Jahr. Darin finden sich zwar einige soziale Grausamkeiten wie eine Anhebung der Mehrwertsteuer für Grundbedarfsgüter - von 5,5 % auf 7 Prozent, gegenüber 19,6 % für allgemeine Waren - und damit der unsozialsten Steuer überhaupt. Wird die Mehrwertsteuer doch völlig vom Einkommen unabhängig erhoben. Auch wird die 2010, nach heftigen sozialen Widerständen, beschlossene "Rentenreform" beschleunigt: Die Anhebung des Renten-Mindestalters auf 62 (bei vollen 41,5 Beitragsjahren) wird von 2018 auf das Jahr 2017 vorgezogen. Doch handelt es sich dabei noch um relativ kleine soziale Grausamkeiten. Die richtig großen, die in den Tagen zuvor öffentlich erwogen waren, wurden zurückgestellt. So wird es vorläufig keinen zweiten arbeitspflichtigen, doch unbezahlten Tag im Jahr geben - neben dem Pfingstmontag, der seit 2004 "zur Finanzierung der Solidarität mit Pflegebedürftigen" zum unbezahlten Arbeitstag wurde. Dessen erwirtschaftetes Produkt ist übrigens durch die Regierung zum Gutteil längst für andere Zwecke als für die Pflegeversicherung, welche als offizielle Begründung diente, verwendet worden. Ein zweiter "Solidaritätstag" - KritikerInnen sprechen von Frondienst - war Anfang November in Regierungskreisen intensiv diskutiert worden. Doch vorläufig kommt es nicht dazu. Schließlich möchte man sich nicht alle Chancen für einen Wahlsieg schon jetzt definitiv verbauen. Aufgeschoben ist jedoch nicht aufgehoben. Charles Beigbeder, Sekretär der Regierungspartei UMP "für die Erklärung der Reformen", verkündete tags darauf auf Twitter, "der richtige Sparplan" komme "nach den Präsidentschaftswahl"; vgl. http://www.lefigaro.fr/flash-eco/2011/11/09/97002-20111109FILWWW00552-plan-de-rigueur-apres-2012-beigbeder.php - Da hatte er sich wohl ein bisschen im virtuell-elektronischen Raum verplappert, und die Regierungsspitzen dementierten eifrig, es sei "kein dritter Plan" in den Schubladen. Doch nach den Wahlen - beinahe egal, wie sie ausgehen - dürfte die Welt diesbezüglich wieder anders aussehen. Bernard Schmid, 24.11.2011 |