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Updated: 18.12.2012 15:51
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Steht die Rücknahme des CPE vor der Tür?

Zahlreiche spektakuläre Blockier-Aktionen am Donnerstag

Die allerbeste Nachricht zuerst: Am heutigen Freitag Vormittag ist der 39jährige Gewerkschafter der linken Basisgewerkschaft SUD PTT und Personalvertreter bei der Télécom-Tochter Orange, Cyril Ferez, aus dem Koma erwacht. Cyril war am 18. März durch einen Schlagstockhieb auf den Kopf verletzt worden, und in der darauffolgenden Nacht (vom Samstag auf Sonntag, den 19. März) aufgrund von Hirnblutungen ins Koma gefallen. Dieser Akt von Polizeigewalt hatte für breite Empörung gesorgt. Er war freilich nicht derart ins Zentrum der Proteste gerückt wie der Tod des jungen Studenten Malik Oussekine, der im Dezember 1986 - während der Studierendenproteste gegen die Regierung von Premierminister Chirac - durch Motorradpolizisten zu Tode geprügelt worden war. Die Repression war damals rasch ins Zentrum gerückt und hatte die ohnehin vorhandene Empörung beflügelt, während sie dieses Mal einen Aspekt unter mehreren bildete. Höchst erfreulich ist, dass der massive soziale Konflikt im Märtz/April 2006 keinen Toten hinterlässt.

Rücknahme des CPE in Aussicht ?

Am heutigen Freitag um 13.30 Uhr enden die ersten Gespräche von Spitzenpolitikern der konservativen Regierungspartei UMP mit den Gewerkschaften, Studierenden- und Oberschülerverbänden. Die Verhandlungsführer der UMP waren in den letzten beiden Tagen die beiden Fraktionsvorsitzenden der UMP in Nationalversammlung und Senat (den beiden Parlamentskammern), Bernard Accoyer und Josselin de Rohan, sowie der zuständige Fachminister für Arbeit und Soziales (Jean-Louis Borloo) und sein Unterminister für Arbeit (Gérard Larcher, sein Posten ist «etwas höher» angesiedelt als der eines Staatssekretärs). Der hyperaktive Innenminister Nicolas Sarkozy hat es, obwohl es zur Wochenmitte hin diesen Anschein hatte, nicht geschafft, sich in den Vordergrund zu drängen.

Bernard Accoyer als faktischer Haupt-Unterhändler des regierenden konservativen Blocks konnte es durchsetzen, die Verhandlungen ab Mittwoch 15 Uhr getrennt mit den einzelnen Gewerkschaftsverbänden und Studierendenorganisationen aufzunehmen. Die 12 institutionalisierten Interessenvertretungen von Arbeitern und Angestellten (insgesamt acht Gewerkschaftszusammenschlüsse), von Studierenden (zwei Studentengewerkschaften) und Oberschüler/innen (auch zwei Verbände) waren jedoch noch am Mittwoch Vormittag zusammen getroffen. Dabei legten sie ihre gemeinsame Linie fest, die lautet: Ohne ausdrückliche Rücknahme des CPE werden keine Verhandlungen über Detailfragen eröffnet. Von dieser Linie schien bisher keine Gewerkschaftsorganisation abzuweichen. Dier wurde anlässlich einer gemeinsamen Pressekonferenz der Zwölf am Freitag Vormittag nochmals bestätigt.

Am Freitag um die Mittagszeit war der Homepage der Pariser Abendzeitung 'Le Monde' zu entnehmen, dass eine Rücknahme des CPE und seine Ersetzung durch eine «mit den Gewerkschaften auszuhandelndes» Eingliederungshilfe für «schwer auf dem Arbeitsmarkt vermittelbare» Jugendliche kurz bevorstehe. Sofern die Informationen zutreffen, würde dies die Möglichkeit einer Einigung bedeuten, nachdem das Regierungslager durch die auch nach Chiracs «Kompromissvorschlag» vom vorigen Freitag noch anwachsenden Mobilisierungen unter hohen Druck geraten war. Zwar ist bei 'Le Monde' mitunter Vorsicht geboten, da die Pariser Abendzeitung sich des öfteren eingemächtig am Einfädeln von «Kompromissen» zwischen bürgerlicher Politik und Gewerkschaften betätigte (vor allem beim SNCM-Konflikt im Oktober 2005). Im Übrigen trugen ihre wirtschaftsliberalen Auslandskorrespondenten durch Berichte über die «Reaktionen in den Nachbarländern» (die ihnen zufolge verständnislos ausfielen) zu dem Versuch bei, die Anti-CPE-Bewegung zu diskreditieren. Co-Autor der Nachricht von heute mittag ist freilich der Gewerkschaftsspezialist der Zeitung, Rémi Barroux, der aus der radikalen Linken kommt und in der Sache höchst vertrauenswürdig ist.

So lange die ersten Verhandlungsrunden anhielten, riefen die Gewerkschaftsverbände bisher nicht zu einem erneuten Aktionstag mit Arbeitsniederlegungen, Streiks und Demonstrationen auf. Auf ihrem Treffen am Mittwoch Vormittag beschlossen sie lediglich, den Aktionstag der Studierenden vom kommenden Dienstag (11. April) zu «unterstützen», aber ohne eigene Mobilisierung. Zu diesem Aktionstag ruft die Nationale Koordination der Studierenden, Oberschüler/innen und jungen Prekären auf. Doch im Falle, dass die Verhandlungen nicht - im Sinne einer Rücknahme des CPE - voran kommen, sind neue Aktionstage auch unter Beteiligung der Gewerkschaften im Prinzip schon angedroht. Am Montagabend (10. April) werden die zwölf Gewerkschaftsorganisationen zum nächsten Mal zusammentreffen, und eine gemeinsame Bilanz aus den bis dahin zu verzeichnenden Ereignissen ziehen.

Studierenden-Koordination hält den Druck aufrecht

Die nationale Streikkoordination ihrerseits hält den Druck aufrecht. Sie hätte es nach eigenen Worten vorgezogen, falls die Gewerkschaften ab Mittwoch zur unbefristeten Fortführung der Streiks vom Vortag (dem Aktionstag am 04. April) aufgerufen hätten. Dies hat es im Übrigen auf örtlicher Ebene in einigen Fällen (mindestens für die Dauer des Mittwochs) gegeben, rund um «harte Kerne» und übergewerkschaftliche Komitees, die sich beispielsweise in Le Mans, Nantes und im Raum Bordeaux gebildet hatten. Die Fortführung von Streiks ab Mittwoch bildete jedoch kein Massenphänomen und blieb minoritär.

Am gestrigen Donnerstag führten Studierende und andere Teilnehmer/innen eine Reihe von Blockadeaktionen durch, wozu die Streikkoordination am vorigen Wochenende anlässlich ihrer Delegiertenkonferenz im nordfranzösischen Lille aufgerufen hatte.

In Paris blockierten ab circa 09.20 Uhr Eisenbahn-Gewerkschafter und Studierende gemeinsam den Zugverkehr am Pariser Ostbahnhof. An diesem Vormittag fand an der Gare de l'Est (dem Ostbahnhof) die Einweihung der neuen Linie des Hochgeschwindigkeitszug TGV in Richtung Strasbourg statt. Diesen Anlass wollten linke Gewerkschafter, etwa von SUD Rail, nutzen und hatten dazu auch Studierende eingeladen. Anfänglich waren sie circa 50 Blockierer, wenig später am Nordbahnhof - die Gare du Nord ist nicht weit entfernt - rund 100. Später am Vormittag gingen sie dann auch an der Gare de Saint-Lazaire (dem Bahnhof für die Westflanke von Paris) blockieren. Daraufhin formierten die AktivistInnen sich zu einem Demozug, der bereits rund 2.000 Menschen umfasste. Am frühen Nachmittag kehrten sie in Richtung Gare du Nord zurück und blockierten dort ab circa 15.30 Uhr den Verkehr. Eine knappe Stunden später waren die Gleise geräumt, «ein halbes Dutzend Personen» (laut 'Libération') waren leicht verletzt.Störungen des Eisenbahn- und auch Metroverkehrs hielten jedoch bis am frühen Abend an. Bilder sind u.a. hier zu bewundern:
http://www.lemonde.fr/web/portfolio/0,12-0@2-734511,31-759136@51- 725561,0.html externer Link

Studierende und Protestierende demonstrierten auch auf den Zubringerstraßen zum südlichen Pariser Flughafen in Orly. Im ostfranzösischen Strasbourg blockierten AktivistInnen zwei Stunden lang erfolgreich die «Europabrücke», die den Übergang über den Rhein nach Süddeutschland bildet.

Im südfranzösischen Blagnac (in der Nähe von Toulouse) blockierten AktivistInnen der Protestbewegung von 01 Uhr bis 03 Uhr früh einen Transport von Bauteilen für das Airbus-Flugzeug aus der Zulieferfabrik. Schließlich wurden sie durch ein Einsatzkommando von «Gardes Mobiles» (ein Teil der Gendarmerie, letztere Polizeitruppe untersteht dem Pariser Verteidigungsministerium) abgeräumt.

In Nantes stürmten Protestierende eine Niederlassung der Arbeitsagentur ANPE. In Lorient in der Bretagne wurde der Handelshafen durch eine Gruppe von Studierenden blockiert, im benachbarten Quimper blockierten sie mit 40 Leuten das Verwaltungszentrum. In Caen (Normandie) blockierten immerhin 2.000 Personen den Bahnhof, die CRS antworteten auf Wurfgeschosse mit Knüppeleinsatz und Tränengas. Mindestens zwei Personen (eine Polizistin und ein Protestaktivist) wurden verletzt, zehn Personen festgenommen. Im westfranzösischen Limoges wurde ab 07.30 Uhr in der Frühe der Verkehr blockiert. Ebenso fanden auf den größeren Ausfallstraßen von Marseille Straßenblockaden statt.

Artikel von Bernard Schmid, Paris, vom 7.4.06


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