Home > Internationales > Frankreich > Arbeitsbedingungen > CPE > junge17 | |
Updated: 18.12.2012 15:51 |
Aus dem Reich der Arbeitgeber-Willkür: Die französische Presse berichtet über die Praxis unter dem CNE («Neueinstellungsvertrag») Vorbemerkung: Der zur Zeit heftig umstrittene CPE oder «Ersteinstellungsvertrag» für die unter 26jährigen wird durch ein Gesetz eingeführt, das bisher noch nicht in Kraft getreten ist. Es handelt sich um den Artikel 8 des so genannten «Gesetzes für Chancengleichheit», das als Antwort der Politik auf die Krise in den Banlieues vom Vorjahr präsentiert wurde und angeblich die sozialen Probleme lösen soll. Nachdem das französische Verfassungsgericht am gestrigen Donnerstag (30. März) erklärte, die Bestimmungen dieses Gesetzes verstießen nicht gegen Verfassungsbestimmungen, wird aber erwartet, dass Präsident Chirac den Text noch heute unterschreibt. Damit würde er rechtskräftig. Was natürlich die soziale Protestbewegung nicht daran hindert, die Rücknahme des bnereits in Kraft getretenen Gesetzes zu fordern. Das hat es in der Vergangenheit schon gegeben. So wurde 1984 unter dem Druck der bürgerlich-konservativen Kräfte (angeführt von Jacques Chirac) und der extremen Rechen, die gemeinsame Großdemonstrationen abhielten, das bereits in Kraft getretene Schulreformgesetz des sozialistischen Ministers Alain Savary zurückgenommen. Dieses Gesetz hätte die Rechte und Privilegien des katholischen Privatschulwesens zugunsten der allgemeinen, öffentlichen Schule eingeschränkt. Einen Vorgeschmack darauf liefert unterdessen die Anwendung des CNE oder «Neueinstellungsvertrag», der bereits seit dem 02. August 2005 (per Notverordnung der Regierung) eingeführt worden ist. Er gilt für ein anders Publikum, nämlich für die abhängig Beschäftigten, die älter als 26 sind und in Kleinbetrieben/mittelständischen Unternehmen (mit 20 Lohnabhängige) arbeiten. Bisher sind rund 350.000 Verträge vom Typ CNE abgeschlossen worden (Zahlen von Anfang März). Unbekannt ist, wieviele davon in der Zwischenzeit wieder unterbrochen, d.h. durch den Arbeitgeber aufgekündigt worden sind: Darüber gibt es keinerlei statistische Erfassung. In ihrer Ausgabe vom Freitag (31. März), die in Paris am Donnerstag nachmittag erschien, berichtet die Abendzeitung 'Le Monde' über eine Serie von Prozessen, die aufgrund von Kündigungen im Rahmen des CNE anhängig sind. Solche Kündigungen müssen ja, gemäß den Vorschriften über den CNE (und auch den CPE), nicht begründet werden. Es dürfte genügen, das Originaldokument zu zitieren, um einen Einblick in die Praxis zu bieten, die sich durch diese Möglichkeit der begründungslosen Kündigung eröffnet. Einige Fälle von Lohnabhängigen, die begründungslos gekündigt worden sind (zitiert nach 'Le Monde' vom 31. März 06) Originalton 'Le Monde' (Fettdruck ebenfalls im Original):
Das Justizministerium erteilt Anweisung an die Justizbehörden zum (politisch richtigen) Umgang mit Arbeitsgerichtsprozessen Vor dem beschriebenen Hintergrund liegt es nahe, dass es in naher Zukunft zu einer größeren Zahl von Arbeitsgerichtsprozessen vor den 'Conseils de prud'hommes' kommen wird. Aber nur, wenn das Vorliegen grundsätzlicher rechtswidriger Kündigungsgründe (rassistische Diskriminierung etwa, oder das bewusste Umgehen bestehender arbeitsrechtlicher Schutzvorschriften etwa zu Überstunden durch den Arbeitgeber) zumindest als «begründeter Verdacht» durch den entlassenen Lohnabhängigen nachgewiesen werden kann, hat er Aussicht auf Erfolg. Dies wird dadurch verkompliziert, dass der Arbeitgeber in anderen Fällen - wo eine schriftliche Begründung der Kündigung erforderlich ist - an die von ihm im Kündigungsbrief genannten Motive gebunden ist. Das bedeutet, dass er für den Fall, dass die anfänglich genannten Kündigungsgründe sich als nicht rechtswirksam, nicht tragfähig oder nicht haltbar erweisen, keinerlei anders gearteten Gründe mehr im Prozess nachschieben kann. Anders steht es in den Fällen, wo Kündigungen ohne anfängliche Begründung ausgesprochen werden können: Dort kann der Arbeitgeber, falls es denn zum Prozess kommt, sich vor dem und während des Prozesses ausführlich mit seinem Anwalt/seiner Anwältin beraten und erzählen, was je nach Prozessverlauf opportun erscheint. Da der entlassene Ex-Beschäftigte als Partei, auf deren Verlangen der Prozess eröffnet wurde, zuerst sprechen muss, können der Arbeitgeber und sein Rechtsbeistand so die Argumente der Gegenseite abwarten, bevor sie sich zur Sache äußern. Unmittelbar in den Ablauf der Arbeitsgerichtsprozesse einzugreifen versucht hat nun der amtierende Justizminister, Pascal Clément. (Ein Mann vom rechten Flügel der Konservativen; historischer Befürworter der Todesstrafe, die er anlässlich ihrer Abschaffung 1981 im Parlament als Wortführer ihrer Anhänger verteidigte.) Unter der Überschrift «Die Staatsanwaltschaften sind aufgefordert, gemeinsame Sache mit den Patrons zu machen» berichtet darüber die Tageszeitung 'Libération' in ihrer Ausgabe vom Montag (27. März). Und sie zitiert ein ministerielles Rundschreiben vom 08. März, das vom Pariser Justizministerium aus an die Oberstaatsanwälte im Lande geschickt wurde. Auf drei Seiten wird darin eine politische Linie für den Umgang mit Entlassungen im Rahmen des CNE vorgegeben. Es ist bereits nahezu einmalig, dass das Justizministerium überhaupt unmittelbare Vorgaben an die Staatsanwälte für den Ablauf von Arbeitsgerichtsprozessen heraus gibt. Aber der Inhalt hat es erst recht in sich. Zunächst wird lapidar daran erinnert, dass ein Rechtsmissbrauch ('abus de droit', d.h. ein rechtswidriger Gebrauch des Rechts auf jederzeitigen Abbruch des Arbeitsverhältnisses, das dem Arbeitgeber grundsätzlich zuerkannt wird) vorliege, falls die Aufkündigung eines CNE «in Verkennung der Bestimmungen erfolgt, die diskriminatorische Maßnahmen verbieten». Dazu folgt aber nichts Weiteres mehr, obwohl das französische Arbeitsgesetzbuch (im Artikel L. 122-45) detaillierte Bestimmungen zu 15 Formen rechtswidriger Diskriminierung enthält, zu denen man nähere Details oder Auslegungsregeln hätte in dem Rundschreiben darlegen können. Hinterher schreibt der Verfasser des ministeriellen Rundschreibens (Pascal Guillaume, Direktor für zivilrechtliche Angelegenheit im Justizministerium) ausdrücklich, dass der Arbeitsrichter «allein dazu angehalten ist, zu untersuchen, dass die Kündigung nicht einen Rechtsmissbrauch (vgl. oben) darstellt oder nicht auf einem diskriminatorischen Grund beruht.» Die Betonung liegt wohl auf «allein». Denn man liest ebenfalls, dass der Arbeitsrichter «nicht damit beauftragt ist, festzustellen/einzuschätzen, ob die im Verlauf der ersten beiden Jahre (des CNE) erfolgte Kündigung auf einem rechtswirksamen/zulässigen Grund beruht.» (Denn es geht ja schließlich bei der Schaffung des CNE/CPE darum, genau diese Erfordernis auszuhebeln !) Ferner heißt es, dass es die Aufgabe der Staatsanwälte und Staatsanwältinnen sei, «im Prozess sich zu Wort zu melden/einzugreifen (Anm.: 'intervenir' hat im Französischen beide Sinnbedeutungen), um den genauen Inhalt der Regierungsverordnung vom 02. August 2005 in Erinnerung zu rufen». Dies bedeutet nichts anderes, als dass im Arbeitsgerichtsprozess darüber zu wachen ist, dass dem Willen der Regierung zum Abbau des Kündigungsschutzs- der sich in der Notverordnung vom 02. August 05 ausdrückt - Rechnung getragen wird, und dass nicht etwa die Rechtsprechung zusätzliche Schutzgarantien einbaut. Die Rolle der Oberstaatsanwälte wiederum sei es, so heißt es in derselben Passage, «darauf zu achten, dass die Staatsanwaltschaft Berufung (Anm.: vor einer Cour d'appel, also dem Revisionsgericht in zweiter Instanz) einlegt, nachdem die Entscheidungs der Arbeitsgerichte analysiert worden sind.» Das kann im konkret gegebenen Kontext nur bedeuten, dass die Staatsanwaltschaft systematisch in Berufung gehen und damit den Prozess verlängern und verteuern soll, falls die Entscheidung nicht arbeitgeberfreundlich genug ausfällt. Aufgehängt wird diese vermeintliche Erfordernis daran, dass genau darauf zu achten sei, dass die Bestimmungen der Verordnung vom 02. August präzise angewandt und eingehalten werden. Sobald also ein Komma nicht übereinstimmt, könnte dies Anlass zur Revision von Staats wegen liefern... Artikel von Bernard Schmid, Paris, vom 31.3.06 |