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Updated: 18.12.2012 15:51
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Kampf gegen CPE: Drei Ereignisse am Donnerstag (30.3.) und neuer Streiktag am Dienstag (4.4.06)

Drei Ereignisse beherrschten den Fortgang der politischen und sozialen Kraftprobe am Donnerstag. Es handelt sich (erstens) um die Anordnung von Bildungsminister Gilles de Robien (UDF, christdemokratisch), die besetzten oder blockierten Oberschulen durch die Polizei und notfalls gewaltsam «öffnen» zu lassen. Dies sollte am Donnerstag früh passieren, bzw. hätte passieren sollen. Zum Zweiten hatte die «Nationale Koordination der Studierenden, Oberschüler/innen und jungen prekär Arbeitenden» für den heutigen Donnerstag zur Blockade von Hauptverkehrsachsen wie Straßen und Schienen aufgerufen. Drittens wird für den Donnerstag abend die Publikation der Entscheidung des französischen Verfassungsgerichts (Conseil constitutionnel) über das «Gesetz zur Chancengleichheit», dessen Artikel 8 die Rechtsgrundlage für den umstrittenen CPE oder «Ersteinstellungsvertrag» schafft, erwartet.

Neuer Streiktag am Dienstag, 4. April

Bereits am späten Nachmittag des gestrigen Mittwoch traf  unterdessen eine andere, äußerst wichtige Nachricht ein. Die 'intersyndicale', d.h. der offizielle Zusammenschluss von 12 Gewerkschaftsorganisationen (darunter 8 Gewerkschaftsverbände von Arbeitern und Angestellten und je 2 Studierenden- und Oberschülerorganisationen) hatte im Laufe des Nachmittag beschlossen, zum Streik und zu Demonstrationen am Dienstag, den 04. April aufzurufen. Dieses Mal haben damit die institutionalisierten Gewerkschaftsorganisationen zum ersten Mal einen Aufruf der Streikkoordination übernommen, die sich ihrerseits auf ihrem Delegiertentreffen am vorigen Wochenende in Aix-en-Provence für einen solchen neuen Streiktag frankreichweit ausgesprochen hatte.

Gleichzeitig wird die Koordination nun erstmals als Ansprechpartner durch die Gewerkschaftsverbände akzeptiert. Bisher wurden Vertreter/innen der Koordination jeweils vor den Zusammenkünften der Gewerkschaftsverbände für 5 Minuten empfangen und angehört, durften aber nicht an den Sitzungen der 'intersyndicale' teilnehmen. Nunmehr wurde der Beschluss angenommen, dass sie an den Zusammenkünften der 12 Gewerkschaftsverbände in voller Länge teilnehmen dürfen und sich auch zu Wort melden dürfen (allerdings ohne Stimmrecht).

Die gesamte Dauer des Konflikts um den 'Contrat première embauche' oder «Ersteinstellungsvertrag» über herrschte (und herrscht) ein Legitimitäts- und Hegemoniekonflikt zwischen den institutionalisierten Gewerkschaftsorganisationen und der Koordination. Letztere ging aus einem Selbstorganisierungsprozess in Gestalt vor allem der studentischen Vollversammlungen an den bestreiken Hochschulen hervor. Ihre Delegierten werden nach einem festen Verteilungsschlüssel gewählt: 5 Delegierte pro bestreikte und blockierte Universität ; 3 Delegierte pro bestreikte und teilweise blockierte Hochschule ; 2 Beobachter/innen (mit Rede-, ohne Stimmrecht) aus Hochschulen, wo es Streikaktivitäten gibt, aber der Vorlesungsbetrieb nicht beeinträchtigt. Bei Oberschulen ist dies etwas schwieriger, da es keine derart großen Schüler/innn- wie Studierenden-Konzentrationen gibt und daher auch nicht so großen Vollversammlungen wie an den Universitäten abgehalten werden können. Dennoch nahmen an den letzten Delegiertenkonferenzen der Koordination neben rund 400 Studierenden- auch rund 100 Oberschüler-Delegierte teil, die gewählt worden waren. (Bei den prekär Beschäftigten konnten bisher keine «legitimen» Delegierten für die Koordination gewählt werden, da es in diesem Sektor keinen überörtlichen Streik und daher auch keine Vollversammlungen gibt.)

Nunmehr besteht erstmals Einigkeit zwischen der Koordination und den Gewerkschaftsorganisationen über einen Mobilisierungstermin, der von beiden Seiten in identischer Form beschlossen worden ist. Es handelt sich (noch) nicht um den Aufruf, «den» Generalstreik zu organisieren - denn davor schrecken die Gewerkschaften bisher zurück. Das hat auch damit zu tun, dass dieser Begriff in Frankreich tatsächlich eine andere Bedeutung hat. In Spanien und vor allem Italien haben in den letzten Jahren mehrere «Generalstreiks» stattgefunden, die als solche bezeichnet wurden, aber von vornherein auf 24 Stunden befristet waren. In Frankreich hat der Begriff vom «Generalstreik» eine andere Geschichte und daher auch eine unterschiedliche Bedeutung: Historisch beinhaltet er die Vorstellung (vom «revolutionären Syndikalismus» des frühen 20. Jahrhunderts übernommen), dass man den gesamten Wirtschaftsbetrieb des Landes so lange lahm legt, bis die erhobenen Forderungen erfüllt worden sind. Ein Generalstreik im Wortsinne ist also nicht befristet. Sich darauf einzulassen, ängstigt die Gewerkschaftsapparate doch ziemlich.

Seit den 70er Jahren hat sich ein neuer Streikmodus in Frankreich verankern können, die so genannte «grève reconductible» ; das bedeutet in etwa «fortführbarer Streik». Es handelt sich um einen Streik, der unbefristet ausgerufen wird, über dessen Fortführungen aber die Streikenden selbst in regelmäßigen Abständen (in Versammlungen) per Votum entscheiden. Eine solche «grève reconductible» wurde durch den Zusammenschluss linker Basisgewerkschaften SUD-Solidaires ab kommendem Dienstag nun in allen drei öffentlichen Diensten («die drei öffentlichen Dienste» nennt man in Frankreich die Beschäftigten beim Staatsapparat inklusive Staatsunternehmen wie La Poste u.ä. ; in den Kommunalverwaltungen plus kommunalen Betrieben ; und in den öffentlichen Krankenhäusern) angemeldet. Hinter den Kulissen verlautbart, es gebe ähnliche unbefristete Streikanmeldungen auch von CGT-, FO- sowie FSU- (also Lehrer-)Gewerkschaften. Damit dürfte in der kommenden Woche der Streik in einigen Sektoren auch über den Dienstag hinaus anhalten. In der Privatwirtschaft ist keine Streik-Vorwarnung vom Gesetzgeber vorgeschrieben. 

Räumung der Oberschulen durch die Polizei: Nix gewesen?

Durch eine mündliche Anordnung an die verantwortlichen Leiter in den Schulbehörden hatte Bildungsminister Gilles de Robien seine Untergebenen dazu aufgefordert, für den heutigen Donnerstag Polizei anzufordern. Die besetzten oder blockierten Oberschulen sollten an diesem Vormittag, 'notfalls' gewaltsam, geräumt und für den Unterrichtsbetrieb wieder geöffnet werden. Auf dem bisherigen Höhepunkt, Ende voriger/Anfang dieser Woche, waren von insgesamt 4.330 Oberschulen in Frankreich je rund 800 blockiert und 800 bestreikt.

Allem Anschein nach hat der Aufruf des christdemokratischen Bildungsminister zu repressivem Vorgehen aber nicht gefruchtet. Die Verantwortlichen hatten ihm offen bekundet, dass sie ein solches Eskalationsrisiko nicht eingehen würden. Vor allem im Département Seine-Saint-Denis (der die nördlichen Pariser Vorstädte umfasst) sind zahlreiche Oberschulen besetzt. Dort ist zugleich das Klima relativ brenzlig. Neben den sich selbst organisierenden Schüler/innen machen sich dort in der Umgebung der Oberschulen des öfteren Jugendgangs bemerkbar, die durch die Präsenz der Polizei angezogen werden, aber auch mitunter den sich organisierenden Schüler/innen Probleme bereiten. Durch seine Aussprüche «Vorsicht vor den Banlieues», namentlich vom vorigen Mittwoch, hat Innenminister Sarkozy im Kontext des sozialen Konflikts um den CPE bereits Öl auf dieses «Feuer» gegossen.

Auf der Homepage der Pariser Abendzeitung 'Le Monde' wurde am Donnerstag früh vermeldet, dass es in Seine-Saint-Denis nicht zur Räumung der besetzten Oberschulen gekommen sei.

Aufruf zu Verkehrsblockaden

Die überwiegend studentische Streikkoordination hatte für den heutigen Donenrstag zu Blockaden der Hauptverkehrswege aufgerufen. Dies entspricht der Konzeption der Koordination, die ihrerseits zum Generalstreik aufruft: Generalstreik bedeutet ja, tatsächlich das Wirtschaftslebens des Landes (auf Zeit) lahm zu legen.    

In mehreren Städten kam es infolge des Aufrufs zu erheblichen Beeinträchtigungen des Verkehrs. Laut der Nachrichtenagentur AFP waren in Aix-en-Provence mehrere Autobahnzufahrten sowie Verkehrswege in der Innenstadt durch Blockierende gesperrt. Auch in der Nähe von Marseille (unweit von Aix) war der Autobahnverkehr beeinträchtigt. Im westfranzösischen Nantes hatten mehrere hundert Blockadeteilnehmer/innen die Überfahrt über die Loire-Brücken gesperrt. Die generellen Auswirkungen des Aufrufs zu Blockaden können im Moment noch nicht abgeschätzt werden. 

Der Spruch des Verfassungsgerichts

Bis spätestens Donnerstag abend wird sich nun das französische Verfassungsgericht darüber aussprechen, ob es das «Gesetz zur Chancengleichheit» oder Teile seiner Bestimmungen aufhebt oder aber ins Parlament zurück verweist, oder nicht. Der Artikel 8 dieses Gesetzes schafft die Rechtsgrundlage für den CPE. Juristische Argumente dafür könnte es finden, sowohl in der Sache (Ungleichbehandlung verschiedener Altersgruppen vor dem Gesetz ; Missachtung der auch durch Frankreich unterzeichneten ILO-Konvention 158, die vorschreibt, dass eine Kündigung mit Gründen versehen sein muss) als auch in der Form.

Am Verfassungsgericht sitzen 9 Richter. Ein zehnter kann hin zu kommen, wenn er seine Rolle ausfüllen möchte: Als Ex-Staatspräsident kann Valéry Giscard d'Estaing (Konservativ-Liberaler) an den Sitzungen teilnehmen, wann er will.

Das Verfassungsgericht ist ein juristisches und nicht direkt ein politisches Organ, und es wird nicht total «Gewehr bei Fuß» gegenüber den Regierungsinteressen stehen, sondern sein Urteil zweifelsohne auch auf juristische Erwägungen abstützen. Dennoch handelt es sich gleichzeitig auch um ein politisches Urteil, das es abgeben wird und in dem es die Regierungsinteressen berücksichtigen wird. Der Präsident des Verfassungsgerichts, Pierre Mazeaud, ein früherer (neo)gaullistischer Politiker, zählt zu den wenigen Männern im Land, die mit Jacques Chirac per Du sind. Ein weiterer Verfassungsrichter, der zum Berichterstatter über das zu untersuchende Gesetz für die übrigen Richterkollegen ernannt wurde, ist niemand anders als der frühere Vize-Generalsekretär des Elysée (Präsidialamts) unter Chirac, Olivier Dutheillet de Lamothe. Auch der ehemalige Kabinettsdirektor (entspricht in Deutschland ungefähr dem Kanzleramtschef) von Chiracs früherem Premierminister Raffarin, mit Namen Pierre Steinmetz, sitzt im Verfassungsgericht.

Andere KollegInnen, etwa die frühere zentrumsliberale Minister Simone Veil (sie ließ dereinst den Schwangerschaftsabbruch in Frankreich legalisieren) und die frühere Professorin für Sozialwissenschaften Dominique Schnapper, gelten dagegen als «stärker unabhängig». Unterdessen haben die beiden durch frühere Linksregierungen ernannten Verfassungsrichter, Pierre Joxe (ehemaliger sozialdemokratischer Innenminister) und Jean-Claude Colliard, in jüngerer Vergangenheit ihre Ablehnung des CPE bekundet. Eine Mehrheit des Richterkollegiums wurde allerdings durch Rechtsregierungen ernannt.

Deshalb wird der Spruch der neun (bzw. zehn, falls Giscard d'Estaing an der Urteilsverkündung teilnimmt) Richter keine rein politische Ermessensentscheidung sein. Sie wird aber politische Opportunitäts-Gesichtspunkte in jedem Falle mit berücksichtigen. Aber was will die Regierung, bzw. was will Präsident Chirac wirklich: Möchte sie/er nach wie vor den CPE «retten» ? Oder sucht sie/er eher nach einem Notausgang?

Artikel von Bernard Schmid, Paris, vom 30.3.06


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