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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Aktuelle Nachrichten vom Streiktag Und: Das Problem der Gewalt/Militanz im französischen Konflikt. «Gewalt - welche Gewalt?» Artikel und Fotos von Bernard Schmid, Paris, vom 28.3.06 Nach dem Streik- und Aktionstag vom heutigen Dienstag wird sich in Frankreich entscheiden, auf welchen Ausgang der aktuelle politisch-soziale Konflikt zusteuert. Der Ausstand kündigt sich relativ massiv an. Am Vormittag erschienen keinerlei Zeitungen vom Tage, und in zahlreichen Schulen wurde die Arbeit niedergelegt (rund 40 % der LehrerInnen im Ausstand). Dagegen blieben die Auswirkungen des Streiks in den öffentlichen Transportmitteln am Dienstag vormittag mäßig, rund 70 % der Metrobahnen und 60 % der Vorort-Pendlerzüge funktionierten. Im überregionalen Eisenbahnverkehr fuhren, je nach Strecke, meistens ein Drittel bis zwei Drittel der Züge. Allerdings hätte ein stärkes «Lahmlegen» der Transportnetze auch die Mobilisierung zu den Demonstrationen selbst zu beeinträchtigen gedroht. Mit rund 2.000 örtlichen Streikankündigungen im öffentlichen Dienst (dort muss, im Gegensatz zur Privatwirtschaft, eine Vorwarnung hinterlegt werden) ist ihre Zahl höher als am ersten Streiktag gegen die regressive «Rentenreform», dem 13. Mai 2003. Damals hätte eine breite Streikbewegung entfacht werden können, wurde jedoch durch das Abwürgen der spontan fortgesetzten Transportstreiks (das in die Verantwortung der beiden größten Gewerkschaftsapparate von CFDT und CGT fällt) erstickt. Fraglich bleibt, wie die Gewerkschaftsdachverbände in den folgenden Tagen den Konflikt weiter zu führen gedenken. Dies wird sicherlich auch Gegenstand eines, mitunter mühseligen, Kompromisses zwischen den 12 aufrufenden Verbänden (8 Gewerkschaftszusammenschlüsse von Arbeitern und Angestellten, 2 Studierenden- und 2 Oberschülerverbände) sein. «Kompromiss» nach Gusto der Regierung: Erst einmal gescheitert. Aber Sarkozy ist im Wartestand ... Der Versuch der konservativen Regierung unter Dominique de Villepin, doch noch einen «Kompromiss» ohne Rücknahme des CPE einzufädeln, ist vorerst gescheitert. Der Premierminister hatte die Gewerkschaftsorganisationen für den morgigen Mittwoch erneut zu einer Unterredung an seinem Amtssitz eingeladen. Hübsch getrennt: die (größeren) Gewerkschaftsbünde der Arbeiter und Angestellten für 15.30 Uhr, und die Studierenden- und Oberschülerverbände auf 18.30 Uhr. Dabei ließer durchblicken, dass er zwar nicht über die Rücknahme des CPE reden möchte, wohl aber über Änderungen an zwei wichtigen Punkten (die Länge der kündigungsschutzlosen Periode, im Gespräch wäre ihre Verkürzung von 24 auf 12 Monate; und die Wiedereinführung der Notwendigkeit einer minimalen Begründung von Kündigungen). Allem Anschein nach geht es ihm inzwischen auch darum, wirklich das Eingemachte zu retten. Zumal sein großer Herausforderer, Innenminister und Präsidentschaftskandidat Nicolas Sarkozy (neben dem noch nicht erklärten Kandidaten de Villepin), die Situation geschickt ausnutzt. In einer viel beachteten Rede am Montag abend im nordfranzösischen Douai forderte Sarkozy lautstark den «soziale Dialog» ein. Er variierte dieses Thema auf verschiedenen Tonleitern herunter: «Man kann eine feste Position einnehmen, ohne sich zu versteifen... Man kann versöhnlich (auftreten), ohne schwach zu sein... » Wunderschönes Wortgeblubber also. In der Sache selbst sprach Sarkozy sich jedoch auch für Verhandlungen mit den Gewerkschaftsorganisationen aus, bevor der CPE «probeweise» für 6 Monate in Kraft gesetzt werde. Da sagt er zwar in der Sache nicht viel Anderes, als de Villepin im Moment händeringend versucht, aber es gelingt ihm, sich mit seiner Pose als vermeintlicher Kritiker der Hardlinerposition des Regierungschefs in Szene zu setzen. Dabei ist das, was Sarkozy in derselben Rede längerfristig vorschlug bzw. ausmalte, näher an dem dran, wovon die französischen Arbeitgeberverbände im Moment träumen (und was auch de Villepin am 25./26. Januar vorschlug): Sarkozy sprach sich für die Schaffung eines «contrat unique (Einheitsvertrags) ohne Befristung» aus. Das bedeuter verklausuliert nichts anderes, als das, was die Arbeitgeberverbände die ganze letzte Zeit über schon fordern: Statt Sonderverträge vom Typ CPE/CNE zu favorisieren, soll der Kündigungsschutz im Normalarbeitsvertrag vom Typ CDI (unbefristeter Vertrag; der theoretisch weiterhin die Norm bleiben soll) selbst angeknackst werden. Ein «contrat unique» nach den bisher präsentierten Vorstellungen würde bedeuten, dass die Arbeitsverträge weiterhin unbefristet abgeschlossen werden, aber der Kündigungsschutz mit steigender Zahl der Dienstjahre wächst. Das bedeutet, dass im Kontext einer solchen Regelung in den Anfangsjahren ebenfalls kaum Kündigungsschutz bestünde, dieser dann aber nach einigen Jahren der Unternehmenszugehörigkeit zumindest die Gestalt eines garantierten Mindestniveaus an Abfindung annähme. Eine tolle Alternative..., die, je nach konkreter Ausgestaltung, in mancher Hinsicht noch schlimmer als das CPE-Projekt ausfallen könnte! Durch Sarkozys bonapartistische Positionierung unter Druck gesetzt, sucht de Villepin also nunmehr, das Wesentliche bzw. seinen Posten zu retten. Aber die Gewerkschaften haben ihm den schönen Terminvorschlag am Mittwoch abgesagt: Sie wollen nicht nochmals (wie am vorigen Freitag) an Diskussionen teilnehmen, bei denen es von vornherein um die nähere Ausgestaltung des CPE ginge, und nicht um die Frage seiner Rücknahme. Neue Gefahr: Hochschulferien ! Die Streikkkordination, die am vorigen Wochenende an der Universität Aix-Marseille tagte, spricht sich ihrerseits nicht nur für die (bedingungslose) Rücknahme des CPE aus, sondern auch für den Rücktritt der illegitim gewordenen Regierung de Villepins. Ab Donnerstag ruft sie zur Blockade von Bahnhöfen und Verkehrslinien auf (die es vorige Woche bspw. auf der TGV-Linie zwischen Bordeaux und Paris schon kurzfristig gegeben hat), um den kapitalistischen «Normalbetrieb» des Alltagslebens stärker zu beeinträchtigen. Für den 04. April ruft die Koordination ferner zu einem Generalstreik auf. Gelingt es nicht (für den Fall, dass die Regierung den CPE nicht zurückzieht, und das französische Verfassungsgericht am Donnerstag dieser Woche das Gesetz nicht kassiert), die Bewegung rasch zuzuspitzen, so könnte sie mit dem Anfang der kommenden Hochschulferien in ein Loch fallen. Im Februar (anlässlich der damaligen Winterferien an Schulen und Universitäten) ging dieses Kalkül der Regierung ja nicht auf. Aber heute würde sich die Frage stellen, ob die massenhafte Mobilisierung der Studierenden über die 14tägigen Frühjahrsferien hinaus und angesichts der dann näher rückenden Jahres-Abschlussprüfungen noch aufrecht erhalten werden könnte. Wahrscheinlich kann dies aber nur klappen, wenn auch andere Sektoren sich dann massiv im Ausstand befinden. Im Großraum Paris beginnen die zweiwöchigen Hochschulferien am Samstag, den 08. April. Sollte die Regierung noch fest zur Kraftprobe und zum «Aussitzen» der Hochschulstreiks entschlossen sein, dürfte sie dies in ihr Kalkül einbeziehen. (Unter dem Vorbehalt, dass sie dies durchhält und die Verfassungsrichter am Donnerstag nicht dem Tauziehen durch Einkassieren des Gesetzes ein Ende bereiten.) Das Problem dabei könnte werden, dass es im Falle sich radikalisierender Aktionsformen, die nicht von einem massenhaften Ausstand (zumindest in Schlüsselsektoren wie dem öffentlichen Transport) begleitet werden, zu einer allmählichen Isolierung der sich am stärksten radikalisierenden Sektoren kommen könnte. Dies war in ähnlicher Form zuletzt auch Anfang Juni 2003 zu beobachten. Zugleich gab es in den letzten Tagen auch Formen des Überbordens, die nicht politisch kontrolliert waren - sondern eher von einer Gewalt zeugten, die (insbesondere von Jugendgangs aus den Trabantenstädten ausgehend) sich zumindest zum Teil ohne jeden politische Sinn Bahn brach. Dies könnte als Argument, etwa auch seitens der Gewerkschaftsapparate, gegen eine sich radikalisierende Bewegung gewendet werden. «Gewalt - welche Gewalt?» Vom sozialen Charakter der Gewalt Am vorigen Donnerstag kam es, zum Abschluss der Pariser Demonstration, zu hässlichen Szenen. Mehrere hundert Mitglieder von Jugendgangs begleiteten den Protestzug von Anfang an. Die Renseignements Généraux (politische Abteilung der französischen Polizei, entfernt mit den deutschen Verfassungsschutzämtern zu vergleichen) sprechen in den Medien von «2.000 gewaltbereiten Jugendlichen», die am Donnerstag in Paris unterwegs gewesen seien. Dort, wo in den Zeitungen ihre eigenen JournalistInnen berichten, ist von «gut 1.000» die Rede. Letztere Angabe erscheint mir, nach eigenen Beobachtungen, für vorigen Donnerstag eher realistisch. Während des Demoverlaufs konnte nicht allzu viel passieren, da die Studierenden und mittlerweile - nach leidvollen Erfahrungen im März 2005 - auch die Oberschüler/innen gelernt haben, ihre Demoblöcke wirksam durch Ordnerdienste abzuschirmen und zu schützen. Aber sobald die Auflösung der Demonstration auf dem Platz vor dem Invalidendom beginnt, fängt es an zu knallen. Hunderte von Mitgliedern der Jugendgangs fordern die CRS, die französische Bereitschaftspolizei, mit Wurfgeschossen heraus; diese antwortet mit Tränengas. Das alles könnte noch angehen, wenn es wenigstens vernünftig organisiert wäre, in Wirklichkeit ist ihr Vorgehen ebenso unorganisiert wie chaotisch. Aber zumindest ein Teil der Gangmitglieder scheint auch gekommen, um Demonstranten auszurauben. Einzelne werden zu Boden gerissen, an den Haaren gezerrt, getreten und geprügelt. Die Auflösung des auf dem Platz verbliebenen Rests der Demo ist daher von innen heraus in vollem Gange, als die CRS dankbar die Gelegenheit ergreifen, um den gesamten Platz in rasantem Tempo zu räumen.
«Es kotzt mich an, in den Medien werden sie wohl hauptsächlich darüber berichten» meint Sandra Lemarcq von der linksalternativen Gewerkschaft SUD-PTT. Einer ihrer Begleiter fügt hinzu: «Das ist dramatisch, weil es anzeigt, wie sehr die Gesellschaft in Partikulargruppen aufsplittert, die kaum mehr miteinander zu tun haben - wie in vielen US-Großstädten. Diese Jugendgangs, die uns angreifen, können mit dem Anliegen der Demonstranten überhaupt nichts verbinden. Dabei sind es diese Leute und ihr Umfeld, die am härtesten von den antisozialen Maßnahmen dieser Regierung betroffen sind.» Ein vierzigjähriger Erzieher meint: «Viele dieser Jugendlichen stehen kurz vor den Schulferien und können sich absolut nichts vornehmen, weil sie kein Geld haben. Sie glauben, hier können sie 'sich ein paar Dutzend Euros machen'. Das zeigt, welche Armut da herrscht, aber auch welche Bewusstlosigkeit. Für sie sind diese Jugendlichen hier nur Privilegierte, wenn nicht Feinde.» Ein vielleicht 15 bis 16jähriger Schwarzer mit Zahnlücken sitzt mit einer Gruppe von Gleichaltrigen, die offenkundig selbst aus der Banlieue kommen, kopfschüttelnd daneben: «Im Prinzip sind das meine Brüder. Aber keine Ahnung - frag' mich bloßnicht, was wohl in deren Köpfen vorgeht.» Nach einer halben Stunden ist der Platz geräumt, und mit anderen zusammen werde ich über die nahe Brücke aufs andere Seineufer abgedrängt. Plötzlich befinde ich mich kurzfristig in einem Pulk von 100 bis 200 Leuten aus Jugendgangs, die sich aber nicht für mich interessieren (allem Anschein nach gehen sie nur auf Gleichaltrige und Minderjährige los). «Mit wem bist Du unterwegs?» höre ich mehrmals, die Jugendlichen sind offenkundig in Kleingruppen organisiert. «Irgendwann gibt es nur noch eine Lösung wie in den USA: 'Schießen, aber auf die Beine zielen'» höre ich einen Demonstranten sagen. Ein anderer meint: «Ich verstehe sie schon, seit 20 Jahren wachsen sie in heruntergekommenen Hochhausghettos auf, die man verrotten lässt. Da würde ich auch einen Hohlen drehen.» Allgemein herrscht eher Ratlosigkeit. Fest zu stehen scheint, dass die Polizei das Ergebnis dieser Konflilte dankbar aufgegriffen hat: Festgenommen worden sind nach diversen Augenzeugenberichten vor allem einzelne Demonstranten, die Parolen gegen die CRS riefen oder allenfalls mit Wurfgeschossen auf die Bereitschaftspolizei warfen. Dagegen ließman die teilweise mit Stöcken bewaffneten Gangmitglieder eher gewähren. Das Chaos, das sie anrichteten, ist ja durchaus nützlich. Am Sonnabend kam es auch zu den ersten Prozessen gegen Teilnehmer an «gewalttätigen» (Nach-)Demonstrationen. Wie die Tageszeitung 'Libération' vom Montag aber bereits in ihrer Unterüberschrift bemerkte, betraf keine der angeklagten Straftaten das Überfallen und Ausrauben von DemonstrantInnen - sondern ausschließlich tatsächliche oder vermeintliche Attacken (verbaler und physischer Natur) auf die Polizeikräfte. Die am Samstag in Paris verhängten Strafen in 10 Fällen reichen von einigen dutzend Stunden «gemeinnütziger Arbeit» bis hin zu einem Monat Haft ohne Bewährung für «Diego» (dessen Stiefvater, ein Polizist, sich danach in den Medien verbreiten durfte, er finde diese Strafe richtig und angemessen). Landesweit sollen die in ersten Eilprozessen verhängten Strafen bereits bis zu drei Monaten Haft ohne Bewährung gehen, dies harrt aber noch der Bestätigung. Ein in Paris «am Tor des Gerichtssaales stehender Gendarm» wurde schon am Samstag in einem Rundfunkbericht beim öffentlich-rechtlichen Sender Radio France Info, zum Abschluss, mit den Worten zitiert: «Heute waren hier nur kleine Fische (vorgeladen).» Auch Augenzeugenberichte für die vorgenommenen Verhafungen sprechen davon, dass zwar waffen- und ausrüstungslose Oberschüler, die einzeln dastanden und den CRS (Bereitschaftspolizisten) Sprüche zuriefen, mitgenommen worden seien - aber nicht die Angreifer, die Jugendliche attackierten. Und nicht einmal (so ein Augenzeugenbericht einer bekannten Aktivistin der Arbeitslosenbewegung AC!) die «Halbprofis», die - ihren Angaben zufolge - vor den Augen in der Nähe herumstehender Zivilpolizisten mit Hämmern die Fenster von Autos zertrümmert hätten. Als Hauptgefahr betrachtet die Staatsmacht offenkundig nicht diese dummen oder gar antisozialen Formen von Gewalt, sondern vorwiegend die Form von Gewalt, die sich noch (halbwegs) zielgerichtet gegen uniformierte Repräsentanten der Staatsgewalt richtet. Die Form von gegen DemonstrantInnen gerichtet Gewalt, die etwa am vorigen Donnerstag zu beobachten war, wirft ein ernsthaftes politisches Problem auf. Denn sie widerspiegelt eine tiefe Kluft, die zwischen einem Teil (sicherlich einer Minderheit) der besonders benachteiligt, besonders ghettoisierten und besonders misshandelten Banlieuejugend einerseits und den Demonstrierenden andererseits herrscht. Die Forderungen der Letzteren sprechen die Akteure dieser Form der Gewalt offenkundig nicht im Geringsten an, erhoffen sie sich doch ohnehin nichts von ihrer potenziellen Erfüllung. In ihren Köpfen werden die protestierenden Jugendlichen einerseits als Privilegierte wahrgenommen, andererseits aber als Weicheier und «natürliche Opfer», so dass sich (in ihren Augen) eine Form von sozialer Rache auf dem Wege des Faustrechts durchführen lässt. Man könnte nun Marx' Theorem vom «Lumpenproletariat» auf diese Realität anzuwenden versuchen. In jedem Fall wirft sie ein gravierendes politisches Problem - das sich derzeit nur eindämmen lässt, nämlich durch effektive und funktionierende Ordnerdienste zum Schutz der Demos.
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