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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Wie geht es weiter mit der Anti-CPE-Bewegung? Gewerkschaftsdachverbände zur Verhandlung bei de Villepin. Gewaltausbrüche nach donnerstäglichen Demos. Ist dies der Anfang einer «Kompromiss»findung? Stimmen die Gewerkschaftsführungen also demnächst den Abgesang auf die außerparlamentarische Protestbewegung und –mobilisierung an? Oder handelt es sich lediglich um eine Formalität, die es beiden Seiten erlauben soll, das Gesicht zu wahren? Bzw. nicht den Eindruck aufkommen zu lassen, man habe nicht alles getan, um zu einer Lösung am Verhandlungstisch zu kommen? Fakt ist jedenfalls folgender: Am heutigen Freitag nachmittag werden die Repräsentanten der fünf institutionnel anerkannten Gewerkschaftsdachverbände beim französischen Premierminister Dominique de Villepin empfangen werden. Der konservative Regierungschef schickte den 5 Gewerkschaftsverbänden am Donnerstag vormittag eine Einladung zu einem «Arbeitstreffen» im Hôtel de Matignon (Amtssitz des französischen Premierministers), um «ohne Vorbedigungen alle Themen im Zusammenhang mit der Jugendarbeitslosigkeit» zu besprechen. Diese Zusammenkunft könne, so konnte die Pariser Abendzeitung "Le Monde" bereits in ihrer Freitagsausgabe (die in Paris am Donnerstag um circa 15 Uhr erschien) berichten, schon am folgenden Tag stattfinden. Dies hat sich mittlerweile bestätigt, die Gespräche werden am Freitag nachmittag eröffnet. Im Anschluss daran werden ab 18 Uhr die Arbeitgeberverbände bei Premierminister de Villepin empfangen. Demnach ist im Augenblick keine Marathon-Verhandlungsrunde geplant, sondern eine erste Gesprächsrunde, die höchstwahrscheinlich noch zu keinem Abschluss oder «Durchbruch» führen dürfte. Welche Gewerkschaften betrifft die Eröffnung der Gespräche? Bei den 5 Gewerkschaftsbünden, die «in Matignon» (so der im Französischen geläufige Ausdruck) vorgeladen worden sind, handelt es sich um jene Interessenvertretungsverbände von Arbeitern und Angestellten, die vom französischen Gesetzgeber als «repräsentativ» anerkannt sind. Das entspricht im Deutschen ungefähr (ziemlich vergröbernd) der Anerkennung ihrer «Tariffähigkeit». Es handelt sich um folgende Gewerkschaftsbünde, in der Reihenfolge ihrer Größe: CGT (postkommunistisch), CFDT (sozialliberal), FO («überparteilich» und populistisch), CFTC (christlich) und CFE-CGC (ihre gesetzlich verankerte «Repräsentativität» gilt nur für die höheren Angestellten). Andere Gewerkschaftsorganisationen können unterdessen den Nachweis ihrer «Repräsentativität» in einem Betrieb oder einer Branche ebenfalls erbringen, müssen diese dann jedoch anhand von Kriterien (wie ihrem Einfluss im fraglichen Sektor, und ihrer Gegnerfreiheit, d.h. Unabhängigkeit vom Arbeitgeber) nachweisen können. Auf nationaler und branchenübergreifender Ebene schafften es andere Dachverbände (wie der Zusammenschluss der linksalternativen SUD-Basisgewerkschaften, Solidaires, sowie die «unpolitisch»-reformistische UNSA) bisher nicht, ebenfalls als «repräsentativ» anerkannt zu werden. Bisher noch kein Bruch der gewerkschaftlichen Einheit Unter den genannten, als «repräsentativ» anerkannten Gewerkschaftsbünden positionierte sich in jüngster Vergangenheit vor allem die CFDT als Lieblings-Verhandlungsgegenpart und Wunschpartner konservativ-liberaler Regierungen (1995, 2003). Allem Anschein nach hat die CFDT-Führung bereits in den vergangenen 8 Tagen schon wieder auf die Eröffnung von Verhandlungen ihrerseits mit der Regierung gedrungen. Aber bis vor kurzem stieß dieser Verhandlungswunsch auf kein nennenswertes Echo. Sowohl das Regierungskabinett als auch die CFDT-Führung wissen dabei natürlich, dass es sich der CFDT-Apparat momentan nicht erlauben könnte, erneut (wie bei der «Rentenreform» mit ihrer Unterstützungserklärung vom15. Mai 2003) ein Separatankommen mit der konservativen Regierung zur quasi-kostenlosen Unterstützung ihrer «Reform» abzuschlieben. Die Episode von 2003 hat die CFDT mit dem Verlust mehrerer zehntausend Mitglieder und Einbrüchen bei Personalratswahlen in mehreren Sektoren (jüngst wurde dies für die gestrigen Wahlen bei der Eisenbahngesellschaft SNCF erwartet) bezahlt. Einen solch hohen politischen Preis kann sie sich im Moment nicht leisten, zumal die CFDT-Führung unter François Chérèque auf ihrem Kongress im Juni 2006 ohne allzu große Schwierigkeiten wiedergewählt werden möchte. Unterdessen wachsen auch innerhalb der CFDT bereits die Widerstände gegen ein erneutes «Gratisabkommen» mit den regierenden Konservativen. So beschloss der Zusammenschluss der CFDT-Gewerkschaften von Kommunalangestellten im Département 92 (Hauts-de-Seine, westliche Vororte von Paris) in einer Tagungsresolution, dass er dem Dachverband CFDT den Rücken kehren werde, falls sich die Vorkommnisse von 2003 wiederholten. Am Donnerstag um 15.30 Uhr trafen die Führungen der fünf Gewerkschaftsbünde, die am heutigen Freitag «in Matignon» eingeladen sind, bereits zu einer Beratungsrunde zusammen. Es handelte sich um das erste Gipfeltreffen der «Fünf» seit gut fünf Jahren. Ihm folgte am heutigen Vormittag eine erweiterte Runde, an der auch die (sozialdemokratisch dominierten) anerkannten Studierenden- und Oberschülergewerkschaften wie die UNEF teilnehmen konnten. Aber auch andere Gewerkschaftsorganisationen wie Solidaires (also die SUD-Gewerkschaften), die eher «moderate» UNSA und der größte Verband von Lehrergewerkschaften, also die (eher linke) FSU, nahmen daran teil. Das Treffen wurde am Freitag früh um 9 Uhr am Pariser Sitz der UNSA eröffnet. Bisher hält die gewerkschaftliche Einheit in Sachen Ablehnung des CPE allem Anschein nach. «Wir werden wachsam sein und uns nicht um den Finger wickeln lassen», betonte ausgerechnet der CFDT-Generalsekretär François Chérèque (der «Held» vom Mai 2003!) im Anschluss an das donnerstägliche Nachmittagstreffen der «fünf Groben». Er setzt sogar hinzu, dass die Regierung auf einen Bruch der gewerkschaftlichen Einheitsfront spekuliere, den man nicht zulassen dürfe. Und: «Wenn der Premierminister nicht positiv auf unser Ansinnen antwortet, die Zurücknahme des CPE, werden wir das Gespräch dort abbrechen.» Gut gebrüllt, Löwe... Dominique de Villepin: Wackelkurs in den vergangenen Tagen In den letzten Tagen hat Premierminister de Villepin einen gewissen Wackelkurs an den Tag gelegt, was die Pläne zur Durchsetzung des CPE betrifft. Zunächst hatte der Premierminister – etwa in seiner Fernsehansprache vom 12. März – betont, die so genannten «Sozialpartner» könnten Verbesserungen und Begleitmaßnahmen zum «Ersteinstellungsvertrag» (CPE) aushandeln. Dies war in der Sache nichts substanziell Neues, denn erstens sieht das Gesetzespaket unter dem Titel «Gesetz zur Chancengleichheit» (das den CPE einführt) dies selbst in seinem Artikel 8 vor. (Denn dieser lautet : «Die Sozialpartner können über eine Verbesserung der in diesem Gesetz enthaltenen Garantien verhandeln».) Zum Zweiten hatte dies eher wenig Sinn, solange für de Villepin klar war, dass die Verhandlungen nicht den Kern der neuen Regelung – also einen Sondervertrag mit anfänglicher Periode ohne Kündigungsschutz einzuführen – berühren dürften, und die Gewerkschaften gleichzeitig diesen Kern nicht akzeptieren wollten. Als am Montag 25 Arbeitgeber durch de Villepin empfangen wurden, regten einige von ihnen selbst an, de Villepin möge doch als «Kompromiss»vorschlag die kündigungsschutzlose Periode von zwei Jahren auf ein Jahr verkürzen. Zugleich sprachen sich zumindest einige von ihnen dafür aus, dass auch während der Periode, in der das normale gesetzliche Kündigungsverfahren (mit seinen Fristen, seiner Prozedur usw.) keine Anwendung finden soll, dennoch der Arbeitgeber zur Nennung von Gründen beim Abbruch des Beschäftigungsverhältnisses verpflichtet sein soll. Laut ‘Canard enchaîné’ vom Mittwoch soll sich etwa Gonzague de Blinières (vom Französischen Verband der Finanzinvestoren) in diesem Sinne geäubert haben. Damit sprechen einige «aufgeklärte» Vertreter des Kapitals nur aus, was im Prinzip im Interesse ihrer Klasse liegen müsste: Die Möglichkeit einer Kündigung ohne jegliche Begründung bietet ihnen nur «trügerische Rechtssicherheit» (so die Formulierung etwa von Wirtschaftsanwälten), da hinterher Arbeitsgerichtsprozesse aufgrund des Verdachts grundsätzlich rechtswidriger Diskriminierung als Kündungsgründe angestrengt werden können. Gleichzeitig aber hängen dem Vernehmen nach die Arbeitgeber in manchen Branchen durchaus ziemlich an der neuen Regelung (im Rahmen des CNE wie auch des CPE), ohne Angabe von Gründen entlassen zu dürfen. Kurz, das Arbeitgeberlager ist in dieser Frage selbst gespalten... Doch wie ‘Le Monde’ in ihrer Ausgabe vom Mittwoch abend berichtet, hatte Premierminister de Villepin am Vortag vor den UMP-Parlamentariern eine harte Linie eingenommen. Demnach komme «weder eine Rücknahme, noch eine vorläufige Aussetzung, noch eine Veränderung der Natur (dénaturation) des CPE» in Frage. Eine offizielle Verkürzung der (offiziell als «Periode der Konsolidierung des Beschäftigungsverhältnisses» bezeichneten) kündigungsschutzlosen Phase komme nicht in Betracht. (Per Kollektivvertrag zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften kann diese ohnehin eingeschränkt werden, etwa auf ein Jahr, sowohl aufgrund des oben zitierten Artikels 8 als auch aufgrund des arbeitsrechtlichen «Günstigkeitsprinzips». Dies setzt eben nur voraus, dass sich die Arbeitgeber einer Branche dazu bereit erklären, dies kollektivvertraglich abzusichern – fraglich ist, zu welchen «Gegenleistungen»...) Ebenso wenig mochte Dominique de Villepin am Dienstag etwas davon wissen, die Pflicht zur Begründung der Aufkündigung des Arbeitsverhältnisses in den CPE aufzunehmen. Allenfalls wollte er den betreffenden Arbeitgeber dazu verpflichten, dem «Référent» (der eigens für den CPE einzurichtenden Bezugsperson, etwa bei der Arbeitsagentur ANPE) eine «Erklärung», eine «Vertragsendbilanz» zukommen zu lassen. Aber eben ohne die juristisch bindende Wirkung einer Entlassungs-Begründung, die vor einem Arbeitsgericht attackiert werden kann. Am Donnerstag dann wieder verlautbarte, Dominique de Villepin schließe nunmehr im Rahmen von Verhandlungen «nichts aus». Wichtig sei nur, dass Verhandlungen in Gang kämen. Dies mag ein taktischer Dreher sei, es mag aber auch damit zusammenhängen, dass sich der Rivalitätskampf im bürgerlichen Lager aufgrund des wachsenden Drucks der sozialen Proteste zugespitzt hat. Der ultra-ambitionierte Innenminister und Präsidentschaftskandidat Nicolas Sarkozy steht zwar in der Sache grundsätzlich für eine rücksichtslosere «Reform»politik, im Zeichen der ‘rupture’, also des von ihm propagierten «Bruchs» mit dem (überkommenen, unbezahlbar gewordenen, nicht zur Schaffung von Jobs fähigen usw.usw.) «herkömmlichen französischen Sozialsystems». Im Augenblick aber versucht Sarkozy zu navigieren und sich nicht vom politischen Niedergang seines bisherigen Rivalen de Villepin mit in einen Abwärts-Strudel hinabziehen zu lassen. Am Montag dieser Woche traf Sarkozy etwa (anlässlich eines Aufenthalts in Korsika) mit einer Mini-Delegation von drei Oberschülern, die Mitglied der «Anti-CPE-Koordination» sind, für circa 30 Minuten zusammen. Dabei erklärte Sarkozy laut ‘Libération’ vom folgenden Tag, man müsse «um jeden Preis den Dialog führen». Und: «Diese Entscheidung (Anm.: zum eventuellen Rückzug des CPE) obliegt mir nicht, sie liegt beim Premierminister. Ich habe mich am Sonntag abend lange mit ihm unterhalten, ich habe ihm meinen Standpunkt dargelegt, aber erlaubt/erlauben Sie, dass ich den Inhalt unseres Gesprächs für ihn (Villepin) und für mich behalte.» Ohne inhaltlich das CPE-Projekt zu kritisieren, kokettiert Sarkozy damit (halb)öffentlich mit der Aussicht auf eine mögliche Rücknahme des CPE. Als typischer Bonapartist navigiert er eifrig herum, indem er sich auf alle möglichen und auch widersprüchlichen sozialen Kräfte stützt, denen er verspricht, seinen «politischen Voluntarismus» in ihren Dienst zu stellen. In der Öffentlichkeit freilich kritisiert Sarkozy nicht den Inhalt den CPE, wohl aber stellte er zur Wochenmitte (etwa in einem Interview mit der am Donnerstag erschienen Wochenzeitschrift ‘Paris Match’) in Aussicht, falls der Premiernister bei seiner unnachgiebigen Haltung bleibe, werde er sich in Bälde «Gehör verschaffen». Inhaltlich forderte Sarkozy freilich auch nicht mehr und nichts «Kritischeres», als etwa nach 6 Monaten eine «Überprüfung» der Anwendung des CPE vorzunehmen. Ausblick Diese Brüche innerhalb des konservativen Lagers, die aus dem Zusammenspiel aus inneren Rivalitäten und massivem äußerem Druck resultieren, könnten de Villepin nun davon überzeugt haben, dass er dringend einen «Kompromiss» mit halbwegs legitimierten Ansprechpartner finden müsse. Dennoch wird allgemein «nicht damit gerechnet, dass es vor dem Aktions- und Streiktag vom Dienstag zu einer Auflösung der blockierten Situation kommt», wie das Online-Nachrichtenmagazin des Internetproviders Wanadoo in der Nacht vom Donnerstag zum Freitag schrieb. Am Dienstag, 28. März rufen ja zwölf Gewerkschaftsorganisationen (von Arbeitern, Angestellten und Studierenden) sowie die Nationale Streikkoordination zu «Arbeitsniederlegungen, Streiks und Demos» auf. Anders als beispielsweise die ‘junge Welt’ behauptet, ist dies jedoch (noch ?) nicht der von Vielen geforderte oder erwogene Generalstreik. Der Unterrschied ist, dass die Gewerkschaften den Streik in bestimmten Sektoren mit hoher Mitgliederkonzentration organisieren werden - in anderen Sektoren jedoch den abhängig Beschäftigten allein die Initiative überlassen bleibt, sich des Aufrufs zu Ausständen zu bemächtigen oder auch nicht. Ein Generalstreik im wörtlichen Sinne würde bedeuten, aktiv ÜBERALL zur Niederlegung der Arbeit zu drängen. Wie es nach dem Dienstag um eventuelle Verhandlungen stehen wird, ist noch nicht klar. Ein Argument dafür, solche Verhandlungen mit dem Ziel, zu einem Abschluss und «Kompromiss» mit der Regierung zu führen, könnten ihn die allmählich ausufernden Gewalttaten am Rande der Demonstrationen in manchen Städten liefern. So kam es in Paris am Donnerstag gegen 18 Uhr zu massiven Gewalttaten, die von Jugendgangs verübt wurden, welche tatsächlich nicht allein die Polizei attackierten, sondern auch an zahlreichen Stellen Demonstrantinnen und Demonstranten zu Boden rissen, schlugen, an den Haaren zerrten und beraubten. An mehreren Punkten kam es wirklich hässlichen Szenen. Insgesamt waren schätzungsweise rund 500 Angehörige von Jugendgangs aus den Banlieues unterwegs, von denen sich manche Scharmützel mit der CRS-Bereitschaftspolizei CRS lieferten – und diese auch aktiv suchten -, andere ( ?) dagegen bevorzugt schutzlose einzelne Demonstranten angriffen. Diese Situation, die im Anschluss an die Pariser Demonstration der Studierenden und der Jugendlichen (23.000 Teilnehmer laut Polizei, 50.000 laut anderen Quellen v.a. der Veranstalter) zu einer Eskalation führte, lieferte den CRS wiederum den dakbar aufgenommenen Anlass dafür, den Platz des Abschlusses der Demonstration zügig zu räumen. Zudem schafften sich nach Agenturberichten circa zwei Dutzend rechtsextreme Schläger und Skinheads auf dem Platz prügelnd einen Weg, um «die Weißen zu verteidigen» und die (oft, aber nicht ausschließlich) «farbigen» Angehörigen von Jugendgangs gezielt zu attackieren. Ein detaillierterer Bericht vom Autor des Zeilens (der sich mitten im Geschehen befand) folgt noch nach. Deswegen wäre es denkbar, dass die Gewerkschaftsführungen sich in näherer Zukunft auf die «Eskalationsrisiken» und die «Symptome eines Bürgerkriefs (auf niedrigem Niveau)» berufen, um ihr Einlenken zu rechtfertigen. Bernard Schmid, 24. März 2006 |