Home > Internationales > Frankreich > Politik > homoehe1 | |
Updated: 18.12.2012 15:51 |
Frankreich: Während Linke und Gewerkschaften sich kaum rühren - Rechte unterschiedlicher Schattierung machen gegen Homosexuellen-Ehe mobil Linke und Gewerkschaften üben sich in Frankreich derzeit eher im Stillhalten, von örtlich begrenzten Konflikten abgesehen. Das Trauerspiel vom 14. November (dem Streiktag in ganz Europa oder jedenfalls Südeuropa), mit den ausgesprochen kümmerlich-mickrigen Demonstrationen in Paris, belegt es anschaulich. Unterdessen bleibt das Vakuum jedoch nicht lange leer: Rechte füllen es auf, und gehen ihrerseits auf die Straße. Die geplante Legalisierung der Homosexuellenehe in Frankreich entfesselt Leidenschaften. Allerdings nicht allein die der Partnerinnen und Partner, und auch keineswegs nur positive. Hass und Intoleranz zählen zu jenen Emotionen, die derzeit starken Ausdruck im öffentlichen Raum finden. Und die Dinge stehen möglicherweise erst an ihrem Anfang: Auf den 13. und den 20. Januar 2013 sind erneute Demonstrationen zum Thema angesetzt, bevor der Gesetzentwurf der Regierung zum Thema (er wurde am 07. November im Kabinett angenommen) dann ab dem 29. Januar kommenden Jahres in der französischen Nationalversammlung debattiert wird. Einstweilen einmal ein Überblick über die bisherige Mobilisierung. Am Samstag, den 17. November 12 demonstrierten zunächst über 70.000 Menschen in Paris, und zwischen ein- und zweihunderttausend in ganz Frankreich, gegen das Vorhaben. Unter ihnen katholische Kirchenmitglieder, Abgeordnete der bürgerlichen Rechten und auch einzelne "Dissidenten" der Linksparteien. Dabei blieben die Inhalte jedoch relativ vage. Es wurde "allen Kindern eine Mutter und ein Vater" gewünscht und ansonsten betont, man sei beileibe nicht homophob, sondern habe lediglich vor allem konkrete Bedenken bezüglich der Adoption von Kindern durch künftige homosexuelle Ehepaare. U.a. nahmen zahlreiche Mandatsträger der stärksten Oppositionspartei, der UMP, an den Demonstrationszügen teil. In Lyon und vor allem Toulouse fanden gleichzeitig Gegendemonstrationen statt. (Dasselbe Spektrum mobilisiert nun erneut für den 13. Januar 13 gegen die Homo-Ehe.) Richtig wüst wurde es dann am Sonntag, den 18. November d.J. Dieses Mal folgten knapp 10.000 Personen in Paris einem Aufruf aus der katholischen extremen Rechten, vom "Institut Civitas". Letzteres hatte im Oktober und November 2011 in Paris durch wochenlange Aktionen - in Gestalt von Demonstrationen, Kundgebungen und Aufführungsstörungen - gegen ein in seinen Augen "blasphemisches" Theaterstück auf sich aufmerksam gemacht. Das "Institut Civitas" wurde 1999 gegründet und wird von einem belgischen Staatsbürger geleitet, Alain Escada. Er war zuvor in den Jahren 1996/97 Sprecher einer rechtsextremen Partei in Belgien, des Front national belge , welcher ihn jedoch nach einigen Monaten ausschloss und ihm finanzielle Unterschlagungen vorwarf - im Hintergrund standen heftige Grabenkämpfe innerhalb der Partei. Die Veranstalter vom 18. November gaben die Teilnehmerzahl mit "20.000" an, und die Polizei ihrerseits mit "9.000". Laut Zählung des Verfassers dieser Zeilen kann man gesichert von 8.000 bis 9.000 Demonstranten ausgehen. Und zwar auf folgender Grundlage: An einem fixen Punkt, der Ecke Boulevard Saint-Germain und Boulevard Raspail, dauerte der Vorbeimarsch des Demonstrationszugs von 16.07 bis 16.37 - 16.38 Uhr, also genau dreißig Minuten. Aufgrund von Baustellen an der fraglichen Stelle war der Demonstrationszug dort gezwungen, auf relativ engem Raum zu laufen, und war deswegen gut überschaubar sowie gleichmäßig breit. Pro Reihe konnten zehn Demonstrant/inn/en durchgehen, und aufgrund des relativ kompakten Charakters des Zuges kamen pro Minute meistens 30 Reihen durch. Dies ergäbe alle zehn Minuten 3.000 Teilnehmer/innen. Allerdings kam der Demozug ab und zu für eine halbe Minute ins Stocken, so dass die Gesamtzahl knapp unter den 9.000 liegen dürfte. Einige Beobachtungen Der Sonntag Nachmittag zieht sich zäh in die Länge, verbringt man ihn mit der Betrachtung solchen Treibens. Am Spätnachmittag wird es dann noch kurz amüsant: Nun schwenkt eine Horde johlender Achtjähriger auf den Boulevard Saint-Germain ein, umgeben von einem christlich-fundamentalistischen Demoblock mit monarchistischen und rechtskatholischen Fahnen. Sie rufen: "Erste, zweite, dritte Generation - wir sind alle Kinder - von Heteros!" Eine geklaute und zweckentfremdete Parole, im Original lautet sie nämlich: "Wir sind alle Kinder von Einwanderern" ... Ich erlaube mir, die Umstehenden auf dem Trottoir ironisch zu fragen: "Hm, wissen die überhaupt, was das bedeutet?" Prompt droht mein bulliger Nebenmann mir Schläge an, mit den Worten: "Ich habe schon einige Typen auseinandergenommen!" Ich ziehe es kurzfristig vor, dem Zug woanders zu folgen. Zuvor hatten beim Auftakt der Demonstration bereits mehrere Menschen Prügel bezogen. Ukrainische Feministinnen der Gruppe "Femen", die sich seit einigen Wochen in Paris aufhalten (wo sie Trainingslager für feministische Aktivistinnen eröffneten) und ihren international berühmten Oben Ohne-Protest auch am Rande des Demo-Auftakts durchführten, wurden zusammengeschlagen. Ebenso die sie begleitende und besonders feindlich gegen religiöse Fundamentalisten aller Couleur eingestellte Journalistin Caroline Fourest, nachdem sie erkannt worden war. Einer ukrainischen Aktivistin wurde ein Zahn ausgeschlagen, und sie weist Prellungen am ganzen Oberkörper auf. Antifaschist/inn/en konnten später unter den Schlägern ein Mitglied des Ordnerdiensts des Front National (FN) im Raum Saint-Denis, nördlich von Paris, namentlich identifizieren. - Gegen fünf Männer, überwiegend wohl aus dem Umfeld der rechten studentischen Schlägerorganisation GUD, wurde inzwischen ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet. (vgl. Artikel ) Zurück zum 18. November dieses Jahres. Fünf verschiedene rechtsextreme Gruppierungen sind sichtbar in der Demo vertreten:
Auf ihrer Transparenten liest man etwa: "Frankreich braucht Kinder, nicht Homos!" , beim Renouveau français . Oder "Nein zur Homofolie!" (beinahe gleichlautend wie "Homophobie", aber abgeleitet von folie = Verrücktheit) beim Institut Civitas. Gerufen wird unter anderem: "Frankreich will Jobs, keine Homo-Ehe!" , " Frankreich will einen Präsidenten - der die Kinder schützt" oder auch "Eine Ehe, das ist - ein Mann - eine Frau!" Ferner ist auch ein Block der Elus contre le mariage homosexuel (also der "Parlamentarier" oder "Mandatsträger gegen die Homo-Ehe") zu erkennen. Bei näherem Hinsehen erblickt man sieben Gewählte, die eine blau-weiß-rote Schärpe - als Erkennungszeichen der Mandatsträger/innen - über die Schulter tragen. Dabei erkenne ich zuerst Jacques Bompard, den seit 1995 amtierenden rechtsextremen Bürgermeister des südfranzösischen Orange (erst Front National, dann Mitglied der rechtskatholischen Kleinpartei MPF - "Bewegung für Frankreich", später der den "Identitären" nahe stehenden Kleinpartei Ligue du Sud ). Er amtiert seit Juni 2012 auch als einer von drei rechtsextremen Abgeordneten in der französischen Nationalversammlung - neben Gilbert Collard und Marion Maréchal-Le Pen, beide für den FN gewählt - und hat sich in jüngerer Zeit wieder an den Front National angenähert. Kurz darauf identifiziere ich auch Marie-Claude Bompard, Bürgermeisterin des südfranzösischen (und Orange benachbarten) Städtchens Bollène, Ehefrau von Jacques Bompard. Die Hauptpartei der extremen Rechten, der Front National, hatte nicht offiziell zu der Demonstration vom 18. November aufgerufen, aber ihren Mitgliedern die Teilnahme ausdrücklich offen gelassen. Marine Le Pen hatte dazu erklärt, es könnten auch problematische Dinge gerufen werden, mit denen die Partei als solche dann nicht identizifiert werden solle. Daneben ging es ihr in Wirklichkeit sicherlich auch darum, Richtungsstreitigkeiten innerhalb der Partei - etwa zwischen katholischen Fundamentalisten und solchen Mitgliedern, denen religiöse Fragen relativ gleichgültig sind - zu unterbinden. Allerdings hat inzwischen Marine Le Pens Vize-Parteivorsitzender und Lebensgefährte, Louis Aliot, in einer späteren Reaktion am 26.11.12 erklärt, er verurteile nicht die rechtsextreme homophone Demonstration vom 18. November, sondern "diejenigen, die sie störten" ( Vgl. Artikel ) - Und am 29. November erklärte Marine Le Pen im morgendlichen Interview beim Rundfunksender Radio France Inter , die Führungsinstanzen ihrer Partei würden in Bälde über eine Teilnahme des FN an den kommenden Demonstrationen gegen die Homosexuellen-Ehe debattieren. Dennoch ist der FN am 18. November 12 nicht vollständig abwesend. Der ehemalige Vizepräsident der Partei, Bruno Gollnisch, nimmt daran teil; er war bei der innerparteilichen Wahl zum Vorsitz im Winter 2010/11 durch den katholischen Fundamentalistenflügel gegen die "ideologische Modernisiererin" Marine Le Pen unterstützt worden. (Damals unterlag er mit einem Stimmenanteil von rund einem Drittel gegen Marine Le Pen.) Er demonstriert mit einer Schärpe in blauer Farbe mit. Ebenso, er wie er auch bereits beim Demozug vom Vortag - dem 17 November - dabei war, dessen Inhalte insgesamt "moderater" ausfielen. Bei diesem fanden sich auch viele Parlamentarier der stärksten Oppositionspartei UMP. Am 13. Januar 2013 soll, zwei Wochen bevor der Gesetzentwurf (am 29. Januar nächsten Jahres) ins französische Parlament kommt, eine neue Demonstration diesmal Hunderttausende anziehen. Dazu rufen bereits Kirchenkreise, bürgerliche Konservative, aber etwa auch die monarchistische Webseite LafauteaRousseau ("Rousseau ist schuld") aktiv auf. Man wird abwarten müssen, ob konservative und rechtsextreme Mobilisierung dann etwa zusammenfließen. Ähnlich, wie dies auf der Straße zuletzt bei den Großdemonstranten von März bis Juni 1984 zur Verteidigung der katholischen Privatschulen der Fall war. Allerdings will das rechtsextrem-katholische Institut Civitas dem Vernehmen nach erneut zu eigenen Demonstrationsterminen mobilisieren, während Bernard Antony - ein katholischer Fundamentalist, der zwischen 1984 und 2006 dem Front National angehört - seinerseits bereits für den 20. Januar 13 zu Protestzügen aufruft. Niemand wird allerdings etliche Demonstranten daran hindern können, erneut (wie Bruno Gollnisch oder die Eheleute Bompard) an beiden Terminen aufzutauchen, falls wieder zweierlei Aufmärsche - ein insgesamt eher "moderater", und ein "radikaler" - stattfinden. Bernard Schmid, 04.12.2012 |