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Updated: 18.12.2012 15:51
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Eurokrise, Fiskalpakt und Amtswechsel im Elysée-Palast: François Hollande zum Rapport bei Angela Merkel einbestellt

Das Datum hat eine hohe symbolische Bedeutung: Am morgigen Dientag, den 15. Mai (nach Redaktionsschluss dieses Artikels) - dem Tag seiner Amtseinführung - wird der frisch gewählte französische Präsident François Hollande bereits in Berlin mit Bundeskanzlerin Angela Merkel zusammentreffen. Ursprünglich war das Treffen für den Mittwoch 16. 05. geplant. Der Termin wurde dann jedoch am 10. des Monats um einen Tag vorgezogen. Es ist eher ungewöhnlich für ein Staatsoberhaupt, einen Auslandsbesuch schon am Tag der feierlichen Amtsübernahme durchzuführen. Kaum wird sein Vorgänger Nicolas Sarkozy ihm (morgen früh ab 10 Uhr) die Amtsgeschäfte übergeben haben, wird Hollande auch schon zum Flughafen fahren.

Die symbolträchtige Eile, die Hollande bei seinem Zusammentreffen mit Angela Merkel an den Tag legt, hängt unter anderem mit der Zuspitzung der Griechenlandkrise zusammen. Die griechischen WählerInnen griffen am selben Tag zu den Stimmzetteln wie die französischen - am 06. Mai -, und es sah zunächst für die politische Elite in Athen quasi unmöglich aus, eine so genannte handlungsfähige Regierungsmehrheit zu bilden. Jedenfalls dürfte eine Regierungsbildung auf der Linie einer Einhaltung der Spardiktate und Austeritätsprogramme, welche die Vorgängerregierungen unter Giorgio Papandreu und Lukas Papademos akzeptiert hatten, extrem schwer werden.

Am Vormittag des Freitag, 11. Mai deutete der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble bereits an, in seinen Augen sei nunmehr ein Rauswurf Griechenlands aus der Eurozone in den Bereich des Möglichen gerückt: Ein Austritt (oder Ausschluss?) Griechenlands sei "für die Eurozone verkraftbar", erklärte Schäuble in einem Interview mit der Zeitung Rheinische Post.

"Eine Stimme für die Revision des Fiskalpakts": Erinnert sich Hollande nach der Wahl noch daran?

François Hollande ist also sehr schnell nach seiner Wahl gefragt. Zum Einen, weil Frankreichs Mitwirkung beim Umgang mit den widerspenstigen Griechen gefragt sein wird. Zum Anderen aber auch, weil Hollande selbst mit seinem Versprechen im Wahlkampf, er wolle den am 02. März dieses Jahres durch 25 der insgesamt 27 Mitgliedsstaaten der EU (ohne die britische und die tschechische Regierung) vereinbarten "Fiskalpakt" neu verhandeln, selbst im Visier ist. Am 01. März hatte Hollande dieses Ziel bei einem Wahlkampfauftritt in Lyon ausgegeben: "Eine Stimme für mich wird eine Stimme dafür sein, dass dieser Vertrag, der durch Frau Merkel durchgesetzt/aufgezwungen ( imposé ) revidiert wird."

Mehrfach bereits hat die deutsche Bundesregierung erklärt, dass es "nicht in Frage" (Merkel) komme, zu verändern, "was zwischen 25 Staaten vereinbart worden ist". Und tatsächlich dreht sich die Debatte inzwischen auch nicht mehr wirklich darum, ob es auf der Tagesordnung stehen könnte, den Fiskalpakt mit seinen Obergrenzen für die Staatsschulden und den automatischen Sanktionen gegen "sündige" Länder noch einmal aufzudröseln. Dieses Anliegen ist de facto bereits vom Tisch. Und auch François Hollande hat längst den vermeintlichen Imperativ akzeptiert, die Staatsschulden durch Ausgabenbegrenzung u.a. bei den Sozialhaushalten - und in gewissen Grenzen auch durch Steuererhöhungen - einzudämmen, ohne grundsätzlich die Verteilung zwischen Kapital und Arbeit in Frage zu stellen oder zum Beispiel die Legitimität der Schulden beim Bankensektor zu hinterfragen. Die Differenzen zwischen "linkem" und "rechtem" Präsidentschaftsbewerber kamen bei ihrer TV-Debatte vom 02. Mai zur Sprache: Während sein Gegenkandidat Nicolas Sarkozy eine "Schuldensperre" (das Verbot jeder neuen Schuldenaufnahme) per Verfassungsgebot festschreiben wollte, "begnügte" Hollande sich mit einer "(einfach)gesetzlichen Regelung". Und in ihren jeweiligen Wahlprogrammen legten Sarkozy die Zeitgrenze für die Erreichung eines "ausgeglichenen Staatshaushalts" auf das Jahr 2016, Hollande auf 2017 fest.

"Wachstums-" neben Sparziel

Diskutiert wird also nur noch darum, ob oder wie dem "Fiskalpakt" mit seinen Sparzwängen ein zusätzliches Kapital "für Wachstumsziele" hinzugefügt werden soll. Prinzipiell scheinen sich sogar alle zentralen Akteure darüber einig zu sein: Der neue Chef der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi, hat sich am 25. April d.J. dafür ausgesprochen - worauf Hollande in der Schlussphase des Wahlkampfs verwies. Auch die EU-Kommission neigt dazu. Die deutsche Bundesregierung könnte einem Formelkompromiss zum Thema zustimmen. Allerdings bleibt noch fraglich, was jeder der Protagonisten darunter versteht. Mario Draghi nämlich versteht darunter vor allem "Strukturreformen" etwa am sog. Arbeitsmarkt, ähnlich den Hartz-Gesetzen in Deutschland, und einen Abbau der "Lohnkosten" sowie die Steigerung von "Wettbewerbsfähigkeit". Dem würde sich Berlin nicht entgegenstellen. Merkel warnte am 10. Mai im Bundestag: Ein Wachstum durch "Strukturreformen" (im oben genannten Sinne) sei "wichtig und notwendig", zitierte Le Figaro die Kanzlerin, "aber Wachstum auf Pump lehnen wir ab. (.) Wir wollen es nicht tun, wir werden es nicht tun."

Dies bedeutet, dass die deutsche Bundesregierung keinen Investitionen der öffentlichen Hand, im Namen der Steigerung des Wachstums, zustimmen möchte. Le Monde und Libération zitieren etwa deutsche Stimmen aus Regierungskreisen, die es als sinnlos erklärten, "Wachstum durch den Bau zusätzlicher Autobahnen zu stimulieren". Noch mehr Autobahnen und noch mehr motorisierter Individualverkehr - dies wäre in der Tat purer Irrsinn, in Anbetracht der ökologischen Schäden und der Ressourcenverschwendung durch den Automobilismus-Wahn. Dies ist allerdings auch nicht unbedingt die Vorstellung Hollandes. Er denkt eher an öffentliche Investitionen in Energiewende (auch wenn der französische Sozialdemokratie beim AKW-Ausstieg sehr zögerlich ist, und den Atomenergieanteil nur von 74 % heute auf 50 % im Jahr 2025 zurückfahren möchte), Bildungspolitik und zur Ankurbelung des Konsums.

Vorläufig zeichnet sich noch keine Übereinkunft ab, und bis zur französischen Parlamentswahl im Juni d.J. wird Hollande sicherlich auch als verbaler Kritiker der Pläne von Berlin und EU-Kommission auftreten. Mittelfristig zeichnen sich aber durchaus mögliche Kompromisslinien ab. Italiens Regierungschef Mario Monti etwa regte an, die durch Merkel verfolgten Ziele einer "Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit" durch "Reformen des Arbeitsmarkts" mit einer Strategie zu kombinieren, bei der strategische "Zukunftsvisionen" - die der ideelle Gesamtkapitalist im Interesse des Systemerhalts tätigen würde - bei der Berechnung der Staatsverschuldung ausgeklammert werden.

Kleiner Ausblick

Auch in Berlin wird man auf Dauer nicht ausschließlich auf "Haushaltsdisziplin" und buchhalterische Einsparungsimperative setzen können, aus Angst, dass eine tiefe Rezension auch den deutschen Exporten den Boden unter den Füßen wegzieht. Ein Anzeichen dafür ist die Zustimmung des eisernen Sparministers Schäuble zu Lohnerhöhungen in Deutschland, die durch die französische Presse intensiv wahrgenommen wurde - und sogar zu einem gewissen Anstieg der Inflation in Deutschland "zugunsten der Wettbewerbsfähigkeit unserer Nachbarn". Den deutschen Eliten scheint die Furcht vor einer globalen Rezession in den Nacken gefahren zu sein.

Ob dies zu den angestrebten zwischenstaatlichen Kompromissen führen wird, oder ob es doch zum "Clash" zwischen Paris und Berlin kommt - wie der rechte und wirtschaftsliberale Sozialdemokrat Michel Rocard (Premier von 1988 bis 1991) am 10. Mai befürchtete - wird die nahe Zukunft erweisen. Unterdessen unterfüttert ein Teil der französischen Sozialdemokratie die Kritik am Kurs Angela Merkels, und gibt François Hollande verbale Deckung: "Madame Merkel kann nicht allein in Europa bestimmen", befand der PS-Sprecher und Parteilinke Benoît Hamon am zurückliegenden Wochenende.

Der Ausgang der Landtagswahl in NRW kommt Angela Merkel dabei noch ein wenig zusätzlich in die Quere, da er ihre "Autorität" schwächen dürfte.

Bernard Schmid, Paris, 14.05.2012


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