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Updated: 18.12.2012 15:51
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François Hollande ist Kandidat: Ein Personenwechsel im Präsidentenamt zeichnet sich ab - kein grundlegender Politikwechsel

Habemus candidatam : Am gestrigen Sonntag Abend stieg bei der größten Oppositionspartei in Frankreich weißer Rauch auf. Nunmehr steht fest, wer die französische Sozialdemokratie bei den Präsidentschaftswahlen im Frühjahr 2012 als Herausforderer des Amtsinhabers Nicolas Sarkozy vertreten wird. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wurde dabei gleichzeitig auch über die Person des künftigen Präsidenten Frankreichs entschieden. Denn dass Sarkozy im kommenden Jahr wiedergewählt wird, gilt derzeit als äußerst unwahrscheinlich. (Vgl. Artikel externer Link)

Über diese Weichenstellung hatten - eine Premiere in Frankreich - nicht nur die Mitglieder, sondern auch die Sympathisanten und voraussichtlichen Wählerinnen der Partei in einer Urabstimmung nach dem Vorbild der primary élections in den USA entscheiden können. Aus Sicht der Partei wurde der historische Test zum Erfolg: Rund 2,6 Millionen Wahlberechtigte nahmen daran in der ersten Runde vor acht Tagen teil, fast drei Millionen wurden es gar an diesem Sonntag. (Vgl. Artikel 1 externer Link und Artikel 2 externer Link)

François Hollande heißt der Kandidat also. Am gestrigen Abend setzte er sich mit gut 56 Prozent der Stimmen gegen die Mitbewerberin Martine Aubry durch. Beide waren in die Stichwahl eingezogen, nachdem sie im ersten Wahlgang als die zwei bestplatzierten unter insgesamt sechs Bewerberinnen und Bewerbern abschneiden konnten: Hollande mit gut 39, Martine Aubry mit gut 32 Prozent. Die nach der ersten Runde ausgeschiedenen Kandidaten - die gescheiterte Präsidentschaftskandidatin von 2007 Ségolène Royal, der auf Law & Order und harte Sparpolitik setzende Parteirechte Manuel Valls, der stark schillernde Parteilinke und smarte Anwalt Arnaud Montebourg sowie der Liberale Jean-Michel Baylet - stimmten letztendlich in der Stichwahl alle für Hollande.

Aber wer ist nun dieser François Hollande? Der 57jährige Berufspolitiker sowie Absolvent der Elite-Verwaltungshochschule und Politikerschmiede ENA hat mit seiner Herausforderin Martine Aubry gemeinsam, dass beide als Parteivorsitzende amtierten; Hollande ab 1997, als sein Vorgänger Lionel Jospin zum Premierminister wurde, und für elf Jahre. Aubry war ihm Ende 2008 nachgefolgt. Im Gegensatz zu Martine Aubry hat Hollande allerdings in der Vergangenheit keine Regierungsämter bekleidet.

Inhaltlich stand Hollande in der Urwahlkampagne für ein „moderates“ Mitte-Links-Profil, das auch zum gemäßigt konservativen Spektrum hin offen blieb. Symptomatisch dafür war, dass Ex-Staatspräsident Jacques Chirac im Juni dieses Jahres erklärte, er würde bei der Präsidentschaftswahl im kommenden Jahr für Hollande stimmen, falls er kandidiere. (Vgl. Artikel externer Link) Tatsächlich darf man damit rechnen, dass auch ein moderater Teil der Konservativen, der von den Exzessen des hyperaktiven und derzeit mit Skandalen - es geht u.a. um illegale Politikfinanzierung durch Rüstungsgeschäfte (Vgl. Artikel externer Link) - eingedeckten Sarkozy genug hat, im nächsten Frühjahr für Hollande stimmen wird.

In der derzeit entscheidenden Frage, jener der Sozial- und Wirtschaftspolitik in Krisenzeiten, setzt Hollande in allererster Linie auf „solide Haushaltsführung“ im bürgerlichen Sinne. Ab 2013 - dem Jahr nach der Wahl - schon sollen die in den letzten Jahren auch in Frankreich stark angewachsenen Staatsschulden unterhalb der einst vom Maastricht-Vertrag fixierten Grenzen (3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts) sinken. Innerhalb von fünf Jahren sollen sie auf Null abgebaut werden. (Vgl. Artikel externer Link) Auch in Paris waren sie unter anderem infolge der „Bankenrettung“ seit 2008 stark gestiegen.

Die von linken oder keynesianischen Wirtschaftswissenschaftlern vorgetragenen Argumente für einen Schuldenschnitt (zumindest jene Schulden, die als illegitim zu gelten hätten, weil die Kreditaufnahme bei Vermögensbesitzern und Spekulanten hauptsächlich Steuersenkungen für dieselben Milieus finanziert habe, sollen nicht bezahlt werden) macht Hollande sich nicht zu eigen.

Den einzigen Ausreißer aus diesem Kurs des „soliden Sparkurses“ bildet Hollandes mitten im Urwahlkampf plötzlich abgegebenes Versprechen, „60.000 Stellen im Bildungswesen“ neu zu schaffen. Bei näherer Betrachtung handelt es sich dabei lediglich darum, das wiederherzustellen, was durch die Rechtsregierung unter Sarkozy in den letzten Jahren zerstört worden ist: Seit ihrem Amtsantritt 2007 hat diese bis in diesem Jahr 66.000 Stellen in den öffentlichen Schulen abgebaut (Vgl. Artikel externer Link) , im laufenden Schuljahr 2011/12 werden weitere rund 15.000 folgen. Erst jüngst führte dies zu Proteststreiks (Vgl. Artikel externer Link). Das Ziel besteht dabei - neben Sparmaßnahmen - auch darin, die katholischen und elitären Privatschulen faktisch zu fördern, indem ihnen aufgrund wachsender Probleme im öffentlichen und kostenlosen Schulwesen ein Publikum in die Arme getrieben wird. Hollande erklärte Anfang September zunächst, „alle gestrichenen“ Stellen binnen fünf Jahren wieder schaffen zu wollen. (Vgl. Artikel externer Link) Vergangene Woche präzisierte er in Libération, es gehe nicht um die Wiederherstellung aller, aber „der meisten“ Stellen. Logisch richtig ist, dass Hollande sich dabei darauf beruft, es gehe nur um die ungefähre - und nicht einmal vollständige - Wiederherstellung eines vorherigen Zustands.

Bernard Schmid, 17.10.2011


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