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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Genau ein Jahr nach dem Sieg über den "Ersteinstellungsvertrag" (CPE): Polemik über das "Projekt eines sozialdemokratischen CPE" Heute ist es genau ein Jahr her, dass die (im Augenblick noch amtierende) konservative Regierung von Dominique de Villepin ihr Projekt des "Ersteinstellungsvertrags" CPE unter dem Druck massivster sozialer Proteste zurückziehen musste. Am 10. April 2006 wurde verkündet, dass die Regierung klein beigab und die Bestimmungen zum CPE aus dem Gesetzespaket, das auf den schönen Namen "Gesetz zur Chancengleichheit" getauft worden war, herausnahm. Damit konnte der erste durchschlagende Erfolg einer sozialen Protestbewegung seit dem Regierungswechsel von Mai 2002 und der Amtsübernahme durch die Konservativen gefeiert werden. (Labournet berichtete ausführlich, und feierte mit Champus mit.) Pünktlich zu diesem Jahrestag kam es in den letzten 8 bis 10 Tagen zu einer heftigen Polemik unter dem Stichwort "CPE von links?!" Es ging um ein Vorhaben, das die rechtssozialdemokratische Präsidentschaftskandidatin Ségolène Royal (Stichwort: eine französische Tony Blair-Version, die ihrem britischen Pendant zwei Schönheitsoperationen voraus hat, aber sich verdammt viel ungeschickter anstellt) Ende März aufs Tapet gebracht hatte. Und das kam so. Patriotische Versumpfung Seit dem Monat März hatte der französische Wahlkampf eine wichtige Wendung erfahren. Bis dahin hatten die Themenfelder "Arbeit & Soziales" die Vorwahldebatte dominiert. Kurz zusammengefasst: Die konservative Rechte schlug ihr Patentrezept "Mehr arbeiten, um mehr zu verdienen" (durch Vervielfachung der Überstunden und eine Ausdehnung der Lebensarbeitzeit) vor. Auf der anderen Seite lockte die sozialdemokratische Bewerberin Ségolène Royal mit relativ schwammigen sozialen Versprechungen: "So bald wie möglich im Laufe der Legislaturperiode" soll der gesetzliche Mindestlohn substanziell angehoben werden, hieß es bei ihr etwa. Gleichzeitig forderte sie aber auch, die Franzosen müssten endlich "mit den Unternehmen versöhnt werden", und sagte in einem Interview mit dem Wirtschaftsmagazin ,Challenges' vom 29. März zu den Arbeitgebern: "Machen Sie Profite, bereichern Sie sich!" (Titelschlagzeile) Weiter links wurden zwar erheblich weitergehende soziale Forderungen erhoben, fanden aber zunächst wenig Gehör, da die "kleinen" Kandidatinnen und Kandidaten links von der Sozialistischen Partei in den Medien weniger Gehör fanden. Darauf soll im Moment an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden. Ab Anfang März kam dann aber die Wende: Nunmehr dominierten die Themen "nationale Identität" (das durch den konservativen Noch-Innenminister Nicolas Sarkozy lanciert worden war), Autorität und "Innere Sicherheit" die Wahlkampagne. Die sozialdemokratische Kandidatin Ségolène Royal versuchte, darauf zu antworten, indem sie ihrerseits auf demselben Terrain nachzog und mitzueifern versuchte. Bei einem Auftritt in Marseille forderte sie in einer Rede auf, jeder französische Haushalt möge zukünftig eine Trikolorefahne in seinem Haushalt haben. Bei Fußballspielen solle sie herausgeholt, und am Nationalfeiertag (14. Juli) sollten die Häuser damit beflaggt werden. Royal glaubte damit an Popularität zu gewinnen, nachdem Sarkozy nach seinen umstrittenen Reden über den Zusammenhang von Zuwanderung und "nationaler Identität" in den Umfragen um rund 4 Prozent angestiegen war. Aber laut einer Meinungsbefragung lehnte 85 Prozent der Interviewten ihrer Vorschlag ab, der dem Publikum offenkundig eher als nationalsymbolischen Kitsch eingestuft wurde. Zugleich ließ Royal nun am Ende ihrer Veranstaltungen oft die Marseillaise, die Nationalhymne, gleich zwei mal hintereinander absingen und den Text ihrer Strophen auf ihre Wahlkampf-Homepage ( www.desirsdavenir.org ) stellen. Daraufhin zog sie sich jedoch eher Kritik von links zu, als dass sie irgendwo an Terrain gewonnen hätte. Hektisches Gegensteuern: Rettungsanker aus dem Sumpf? In den letzten 14 Tagen versuchte Ségolène Royal nun hektisch gegenzusteuern, und die sozial- und wirtschaftspolitischen Themen wieder stärker nach vorne zu rücken. Aber dieser eilige Versuch steigerte die Konfusion nur noch. Zuerst versuchte Royal, den Umgang der Banken mit finanzschwachen Haushalten zu kritisieren. Durchaus zu Recht. So prangerte Royal an, dass die Banken ärmeren Kunden, deren Konto nicht die hinreichende Deckung für eine Finanzoperation aufweist, unter Umständen mächtig viel Geld aus der Tasche ziehen. Als, in der Sache zutreffendesn, Beispiel nahm sie das Exempel eines ungedeckten Schecks in Höhe von 51 Euro, der durch eine Bank abgelehnt wird und für den sie von dem (in der Regel bereits in Geldschwierigkeiten steckenden) Kunden 65 Euro Gebühren vom Konto abbucht. Um dieser Schröpfpraxis ein Ende zu setzen, schlug Royal vor, eine gesetzliche Obergrenze für die Bankgebühren einzuführen. Aber das gibt es inzwischen schon: Die gesetzliche Begrenzung der Bankgebühren war durch die konservative Regierungspartei UMP vor einigen Wochen, kurz vor Ablauf der Legislaturperiode, noch verabschiedet worden. Royal und ihren Beratern war das offenkundig entgangen. 12 Monate kostenlose Arbeitskraft für das Unternehmen Als nächstes startete Royal eine Gegenoffensive mit dem Vorschlag, einen besonderen Eingliederungsvertrag für junge Arbeitslose zu schaffen. Ihre Grundidee: Ein Jahr lang soll die öffentliche Hand den Lohn sowie die Sozialabgaben und eventuelle Ausbildungskosten für junge Arbeitslose, die von einem Betrieb eingestellt werden, zu 100 Prozent übernehmen. Das geht im Kern voll in die Richtung der Idee, dass "die Arbeit zu teuer" und deswegen die Betriebe von ihrer Entlohnung entlastet werden müssten - im Kerne eine zutiefst wirtschaftsliberale Idee. Der Vorschlag hat im Hinblick darauf eine neue Qualität, denn bisher ging es bei den subventionierten Arbeitsverträgen für "schwer auf den Arbeitsmarkt einzugliedernde" Gruppen darum, dass die öffentliche Hand etwa die Sozialabgaben übernahm. In diesem Falle ging es aber tatsächlich ernsthaft darum, dass die Arbeitskraft über zwölf Monate hindurch für den "Arbeitgeber" vollkommen kostenlos ausfallen sollte. Um die zu erwartenden gigantischen "Mitnahmeeffekete" (französisch ,effet d'aubaine' genannt, also wörtlich "Füllhorneffekt") zu verringern, sollte freilich nur eine Person pro Unternehmen gleichzeitig in einem solchen Arbeitsverhältnis angestellt werden können. Es bleibt ein fragwürdiges Unterfangen. Hinzu kam aber auch noch ein handfestes Problem dabei, diese Idee darzustellen und zu "verkaufen". Sowohl die linken Konkurrenten Royals (José Bové, Olivier Besancenot) als auch, aus völlig anderen Motiven, das bürgerliche Lager stellten das Konzept, einen besonderen Eingliederungsvertrag für junge Arbeitsuchende zu schaffen, schnell als sozialdemokratische "Neuauflage des CPE" vor. Das trifft nicht ganz zu: Beim CPE ging es den Konservativ-Liberalen damals vor allem um eine Aushebelung des Kündigungsschutzes, der Hintergedanke von Royals Vorschlag war ein anderer. Dennoch wurde der desaströse Eindruck, nunmehr ein mit dem letztjährigen CPE vergleichbares aus der Mottenkiste zu packen, erweckt und war kaum mehr vom Tisch zu bekommen. (Was den Kündigungsschutz betrifft, so war daran gedacht, dass dieser nach einer dreimonatigen Probezeit wie bei einem normalen unbefristeten Vertrag gelten sollte. Allerdings hätte sich das Problem von alleine aufgeworfen, dass viele Unternehmen hätten "versucht" sein können, sich nach er zwölfmonatigen Periode, während derer ihnen der Lohn und die Sozialabgaben durch die öffentliche Hand bezahlt worden wären, von der Arbeitskraft zu trennen. Ségolène Royal und ihr Beraterstab hatten darauf die Antwort parat, dass im Falle eines Abbruchs des Arbeitsverhältnisses "während der 12 Monate oder kurz danach" die vom Staat erhaltenen Hilfen zurückbezahlt werden müssten. Aber nach 18 Monaten, von denen zwölf für den Arbeitgeber gratis gewesen wären, hätte dies schon nicht mehr gegolten.) Zusätzlich noch war die öffentliche Vorstellung des Projekts ein blankes Desaster. Die Idee war während einer Autofahrt von Limoges in die Auvergne, zwischen zwei Wahlkampfveranstaltungen, infolge eines spontanen Einfalls einer jungen Beraterin enstanden. Royal hatte die Idee der Öffentlichkeit vorgestellt, ohne dass die geringste juristische Ausarbeitung erfolgt oder dass die Kosten des Vorhabens durchgerechnet worden wäre. Mal sollte nach Ségolène Royals Angaben eine Milliarde Euro jährlich für 180.000 solcher Verträge ausreichen, dann wieder nur für 90.000. Bezüglich ihrer Laufzeit war zuerst von drei Jahren, später von einem Jahr die Rede. Die Arbeitssoziologin Dominique Méda (auch "Dominique Médias" genannt), die zahllose Fernsehauftritte absolviert hat und mit ihrer Politikberatung für den rechten Flügel der Sozialdemokraten oft im Trend liegt, heute Royal berät, konnte bei einer Pressekonferenz auf Nachfragen hin nur Unkonkretes antworten. Sie stelle nur "die Grundphilosophie" des Projekts vor, zu präziseren Einzelheiten (wie der Ausgestaltung des Kündigungsschutzes) habe sie aber keine Ahnung, erwiderte sie den versammelten Pressevertretern. Das wirkte nicht eben überzeugend. Auch vor dem Hintergrund dieser reichlich chaotischen Versuche der Umgebung Royals, die Rede wieder stärker auf sozial- und arbeitspolitische Themen zu bringen, konnte die politische Rechte auf dem Gebiet der Sicherheitspolitik und des Nationalstolzes in der Offensive bleiben und ihre Wahlchancen zugleich merklich aufbessern. Im Aufwind befinden sich derzeit vor allem der konservative Bewerber Nicolas Sarkozy und der rechtsextreme Kandidat Jean-Marie Le Pen. Ségolène Royal wird am Schluss aufpassen müssen, dass sie nicht von dem christdemokratischen Zentrumspolitiker François Bayrou, für den (aufgrund des wachsenden Eindrucks der Unfähigkeit "ihrer" Kandidatin) viele sozialdemokratischen Wähler vom rechten Parteiflügel heute stimmen möchten, schon in der ersten Runde aus dem Rennen geworfen wird. Bernhard Schmid (Paris), 10.04.2007 |