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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Die «Geburt» und Vorgeschichte des CPE - Wie entstand die Idee zum «Ersteinstellungsvertrag» genau? Der CPE oder Contrat première embauche ist bekanntlich nur ein Glied in einer längeren Kette. Schon im August 2005 hatte das Kabinett de Villepins den CNE oder «Neueinstellungsvertrrag» auf dem Notverordnungsweg, also ohne jede Diskussion im Parlament, eingeführt. (Vgl. dazu: http://www.labournet.de/internationales/fr/reformterror.html ) Beide Verträge beinhalten dieselbe Grundregel, der zufolge das neu abgeschlossene Arbeitsverhältnisse zwei Jahre ohne Kündingungsschutz bleibt. Es kann während dieser Periode vom Arbeitgeber ohne Angaben von Gründen aufgekündigt werden. Danach geht der Vertrag in ein Normalarbeitsverhältnis über - es sei denn, der Arbeitgeber hat sich entschlossen, einen neuen Beschäftigten in Form eines CNE oder CPE einzustellen. Denn dies bringt ihm den Vorteil, dass der oder die Lohnabhängige kaum den Mund aufmachen dürfte, im ständigen Bewusstsein, auf einem Schleudersitz zu hocken. Da es im französischen System keine Zustimmungserfordernis des Betriebsrats - oder seiner ungefähren Entsprechung, des ' Comité d'entreprise' - gibt, besteht also in solchen Fällen keinerlei Schutz gegen willkürliche Entlassungen. Zur Erinnerung: Die Auseinandersetzungen um den CNE Aus unterschiedlichen Gründen rührten sich kaum Widerstände gegen die Einführung des CNE im August. Der Beschluss dazu fiel überraschend und inmitten in der hochsommerlichen Urlaubsperiode. Noch dazu bestehen in Kleinbetrieben ohnehon die allerschlechtesten Voraussetzungen dafür, dass Beschäftigte sich wehren. Dennoch gelangen den Gewerkschaften in der Folgezeit paar beachtliche Teilsiege. Zwar wurde ihre Klage gegen den CNE im Oktober 2005 vom höchsten Gerichtshof abgewiesen (vgl. http://www.labournet.de/internationales/fr/bs211005_1.html ). Aber seitdem bereiten sie Musterprozesse vor den Arbeitsgerichten vor, bei denen es um Entlassungen geht, die zwar nicht begründet zu werden brauchten, aber offenkundig aufgrund von rechtswidrigen Diskriminierungen erfolgten. Etwa im Fall einer Lohnabhängigen, die nach dem Bekanntwerden ihrer Schwangerschaft entlassen wurde, wer Arbeitgeber keine Lust hatte, den Mutterschaftsurlaub zu bezahlen. Wird die Existenz einer solchen Diskriminierung als Kündigungsgrund nachgewiesen, so kann die geschädigte Person dennoch zumindest auf Zahlung einer Abfindung klagen. Denn trotz fehlendem Kündigungsschutz fällt eine eindeutig diskrimnatorische Maßnahme unter das Verbot des «Rechtsmissbrauchs»: Man geht davon aus, dass der Arbeitgeber grundsätzlich das Recht zur jederzeitigen Kündigung hat - aber sofern er davon nachweislich aufgrund einer Diskriminierung Gebrauch macht, die ausdrücklich verboten ist, so hat er dieses Recht auf unzulässige Weise genutzt. Der Haken an der Sache Die Sache hat mindestens einen Haken: Wer unter den minimalen Schutz des Verbots von «Rechtsmissbrauchs» fallen will, muss nachweisen, dass er einer schützenswerten, da potenziell diskriminierten Gruppe angehört. Auf diese Weise werden die Einzelnen dazu gezwungen, sich einer Gesellschaftsgruppe mit besonderen Merkmalen zuzurechnen, um überhaupt unter den Schutz des Rechts zu fallen. Sie müssen sich etwa offen als Homosexuelle outen oder glaubhaft machen, dass der Arbeitgeber gewusst habe, dass sie einer besonderen weltanschaulichen Richtung angehörten. Wo allgemeine Schutzregeln mit universeller Rechtsgeltung wegfallen, da bleiben eben nur Diskriminierungsschutzregeln für Partikulargruppen übrig, wie unter anderem das britische und US-amerikanische Sozialrecht anschaulich belegen. Ein weiterer Haken an der Sache ist, dass mit solchen Klagen in der Regel nur eine finanzielle Abfindung erzielt werden kann, der Arbeitgeber aber - anders als oft im deutschen Recht - der Arbeitgeber nicht zur Weiterbeschäftigung verpflichtet wird. Die finanzielle Entschädigung bei bleibendem Jobverlust ist, angesichts der Lage auf dem Arbeitsmarkt, oft nur ein schwacher Trost. Dennoch hat die juristische Offensive der Gewerkschaften, trotz all dieser Mängel, seit Jahresanfang zu einer erheblichen Verunsicherung im konservativen Lager und bei den Arbeitgebern geführt. Diese hat sich noch verstärkt, seitdem erstmals am 21. Februar 06 in Longjumeau - in der Nähe von Paris - zwei mittelständische Unternehmen wegen «Rechtsmissbrauchs» beim CNE verurteilt worden sind. (Labournet berichtete) Seitdem jammern und klagen Wirtschaftsverbände oder -anwälte lautstark darüber umher, die Politik habe ihnen eine «trügerische Rechtssicherheit» durch die Schaffung des «Neueinstellungsvertrags» vorgegaukelt, die in Wirklichkeit nicht gegeben sei. Diese Beschwerde belegt unterdessen vor allem, dass man dort tatsächlich glaubte oder hoffte, nunmehr sei jeglichem Handeln eines Arbeitgebers, und sei es auch bei offensichtlicher äußerster Willkür, Tür und Tor geöffnet. Vor dem Hintergrund der eingetreteten Verunsicherung waren auch die Unternehmerverbände lange Zeit gespalten. Mindestens ein Flügel des einflussreichsten französischen Arbeitgeberverbands, des MEDEF, stand den neu geschaffenen Sonderverträgen CNE und CPE in den vergangenen Wochen mit wachsender Skepsis gegenüber. Ihm ging es eher um das strategische Ziel, aus dem «Dickicht der zahlreichen Vertragstypen» heraus zu kommen und - das wäre tatsächlich eine radikale Vereinfachung - die Abschaffung oder Verminderung des Kündigungsschutzes während der ersten Jahre nach Aufnahme einer neuen Stelle gleich für alle Arbeitsverhältnisse festzuschreiben. Ein ähnliches Ziel hat aber Premierminister de Villepin, in zwei Interviews von Ende Januar, bereits selbst in Aussicht gestellt: Bis im kommenden Juni wollte er demnach daran arbeiten, die Einschränkung des Kündigungsschutzes für alle Verträge rechtlich zu ermöglichen. Daran dürfte er sich aber angesichts der anschwellenden Proteste jetzt die Finger verbrannt haben. Der Arbeitgeberverband MEDEF seinerseits hat sich nunmehr Ende voriger Woche erstmals unzweideutig hinter den Premierminister gestellt: Seine Präsidentin Laurence Parisot, eine Repräsentantin des Dienstleistungskapitals - ihr gehört unter anderem ein bedeutendes Umfrageinstitut - wurde bislang selbst zu den Skeptikern gezählt. Am vorigen Donnerstag jedoch begrüßte sie jetzt den derzeit so heftig umstrittenen «Ersteinstellunsvertrag» in warmen Worten als einen mutigen Reformschritt der Regierung. Diese Annäherung, die kurz vorher aufgetauchte Widersprüche hintanstellt, darf man wohl so interpretieren, dass die von beiden - Parisot und de Villepin - vertretenen gesellschaftlichen Interessenblöcke derzeit unter mächtigem Druck stehen. Die «Geburt» des CPE Der CPE oder jedenfalls die Demontage des Kündigungsschutzes, auf welchem Wege auch immer sie erfolgt, nützt zweifellos den Interessen des privaten Kapitals. Erfunden aber hat die neue Regelung doch die Politik, genauer: die der Politik zuarbeitende Technokratie. Der Mann, der ihn erfunden hat, heißt Louis-Charles Viossat. Während seiner Studienjahre an einer Pariser Elitehochschule war er einmal ein führendes Mitglied der «jungen Rocardianer» gewesen, also des besonders wirtschaftsliberalen Flügels des Parti Socialiste (PS), der dem Ex-Premierminister Michel Rocard anhängt. (Rocard, der damals als Rivale und Herausforderer von François Mitterand gehandelt, von ihm jedoch erfolgreich kaltgestellt wurde, war Regierungschef von 1988 bis 91.) Als aus dem jungen Schleimer dann ein älterer Schleimer geworden war (er ist heute 42), stieg er seit Mitte der neunziger Jahre als Technokrat im Arbeits- und Sozialministerium unter konservativen Kabinetten auf. Aus dem jung-sozialdemokratischen Politaktivisten wurde ein «wertungsfreier» und «politisch neutraler» Technokrat. Er muss als Erfinder sowohl des CPE als auch des CNE gelten, die er auf Anforderung des Kabinettes von Dominique de Villepin hin ausarbeitete. Am CNE war er seit Juni 2005 tätig, und mit der Ausarbeitung des CPE wurde er seit Herbst 2005 (parallel zum Ausbruch der Unruhen in den Banlieues, Ende Oktober) beauftragt. Letztere Tätigkeit wurde ihm anvertraut, nachdem Arbeits- und Sozialminister Jean-Louis Borloo und sein Staatssekretär Gérard Larcher die vom Regierungschef gewünschte Erarbeitung eines Projekts, das dem späteren CPE ähneln sollte, abgelehnt hatten. Den «Ersteinstellungsvertrag» stellte Premierminister Dominique de Villepin dann am 16. Januar 2006 überraschend der französischen Öffentlichkeit vor. Er nutzte die Gelegenheit, dass die Regierung ihre Besorgnis über die sozialen Nöte der abgekoppelten Teile der Jugend in den Ghettovierteln und Trabantenstädten demonstrieren wollte, indem sie zu Jahresanfang ein Gesetzespaket unter dem Namen «Gesetz für die Chancengleichheit» schnürte. Dieses war in seinen Grundzügen am 09./10. Januar durch Borloo präsentiert worden. Im Nachhinein wurde der CPE noch in das Maßnahmenbündel aufgenommen. Angeblich «natürlich» mit dem Ziel, Jobs bis zum Abwinken für die diskriminierte und perspektivlose Migranten- oder Vorstadtjugend zu schaffen. Doch in den ersten Wochen der Parlamentsdebatte bemühten die für die Materie zuständigen Minister völlig anders gelagerte Argumente. Der christdemokratische Bildungsminister Gilles de Robien etwa führte die Jobchancen seines eigenen - natürlich bis oben hin diplomierten - Sohnemanns ins Feld, die angeblich durch die Verabschiedung des Gesetzes über den «Ersteinstellungsvertrags» erhöht worden wären. (Denn dann wäre der arme Junge mit seinen Diplomen «nicht 9 Monate lang arbeitslos gewesen», behauptete der Minister.) Erst Anfang März 06, als der Druck zunahm, strengten sich die Minister dann an, in dem neuen Gesetz eine Jobhilfe für Ausgegrenzte, Diskriminierte und Banlieue-Bewohner zu entdecken. «Ein klares Anzeichen dafür, dass die offizielle Begründung eine nachgeschobene ist» kommentiert dazu die Tageszeitung ' Libération ' in ihrer Ausgabe vom Freitag (17. März). Artikel von Bernard Schmid vom 20.03.2006 |