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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Frankreich: "Reform"terror im Hochsommer Notverordnungen zur Beschäftigungspolitik treten heute in Kraft Auch im Hochsommer kommt der "Reform"terror nicht zur Ruhe. Anlässlich der letzten Kabinettssitzung vor der Augustpause verabschiedete der französische Ministerrat am Dienstag dieser Woche schnell noch das Bündel aus einem halben Dutzend Notverordnungen, die angeblich die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit voran bringen sollen. Am gestrigen Mittwoch wurden die sechs Verordnungen (ordonnances) im Journal Officiel, dem französischen staatsoffiziellen Anzeiger, veröffentlicht um am heutigen Donnerstag in Kraft zu treten. Die Regierung hatte sich Anfang Juli dieses Jahres vom Parlament eine Gesetzesgrundlage absegnen lassen, aufgrund derer das Kabinett seine neuen "Reformen" auf dem Verordnungswege umsetzen konnte. Das bedeutet, dass die Maßnahmen zwar Gesetzeskraft erhalten (und wie Gesetzestexte im Staatsanzeiger veröffentlicht werden), aber nicht durch die Abgeordneten im Einzelnen diskutiert werden konnten. Stattdessen hatten die Parlamentarier allein über die "Gesamtphilosophie" des Reformpakets, wie sie aus dem dafür verabschiedeten Ermächtigungsgesetz hervorgeht, zu debattieren aber eben nicht über den konkreten Inhalt der Maßnahmen. Selbst unter bürgerlichen Parlamentariern rief diese "Missachtung des Parlaments" zu Sommeranfang einiges Zähneknirschen hervor. Ursprünglich hieß es noch, dass die mit Abstand wichtigste (und umstrittenste) Maßnahme des neuen "Reform"pakets, also die faktische Abschaffung des Kündigungsschutzes in kleinen und mittleren Betrieben während der ersten zwei Jahre, "voraussichtlich zum 1. September" in Kraft treten solle. Offenkundig hatte man es aber eilig, und die neue Regel gilt nunmehr bereits ab heute. Auch war anfänglich noch geplant, dass die de facto erfolgende Aufhebung des Kündigungsschutzes während der ersten beiden Jahre der Vertragsdauer "in Betrieben mit weniger als 10 Beschäftigten" gelten solle. Von Anfang an war aber im Regierungslager diskutiert worden, ob man die Schwelle nicht auf 20 Beschäftigte anheben solle. Jetzt steht in den Zeitungen, die Maßnahme werde "zunächst in Betrieben mit höchstens 20 Beschäftigten" gelten. Die Tendenz geht also klar in Richtung Ausweitung des Geltungsbereichs der neuen Regel. Die sechs Notverordnungen im Einzelnen Im Einzelnen enthalten die Verordnungen, die zum Paket des so genannten "Plan d`urgence d`aide à l`emploi" (Dringlichkeits- oder Notplan zur Beschäftigungshilfe) gehören, folgende Bestimmungen:
Die Demontage des Kündigungsschutzes Die einschneidenste der geschilderten Maßnahmen bleibt aber doch die faktische Aufhebung des Kündigungsschutzes während der ersten beide Jahre des Arbeitsverhältnisses, (zur Zeit) in Betrieben mit höchstens 20 Beschäftigten. Bisher hatte der Arbeitgeber, der eine(n) Lohnabhängige(n) neu einstellte, die Auswahl zwischen zwei Vertragstypen. Er konnte einen unbefristeten Vertrag (CDI) abschließen, den er unter Angabe von Rechtfertigungsgründen aus einem betrieblichen Motiv oder aus einem personenbezogenen (d.h. verhaltens- oder personenbedingten) Grund aufkündigen kann. Falls der Rechtfertigungsgrund durch das Arbeitsgericht nicht akzeptiert wird, so schuldet der Arbeitgeber eine Abfindungszahlung, aber in der Regel keine Weiterbeschäftigung (außer wenn die Kündigung unter Verletzung eines Grundrechts erfolgte, d.h. etwa wegen legaler gewerkschaftlicher Betätigung oder Ausübung des Streikrechts ausgesprochen wurde). Und der Arbeitgeber konnte einen befristeten Vertrag (CDD) eingehen, wenn er voraussichtlich nur einen vorübergehenden Bedarf an zusätzlichen Arbeitskräften hat. Bei dem CDD hat der Arbeitgeber den Vorteil, dass er den Endpunkt des Arbeitsverhältnisses von vornherein kennt, aber er darf den Vertrag nur aus besonders wichtigem Grund (etwa einem schweren disziplinarrechtlichen Verstoß des Lohnabhängigen) vor Ablauf der vereinbarten Dauer kündigen. Ansonsten muss er, falls er den befristeten Vertrag gesetzeswidrig vor Ablauf der vereinbarten Dauer kündigt, den Lohn für die gesamte Laufzeit des CDD bezahlen. Nunmehr kommt aber ein neuer Vertragstyp hinzu, den der Arbeitgeber wählen kann, der so genannte "Neueinstellungsvertrag" (contrat nouvelle embauche). Er erlaubt es dem mittelständischen Arbeitgeber, einen Lohnabhängigen einzustellen, aber ohne Angabe von Rechtfertigungsgründen innerhalb der ersten beiden Jahre des Beschäftigungsverhältnisses zu entlassen. Angeblich soll sich dies beschäftigungsfördernd auswirken, da so führt die Regierung zur Begründung der neuen Regelung an die mittelständischen Betriebe auch bei Arbeitskräftebedarf bisher keine Neueinstellungen vorgenommen hätten, "weil sie die Beschäftigten sonst nicht mehr loswerden konnten". Diese Behauptung ist jedoch insofern absolut unzutreffend, als auch bisher der unbefristete Arbeitsvertrag bei Vorliegen von Rechtfertigungsgründen, etwa bei einer "Bedrohung der Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens" aufgekündigt werden konnte. Gérard Filoche, beruflich als Arbeitsinspektor tätig und dezidierter Parteilinker bei den französischen Sozialisten, hat zur Analyse der absehbaren Auswirkungen dieses neuen Regelwerks einen interessanten Text verfasst (vgl. Gewerkschaftliche Reaktionen Alle größeren gewerkschaftlichen Organisationen haben sich kritisch zum Inkrafttreten des neuen Maßnahmenbündels geäußert. Auch die (rechts)sozialdemokratische CFDT spricht auf ihrer Homepage von einer "falschen Orientierung". Mitten im Hochsommer ist jedoch an eine erfolgreiche Mobilisierung kaum zu denken. Der drittgrößte Gewerkschaftsbund, Force Ouvrière (FO), sprach von einer "sozialen Notwehrsituation" für die Beschäftigten. Für den Herbst haben mehrere Gewerkschaften Mobilisierungen angekündigt, so auch der Sekretär der CGC (Gewerkschaft der höheren Angestellten) Jean-Louis Walter in einem Interview mit der Wirtschaftszeitung "Les Echos" vom Mittwoch. Die CGT erwägt derzeit, für die dritte Septemberwoche zu "einheitlichen" Demonstrationen gegen die neue Offensive der neokonservativ-neoliberalen Regierung aufzurufen. Post scriptum: Die Bekanntgabe der Gewinne aus dem ersten Halbjahr 2005 zeigt eine erneute Gewinnexplosion bei vielen führenden französischen Unternehmen. France Télécom verzeichnet eine Profitsteigerung um 240 Prozent, der Stahlkonzern Arcelor um 122 Prozent und der Automobilkonzern Renault um 52 Prozent. (Zahlen nach "L´Humanité" vom 3. August) Bernhard Schmid, Paris, 4.8.05 |