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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Emmely ist überall! Das Buch zur – erfolgreichen – Emmely-Kampagne ist erschienen. Wie aktuell und transnational diese Geschichte ist, zeigt eine Auseinandersetzung in Frankreich: Anne-Marie Costa, Kassiererin bei Cora in Mondelange (bei Thionville) in Nordfrankreich, hat in den letzten Wochen ähnlich wie Emmely in Berlin vor zwei Jahren Schlagzeilen gemacht. Die Leitung des Supermarkts hat die Delegierte der CGT-Gewerkschaft mit Entlassung bedroht und zwei Stunden von der Gendarmerie verhören lassen – wegen eines Rabattbons, den sie von einem abgerechneten Kassenbon abgetrennt haben sollte. Immer wieder zeigt sich, wie verführerisch es für Direktionen bzw. Filialleitungen ist, ungehorsame und rebellische Beschäftigte des Diebstahls zu beschuldigen und sich dafür Komplizen unter den Angestellten zu suchen. Viele von uns kennen solche Methoden aus dem Lohnarbeitsalltag. Neu ist, dass solche Vorgehensweisen nicht mehr nur hingenommen, sondern bekannt werden und zu breiter Empörung führen. Die Geschichte von Anne-Marie Costa hat innerhalb von zwei Tagen in Frankreich einen Sturm entfacht und zu sehr verschiedenen Protestformen geführt: direkte Aktionen vor und in dem Cora-Supermarkt, ein breites Echo in den regionalen und nationalen Medien und Nachrichtendiensten und vor allem im Internet. Die Leitung des Supermarkts hat die Kündigung zurückgezogen. Doch ihr Ziel, die Kollegin aus dem Betrieb zu entfernen oder zumindest unter den Beschäftigten im betroffenen Supermarkt eine Stimmung zu schaffen, die eine Weiterarbeit von Anne-Marie unmöglich macht, nicht aufgegeben. Offensichtlich gelingt es auch bei Cora wie bei Kaiser’s in Berlin, Teile der direkt im Laden beschäftigten KollegInnen auf die Seite des Unternehmens zu ziehen und zu verhindern, dass die KollegInnen sich mit der Angegriffenen solidarisieren. Dafür stehen Äußerungen wie die folgende: »Die Bewegung und die öffentliche Empörung machen unsere Arbeitsplätze kaputt.« Das ist verlogen und doch immer wieder wirksam aufgrund der Ängste, die freigesetzt werden. Wir dokumentieren ein Interview vom 30. Oktober 2011, in dem Anne-Marie dem französischen Fernsehen von diesem »Hammer« des Jahres und den Hintergründen der Beschuldigungen berichtet. »Was wird Ihnen geworfen? Mir wird der Diebstahl eines Rabattbons auf einem Kassenticket vorgeworfen. Von der Direktion des Supermarkts wurde ich zu einem Entlassungs-Gespräch gerufen, bei dem mir auch vorgeworfen wurde, dass ich meine Krankentage nicht ordentlich abgerechnet und dass ich beleidigende Briefe geschrieben hätte. Als ich die Kündigung bekam, war ich geschockt. Mir war klar, dass sie bis zum Ende gehen wollen, dass sie Klage eingereicht hatten, um mich loszuwerden. Erst wusste ich nicht, was tun. Ich muss meinen Sohn allein erziehen. Ich bin praktisch zusammengebrochen. Was war genau passiert ? Ich habe dieses Ticket offen an der Kasse an mich genommen und den Rabatt-Gutschein auf der Rückseite abgetrennt. Hätte ich das nicht gemacht, wären das Ticket und der Gutschein weggeworfen worden. Es war ja schon abgerechnet. Ich hätte niemals gedacht, dass dies Diebstahl sein könnte. Offensichtlich bin ich genau beobachtet worden, denn es gab keine KundInnen um mich herum. Ich bin gewähltes Mitglied der CGT-Betriebsgewerkschaftsgruppe, seit dem Antritt der neuen Direktion werden wir alle im Laden überwacht. Sicherlich haben sie mich auch in diesem Moment beobachtet. Wir bekommen von der Leitung des Supermarkts auch viele Briefe per Einschreiben – Briefe, in denen ich zum Beispiel darauf hingewiesen werde, dass es untersagt ist, meine Arbeit zu unterbrechen, um mit Kolleginnen Gespräche zu führen. Diese Briefe sind zumeist in einem sehr bösen und respektlosen Ton geschrieben. Nachdem Sie von Cora bei der Polizei wegen Diebstahls angezeigt wurden, haben Sie wiederum die Leitung von Cora wegen Freiheitsberaubung angezeigt, weil Sie bei dem ersten Kündigungs-Gespräch fast zwei Stunden in einem Raum festgehalten wurden. Was passiert jetzt im Laden ? Die Kassenleiterin organisiert Versammlungen mit den Kassiererinnen, um ihnen zu erklären, dass ich viel mehr Sachen gestohlen und viel mehr Dreck am Stecken habe. Sie wollen mich von den Kolleginnen isolieren und somit verhindern, dass ich wieder in den Laden zurückkehren kann. Im Laden herrscht jetzt ein ganz schlechtes Klima, viele Kolleginnen haben Angst, ihre Arbeit zu verlieren wegen des Lärms, den diese Geschichte provoziert hat. Haben Sie mit diesem enormen Sturm, der durch die sozialen Netzwerke im Internet ausgelöst wurde, gerechnet? Absolut nicht. Ich dachte mir schon, dass die Leute diese Geschichte abwegig finden würden, aber einen solchen Sturm der Empörung – in den Radios, im Fernsehen, überall – habe ich absolut nicht erwartet. Wer hat die Geschichte bekannt gemacht bzw. an die Presse gegeben? Sie oder Ihre Gewerkschaft? Die Nachricht wurde nach einer Vollversammlung im Büro der CGT bei Cora Mondelange, auf der meine Geschichte angesprochen wurde, an die Presse weitergegeben. Bedauern sie die öffentliche Empörung? Ich habe das nicht provoziert. Ich kann mich weder freuen, noch die Reaktionen bedauern. Wenn die Leute auf diese Weise reagiert haben, dann zeigt das doch nur, dass etwas nicht stimmt bei diesem Vorgehen. Wenn diese Geschichte die sozialen Netzwerke entflammt, dann deshalb, weil die Leute begreifen, dass die Geschichte nicht beendet ist. Es ist eine Täuschung zu sagen: alles ist okay. Ich werde zwar wieder eingestellt und das Gespräch über die Entlassung wurde annuliert. Insofern habe ich nicht verloren, doch der Rest ist nicht beseitigt. Haben sie die Absicht oder das Bedürfnis, Cora zu verlassen ? Die Frage wurde mir schon mehrmals gestellt. Ich weiß es einfach nicht, ich kann darauf noch nicht antworten. Werden sie von Ihren KollegInnen bei Cora unterstützt? Wie sind deren Reaktionen? Ich habe viele Unterstützungsbotschaften von den KollegInnen draußen, etwa denen im Schwangerschaftsurlaub. Von denen, die aktuell im Supermarkt arbeiten: nein. Sie haben zuviel Angst – Angst auch, den Arbeitsplatz zu verlieren. Sie lassen sich gegen mich aufhetzen. Ist Ihr Sohn informiert? Mein Sohn kennt die Geschichte, seit ich zur Polizei musste. Ich habe ihm erklärt, dass ich ein kleines Problem hätte, und er hat auf mich gewartet. Er ist auch deshalb auf dem Laufenden, weil ich den Fernseher angeschaltet habe und auf Sendung war. Aber allzu viel erzähle ich ihm nicht. Das wäre nicht gut. Sein Vater ist vor drei Jahren gestorben, und ich will nicht den ganzen Tag zu Hause davon reden. Draußen, auf der Straße und in der Schule, wird schon genug geredet. Sind sie zuversichtlich? Ich weiß nicht, ich habe aber die notwendige Unterstützung, wir werden bis zum Ende gehen. Sogar Leute, die ich nicht kenne, unterstützen mich. Der Staatsanwalt von Thionville hat die Klage gegen Sie zwar nicht aufrechterhalten, aber dennoch Cora Recht gegeben. Gehen Sie gegen diese Entscheidung der Justiz vor? Ja, schließlich ist das eine Anzeige wegen Diebstahls, das darf einfach nicht wahr sein. In welcher Welt leben wir denn!? Wann nehmen Sie Ihre Arbeit bei Cora wieder auf, Sie sind ja aktuell krankgeschrieben? Ich weiß es nicht, im Moment nehme ich Anti-Depressiva, ich weiß es wirklich nicht. Übersetzung: Willi Hajek; Mitglied im Solidaritätskomitee für Emmely, Mitherausgeber des Emmely-Buches und Mitarbeiter des TIE-Bildungswerkes e.V. Erschienen im express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 11/11 express im Netz unter: www.express-afp.info , www.labournet.de/express |