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Updated: 18.12.2012 15:51
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François Chérèque (CFDT): Der "Gewerkschaftsführer", den Nicolas Sarkozy erfunden hätte, falls es ihn nicht schon gegeben hätte

Oder: Wie ein "Gewerkschaftsführer" vor erlesenem Publikum (vor der Wahl) auspackte, dass er Sarkozy unterstützt und seine "Reform"ziele teilt

Es gibt ein neues böses F-Wort. Es lautet: François Chérèque, Fürst, ähem: Generalsekretär der französischen CFDT. Die CFDT (Demokratischer französischer Arbeiter-Verband) ist der quantitativ zweitstärkste französische Gewerkschaftsdachverband, nach der "postkommunistischen" CGT (Allgemeiner Arbeiter-Verband). Und, jedenfalls an ihrer Spitze, sozialliberal respektive rechtssozialdemokratisch und pro-neoliberal ausgerichtet. Das war einmal anders, denn in den Jahren ab 1968 und noch in den Siebzigern stand die CFDT links von der damals sehr "realsozialistisch" geprägten CGT, und war im Gegensatz zu ihr offen für neue Themen der Gewerkschaftspolitik (Ökologie, Atomkraft-Kritik, "Dritte Welt"-Solidarität..). Aber die Zeiten ändern sich, in diesem Falle: massiv, und nicht zum Besseren hin.

Schon in der Ära der CFDT-Generalsekretärin Nicole Notat, die F. Chérèque im Jahr 2002 ablöste, war der Dachverband erheblich nach rechts gerückt. Die CFDT-Zentrale unterstützte sowohl die höchst umstrittene "Krankenkassenreform" der konservativen Regierung v. Alain Juppé (1995, unter N. Notat) als auch die heftig umkämpfte "Rentenreform" unter dem damaligen Arbeits- und jetzigen Premierminister François Fillon (2003, angeführt durch Chérèque). In beiden Fällen stellte die CFDT-Spitze sich dadurch gegen eine Massenstreikbewegung. Nicole Notat flog deswegen zu ihrer Zeit wenigstens noch zwei Mal aus Pariser Demonstrationen hinaus, wo sie heuchelerisch an der Spitze mitzulaufen versuchte, aber heftig angegriffen wurde. Das war am 24. November 1995 sowie am 17. Oktober 1996. Unter Chérèque setzte sich der Rechtsruck der CFDT-Spitze fast bruchlos fort, allerdings mit einer moderateren Rhetorik als unter der Gewerkschaftsbaronin Nicole Notat, die innergewerkschaftlich auch "die Zarin" genannt wurde. Letztere, die 2002 aus ihrem Amt schied (und daraufhin vor den Wahlen jnes Jahres den sozialliberalen Ex-Wirtschaftsminister Dominique Strauss-Kahn, heute Direktor des IWF in Washington, unterstützte), ist heute Chefin einer Agentur für Unternehmensberatung, die an der Pariser Porte de Bagnolet ansässig ist.

Es folgt nun die Übersetzung eines Auszugs aus einem neuen Buch, der in den letzten Tagen auf den Mailinglisten sozialer Bewegungen zirkuliert. Es handelt sich um einen Auszug aus dem Buch von Jacques Cotta: <Riches et presque décomplexés> (,Reich und fast ohne Komplex'), Verlag Fayard, Seite 125. Wir befinden uns im März 2007 und mitten im französischen Präsidentschaftswahlkampf:

"DIE C.F.D.T UND HERR CHEREQUE, PRIVAT"

"Einige Tage nach dem Frühstück in Gesellschaft von 200 Mitgliedern von Ethic (ANMERKUNG: Unternehmerverband, dessen Angehörige mächtig viel auf ihr schwer ,ethisch wertvolles' Verhalten geben) und (ANM.: des christdemokratischen Präsidentschaftskandidaten) François Bayrou, klingelt mein Telefon. Man fragt mich, ob ich an einer Neuauflage teilnehmen möchte, dieses Mal beim (Anm.: Verband für Mäzenatentum) ,Cercle Interallié' und in Gesellschaft von François Chérèque. Der Anführer der CFDT gegenüber entschlossenen Arbeitgebern, der kurz vor der Präsidentschaftswahl über soziale, politische und wirtschaftliche Themen spricht: Das konnte mich nicht indifferent lassen. Aber eine schlechte Überraschung erwartet mich. Am Vorband des Frühstücks wird mir abgesagt, in Worten, die nur meine Neugier anstacheln können: ,Sophie de Menthon (ANM.: Vorsitzende des o.g. Unternehmerverbands ETHIC) lässt Ihnen ausrichten, dass es kein Problem gäbe, wenn es nur an ihr läge - aber dass Herr Chérèque zur Bedingung für seine Teilnahme erhoben hat, dass kein einziger Journalist teilnimmt.' (Nachfrage:) ,Und selbst wenn ich diskret bleibe?' (Antwort:) ,Selbst dann, es tut uns leid. Er hat uns gesagt, dies sei die absolute Vorbedingung dafür, dass er kommt.'

Am folgenden Morgen beschließe ich, mich nicht an die Ausladung zu halten. Ich schreite die Stufen zum Sitz des ,Cercle interallié' empor (...), ignoriere einen Diener in schwarzer Livrée mit rotem Anzug-Unterteil und betrete den Salon, der für den Anführer der CFDT reserviert worden ist. Staunen bei der Sekretärin von <Ethic>, die die Teilnehmerbuttons verteilt (ANMERKUNG: darüber, dass der Autor nicht auf ihrer Liste steht). Ich tue sehr erstaunt und mime Unverständnis. Schlussendlich bekomme ich die Erlaubnis, mich in einer Ecke des Salons hinzusetzen, mit der strengen Verpflichtung, kein Wort zu sagen.

Vor einem zahlenmäßig sehr kleinen Publikum - verglichen mit dem, das dem Präsidentschaftskandidaten Bayrou (Anm.: eingeladen von demselben Verband) gelauscht hatte - empfängt Sophie de Menthon ihren Gast: <Lieber François Chérèque, es ist mir ein großes Vergnügen. Aber lassen Sie mich sagen - Ihnen, der Siein der Vergangenheit den Mut besesssen haben, schwierige Reformen zu unterstützen -, dass ich die Abwesenheit der Presse beklage. Sie hätten, im Gegenteil, dieses Ereignis im höchsten Grade in den Medien bekannt machen müssen, angesichts der Bedeutung, die Ihr Diskurs/Ihre Rede hat.> (Antwort:) <Danke für Ihre Einladung. Und fangen wir mit der Presse(frage) an. Ich habe verlangt/darum gebeten, dass sie nicht anwesend sein solle, da ich beschlossen habe, vor Ihnen offen, ohne Umschweife, direkt zu reden. Unter uns, ohne Journalisten, wird es einfacher sein!> .<Um uns Geheimnisse anzuvertrauen?> scherzt man im Saal. (....)

Eine Stunde hindurch folgt für mich eine Überraschung auf die andere. Der Anführer der CFDT reserviert seinen Gastgebern, die sehr zufrieden sich, eine hochpolitische Ansprache. <Die Wirtschafslage ist schwierig> und <Das Hauptproblem liegt bei den Investitionen>, weil >wir die Ziele von Lissabon nicht umgesetzt haben>. (ANMERKUNG: Der Lissabonner Gipfel der Europäischen Union hat Anfang des Jahrzehnts die so genannten Lissabon-Strategie "zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der EU-Ökonomien" beschlossen. Dazu gehören u.a. massive Eingriffe im Bildungswesen und so genannten Reformen in zahllosen anderen Bereichen.)

<Genauer?> fragt Sophie de Menthon nach. (Chérèque:) <Die Reformen des Forschungssektors, der Sozialversicherungskassen, der Renten, der Krankenkasse, der Krankenhäuser sind nicht durchgeführt worden.>

In einem Satz zusammengefasst: François Chérèque macht sich die Gesamtheit der Maßnahmen, die am 29. Mai 2005 eine Mehrheit der französischen Bevölkerung (Anm.: beim Referendum über den EU-Verfassungsvertrag) dazu bewogen haben, mit Nein zu stimmen, zu eigen. Aber gleichgültig, das Publikum im Saal ist voll einverstanden.

Er spricht sodann <die Organisation des Arbeitsmarkts> an, er erwähnt <die Existenz von Prekarität>, aber auch <die zu große Starrheit für die Unternehmen>. >Er beklagt die Entwicklung von Subunternehmen als <Faktor für die Ausbreitung von Ungleichheit>.

<Ungleichheit für wen?> fragt ein Neugieriger im Saal. Ich erwarte eine typische Gewerkschafter-Antwort. Überraschung. <Für die kleinen Unternehmen> antwortet wie aus der Pistole geschossen der Anführer der CFDT. Ich wende mich an meinen Tischnachbarn: <Für einen Gewerkschafter ist er aber ziemlich offen, nicht?> (Antwort:) <Ja, aber wenn es den Unternehmen nicht gut geht, geht es den Angestellten auch nicht nicht gut. Was zählt, ist das Unternehmen, und er (Chérèque) hat das verstanden.>

Am Mikrophon ist François Chérèque dabei, die <Konfliktkultur> zu beklagen, er verurteilt <die CGT, die in den Häfen von Marseille zum Streik treibt> oder <(den Gewerkschaftsbund) FO, der bei den Kommunalbediensteten macht was er will>. Er spricht von der <Notwendigkeit, dort eine CFDT durchzusetzen, die heutzutage Probleme antrifft>. <Wie?< fragt Sophie de Menthon nach. (Antwort:) Mit allen Mitteln!> Die Präsidenten von Ethic, Sophie de Menthon, ergreift das Wort: <Ich bin erstaunt, Sie übernehmen unsere Positionen, die wir öffentlich vertreten.>

Nunmehr in Fahrt, kündigt Chérèque an, es sei notwendig, <den Arbeitsvertrag fortzuentwickeln> (Anmerkung: das bedeutet, den Kündigungsschutz zu reformieren), <keinen Gegensatz zwischen Flexibilität und Starrheit aufzubauen> und <unsere Verbundenheit mit Europa zu bekräftigen> (...).

Dann spricht der Vorsitzende der CFDT von <Repräsentativität> (ANMERKUNG: rechtliche Vertretungsmacht und -befugnis der einzelnen Gewerkschaften, in einem Kontext, wo mehrere unterschiedliche Richtungsgewerkschaften bestehen; dieses Thema ist seit Anfang 2008 Gegenstand einer Reform zugunsten der beiden größten Dachverbände, Labournet berichtete). Er hat bereits mehrmals <die Berater von Nicolas Sarkozy und den Kandidaten selbst> getroffen, mit denen er <eher gutes Einverständnis erzielt> hat. Es sei notwendig, <die Geerkschaften in den (einzelnen) Unternehmen anzuerkennen<, und nicht länger auf nationalem Niveau (ANM.: d.h. auf zentraler Ebene) unabhängig von den Ergebnissen der jeweiligen Betriebsratswahlen.> (ANMERKUNG: Die gesetzliche Entwicklung unter Präsident Sarkozy geht derzeit in diese Richtung, so sieht ein Gesetz vom 20. August 2008 vor, die Anerkennung der "Repräsentativität" von Gewerkschaften künftig an Wahlergebnisse in den Betrieben zu koppeln. Ende Anm.) <Man muss die Gegenüber zersplittern>, raunt mir mein aufmerksamer Tischnachbar ins Ohr.

Als würde er ihm (dem Tischnachbarn) antworten, erzählt François Chérèque den Beispielsfall von Renault. <Wenn es keine Entlassungen gegeben hat>, dann nur deswegen, weil <die Arbeiter (ANMERKUNG: an den meisten Standorten, in Zeiten der Auftragsflaute) jetzt kürzen arbeiten und ihre freie Tage für (ANM.: das kommende Jahr) 2008 im Voraus nehmen>. Umgekehrt arbeiten sie <jetzt in Sandouville, wo die Just-in-time-Produktion gut läuft, jetzt 42 Stunden pro Woche>. (ANMERKUNG: Diese Illustration der angeblichen Vorzüge flexibler Arbeitszeiten durch Frç. Chérèque stammt aus dem Frühjahr 2007. Im Herbst 2008 ist der Automobilfabrikant Renault dabei, in Sandouville - bei Le Havre - 1.000 bis 1.200 Arbeitsplätze von insgesamt 3.500 zu streichen. Die dortige Belegschaft kämpft im Augenblick dagegen... Ende Anm.)

(Wieder Chérèque:) <Wenn man an der Basis (ANMERKUNG: also auf einzelbetrieblicher Ebene) diskutiert, setzt sich die Flexibilität ganz von allein durch.> (Nachfrage von Seiten der Gastgeber:) <Warum, wenn Sie so reden, laufen Sie dann bei den Demonstrationen in der ersten Reihe?> (Antwort:) <Ich habe gegen den Ersteinstellungsvertrag CPE (ANM.: im Februar, März, April 2006) demonstriert, weil der damalige Minister in der Form lächerlich vorgegangen ist. Doch in der Sache sind wir natürlich einverstanden damit, den Arbeitsvertrag zu revidieren> (ANMERKUNG: d.h. im konkreten Kontext, den Kündigungsschutz zu reformieren, wie es ein Abkommen vom 18. Januar 2008 - mit Unterstütztung der CFDT - auch vorsieht, Labournet hat ausführlich berichtet).

Das Publikum im Saal steht kurz davor, zu applaudieren. <Ihre Differenz zur CGT ist nicht offen genug>, insistiert Sophie (de Menton). <Auch wenn Thibault (Anm.: CGT-Generalsekretär Bernard Th.) sich ziemlich positiv entwickelt, so können ihm doch Radikalere aus dem Ruder laufen.> (Antwort:) <Konkret vor Ort ist es manchmal nicht einfach, aber je näher man sich auf die Ebene (der einzelnen) Unternehmen begibt, ich wiederhole es, desto akzeptieren die Beschäftigten diese Dinge. Nehmen Sie das Beispiel des Abkommens bei Bosch über die Arbeitszeit (ANMERKUNG: Betriebsvereinbarung bei Bosch in Vénissieux - in der Nähe von Lyon - zur <freiwilligen> Verlängerung der Arbeitszeiten der Belegschaft ohne Lohnausgleichung, gegen das Versprechen, die Arbeitsplätze nicht abwandern zu lassen). Es gibt 200 solcher Abkommen, aber niemand spricht darüber. Lassen wir die Dinge in den Unternehmen vor sich gehen, es gibt eine Anpassung (ANM.: <adaptation>, gemeint ist eine Anpassung an die realen ökonomischen Erfordernisse).>

(Nachfrage:) <Setzen Sie Prioritäten?> (Antwort Chérèque:) <Die Sozialversicherung wird der dicke Brocken werden. Man muss die Arbeiten zu den Renten beenden (ANMERKUNG: also die 2003 begonnene "Rentenreform") (...).

<Würden Sie es akzeptieren, Arbeitsminister von Nicolas Sarkozy oder Ségolène Royal zu werden?> (Antwort:) <Nein, ich bin viel nützlicher an der Stelle, wo ich sitze. Ich kann Pädagogik betreiben (ANM:: französischer Ausdruck für "die nötigen Reformen dem dummen Arbeitsvolk erklären"). Ségolène hat begriffen, dass sie beispielsweisen bei den Renten nicht die Abschaffung der Reform von Fillon (ANMERUNG: Verlängerung der obligatorischen Beitragsdauer aus dem Jahr 2003) befürworten kann. Wenn man die Linke mit ihren Widersprüchen konfrontiert, dann landet man bei der Rede von Villepinte, wo die Kandidatin (Ségolène Royal) die Reduzierung der Staatsverschuldung zu ihrer Priorität erhebt und die freie Marktwirtschaft anerkennt. Aber um dorthin zu gelangen, muss man da sitzen, wo ich bin.> (....)

(Schlussbemerkung von Chérèque:) <Sie sehen, es wäre schwierig geworden, wenn die Presse dabei gewesen wäre.> <Aber für wen würden Sie denn stimmen?< hakt/bohrt Sophie de Menton nach. (Antwort:) <Wie geben bei der CFDT grundsätzlich keine Wahlempfehlung ab.> (Nachfrage:) <Und privat?> (Antwort:) <Sarkozy hat uns einen Kalender für die Reformen vorgestellt, und das gefällt mir sehr gut. Ab Juli (2007) fangen wir an.> Sophie de Menton lächelt, und der Saal ist zufrieden."

Bernard Schmid, Paris, 10.11.2008


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