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Updated: 18.12.2012 15:51
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Am vergangenen Donnerstag fand er statt: Der "Gewerkschafts"dachverband CFDT strengt Prozess gegen protestierende Prekäre an

"Eine Gewerkschaft, die 'Opfer' einer Demo wird, das ist selten. Aber dass sie gegen Prekäre Strafanzeige erstattet und drei Jahre lang strafrechtliche Ermittlungen am Laufen hält, ist noch seltener." In diese Worte kleidet die linksliberale Pariser Tageszeitung ,Libération' (vom vorigen Samstag/Sonntag) ihre Einschätzung über einen doch eher ungewöhnlichen Prozess, der am vergangenen Donnerstag im Pariser Justizpalast stattfand. (Vgl. die Ankündigung im Labournet)

Das arme bedauernswerte "Opfer" der fraglichen Demonstration, die am 17. April 2005 stattgefunden hatte, war die Führung der CFDT (Confédération française démocratique du travail, "Französischer demokratischer Arbeiterverband"). Die CFDT ist der zweitstärkste Gewerkschaftsdachverband in Frankreich, nach der CGT, und jedenfalls an der Spitze rechtssozialdemokratisch und pro-neoliberal ausgerichtet.

Ihre Repräsentanten präsidierten jahrelang die nationale Arbeitslosenkasse UNEDIC: Die verschiedenen Kassen des gesetzlichen Sozialversicherungssystems in Frankreich (Renten-, Arbeitslosen-, Krankenkasse und Kinder- sowie Wohngeld) werden von Verwaltungsräten geleitet, die mit Vertretern von Gewerkschaften und "Arbeitgeberlager" paritätisch besetzt sind. In ihnen bilden sich jeweils Mehrheiten, um eine "Regierung" (die auch ihre "Opposition" hat) zu bilden. Die CFDT gehört seit Jahren, u.a. zusammen mit den Arbeitgeberverbänden, der Mehrheit im Verwaltungsrat der Arbeitslosenkasse an. Lange Jahre hindurch stellt sie auch deren Vorsitzende: Die "Präsidentschaft" der Kasse wurde in den späten 90er Jahren in Personalunion durch die CFDT-Vorsitzende Nicole Notat (eine knallharte Rechte, gewerkschaftsintern "die Zarin" genannt, heute Unternehmensberaterin respektive Leiterin einer Bewertungsagentur für "ethnisch verantwortlich handelnde" Unternehmen) ausgeübt. Später war die CFDT-Vertreterin Annie Thomas Vorsitzende der Arbeitslosenkasse. Im Jahr 2008 hat allerdings ein Repräsentant des "Arbeitgeber"lagers die Präsidentschaft inne: Zunächst Michel de Virville vom Metall-Arbeitgeberverband UIMM, der allerdings am 1. März dieses Jahres aufgrund seiner Rolle im UIMM-Finanzskandal vom Amt zurücktreten musste. Am 14. Mai 2008 wurde der Vertreter des zentralen Arbeitgeberverbands MEDEF, Geoffroy Roux de Bezieux, zu seinem Nachfolger an der Spitze der Kasse gewählt.

Im April 2005, damals war die CFDT-Frau Annie Thomas Leiterin der nationalen Arbeitslosenkasse, fand also eine Demonstration der Arbeitslosen, prekär Arbeitenden und prekären Kulturbeschäftigten ( intermittents du spectacle ) statt. Eine Gruppe aus der Demonstration zweigte von der Route ab und begab sich zum "Marmorpalast des Volkes", pardon: zum Hauptsitz der CFDT, an der Pariser Métro-Station Belleville. Sie besetzte kurzfristig die Eingangshalle des Gebäudes, hielt sodann eine spontan improvisierte Vollversammlung im siebten Stock ab, und verlangte ein Gespräch mit Repräsentanten der CFDT-Führung. Den Hintergrund bildete die Rolle des Verbands beim Kaputtsparen der Arbeitslosenversicherung, und insbesondere bei der Einschränkung der Rechte der ,intermittents du spectacle' auf Arbeitslosenbezüge. (Zwei Abkommen "der Sozialpartner" aus den Jahren 2003 und 2006 wurden auf Gewerkschaftsseite insbesondere durch die CFDT unterschrieben. Sie reduzieren die Zahl der Kulturprekären, die - in der Zeit zwischen zwei Engagements - Anrecht auf den Bezug von Arbeitslosengeld haben, drastisch. Die spezifische Arbeitslosenversicherung der Kulturprekären bestand seit dem Jahr 1936, dem Jahr der linken Regierung des Front Populaire.)

Statt allerdings zu einer Unterredung empfangen zu werden, durften die Prekären mit dem "Sicherheitsdienst" der CFDT Bekanntschaft schließen. Sie verließen nach knapp dreistündiger Besetzung freiwillig - ohne Intervention der Polizei - die Räume, ihre Aktion blieb von Anfang bis Ende friedlich. Niemand hatte auf die Schnauze bekommen. Es kam jedoch im Anschluss zu einer Rangelei vor der Tür, bei der mehrere Personen gleichzeitig zu Boden glitten. Beim Sturz brach der für die "Sicherheit der Räumlichkeiten" zuständige Schergenbeauftragte, pardon: nationale Sekretär der CFDT - damals Marcel Le Maillet - sich den kleinen Finger. Um länger Krankenbezüge zu kassieren, pardon: weil er deswegen gar fürchterlich litt, wurde Le Maillet daraufhin 55 Tage am Stück krankgeschrieben. (Eine Zeitung kommentiert dazu am gestrigen Montag: "Jetzt weiß man also, wo das Defizit der Krankenversicherung herkommt, aber das ist eine andere Geschichte." (Vgl. Artikel externer Link)

Die Affäre führte zu einer Strafanzeige der CFDT gegen die bösen Besetzer/innen, die aber zunächst mit einer Einstellung des Verfahrens endete, da keine konkreten Anführer ausfindig zu machen waren. Die CFDT ließ aber nicht locker, und das drei Jahre hindurch. Sie strengte alsbald ein neues Verfahren ein. Dieses Mal wurden Fotos, die nach dem Ende der Besetzung vor den Türen des Hauptsitzes des CFDT geschossen worden waren, herangezogen, um Einzelpersonen individuell haftbar zu machen. Auf den Bildern wurde zunächst Michel Roger identifiziert. Er hatte eine kurze Rede vor der Tür der CFDT, nach dem Abzug der Besetzer/innen, gehalten. Daraus soll nun geschlossen werden, er sei ein Rädelsführer gewesen. Michel Roger ist der Regisseur der prominenten linken Musik- und Theatertruppe ,Jolie Môme' ("Hübsches Kind"). (Vor Gericht sagte er am Donnerstag aus: "Ich bin seit dem Jahr 1973 als Regisseur tätig, heute 53 Jahre alt. Und ich weiß, dass ich" - als ,intermittent du spectacle' - "nur eine Rente auf Sozialhilfeniveau beziehen werde." U.a. dank den Abkommen zur sozialen Absicherung der Intermittents, welche die CFDT mit unterzeichnet hat.)

Als Nächstes wurde die Homepage HNS.info in die Ermittlungen einbezogen. Denn die Spürnasen der CFDT hatten herausgefunden, dass auf dieser Webpage zeitnahe zur Besetzung ein Kommuniqué zum Thema veröffentlicht worden war. Der Verantwortliche der Webpage, Ludovic Prieur, ebenfalls Mitglied der bunten Truppe ,Jolie Môme', stellte sich daraufhin freiwillig der Polizei. Er war auf den Fotos nicht zu sehen, bekannte sich aber dazu, ebenfalls an der Aktion vom 17. April 2005 teilgenommen zu haben.

Nun hatte die Anklage also zwei Personen im Visier. Aus der kurzfristigen Besetzung wurde der Straftatbestand "Hausfriedensbruch", aus dem kollektiven Sturz - bei dem Marcel Le Maillet sich den kleinen Finger brach (schluchz) - wurde eine "Gewalttat" und Körperverletzung, und aus der Mitnahme eines einzelnen Plakats wurde eine "Sachbeschädigung" gebastelt.

Am vergangenen Donnerstag also fand der Prozess in dieser Sache statt. Die CFDT war mitsamt ihrem Ordnerdienst, der wie eine kleine Armee mitten im Justizpalast aufzog, angerückt. Als prominenter Zeuge der Verteidigung trat der französische KP-Parlamentarier André Chassaigne, Abgeordneter aus der Auvergne in der Nationalversammlung, auf. Er berichtete im Zeugenstand von vier Betriebsbesetzungen in Clermont-Ferrand, an denen die CFDT respektive ihre Fabriksektionen teilgenommen hatten - ein Kampfmittel, das sie also bei Anderen nicht unbedingt schockiert. Die Galionsfigur der CGT-Arbeitslosenvereinigung, Charles Hoareau aus Marseille, seinerseits erinnerte im Zeugenstand an einen Arbeitskampf bei der Supermarktkette Carrefour in seinem Département. Dort hatte ebenfalls eine Besetzung der Räumlichkeiten stattgefunden, und der CFDT-Vorsitzende François Chérèque (seit 2002 im Amt) persönlich reiste zur Unterstützung der streikenden-und-besetzenden Beschäftigten an. "Wenn es jedes Mal einen Prozess gäbe, wenn eine zweistündige Besetzung stattfindet, dann wären die Gerichte allein damit überlastet", schloss er seine Aussage ab.

Die prominente linke Anwältin Irène Terrel, als Verteidigerin der beiden Angeklagten, plädierte auf Freispruch: "Man zerrt Leute vor Gericht, die friedlich besetzt hatten. (.) Das Ziel war, von der CFDT Rechenschaft über die Abkommen, die sie unterzeichnet, zu fordern." Eine Verurteilung, auch wenn sie im "symbolischen" Bereich bleibe, hätte - so die Anwältin - gravierende Auswirkungen für die sozialen Bewegungen aufgrund des künftigen Risikos einer Kriminalisierung. Hingegen malte die Nebenklage, also der Anwalt der CFDT, die Besetzung in finsteren Farben: Dass die Aktion über keine "sichtbaren Anführer" verfügt habe, sei umso heimtückischer gewesen, da es einen "Willen zum Verbergen" ausdrücke. Die Staatsanwaltschaft ihrerseits forderte eine "maßvolle (Geld-) Strafe auf Bewährung".

Das Urteil fällt am 22. Januar 2009.

Bernard Schmid, Paris, 16.12.2008


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