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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Prudhommes - Wahlen: Bei nur noch einem Viertel Wahlbeteiligung Stimmgewinne für CGT und Solidaires, Verluste für CFDT und CFTC "Die Einschätzungen darüber, für wen die Ergebnisse der Arbeitsgerichtswahlen am Mittwoch (3. Dezember) günstig ausfielen, variieren. "Die Stimmenthaltung gewinnt deutlich" frotzelte das - zu zwei Dritteln seines Umfangs nur aus Werbung bestehende - sozialliberale Wochenmagazin ,Nouvel Observateur' am Donnerstag (Internet-Ausgabe). "Die ,Syndicats contestataires' (d.h. Oppositions- oder Protestgewerkschaften) haben zugelegt" war unterdessen in der Online-Ausgabe des bürgerlich-konservativen Wochenmagazins ,L'Express' zu lesen. Dabei waren insbesondere die CGT und die Union syndicale Solidaires - Zusammenschluss u.a. der SUD-Gewerkschaften - im Visier" - so beginnt der aktuelle Artikel "ARBEITSGERICHTSWAHLEN - GRADMESSER FÜR DEN EINFLUSS DER GEWERKSCHAFTEN" von Bernard Schmid vom 5. Dezember 2008. ARBEITSGERICHTSWAHLEN - GRADMESSER FÜR DEN EINFLUSS DER GEWERKSCHAFTEN Aufwind für CGT und SUD-Gewerkschaften. Ansonsten ist die Stimmenthaltung enorm hoch, die CFDT lässt Federn, und die Christenheinis erreichen ihr Wahlziel nicht Die Einschätzungen darüber, für wen die Ergebnisse der Arbeitsgerichtswahlen am Mittwoch (3. Dezember) günstig ausfielen, variieren. "Die Stimmenthaltung gewinnt deutlich" frotzelte das - zu zwei Dritteln seines Umfangs nur aus Werbung bestehende - sozialliberale Wochenmagazin ,Nouvel Observateur' am Donnerstag (Internet-Ausgabe). "Die ,Syndicats contestataires' (d.h. Oppositions- oder Protestgewerkschaften) haben zugelegt" war unterdessen in der Online-Ausgabe des bürgerlich-konservativen Wochenmagazins ,L'Express' zu lesen. Dabei waren insbesondere die CGT und die Union syndicale Solidaires - Zusammenschluss u.a. der SUD-Gewerkschaften - im Visier. Die Wahlen zu den überwiegend mit Laienrichter/inne/n, sowohl der Gewerkschafts- als auch der "Arbeitgeber"seite, paritätisch besetzten Arbeitsgerichte (Conseils de prud'hommes) finden üblicherweise alle fünf Jahre statt. "Üblicherweise", denn nach diesem Rhythmus hätten sie turnusmäßig im Dezember 2007 stattfinden müssen (nach Dezember 1997 und Dezember 2002).Damals waren sie aber aufgrund des mit Wahlen überladenen "Superwahljahrs" 2007 - zwischen den Präsidentschaftswahlen im April und Mai 07, den Parlamentswahlen im Juni 07 sowie den Kommunalwahlen im März 08 - um ein Jahr verschoben wurden. Nun fanden sie aber am Mittwoch statt. Über 19 Millionen Lohnabhängige (sowohl abhängig Beschäftigte als auch bei den Arbeitsämtern registrierte Erwerbslose) auf der einen Seite, rund 520.000 Arbeitgeber auf der anderen Seite durften ihre jeweiligen Repräsentanten wählen. Aber wie ging es nun aus? Beide Überschriften haben etwas Richtiges an sich, auch wenn die Analyse der CGT als "Protest- und Oppositionsgewerkschaft" im Anblick ihres momentanen Kurses eher unrichtig erscheint. Jedenfalls zählen die CGT und die Union syndicale solidaires, rein rechnerisch, zu den Hauptgewinnern der Wahl. Überschattet werden deren Ergebnisse jedoch durch die enorme Enthaltung: Nahmen bei der erstmaligen Durchführung der "Prud'hommes-Wahlen" oder "Sozialwahlen" im Jahr 1979 noch über 60 Prozent der Lohnabhängigen an ihnen teil, so waren es in diesem Jahr nur noch 25,5 Prozent unter ihnen (und gut 32 Prozent bei den "Arbeitgebern"). Dabei benötigen gerade in Zeiten fortschreitender sozialer "Individualisierung" oder "Vereinzelung" - ein Phänomen, mit dem UNTER ANDEREM der Einflussverlust von Gewerkschaften und auch die Abnahme der sozialen Basis etwa von politischen Parteien zusammenhängt - die abhängig Beschäftigten solche Arbeitsgerichte mehr denn je. Denn dort, wo soziale Konflikte im Arbeitsleben nicht kollektiv, also durch Klassenkampf oder mit gewerkschaftlichen Mitteln, ausgetragen werden, führen sie früher oder später zu Prozessen. Dort wird dann mit juristischen Mitteln versucht, im Einzelfall den sozialen Problemen Abhilfe oder Linderung zu verschaffen, die keine kollektive "Lösung" finden konnten. Ursächlich für die abnehmende Beteiligung an den alle fünf Jahre stattfindenden "Sozialwahlen" ist (neben dem Einflussverlust, aber auch dem wenig mobilisierenden Schnarchkurs der wichtigsten Dachverbände französischer Gewerkschaften) ihr Austragungsort: Nach wie vor weigern Gesetzgeber und "Arbeitgeber" sich, diese im Betrieb stattfinden zu lassen. Die Urnen stehen in Schulen und ähnlichen Wahllokalen, wie bei Parlaments- und ähnlichen Wahlen. Zwar haben die Lohnabhängigen ein verbrieftes Recht, sich während ihrer Arbeitszeit dorthin zu begeben, um ihre Stimme abzugeben. Allerdings: Je höher der Druck auf die Lohnabhängigen ausfällt - beispielsweise derzeit zu Beginn einer Rezessionsperiode, während derer jede/r um den "eigenen" Arbeitsplatz bangt -, desto weniger werden sie sich trauen, dieses Recht auch wahrzunehmen. Abhilfe schaffen soll u.a. die Möglichkeit, per Internet abzustimmen. Allerdings gab es diese Option in diesem Jahr ausschließlich für die Wähler/innen im Stadtgebiet von Paris. Nun zu den Einzelergebnissen. Die CGT (seit Jahrzehnten der stärkste Gewerkschafts-Dachverband in Frankreich, "postkommunistisch", jedoch sich an der Spitze rapide sozialdemokratisierend) gewinnt 1,6 bis 1,7 Prozentpunkte hinzu. Sie liegt nunmehr bei 33,8 Prozent, gegenüber 32,1 % im Jahr 2002. Allerdings liegt der Ausgangspunkt bei ihr weit höher: Bei den ersten "Sozialwahlen" zu den Arbeitsgerichten (1979) hatte sie noch mit über 42 Prozent abgeschnitten. Sicherlich, das waren andere Zeiten, und auch die Beschäftigtenstruktur fiel völlig anders aus. Zum zweiten Hauptgewinner, achtet man nur auf die Zugewinne, zählt der Zusammenschluss Union syndicales Solidaires, dem unter anderem die linken Basisgewerkschaften SUD (Solidaires, Unitaires, Démocratiques) in mehreren Sektoren angehören, aber auch bspw. die stärkste Einzelgewerkschaft der Beschäftigten in den Finanzämtern SNUI. Im nationalen Durchschnitt gewann die Union syndicales Solidaires um 2,3 Prozentpunkte hinzu und liegt nunmehr bei durchschnittlich 3,8 % (2002: 1,5 %). Allerdings hatte der alternative Gewerkschaftszusammenschluss nicht flächendeckend Listen aufgestellt, so dass das Durchschnittsergebnis einen Mittelwert von Sektoren, wo Solidaires überhaupt nicht vertreten war, und von tatsächlich erzielten Listenergebnissen darstellt. Insgesamt hatte die Union syndicale Solidaires in diesem Jahr vier mal mehr Listen aufgestellt als noch vor sechs Jahren. Dort, wo solche Listen antraten, erhielten sie im Schnitt rund 5 Prozent der Stimmen. Zu den hauptsächlichen Verlierern zählt, und dies glücklicherweise, die CFDT (zweitstärkster Gewerkschaftsdachverband, tendenziell sozialdemokratisch, an der Spitze beinhart rechtssozialdemokratisch und pro-neoliberal). Dieser Verband "bezahlt" in vielen Sektoren die Unterstützung seiner Spitze für die einschneidendsten "Reformen" der letzten Jahre, etwa die "Rentenreform" der konservativen Regierung von 2003. Nicht übersehen werden darf, dass es in vielen Einzelbetrieben durchaus korrekt agierende Basissektionen der CFDT (noch) gibt, so dass ihr auch eine gewisse soziale Basis erhalten bleibt. Im nationalen Durchschnitt fällt die CFDT allerdings um gut drei Prozentpunkte, von 25,2 % (2002) auf nunmehr 22,1 Prozent. Bei den höheren und leitenden Angestellten (cadres) wird die CFDT nun - nach einem Jahrzehnt erstmals wieder - durch die spezifische Angestelltengewerkschaft CFE-CGC überflügelt. In den 1990er Jahren hatte sich zunächst abgezeichnet, dass die CFDT im Begriff war, aufgrund ihres "moderaten" Profils, d.h. ihres damaligen tendenziellen Pro-Regierungs-Kurses (mit Bemühen um ein paar soziale Korrekturen am Detail), zur hauptsächlichen gewerkschaftlichen Interessenvertretung der "weißen Kragen" und und leitenden Angestellten zu werden. Dort wird sie nunmehr aber wiederum durch die spezifische Interessenvertretung, in Gestalt der CGC-Angestelltengewerkschaften, übertrumpft. Es bleibt abzuwarten, ob daran die Umkehr eines historischen Prozesses - gegenüber den 1990er Jahren - abzulesen ist. Im nationalen Durchschnittsergebnis verzeichnet die CFE-CGC einen Zuwachs von zuvor 7,0 % auf jetzt 8,2 Prozent. Ihr Wahlziel verfehlt hat insbesondere die, relativ rechte, CFTC - also der christliche Gewerkschaftsbund. Die CFTC fürchtet, historisch verdrängt zu werden. denn auf Grundlage der Neufassung der "Repräsentativitäts"regeln für die Gewerkschaften im Jahr 2008 (Labournet berichtete) droht diesem relativ kleinen Gewerkschaftsbund das Aus als rechtlich befugte "Vertretungsmacht" für die abhängig Beschäftigten. - Ab 2012 entscheiden die Wahlergebnisse u.a. bei den Betriebsratswahlen darüber, welche Gewerkschaften als "tariffähig" gelten. - Die CFTC hatte darum riesige Summen in einen flächendeckenden Wahlkampf "amerikanischen Typs" investiert. Sie hatte in Fernsehspots und Zeitungsannoncen und mit zahlreichen Plakaten für sich geworben. Ihre Kampagne hatte sich stark gegen die nunmehr unter Präsident Sarkozy geplante Freigabe der Sonntagsarbeit auf breiter Front (welche aber, ebenfalls aus z.T. "christlichen" Motiven, auch innerhalb der regierenden Rechten heftig umstritten bleibt) gerichtet. Aber mit einem nationalen Durchschnittsergebnis von 8,9 % (gegenüber 9,7 % im Jahr 2002) muss die CFTC nun doch Verluste hinnehmen. Im Lager der "Arbeitgeber" waren die drei wichtigsten Verbände (MEDEF, CGPME, UPA) mit einer Einheitsliste zur Wahl angetreten, die über 72 Prozent der Stimmen unter den "Arbeitgebern" erhielt. (Zu den Hintergründen dieser Wahl und ihres Ausgangs sowie der gewerkschaftlichen Strategien - davor und danach - wird demnächst im Labournet noch Ausführlicheres zu lesen stehen). Bernard Schmid, 5. Dezember 2008 |